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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Zur Debatte um die Zukunft von Schauspiel/Oper in Frankfurt

Schock? – Chance!

Ein Zwischenruf von Uwe Kammann 

DANKE FRANKFURT FÜR 8 GLÜCKLICHE THEATERJAHRE: Riesengroß der Schriftzug am Frankfurter Schauspielhaus. Er markiert das Ende der Intendanz Oliver Reeses am Main, vor dem Wechsel an die Spree. Die Abschiedsparty, so die Bekundungen, war fröhlich, ausgelassen. Und die Bilanz: allenthalben positive Stimmen.

Optisches Dankeschön zum Abschied von Oliver Reese (Fotos: Uwe Kammann)

Ein Abschied, der zusammenfällt mit einer Debatte, die schon einige Jahre nicht nur die Insider beschäftigt, die aber erst jetzt, mit der Vorlage eines Gutachtens, kräftig Fahrt aufgenommen und viel Wirbel ausgelöst hat. Wobei, keine Frage, der Aussagekern der nun vorliegenden Machbarkeitsstudie einem schon den Atem verschlagen kann. Denn auf sage und schreibe gut 900 Millionen Euro schätzen die Autoren die Kosten, die für die bauliche Zukunft von Schauspiel und Oper zu veranschlagen sind. Und dies ganz unabhängig von den Modellen, die denkbar sind.

Sie reichen von der Sanierung beider Häuser – die in der bürokratisch getauften Theaterdoppelanlage am Willy-Brandt-Platz wie siamesische Zwillinge verbunden sind – bis zum Abriss beider Einrichtungen und zum Neubau an anderer Stelle. Auch hier wieder mit Variationen. So ist weiter ein gemeinsames Haus denkbar, ebenso aber eine klare Trennung mit zwei neuen Bauten. Dabei kämen verschiedene Standorte in Frage.

Wobei weiter zu überlegen ist: Wie lässt sich das jetzige Doppelhaus mit der gemeinsamen, verbindenden Fassade überhaupt sanieren: bei laufendem Betrieb oder besser mit einem zeitweiligen Umzug von Theater und Oper, also einer Auslagerung an andere Spielorte? Ist es günstiger, dies für beide Häuser gleichzeitig zu praktizieren, oder geht es besser Zug um Zug? Und: Wohin könnte man in der Zwischenzeit ausweichen, wie lange würde die Interimslösung dauern? Und was wäre dafür an Kosten zu veranschlagen?

Jede Frage, die beantwortet wird, wirft mindestens drei neue auf. Das alles steht unter den großen Fragezeichen: Welche Maßnahmen sind unbedingt notwendig, welcher Aufwand scheint dafür angemessen? Welcher Stellenwert – und damit: welcher Wert – wird dem Theater beigemessen? Und schließlich: In welchem Zeitraum soll die Aufgabe bewältigt werden, die städtischen Großbühnen zukunftsfähig zu machen?

Ist der gegenwärtige Zustand wirklich so schlecht?

Das führt natürlich sofort zu der Frage: Ist ihr gegenwärtiger Zustand wirklich so schlecht, dass jetzt das Architekturbüro PFP Planungs GmbH zu dem Befund kommt, inklusive aller Kollateralkosten müsste annähernd eine Milliarde Euro ausgegeben werden? Ein Befund, der sich vornehmlich auf das Wort „marode“ stützt, Ergebnis von angeblich 5000 Bohr- und Stocherstellen, hinter denen sich dann das wahre Grauen verborgen haben muss. Dass die Gutachter gern mit großen Zahlen umgehen, geht schon aus dem Honorar hervor: über 6 Millionen Euro. Schon da schütteln erfahrene Architekten den Kopf. Und dass Sanierungs- und Baukosten in der Schätzung die Halbmilliardengrenze überspringen (zu denen dann hauptsächlich noch eine 30prozentige Unsicherheitsreserve kommt), löst bei externen Fachleuten ebensolche Fragezeichen aus. Zumal vor einem Jahr ganz andere, sprich: niedrigere Schätzungen im Umlauf waren. Die nicht zuletzt berücksichtigten, dass es schon mehrfach Sanierungsphasen gegeben hatte.

Gesehen vom Eurotower: Bühnenturm der Oper Frankfurt  

So noch vor dem Opernbrand 1987, bei dem der Bühnenturm vollständig ausbrannte. Damals wurde das Operngebäude für 170 Millionen Mark saniert. Während dieser Zeit bot das unversehrte Schauspielhaus der Oper das Gast- und Hausrecht und zog selbst ins Bockenheimer Depot um, bevor dann 1991 nach der Opernrückkehr das eigene Haus renoviert wurde. 2010 dann der nächste große Ausbauschritt mit der Errichtung eines Werkstattgebäudes über dem Eingang der Kammerspiele, alles, wie es heißt, technisch topp.

Jetzt soll das alles in sich so bau- und hinfällig sein, dass nur eine Generalremedur in Höhe einer halben Milliarde Abhilfe schaffen kann? Bilden weniger als zwanzig oder dreißig Jahre bereits die absolute Verfallsgrenze bei Kulturbauten? Kenner des Inneren bemängeln zwar in Frankfurts Großtheater klimatische Unzulänglichkeiten bei der Glasfassade, unzureichende Lüftungsanlagen, technische Lücken und Einengungen in den Funktionsteilen. Doch der Bühnentechnik kreiden sie kaum etwas an. Insofern erscheint sie schon als Abakadabra, diese Schocksumme der absoluten Abhilfe, die das angeblich überall Marode in einen zukunftsträchtigen Zustand versetzen soll.

Keine Schönheit: eine Seitenfront der Theaterdoppelanlage

Doch ein solcher Milliarden-Albtraum scheint für manche Akteure aus der Theaterlandschaft selbst kein Problem zu sein. „Skandalös“, erregte sich eine ehemalige Bühnenbildnerin im Foyergespräch nach der Ehrenbürger-Feierstunde für Petra Roth in der Paulskirche, „schlichtweg skandalös“ sei es, nach der Höhe der Kosten zu fragen. Die Ex-Oberbürgermeisterin selbst hatte zuvor den Politikern und Gästen zugerufen, die Theater-Entscheidung „im Geiste der Kultur und der Künstler zu treffen“, nicht zuletzt, weil Kultur auch zur Identitätsbildung und zur Beheimatung beitrage.

Ist die Frage nach dem Kostenrahmen wirklich skandalös, muss saniert oder gebaut werden auf Teufel komm’ raus, egal wie hoch am Ende der Preis ist (den ja alle Bürger über ihre Steuern bezahlen)? Nun, jeder wird sie nach individueller Wertschätzung und eigenem Interesse an den klassischen Hochkultur-Einrichtungen Oper und Theater beantworten.

Vergleiche mit den Kosten von Großbauten lohnen sich

Was aber jeder kann, dem dabei nicht alle Sinne vernebelt sind: einmal die Zahlen zu relativieren, die jetzt im Raum stehen. Relativieren im Sinne des Vergleichens, des Nebeneinanderstellens von großen, repräsentativen Bauten und umfangreichen Bauaufgaben. Fangen wir in Frankfurt an: Die komplette neue Altstadtbebauung zwischen Römerzeile und Dom, handwerklich höchst anspruchsvoll, wird rund 200 Millionen Euro kosten. Die Frauenkirche in Dresden lag mit 180 Millionen sogar noch darunter. Das neue Historische Museum am Römerberg hat rund 54 Millionen Euro gekostet. Der Riesen-Neubau des Berliner Schlosses mit der Transformation zum inhaltlich komplexen Humboldt-Forum liegt mit rund 600 Millionen Euro voll im Kostenplan.

Oder nehmen wir, noch eine Nummer größer, die Beispiele der ultra-technisch ausgestatteten, auch vom Volumen her die Theateranlage weit übertreffenden Gebäude des Berliner Hauptbahnhofs (mit seinen vielen Ebenen) oder der Europäischen Zentralbank (EZB): Sie kamen auf 1,2 beziehungsweise auf 1,3 Milliarden Euro. Wer diese Konstruktionen je von innen und außen studiert hat, wer berücksichtigt, dass zur EZB die meisterhaft gelungene Renovierung und Sanierung der bautechnisch anspruchsvollen Großmarktmarkthalle gehört sowie die himmelstürmenden Türme mit ihrer kühnen Atriumkonstruktion, der kann dann nur sagen: Das sind wahre Schnäppchen, wenn man dies mit den hohen dreistelligen Millionenträumereien für die städtischen Bühnen in Beziehung setzt. Auch die wegen der achtfach gestiegenen Kosten zunächst vielgescholtene Elbphilharmonie erscheint angesichts der einzigartigen Konstruktion und Ausstattung geradezu noch preis-wert zu sein.

Sichtbare Schäden in der äußeren Substanz

Dass übrigens Kulturbauten durchaus auch in bescheideneren Größenordnungen errichtet werden können, zeigen andere Beispiele. Wie die Erweiterung und der Neubau des Folkwang-Museums in Essen (2010) durch den Stararchitekten David Chipperfield für 55 Millionen Euro. Dann der Neubau des Erfurter Theaters (2003) für 62 Millionen. Oder der Neubau des Bochumer Musikforums (2016) mit einem vielgelobten Konzertsaal für 38 Millionen Euro. Die Reihe ließe sich leicht fortsetzen.

Aber Schlagzeilen machen natürlich die Projekte, welche laut rufen: Wir haben’s ja; oder: egal was es kostet, wir machen’s einfach, wir leisten uns das. So Köln, wo die Sanierung von Oper und Schauspielhaus (räumlich eng verbunden) von zunächst veranschlagten 230 Millionen auf mehr als 400 Millionen hochgeschnellt ist (und das ist noch nicht das Ende der Fahnenstange). Ähnlich Berlin, wo die Sanierung der Staatsoper Unter den Linden von anfänglich geschätzten 240 Millionen auf weit über 400 Millionen gestiegen ist. Nicht anders ist es beim Pergamonmuseum: eine Fast-Verdoppelung von einst 261 auf nunmehr kalkulierte 477 Millionen Euro.

Kultur, das zeigt sich allenthalben, ist den Deutschen (in Gestalt von Kommunen, Ländern und Bund) ganz anders als oft behauptet, tatsächlich lieb und teuer. Neuester Beleg: Das Kulturforum Gasteig in München (mit Konzertsaal und Bibliothek) soll für eine halbe Milliarde Euro saniert werden. Und zusätzlich ist der Bau eines weiteren Konzerthauses beschlossen, Kosten: noch offen – man darf weit nach oben kalkulieren, denn es soll in der repräsentativen Städtekonkurrenz – von der Elbphilharmonie bis zur vielgerühmten Oper in Kopenhagen (500 Millionen Dollar, inklusive Blattgold an der Decke) – zur absoluten Weltspitze gehören, in jeder Hinsicht.

All diese Vergleiche darf und sollte im Hinterkopf haben, wer jetzt über die Zukunft der Theaterdoppelanlage mit ihrer markanten Glasfassade, welche beide Foyers umfasst, diskutiert. Und die Entscheider haben natürlich Nutzen und Kosten abzuwägen, müssen den Budgetrahmen festlegen. Ein Rahmen, welcher nicht einfach dem Prinzip Wünsch-dir-was zu unterwerfen ist. Ein Prinzip, das allerdings verführerisch ist.

Das verführerische Prinzip des Wünsch-dir-was

Der Verwaltungsdirektor eines großen deutschen Theaters gestand dem Autor einmal im vertraulichen Tischgespräch: Doch, es hätten sich bei der (schon abgeschlossenen) Sanierung gut 20, 30 Prozent der späteren Kosten einsparen lassen. Doch die künstlerische Leitung des Hauses habe im Einklang mit den Spezialisten für Bühnentechnik einen teuren Punkt nach dem anderen zur Planung als unerlässlich hinzugefügt; und die politischen Entscheider im Rathaus hätten am Ende immer nachgegeben, letztlich wohl, um nicht in den Ruf von Theaterbanausen und unkultivierten Knauserern zu geraten.

Ob solche Gedanken und die scheinbar willkürlich schwankenden Vor- und Nachspiele andernorts alle schon im sündhaft teuren Frankfurter Gutachten eingepreist sind? Mit dem Hintergedanken, anders als in Hamburg, nicht mit einem politisch motivierten (Auf los geht’s los!) und dann nicht zu haltenden Niedrigstpreis zu beginnen, sondern stattdessen ganz hoch zu stapeln, damit dann – oh Wunder! – eine beträchtliche Schicht abgetragen werden kann und alles auf einmal nach Sparanstrengungen aussieht? Das ist nicht auszuschließen, sogar wahrscheinlich. Denn verwunderlich ist diese Spitzenzahl des 2017-Gutachtens nicht zuletzt, weil noch vor einem Jahr von verschiedenen Seiten ein wesentlich kleinerer Sanierungsrahmen (allerdings, auch zwischen 180 und 400 Millionen pendelnd) angenommen wurde.

Elementares versus Hightech: Was braucht das Theater heute und morgen?

Wenn nun, voraussichtlich schon in dieser Woche, die vertiefenden politischen Debatten zur Machbarkeitsstudie aufgenommen werden, dann soll, dann muss natürlich wesentlich mehr diskutiert werden. Ausgehend von der Frage: Welche Funktion haben Theater und Oper in der heutigen Gesellschaft? Was brauchen sie organisatorisch und baulich, um das meistgenannte Aufgabenziel zu erreichen, nämlich die produktive Werkstatt zu sein, in der die gesellschaftlichen Verhältnisse und Perspektiven verhandelt und ausgemessen werden, in der jener künstlerische und emotionale Überschuss erzeugt wird, der wiederum die Freiheit zum Neuen und Anderssein gebiert?

Muss dieser Spiel-Raum bis in die allerkleinsten Verästelungen auf High-Tech setzen, oder ergibt sich vielleicht im Kontrast zu einer ubiquitären Medienwelt mehr Kraft aus Reduktionen, aus dem Vereinfachten, dem Elementaren? Eine Erfahrung, die beispielsweise Düsseldorf gemacht hat, als die Oper während der Sanierungszeit in einem einfachen Rundbau im Medienhafen, nach dem Prinzip des Shakesspeare-Theaters gastierte.

Dass großzügige Bühnentechnik schnell zum Selbstzweck werden kann, bewies das Frankfurter Intendantendoppel Schaaf und Minks, als es zum Amtsantritt Anfang der 80er Jahre einen höchst aufwendigen Totalumbau von Bühne und Theatersaal zur Bedingung machte. Benutzt wurde das Ganze nur einmal. Später flog es wieder raus. Soviel zu künstlerischen Sachbegründungen und Folgekosten …

Dann ist zu überlegen: Wie soll sich das Theater in Frankfurt nach außen präsentieren? Braucht es – im Falle eines Neubaus – das Spektakuläre, braucht es eine Marketing-Hülle (mit dem nun schon nachlassenden so genannten Bilbao-Effekt)? Oder kann es eher auf edle Schlichtheit, vielleicht auch auf hohe Improvisationskunst setzen, eben, um auf diese Weise schon von der Hülle her sein Spiel-Ziel zu demonstrieren? Welche Architektur kann welche Idee ausdrücken (was im Zusammenklang von Oper und Schauspiel ohnehin nicht ganz einfach ist)?

Ikone der Nachkriegsmoderne: die gläserne Front von Schauspiel und Oper

Ist vielleicht die jetzige Fassade mit dem vorgesetzten Glaskasten ein Glücksfall, weil das Transparenz-Ideal einer Aufklärungs-Moderne so zeitlos ist, dass es als bestes Identifikations-Merkmal der Frankfurter Stadtgesellschaft gelten kann? Es ist ja nicht uninteressant, dass die übrigen drei Seiten des Großbaus kaum erwähnt, also vielleicht übersehen werden, obwohl ihre architektonische Qualität bis auf das stählerne Fachwerk der Rückseite mehr als dürftig ist, die Rückwand zum Jüdischen Museum hin geradezu unbeholfen und schäbig wirkt. Was heißen könnte: Dies ist, im Ganzen, ein Ort, ein Bau, welcher den Frankfurtern – nicht eben verwöhnt mit positiven Konstanten – ein Herz- und zugleich ein Verstandesanker geworden ist, trotz seiner hässlichen Seiten.

Dies alles muss sorgsam, kühl und leidenschaftlich zugleich, geprüft werden, bevor aus Angst vor verschleuderten Reparaturkosten die Waagschale sofort beim Stichwort Neubau sich senkt. Denn dort stünde sofort die weitere schwerwiegende Entscheidung an: Neubau für beide Einrichtungen an einer Stelle, die jetzige Konstellation aufgreifend; oder doch zwei klar definierte Einzelbauten an verschiedenen Standorten? Was sofort zur weiteren Frage führt: Welche könnten, sollten das sein? Zwei ganz andere (davon träumen Renditefürsten, die das jetzige Grundstück schon vergoldet sehen), oder nur ein Bleiberecht für eine Institution, dafür die Neueroberung eines weiteren Terrains?

Ausweichspielstätte: Bockenheimer Depot

Die Oper am angestammten zentralen Ort Willy-Brandt-Platz – Stichwort: repräsentative Bürger-Mitte – und das Schauspiel woanders, beispielsweise auf oder an dem seit langem projektierten Kulturcampus in Bockenheim, der ja merkwürdigerweise immer noch keine klaren Konturen hat? Natürlich ließe sich, wie es auch Kulturdezernentin Ina Hartwig andeutet, das Bockenheimer Depot als Nukleus eines als Labor verstandenen Theaters bestens vorstellen, zumal zusätzlich Platz wäre, wenn die Universitätsbibliothek wie vorgesehen auf den Westend-Campus umzieht.

Klar ist natürlich auch: Es wäre höchst reizvoll, aus den Ergebnissen eines Architektenwettbewerbs zu erfahren, mit allen Überraschungen, wie heute im Herzstück der Stadt ein Theater aussehen könnte – sei es als gemeinsames Haus für die Zwillinge der Darstellenden Künste, sei es als großzügiges Einzelhaus. Und zur produktiven Vision könnte auch werden, was Architekten als Pendant – erweiternd, aufbauend, umbauend – zum Depot einfallen würde.

Sinnvoll: ein freier Ideen- und Architektenwettbewerb

Eigentlich brauchte es natürlich dafür eine Ausschreibung mit klarer Funktionsvorgabe. Aber es wäre sicher nützlich und sinnvoll, trotz zusätzlicher Kosten, in der ersten Stufe auf einen ganz freien Ideenwettbewerb zu setzen, in dem alle Kombinationen möglich sind – manche Ideen gedeihen dann am besten oder zeigen sich zumindest im zartesten Stadium, wenn an die Phantasie appelliert wird, ohne sie zugleich einzuhegen.

Das alles braucht seine Zeit. Keiner der Akteure sollte jetzt behaupten, diese Zeit gäbe es nicht – in der Versuchung, jetzt Panik zu schüren mit Negativbehauptungen, wonach Künstler und Publikum bereits massiv gefährdet wären. Wäre dies tatsächlich der Fall: Die verantwortlichen Behörden, die in Frankfurt vorbildliche Feuerwehr vorneweg, hätten schon längst eindeutige Signale gegeben oder die Reißleine gezogen.

Nein, so ist es nicht. Und ja, Frankfurt kann und muss sich die Zeit nehmen, um in einem sorgfältigen Prozess – mit vielen Werkststattgesprächen aller Beteiligten, von Kulturpolitikern über die Theaterverantwortlichen bis zu Kritikern und Theoretikern – öffentlich zu erörtern und abzuwägen, wie es mit den städtischen Bühnen weitergehen soll, was ihr Haus, ihre Häuser und die wünschenswerten Standorte betrifft.

Am Ende vielleicht doch eine Sanierung des jetzigen Hauses?

Gar nicht ausgeschlossen ist, dass am Ende doch eine von den Kosten her vertretbare Sanierung des angestammten Doppelhauses steht. Es ist in der jetzigen Form, konzipiert und dann erbaut von 1957 – 1963, die beste Arbeit des Architektenbüros Otto Apel (ABB Architekten), das in Frankfurt eine Reihe von prägenden Bauten errichtet hat, von der Bundesbank (auch gerade ein Sanierungsfall) über die Lufthansa-Wartungshalle und den Silberturm der Dresdner Bank bis zum Hotel Intercontinental (das als plumpe Riesenscheibe mit schäbiger Fassade noch immer das nördliche Mainufer erschlägt),

Hier hingegen, am Willy-Brandt-Platz, zeigte Apel eine feinere, elegantere Handschrift, sicher auch inspiriert vom Entwurf Ludwig Mies van der Rohes für das Theater in Mannheim. Sowohl der Mies-Entwurf als auch das dann vom Frankfurter Architekten Gerd Weber realisierte Doppelhaus (Einweihung: 1957) brachen radikal mit allem Zierrat, der früher zum gebauten Theaterrahmen gehörte; auch in Frankfurt, wo Anfang des letzten Jahrhunderts das Bürgertum sein neues, für uns historisches Schauspielhaus feierte. Es wurde, wie die Oper (jetzt das als Alte Oper zentrales Konzerthaus), im Krieg schwer beschädigt, ebenso wie das Neue Theater an der Mainzer Landstraße, Schon die Ruine des Schauspielhauses hatte Otto Apel von 1949 bis 1951 für die Oper wieder bespielbar gemacht, bevor dann 1955 die Stadt beschloss, Oper und Schauspiel unter einem Dach zusammenzufassen, natürlich mit klarem Auftrag, modernste Bühnentechnik einzubauen.

Das Historische Schauspielhaus auf der Postkarte, Foto von 1914; erbaut 1902, 1944 durch Bomben schwer beschädigt,  seit 1951 Spielstätte der Oper Frankfurt, Fassade 1959 bis 1962 komplett erneuert

Schon damals war das Zusammenfügen, das Puzzlen, ein Teil des Ganzen. Denn Apel ließ zwar die Hauptfassade des alten Schauspielhauses abreißen, bezog die alten Seitenfassaden jedoch weiter ein. Zwischen den Häusern entstand dabei mit Werkstätten, Lagerräumen und Probesälen jenes Labyrinth, das heute zum Hauptproblemfall geworden ist. Es ist also eine ganz eigene, auch verschlungene Geschichte, die zu diesem Kuriosum am ehemaligen Theaterplatz geführt hat. Ein Kuriosum, das viele Elemente in sich vereinigt und nur an einer Stelle Klarheit ausstrahlt: eben an der Stirn- und Schauseite, mit dem großen Wandelgang und seinen darin schwebenden goldenen Wolken. Das alles ist ein Schauspiel für sich, eindrucksvoll und einladend, das erste, das alle Bürger der Stadt sehen, ob sie Theaterbesucher sind oder nicht.

Hat es Zukunft? Ja. Insofern ist der Milliardenschock eine Chance, eine große sogar, nämlich die Chance der gründlichen Selbstbesinnung und Selbstverständigung: Welches Theater wollen, welches brauchen wir? Und: Wie drückt es sich aus, innen und außen? Wie offen sind die Konzepte, welche Freiheiten bieten sie, welche Form ist dem produktiven Gesellschaftsgespräch und dem höheren Spiel angemessen?

Kritische Selbstvergewisserung also, gepaart mit visionärer Perpektive: Besseres kann Frankfurt nicht passieren. In diesem Prozess ist es ganz bei sich, in jeglicher Hinsicht.

 

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