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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Kulturstadt und Stadtkultur

Von Gunnar Schanno

Frankfurt ist Kulturstadt und hat Stadtkultur, hat eine Museums-, also eine Kulturmeile, die über den Schwung der Brücken ihre Fortsetzung nimmt auf die gegenüberliegende Mainseite bis ins Zentrum um den Dom. Eine Meile sozusagen kultureller Stars, die den Bogen spannt zwischen Städel und Schirn als die intensiv-leuchtenden Sonnen mit ihren sie umkreisenden elementereichen Planeten weiterer Museen und zahlreicher asteriod-funkelnder Galerien. Frankfurter Kultur ist so etwas wie ein Leuchtturm und eine Weltmarke. Das entspricht ihrem Ruf als Stadt besagter Museen, aber auch dem als Stadt einer imposanten Theaterwelt wie auch als Stadt ethnisch-religiöser Multikulturalität.

Die Stadt bildet einen Kulturkosmos. Im Jahr 2016 allein sahen über fünf Millionen Menschen als Reisende von auswärts die Stadt. Von ihnen wird eine Vielzahl sicher wie Pilger der Kultur im urbanen zivilisatorischen Umfeld den Blick auf die phänomenalen Emanationen und Artefakte der Frankfurter Kulturwelt gerichtet haben und nicht zuletzt auch auf ihre kulturverhafteten Architekturen der Altstadt rund um den Römerplatz.

Kulturstadt und Stadtkultur: die in der deutschen wie europäischen Theaterlandschaft einzigartige Doppelanlage: (oben) Schauspiel Frankfurt, Foto: © Birgit Hupfeld; (unten) Oper Frankfurt, Foto: © Wolfgang Runkel

Frankfurt erweist sich wie viele Metropolen der Zivilgesellschaften als Kulturgarant und Kulturbewahrer. In diese Rolle ist sie hineingewachsen zum einen aus ihrer geographischen Verortung als vielvölkerverbindende erfahrungsreiche Handels- und Messestadt und zum anderen aus ihrer zivilisatorischen, also auch aus einer pragmatisch aus der Wissenschaftswelt hergeleiteten Erkenntnishaltung heraus. Es ist die Sicht auch dessen, was Toleranz genannt wird und auf Frankfurts integrativer Akzeptanzhaltung ausstrahlt gegenüber Erscheinungsformen nicht-einheimischer, von anderen Ethnien her geprägten fremden Kulturen.

Wir wissen, dass für die Kultur, mit ihren mächtigsten Ausprägungen, der Religion und der Kunst, der Toleranzbegriff kein Kriterium ist. Kulturen, wenn wir Kultur als Panphänomen innerhalb eines Landes oder einer Ethnie begreifen, haben sich nicht nur beflügelt, sie haben sich auch gegenseitig vernichtet, bis ins Heute hinein. Ein weites Feld, fontanisch gesagt. Die im Griff des bürgerrechtlich Zivilisatorischen stehenden großen christlichen Gemeinschaften zeichnen sich in heutiger Zeit aus durch so gut wie uneingeschränkte Kompatibilität ihrer internen Rechtnormen mit dem säkularen, bürgerrechtlichen Rechtsystem.

Auch die Frankfurter Kommune steht im interkulturellen Dauerdiskurs um den Erhalt ihres säkular erreichten bürgerrechtlichen Freiheits- und Gestaltungsraums. Wir nannten Zivilisation emotionslos relativierend, die Kultur wahrheitsergriffen absolut. Kultur begreift sich immer als ein im Wahrheitsraum befindlicher Corpus. Denn im ursprünglichen Sinne kennt Kultur kein rationales Abwägen. In ihrem Bereich des Religiösen kann sie für Wahrheit postulieren, was im zivilisatorisch aufgeklärten Sinne schreiend Unrecht ist. Abwehr im Sinne Kultur gegen Kultur oder gar Religion gegen Religion endet in Wirrnis. Allein von zivilisatorischer Seite her kann Klarheit geschaffen und können Grenzen gesetzt werden.

Das Abwägende, Kompatible, Rationale, die mit juridischen Festlegungen bis in Menschenrechtfragen verbundenen Entscheidungen für den kulturellen Raum bestimmen sich also von Seiten der Civitas, der Bürgergesellschaft, also des Staats, der Behörden, den – Achtung! – Kulturbeauftragten von Kommunen und Ländern. Darin liegt immer auch Spannung zwischen dem Kulturellen und Zivilisatorischen, liegt komplementäres Anliegen des aus der Emotio stammenden Kulturellen und dem von der Ratio durchaus auch interessegeleiteten Gesellschaftlichen.

Kein künstlerischer Leiter, kein Intendant, kein Museumsdirektor ist sicher, nicht vom langen Arm von Behörden und Verwaltung mit einschränkenden oder endenden Vertragsbestimmungen gelenkt zu werden. Dennoch ist westlich-demokratischen Bürgergesellschaften zugute zu halten, dass in ihnen nach je aktueller Erkenntnishöhe heraus sowohl künstlerische Schöpfungen und ihre Schöpfer als auch das aus Glaubensgemeinschaften sich Repräsentierende vor Verbot und Verfolgung geschützt werden. Es wird in den pluralistischen Gesellschaften anerkannt, dass Kultur, ob Kunst oder Religion, als Panphänomene, stets verstanden im menschenrechtlichen Rahmen, die Fesseln des Politischen, des Religiösen, des Gesellschaftlichen sprengen darf – auch ins provokativ Gestaltende, Magische, Rituelle, Metaphorische, Beschwörende hinein.

Immer aber gelten zivilisatorische Standards im weitesten Sinne gegenseitiger Toleranzhaltung auch innerhalb des Kulturellen. Kulturpolitik einer Kommune, auch der Frankfurts, ist ein zivilisatorisch bestimmtes Instrument, mit dem auch die sicht-, hör- und greifbaren Gebilde des ansonsten so vagen, amorphen, vielgestaltigen Gebildes Kultur in möglichst rechtlich-gerechter Weise offen gehalten werden für alle in Freiheit selbstbestimmten Bürger und, ausdrücklich, Bürgerinnen, aus einer gerade auch in Frankfurt immer unbestimmteren Vielfalt.

Dennoch würde für die Bürgergesellschaft, sagen wir angesichts eines künstlerischen Happenings, das Mensch oder Tier zu Schaden brächte, im Sinne des Kultursprengenden die Freiheit der Kunst ihr Ende finden. Nicht anders gerät das Kultursprengende im Reich des Religiösen in den gesellschaftlichen Diskurs, wenn von dort her individuell integritätsverletzendes religiös-kulturelles Ansinnen in den zivilisatorisch bürgerrechtlichen Raum übergreift. Unzählige Diskussionsforen, auch in Talkshow-Formaten, machen es sich zum drängenden Thema. Wenn selbst ein Innenminister auf Bundesebene den kulturellen Akt des Handschlags in den Wertekanon der deutschen Zivilgesellschaft aufnimmt, so ist es wohl nicht der Akt an sich, der wie das Essen mit Stäbchen lediglich eine kulturelle Differenz darstellt, sondern das dahinter verborgene Menschenbild, das in die zivilisatorisch rechtlich verankerte Grundsätzlichkeit der Geschlechtergleichheit reicht.

Wir gingen davon aus, dass es kein Kampf der Kulturen gibt, sondern einzig ein Kampf der Erkenntnis gegen die Erkenntnisverweigerung. Das Sich-Erwehren gegen kulturübergriffige religiös-dominante Inhalte gilt also doch nicht der Integration in eine deutsche Leitkultur, sondern gilt der Anerkennung der Erkenntnis-Standards eines universell erreichten und in Konventionen, Chartern und demokratischen, grundgesetzlichen Verfassungen sich widerspiegelnden Bildes vom Menschen selbst.

Die Frankfurter Bürgergesellschaft in traditionsreicher ethnisch-religiöser „Vielfalt der Kulturen“ lässt wieder einen stadtweiten Veranstaltungsreigen auf Touren kommen unter dem vom Initiativkreis gesetzten Motto „Kultur als Erlebnis“. Stadtkultur ist der Begriff, unter dem die Stadt Frankfurt mit ihrer sie auszeichnenden interkulturellen Kompetenz für das Panphänomen Kultur neue Akzente setzen lässt. Im parallel geführten interkulturellen Diskurs wird sie zugleich für den bürgergesellschaftlichen Zusammenhalt über den Weg kultureller Emanzipation im Sinne des Bürgergesellschaftlichen, der Integrität, der Souveränität, der freien Entfaltung des Humanums weiter stärken helfen. So erfahren die Bürger ihre Kulturstadt auch als Stadtkultur.

→ Kultur und Demokratie

mit weiteren Hinweisen auf entsprechende Essays des Autors

 

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