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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Eindeutig bis zweifelhaft. Skulpturen und ihre Geschichten“ (Erworben 1933–1945) im Frankfurter Liebieghaus

Tiefe Einblicke in die Historie des Liebieghauses

In der Sonderausstellung „Eindeutig bis zweifelhaft“  (bis zum 27. August) setzt sich die Liebieghaus Skulpturensammlung mit ihrer eigenen Geschichte zur Zeit des Nationalsozialismus auseinander und den während dieser Jahre getätigten Erwerbungen. Dies geschieht anhand von zwölf ausgewählten Objekten, die exemplarisch Einblicke in die Sammlungs- und Museumsgeschichte während des Dritten Reichs geben – ein bislang kaum beachtetes Kapitel. Die Besucher werden dabei auch über die Sammler und deren Familien informiert, in deren Kollektionen sich die Kunstwerke einst befanden.

Von Hans-Bernd Heier

„Christus und Johannes“, aus dem Adelhausen-Konvent in Freiburg im Breisgau, um 1350, Höhe 34,5 cm; erworben 1938, restituiert 1949, 1950 geschenkt „zur Erinnerung an Herrn Dr. Carl von Weinberg“; Foto: Liebieghaus Skulpturensammlung – ARTOTHEK

Als eines der ersten Museen Deutschlands untersucht das Städel Museum bereits seit dem Jahr 2001 seine Sammlungen auf Raubkunst. Im Frühjahr 2015 wurde die Forschungsarbeit um ein umfassendes Projekt zur systematischen Untersuchung der Bestände des Liebieghauses erweitert. Ein Team analysiert die Herkunft aller nach 1933 erworbenen Objekte der Skulpturensammlung und prüft akribisch, ob sich darunter Stücke befinden, die verfolgungsbedingt aus jüdischem Besitz in die Sammlung kamen. „Provenienzforschung ist eine moralische Pflicht und ein nicht mehr wegzudenkender Teil der Museumsarbeit. Mit der ebenso offenen wie transparenten Aufarbeitung und Präsentation aktueller Forschungsergebnisse in diesem Bereich stellt sich die Liebieghaus Skulpturensammlung ihrer historischen und gesellschaftlichen Verantwortung als Museum“, kommentiert Dr. Philipp Demandt, Direktor des Liebieghauses, die von ihm initiierte Ausstellung.

Pier Jacopo Alari Bonacolsi, genannt Antico „Apoll vom Belvedere“, 1497/98. Höhe 41,3 cm; erworben 1938, restituiert 1948, wieder erworben 1949

„Mit der Geschichte der Objekte aufs Engste verknüpft sind die Geschichten von Menschen“, ergänzt die Kuratorin Dr. Eva Mongi-Vollmer. “Die Erinnerung an ehemalige Vorbesitzer und das Bewusstsein, dass jedes Objekt, das heute in einem Museum, einer Galerie oder im Privaten zu sehen ist, eine Vorgeschichte besitzt, bilden die Grundlage der Ausstellung und die Grundlage unserer Provenienzforschung“. Insofern versteht sich die fundierte Präsentation „Eindeutig bis zweifelhaft. Skulpturen und ihre Geschichten (Erworben 1933–1945)“ auch als ein „Beitrag zum kulturellen Gedächtnis. Dies umfasst sowohl die Rekonstruktion und nachvollziehbare Vermittlung geschichtlicher Vorgänge als auch das Aufwerfen bzw. Aufzeigen weiterhin offener Fragen sowie die Interpretation und Bewertung von Forschungsergebnissen“, so Mongi-Vollmer.

Muttergottes, Franken (Würzburg?), spätes 14. Jahrhundert; erworben 1936, restituiert 2015

Insgesamt hat das Liebieghaus 471 Objekte in der Zeit von 1933 bis 1945 erworben. Davon gelangten allein 293 Werke im Jahr 1938 durch Ankäufe der Stadt Frankfurt aus den privaten jüdischen Sammlungen von Weinberg und von Goldschmidt-Rothschild in das Skulpturenmuseum. Von den insgesamt 471 Werken befinden sich noch 152 im Bestand. Über 300 Stücke wurden unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg im Zuge der alliierten Rückerstattungsgesetzgebung restituiert. Allerdings war die von amerikanischen Militärregierung dafür gesetzte Frist äußerst knapp, zu knapp bemessen. Denn beim Liebieghaus war die Situation nach Kriegsende völlig unübersichtlich, ja chaotisch. Das Haus war 1938 wegen geplanter umfangreicher Umbaumaßnahmen geschlossen und die Sammlung fast vollständig ausgelagert worden. Mehrere Bombentreffer führten 1943 / 44 zu Zerstörungen des Museums und den verbliebenen Sammlungsteilen. Zahlreiche Fälle von Raubkunst konnten deshalb zunächst nicht oder nur teilweise aufgeklärt und geltend werden.

„Grabrelief mit zwei älteren Männern“, Griechenland, um 340 v. Chr., Marmor; erworben 1940 bei dem italienischen Kunsthändler Barsanti

Unter Verantwortung der amerikanischen Besatzungsmacht waren es nach Mai 1945 teils dieselben Menschen, die vorher in das komplexe Gefüge der nationalsozialistischen Kulturpolitik eingebunden waren und die nun zur Klärung der Vorgänge in der NS-Zeit und zur Rückführung unrechtmäßigerer Museumsankäufe beitragen sollten: So blieben Alfred Wolters, Direktor des Liebieg-Museums, ebenso wie Ernst Holzinger, Direktor der Städel-Stiftung, im Amt, nicht zuletzt, weil keiner von beiden je der Nationalsozialisten Deutschen Arbeiterpartei angehörte. Nach Kriegsende waren beide als Gutachter eingebunden in die Maßnahmen, eine Revision der Sammlungsbestände vorzunehmen, Raubkunst zu identifizieren und zu restituieren. „Nicht selten waren sich Wolters und Holzinger dadurch selbst rechenschaftspflichtig. Deren Ambivalenz, sowohl in der NS-Zeit wie auch nach 1945, wird in überlieferten Quellen mehrfach spürbar“, schreibt Eva Mongi-Vollmer in der hervorragenden Begleitbroschüre.

Hans Multscher: „Heilige Maria Magdalena“, Ulm, um 1465, Weidenholz, Reste farbiger Fassung, erworben 1938 aus der Sammlung Georg Schuster

Während mehrerer Jahrzehnte blieb es dann still um das Thema Restitution. Erst durch die Ende 1998 formulierten „Washingtoner Prinzipien“ in Bezug auf Kunstwerke, die von den Nationalsozialisten beschlagnahmt wurden, „wurde die gezielte Untersuchung der Provenienz von Kunstwerken abermals auf die Agenda der Museen genommen“, so Demandt. Alle Objekte, die ihren ehemaligen Besitzern während der NS-Zeit verfolgungsbedingt entzogen wurden, sollen nach individueller Prüfung den früheren Eigentümern beziehungsweise legitimierten Erben zurückgegeben werden.

„Heiliger Florian“, Süddeutschland, 19. Jahrhundert, Laubholz, erworben 1939 aus der Sammlung Feis

In der Sonderausstellung, die noch bis zum 27. August 2017 in der Liebieghaus Skulpturensammlung zu sehen ist, haben die Kuratorinnen Dr. Eva Mongi-Vollmer und die Co-Kuratorinnen Dr. Iris Schmeisser und Anna Heckötter, zwölf noch im Bestand verbliebene Skulpturen stellvertretend als Objektbeispiele ausgewählt, um die rechtmäßigen und unrechtmäßigen Erwerbungen im In- und Ausland sowie die infamen Handlungsweisen während der Zeit des Dritten Reichs zu beleuchten. Diese Arbeiten sind integriert in die Dauerausstellung. Sie stehen – bis auf zwei, die in der Zwischenzeit restituiert wurden – in den drei Hauptabteilungen der Skulpturensammlung – Antike, Mittelalter und Renaissance bis Klassizismus – an ihren angestammten Plätzen. Die Plastiken sind entsprechend ausgeschildert. Knappe, aber präzise Tafeln bieten den Besuchern zusätzliche Informationen über die Herkunft der Arbeiten und die Art des Erwerbs. Dabei werden der Öffentlichkeit auch jüngste, noch unveröffentlichte Erkenntnisse vorgestellt. Hörstationen liefern vertiefende und ergänzende Fakten.

Ein weiteres Anliegen der beiden Provenienz-Forscherinnen Schmeisser und Heckötter ist es, die Biografien der jüdischen Privatsammler bzw. der Vorbesitzer und deren Beziehungen zum Liebieghaus zu rekonstruieren, die in der bisherigen Forschung zur Sammlungsgeschichte nur sehr wenig oder gar keine Berücksichtigung gefunden haben. Die ergreifende Präsentation in der burgartigen Villa am Schaumainkai erzählt beispielsweise die erschütternden Geschichten von Sammlern wie Harry Fuld, Maximilian von Goldschmidt-Rothschild oder Carl von Weinberg, die dem Liebieghaus über Jahrzehnte hinweg eng verbunden waren, sowie von heute fast vergessenen Sammlerpersönlichkeiten wie den Ehepaaren Oswald und Alice Feis sowie Agathe und Ernst Saulmann oder der Sammlerin Emma Budge. Allen gemeinsam ist ihre jüdische Herkunft.

Vesperbild (Pietà) aus Steinberg bei Laupheim, nahe Ulm, Oberschwaben /Ulm (?), um 1420-30, roter Ton, geringe Spuren farbiger Fassung, erworben 1953, ursprünglich Sammlung Fuld

Viele Kunstwerke aus der Sammlung des Museums für plastische Kunstwerke stammen aus dem Besitz dieser jüdischen Sammler und Stifter. Diese waren während des Nationalsozialismus zunehmend der Entrechtung, Enteignung, Verfolgung und Ermordung ausgesetzt. Über zweitausend Vorschriften schränkten das soziale, kulturelle und wirtschaftliche Leben der jüdischen Bevölkerung immer stärker ein. Dadurch wurden viele der Betroffenen in die Flucht ins Ausland gedrängt, um ihr Leben und das ihrer Familie zu retten. Die Ausreise war mit hohen Kosten in Form von Sondersteuern wie der „Reichsfluchtsteuer“ verbunden. Daher waren jüdische Emigranten genötigt, sich von ihrem Besitz – auch ihrem Kunstbesitz – zu trennen und die Kunstwerke weit unter Preis, ja zu Schleuderpreisen zu veräußern. Ab 1938 erfolgten auch systematisch staatliche Zugriffe auf das jüdische Vermögen und zahlreiche Kunstsammlungen wurden beschlagnahmt. Auf diese Art und Weise gelangten viele Kunstwerke aus jüdischem Vorbesitz in Museen, so auch in das Liebieghaus.

Allerdings warnt Mongi-Vollmer vor voreiligen Schlussfolgerungen und Verallgemeinerungen: „Keinesfalls standen alle getätigten Erwerbungen per se im Kontext von Zwang, Verfolgung und Enteignung“. Auch reguläre Ankäufe wurden getätigt und Schenkungen entgegengenommen. Dies herauszufinden und unrechtmäßig erworbene Skulpturen zu restituieren ist Aufgabe des vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste und der Stadt Frankfurt am Main unterstützten Projekts zur systematischen Untersuchung der Bestände des Liebieghauses – eine äußerst diffizile Herausforderung, da jedes Objekt seine eigene Geschichte hat und eine Einzelfallanalyse erfordert. Laut Demandt ist eine Veröffentlichung der Forschungsergebnisse zum Ende der Projektlaufzeit angestrebt.

Mit dem von der Aventis Foundation ermöglichten „Digitorial“  können sich Interessierte bereits vor dem Museumsbesuch kostenfrei mit den Schwerpunkten der Schau vertraut machen. Die Sonderausstellung wird von einem umfassenden Vermittlungsprogramm begleitet.

Alle Fotos: Liebieghaus Skulpturensammlung – ARTOTHEK

 

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