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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Rik Wouters in den Königlichen Museen für die Schönen Künste

Eine Gesamtschau

Mit einer breit angelegten Retrospektive rücken die Königlichen Museen für die Schönen Künste Rik Wouters, Belgiens bekanntesten Fauvisten, in die Nähe Cézannes und der französischen Fauvisten. In seiner kurzen Schaffensphase hinterließ der nur 33 Jahre alt gewordene Künstler rund 170 Gemälde und Zeichnungen sowie mehr als 35 Skulpturen, von denen die meisten bis zum 2. Juli 2017 in den Königlichen Museen für die Schönen Künste in Brüssel zu sehen sind.

Von Petra Kammann

↑ Charakteristisch für Wouters: das Andeuten einer Bewegung, die Verve des Strichs und das Non finito wie hier in dem Bild „Dame in Blau vor dem Spiegel“ von 1914 , Leihgabe von Mme. Delporte-Livrauw und Franz Delport, Brüssel, ans Museum der Schönen Künste in Brüssel

Anders als in Belgien ist bei uns der Bildhauer, Maler und Zeichner Rik Wouters (1882-1916) kaum bekannt. Dabei hätte sein Ruhm schon von der Sonderbund-Ausstellung, die er 1912 in Köln besucht hatte und welche eine Gesamtschau der künstlerischen Moderne in Europa zusammengetragen hatte, in die Welt ausstrahlen können. Ebenbürtig hätten seine Bilder dort neben denen der Kollegen Van Gogh, Matisse und Cézanne hängen können, und seine kraftvollen, expressiven und in manchem an Rodin erinnernden Skulpturen hätten in der Künstlerschau raumgreifende Akzente gesetzt. Aber das Schicksal wollte es anders und Wouters Nachruhm im Ausland ließ erst einmal auf sich warten.

Blick in einen Teil der Wouters-Ausstellung. Im Fond: Foto von Rik Wouters und Nel

Dabei ist sein Werk äußerst facettenreich, dynamisch und farblich opulent, auch wenn die Motive sich scheinbar gleichen. Aber hat nicht auch Cézanne seinen Hausberg, die Montagne Sainte Victoire, gut 80 Mal gemalt und gezeichnet? Und entstanden so nicht immer neue An- und Einsichten, eigenwillige Bilder?  Für die Qualität eines Werkes jedenfalls zählt nicht das Motiv, sondern die Komposition und die Machart. Und die kann sich bei Wouters sehen lassen. Für die damalige Zeit hat der Maler sowohl seine Stillleben als auch seine Porträts unkonventionell flächig und sparsam „unfertig“ angelegt, gleich ob in Öl, in Pastell oder als Aquarell. Damit spricht er die Sprache der damaligen Avantgarde, die sich vom Akademismus losgelöst hatte. Und ihm ist jedes Motiv recht, das in seiner Reichweite liegt, also auch die ganz alltäglichen Dinge und die unmittelbare Landschaft.

Er schafft es mit wenigen schnellen Pinselstrichen, seine Darstellungen der alltäglichen Umgebung anrührend intim wirken zu lassen, wenn er zum Beispiel eine in sich Ruhende auf dem Bett liegend malt. Daneben erlebt der Betrachter auch immer wieder die frische Bewegung, die Spuren im Raum hinterlässt, wenn wir beispielsweise die typischen Bewegungen des Bügelns einer Hausfrau erleben oder durch das geöffnete Fenster die Natur hineinweht. Und immer wieder begegnen wir einer bestimmten Frauengestalt, die mal als Zeichnung, mal als Skulptur oder als farbig gemaltes Bild auftaucht: seiner Frau Nel, wie er Helene Philomene Lionardine Duerinckx liebevoll nannte. Sie inspirierte ihn in allen Handlungen des Seins.

Inga Rossi-Schrimpf, Kuratorin der Papierarbeiten im Museum, erläutert Wouters Entwicklung

Wer aber war dieser Rik Wouters? Der in Mechelen geborene Flame lernte zunächst in der Holzwerkstatt seines Vaters. Da er schon früh leidenschaftlich modellierte und zeichnete, kam er zunächst auf die Kunstakademie nach Mechelen und ging 1900 nach Brüssel, wo er 1902 die 16-jährige Nel als Modell kennenlernte. Da das Einkommen für beide nicht reichte und er mit Nele sein Leben teilen wollte, kehrte er zunächst in den Haushalt seines Vaters nach Mechelen zurück, wo Nel die niederen Arbeiten des Haushalts besorgen musste, was er als demütigend empfand.

Aber schon bald wird der Kunstkritiker Simon Lévy auf ihn aufmerksam, der merkt, wie begierig der aufstrebende Künstler Zeitströmungen aufnimmt. So kümmert er sich um den Hochbegabten und machte ihn mit dem Werk Paul Cézannes vertraut, das Wouters sich in einer Zeitschrift allerdings nur aus Schwarz-Weiß-Abbildungen in Kombination mit den Ausführungen des damals bedeutenden Kunsthistorikers Meier-Graefe erschließen kann.

Es gelingt ihm, nach Brüssel zurückzukehren, wo er sich zunächst als Porzellanmaler und Modelleur verdingt, um für sich und Nel den Lebensunterhalt zu verdienen. Diese Technik verhilft ihm dazu, auch seine malerischen Qualitäten weiter auszubauen. Er nimmt Porträtaufträge an, modelliert und porträtiert unentwegt, verdient damit auch nur wenig, bekommt einen Vertrag mit einem Galeristen, der jedoch nur unregelmäßig zahlt. Nach und nach wird er aber immer bekannter.

 Das nachgebaute Atelier soll die Besucher zur eigenen Kreativität anregen

1912 kommt er endlich seinem Traum ein wenig näher. Da führt ihn seine erste Reise außerhalb Belgiens in die damalige Hauptstadt der Künstler nach Paris. Dort stößt er auf die französischen Kollegen, mit denen er sich fortan auseinandersetzt und die ihn beeinflussen. Sicher ist es auch das kreative Pariser Ambiente, das ihn inspiriert. Das fotografische Nachzeichnen und Malen der Wirklichkeit hatten die Impressionisten in Frankreich bereits in der zweiten Jahrhunderthälfte abgelegt. Sie hatten es vorgemacht, wie frei und ungezwungen man mit Farben, Formen, Flächen und vor allem mit dem Licht umgehen konnte.

Der Fauvismus, der dann zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Frankreich ins Leben gerufen und dort zunächst von Henri Matisse, André Derain und Maurice de Vlaminck vorangetrieben wurde, tat ein Übriges. Da kam noch die Emotion mit ins Spiel und die Überlegung, mit welchem Farbspektrum man Gefühle in Szene setzen kann. In Paris trifft Wouters auf Matisse, Van Gogh, Renoir, Picasso, Kandinsky und auf das radikal moderne Werk Cézannes, das ihn nicht mehr loslässt. Ihm widmet er 1913 ein Stillleben. Aber auch seine Landschaften sind geprägt von den flächig strukturierten Darstellungsweisen, die jedoch immer sehr farbig ausfallen, blutrot seine Felsschluchten, die an die Steinbrüche von Bibemus erinnern.

Wouters schafft unermüdlich, beginnt, sich an internationalen Ausstellungen zu beteiligen. Als sein Werk einen vorläufigen Höhepunkt erreicht, bricht 1914 der Erste Weltkrieg aus, an dem auch er sich als Soldat beteiligen muss, obwohl er den Krieg für sinnlos hält. Er gerät in Gefangenschaft, aber seine Freunde besorgen ihm Material zum Weitermalen. Gönner bezahlen seine Medikamente, als er schließlich an Krebs erkrankt. Seine späteren Bilder verdüstern sich zunehmend.  Aber es ist nicht allein der Krieg, der ihm zu schaffen macht, sondern auch der Verlust eines Auges nach einer Operation. Selbst diese Situation hat er noch in einem Selbstporträt verarbeitet. Die schwere Krebskrankheit setzt seinem Schaffen in jungen Jahren mit 33 Jahren ein jähes Ende. Dabei waren gerade seine Arbeiten in großen Museen gezeigt worden. Immerhin konnte er kurz vor seinem Tode noch seine erste Soloausstellung in Amsterdams Stedeldijk miterleben. Aber seine Rezeption konnte er  nicht mehr beeinflussen.

Seine Frau Nel pflegte ihn bis zum Schluss und verwaltete das Erbe. Aber wegen der wirtschaftlich schwierigen Lage hatte sie nur begrenzte Möglichkeiten, dafür zu sorgen, dass sein Name über die Grenzen Belgiens hinaus nicht in Vergessenheit geriet. So findet sich Wouters Werk hauptsächlich in Brüssel und Antwerpen und in anderen belgischen Häusern sowie in einigen Privatsammlungen. Zu zeigen, dass er es aber mit den Helden der frühen europäischen Moderne durchaus aufnehmen kann, das ist ein wirkliches Verdienst der Brüsseler Retrospektive.

Alle Fotos: Petra Kammann

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