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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Mythos Tour de France: Sport, Schau, Leidenschaft

Eine Ausstellung im Düsseldorfer NRW-Forum

Ausstellungsansicht MYTHOS TOUR DE FRANCE©NRW-Forum Duesseldorf, Foto M. Scherag

von Angelika Campbell

Radsportler, das ist klar, haben stramme Waden. Wie stramm die tatsächlich sind – und dass sie häufig Blessuren davontragen – , ist derzeit im NRW-Forum in Düsseldorf festzustellen. Überlebensgroße Schwarzweiß-Fotos aus dem Projekt „Peloton Legs“ von Timm Kölln zeigen den Stolz und das Kapital der Sportler, ihre Beine, und stimmen die Besucher auf die sehenswerte Gruppenausstellung „Mythos Tour de France“ ein. Am 1. und 2. Juli startet die diesjährige Tour von der NRW-Landeshauptstadt aus über Belgien und quer durch Frankreich bis nach Paris.

Die Schau zum Grand Départ führt uns durch die gewaltigen Bildwelten der Tour de France und konfrontiert uns mit atemberaubenden Landschaften, zu Helden stilisierten Fahrern, bedeutungsvollen Orten und enthusiastischen Fans. Sie macht deutlich, dass die Tour de France nicht nur Sportevent der Sonderklasse ist, sondern auch voller Mythen, Legenden und Ikonen steckt. Folgerichtig lockte sie schon immer die besten Fotografen der Welt an, die über den Blickwinkel des Sportreporters hinaus die Faszination des Rennens im Bild festhielten

Tour de France 1982. The peloton sweeps into Paris and onto the Place de la Concorde past the Hotel Crillon. France. 1982

Dieser Faszination spürt das NRW-Forum mit über 120 Exponaten von 20 internationalen Künstlern aus mehr als 80 Jahren Tour-Historie nach. 1903 von der Sportzeitung L’Auto gegründet, war die Tour de France von Anfang an auch ein mediales Ereignis und eng mit dem Journalismus verbunden. Aktiv waren in den 1940-er bis 1980-er Jahren auch Fotografen der Agentur Magnum. Aufnahmen von Robert Capa, Harry Gruyaert, Richard Kalvar, Guy Le Querrec und John Vink stellen einzigartige Zeugnisse der Geschichte des Radsports und der Fotografie dar. Ein Capa-Motiv wurde im NRW-Forum originell aufbereitet: Capas Foto einiger Jungen am Wegesrand zeigen sich als eine Art Wackelbild. Je nach Stand des Betrachters schauen die Buben nach links oder nach rechts, dem Fahrerfeld entgegen oder hinterher.

Nicht nur mit Aufnahmen der Zuschauer, sondern auch mit Fahrerporträts, Filmdokumentationen, Installationen, Landschaftsaufnahmen und Stimmungsbildern beleuchtet die Schau die ereignisreiche Geschichte der Tour de France, klug inszeniert von Alain Bieber, dem Direktor des NRW-Forums, und seinem Team. Die Sportler, die Pisten, die Landschaften, die Fans, die großen Ereignisse und die kleinen Geschichten abseits des offiziellen Geschehens – unterschiedliche narrative Fäden und künstlerische Perspektiven werden verwebt und erforschen die Frage: Wie wurde die Tour zum Mythos?

Prolog einst in Frankfurt

Zur Erinnerung: Auch in Frankfurt war dieser Mythos bereits präsent. Am 26. Juni 1980 fand in der Mainmetropole der Prolog der 67. Tour de France statt. Die Häuserschluchten waren noch nicht so spektakulär wie heute, doch spannend war das Einzelzeitfahren von 130 Radrennfahrern durch die gesperrte Innenstadt auf jeden Fall. Der Schnellste war der Franzose Bernard Hinault, Star der Tour und Gesamtsieger von 1978 und 1979. Noch größere Aufmerksamkeit als der Favorit und sein Einstand erregte freilich Frankfurts Didi Thurau mit einer positiven Doping-Probe…

Eigenblut und totale Erschöpfung

Das Problem des Doping, das die Tour immer wieder unschön begleitet, streift die Ausstellung nur am Rande, dafür aber eindrucksvoll. Martin Höfer hat für seine Arbeit „The surplus self of mine promotes my triumph (Eigenblutdoping)“ einen Beutel mit seinem Blut an eine Seite von „L’Equipe“ genagelt. In der Radsportzeitung war 1998 über den Doping-Skandal beim Festina-Team berichtet worden, Höfers Installation lässt die Analogie von Sport und Kunst als zeitgenössische Leistungsbetriebe erkennen. Zum Thema passt der Dokumentarfilm „Vive Le Tour“, in dem der französische Filmemacher Louis Malle ebenfalls die Gegenbilder des Mythos eingefangen hat: verletzte und erschöpfte Fahrer, randalierende Fans, beginnende Dopingskandale. Der Streifen ist ein vielschichtiges Stimmungsbild der Tour de France von 1962, das erschreckende und euphorische Momente festhält.

Ausstellungsansicht MYTHOS TOUR DE FRANCE©NRW-Forum Duesseldorf, Foto M. Scherag

Welche ungeheure Anstrengung die Tour für die Fahrer bedeutet, wird in Timm Köllns zweitem Projekt „The Peloton“ deutlich. Er fotografierte berühmte Fahrer kurz nach dem Zieleinlauf. Die Erschöpfung steht den Helden ins Gesicht geschrieben… Porträts der größten Radsportlern aus Belgien, darunter dem fünffachen Tour-Sieger Eddy Merckx präsentiert der belgische Fotograf Stephan Vanfleteren mit der Serie „Flandrie“. Spannend auch die Exponate von Philipp Hympendahl, der die Tour de France von 2014 und 2015 mit einer 6×17-Panorama-Rollfilm-Kamera begleitet, Damit können pro Film nur vier Bilder aufgenommen werden – total ungeeignet für Sportfotografie! Doch auf diese Weise sind wunderbar entschleunigte Bilder entstanden, die Geschichten am Rand der Tour erzählen. Zu nennen sei zudem der Düsseldorfer Künstler Reinhard Mucha, Biennale- und Documenta-Teilnehmer und leidenschaftlicher Rennradfahrer, der einige seiner Objekte und Installationen dem Radsport und der Tour de France gewidmet hat, sowie Olaf Unverzart, ebenfalls begeisterter Rennfahrer, der alle Strecken, die er fotografiert hat, selbst gefahren ist und den stillen Hauptakteur des Spektakels, die Straße, in den Mittelpunkt stellt.

Ausstellungsansicht MYTHOS TOUR DE FRANCE©NRW-Forum Duesseldorf, Foto M. Scherag

Am Rande der Strecke

Die wartenden Zuschauer an der Straße sind das Thema des französischen Fotografen Laurent Cipriani. Auf dem Rücksitz eines Motorrads fuhr er für The Associated Press die Rennstrecke entlang, nur einige Minuten vor den Fahrern, und hielt den Moment der Erwartung fest. Gleichzeitig entstanden hier zauberhaft unkonventionelle Momentaufnahmen Frankreichs. Für das Langzeitprojekt Allez le Tour fotografiert auch Nicola Mesken Fans am Streckenrand – seit zwölf Jahren. Mit einer analogen Kleinbildkamera und auf Schwarzweiß-Film dokumentiert sie das Leben am Rand der Strecke.

Starfotograf und Kultband

Bei einem Ausstellungs-Highlight wie der Schau „Mythos Tour de France“ darf Düsseldorfs berühmtester Fotokünstler nicht fehlen. Andreas GurskysTour de France I von 2007“ zeigt die Fahrer, die Fans und die karge Vegetation von einem entfernten, erhöhten Standpunkt aus: ein komplexes Gesamtgebilde vor einer vor einer Ehrfurcht gebietenden Naturkulisse. Gursky überließ der Stadt 45 Abzüge mit Tour-Motiv zur Finanzierung des Grand Départ – zur Freude von Kulturdezernent Hans-Georg Lohe, der bemerkte: „Sport und Kultur liegen enger beieinander, als man gedacht hat!“
Dass der Mythos der Tour sich aller Sparten bedient und sogar in die Popkultur Eingang erhalten hat, beweist das 2003 erschienene Album „Tour de France“ der Düsseldorfer Band Kraftwerk. Die ist selbst schon ein Mythos und untermalt ihre Auftritte mit 3D-Video-Installationen. Als multimediale Rauminstallation sind solche großformatigen Animationen und das Album Teil der Ausstellung. Eine von Kraftwerk-Mitglied Ralf Hütter signierte Arbeit hat der Fotograf Kai Schäfer beigesteuert. Für die Fotoserie „Worldrecords“ nahm er die besten Alben der Musikgeschichte auf legendären Plattenspielern auf – das letzte Studioalbum der Kultband gehört dazu.

Philipp Hympendahl, La-Photo, Alpe-d’Huez 2001. La Photo ist mit einer 8×10 inch Kamera aufgenommen. Es ist limitiert auf 6 Exemplare und hat die Größe 1,80 m x 2,30 m.

Und ein Pechvogel…

Doch was wäre eine Medienschau über die Tour de France ohne „Eric the Fan“ und sein Malheur? Diesen Vorfall hat Otto Berchems Installation „Eric the photographer’s 00:10:48 seconds of fame“ zum Thema. Die Installation aus Text, Fotografie und Video hält fest, wie Giuseppe Guerini, der gefallene Fahrer von L’Alpe d’Huez, 1999 nur wenige Meter vor der Ziellinie von Eric Walkowiak zu Boden gerissen wurde. Der Unglücksrabe wollte nur ein Foto machen… Trotz des Unfalls gewann Guerini die Etappe und der Vorfall ging medial um die Welt.

„Mythos Tour de France“ ist bis zum 30. Juli 2017 im NRW-Forum Düsseldorf zu sehen. Mit Arbeiten von Otto Berchem, Robert Capa, Laurent Cipriani, Andreas Gursky, Harry Gruyaert, Martin Höfer, Philipp Hympendahl, Richard Kalvar, Timm Kölln, Kraftwerk, Guy Le Querrec, Louis Malle, Nicola Mesken, Reinhard Mucha, Pascal Rivet, Kai Schäfer, Paul Smith, Olaf Unverzart, Stephan Vanfleteren und John Vink.

NRW-Forums-Direktor Alain Bieber mit Christian Prudhomme, Direktor der Tour de France, bei der Eröffnung / Foto: Happy Little Accidents

 

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