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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Emil Nolde. Die Grotesken

Die Internationalen Tage Ingelheim zu Gast im Museum Wiesbaden

Das Phantastische und Skurrile im Werk des Farbenmagiers

Die Internationalen Tage Ingelheim sind ein Kulturengagement des Pharmaunternehmens Boehringer Ingelheim seit 1959, die jährlich zwischen Mai und Juli in Ingelheim stattfinden. Da das alte Rathaus in Nieder-Ingelheim aber zurzeit saniert wird und Ausstellungen dort nicht gezeigt werden können, sind die Internationalen Tage in diesem Jahr zu Gast im Museum Wiesbaden. Die beeindruckende Schau „Emil Nolde. Die Grotesken“, welche eine weniger bekannte Facette in Noldes umfangreichen Werk beleuchtet, ist bis zum 9. Juli 2017 im Hessischen Landesmuseum in Wiesbaden zu sehen.

Von Hans-Bernd Heier

Emil Nolde „Frühmorgenflug“, 1940, Öl auf Leinwand, 70 x 56 cm; © Nolde Stiftung Seebüll

Der Künstler wurde am 7. August 1867 als Hans Emil Hansen in dem Dorf Nolde im deutsch-dänischen Grenzgebiet geboren. Aus Anlass des 150. Geburtstags würdigen gleich acht Museen in Norddeutschland mit thematisch unterschiedlichen Ausstellungen die Vielfalt und Breite seines herausragenden malerischen Werks. 1902 heiratet Hansen die dänische Schauspielerin Ada Vilstrup und nennt sich fortan Emil Nolde nach seinem Geburtsort. Hochbetagt stirbt der große Maler und Aquarellist 1956 in Seebüll und hinterlässt ein immenses Werk von expressiver Leuchtkraft.

„Das Matterhorn lächelt“, Bergpostkarte, Gouache, 1896, 14 x 9 cm; © Nolde Stiftung Seebüll

Noldes farbintensive Blumengärten, wild aufgewühlte Meereslandschaften, dramatische Wolkenformationen oder ausdrucksstarke Darstellungen von seiner langen Südseereise, kennen wohl die meisten Kunstfreunde. Doch das künstlerische Werk von Emil Nolde, der zu den weltweit bedeutendsten Malern des Expressionismus zählt, ist auch entscheidend durch sein subjektives Verhältnis zum Phantastischen und Grotesken beeinflusst und geprägt. Bereits sein erstes Ölgemälde, „Bergriesen“ von 1895/96, und die äußerst erfolgreiche Serie der „Bergpostkarten“, auf denen der norddeutsche Farbenmagier Schweizer Bergen verblüffende menschliche Physiognomien verleiht, ließen ihn als bildenden Künstler noch vor der Wende zum zwanzigsten Jahrhundert bekannt werden.

„Begegnung am Strand“ 1920, Öl auf Leinwand, 86,5 x 100 cm; © Nolde Stiftung Seebüll

Die surrealistisch anmutenden Bergpostkarten entstehen zwischen 1894 und 96 während Noldes Zeit als Zeichenlehrer in St. Gallen. Mit den menschlichen Antlitzen erweckt der fantasievolle Maler die mächtigen Gesteinsformationen der Alpen zu heiterem Leben. Zunächst versandte er diese Postkarten nur an Freunde. Aufgrund der überaus positiven Reaktionen der Empfänger lässt Nolde 1897 insgesamt 30 farbige Karten auf eigene Rechnung drucken. Der enorme Erfolg, auch kommerziell, ermöglicht es ihm, seine freie künstlerische Laufbahn fortzusetzen, die ihn zum erfolgreichsten Künstler seiner Zeit werden ließ. Zu seinem 60. Geburtstag verlieh die Universität Kiel dem populären Künstler gar die Ehrendoktorwürde.

Bereits seine frühen ausdrucksstarken Arbeiten zeugen von Noldes intensivem Interesse am Phantastischen und Bizarrem. Diesen folgten 1905 die – allerdings nicht erfolgreiche – Mappe „Phantasien“ mit Radierungen und 1906 die mit Aquarellfarben übermalten „Märchenholzschnitte“. Bis in die Jahre des Berufsverbots durch die Nationalsozialisten zieht sich wie ein roter Faden die Abkehr von der Realität hin zu einer grotesken, skurrilen Gegenwelt durch sein Werk, das von phantastischen Wunder- und Fabelwesen bevölkert wird. Der farbgewaltige Expressionist selbst schreibt von “seltsamen freien Erfindungen, deren Bezeichnung noch erfunden werden müssen“.

„Seltsame“, 1923, Öl auf Leinwand, 73 x 100 cm; © Nolde Stiftung Seebüll

Als Nolde kurz nach 1900 zu einem eigenständigen künstlerischen Stil findet, wird das Groteske zunächst vor allem in der Druckgrafik sichtbar. Aber auch in Gemälden wird zunehmend ein Hang zu burlesken und fantastischen Kompositionen deutlich. Bei vielen seiner Aquarelle lässt der großartige Kolorist sich ebenfalls von den auf dem feuchten Papier verlaufenden Farben zu kuriosen Bildthemen inspirieren. Diese spontan entstandenen Werke auf Papier dienen häufig als Vorlagen für Gemälde. Ihre fantasievollen Titel bieten meist keine Erklärung der geheimnisvollen Motive.

„Ohne Titel (Tier und Weib)“ , Aquarellund Tusche“, 45,2 x 60,8 cm; © Nolde Stiftung Seebüll

Nolde war ein rastloser Künstler, der viel reist und häufig seinen Wohnsitz wechselt. Unabhängig von den unterschiedlichsten örtlichen Verhältnissen fließen in sein Werk immer mal wieder abstruse, wundersame Phantasie- und Fabelwesen ein. So lebt er zu Beginn des 20. Jahrhunderts in den Sommermonaten auf der Insel Alsen und im Winter in Berlin. Dort gehört er auch kurzzeitig der Künstlergruppe „Brücke“ an. Die Mitglieder dieser berühmten Expressionisten-Vereinigung schätzten besonders das Groteske und Bizarre in seinem Werk und animierten ihn zum Beitritt. 1912 erwirbt er an der westschleswigschen Küste bei Tondern ein altes Fischerhaus, das er „Utenwarf“ nennt, weil es vor dem Deich liegt. Im Frühjahr 1919 sucht Nolde alleine Ruhe auf der Hallig Hooge vor der Küste Nordfrieslands. Hier entsteht eine Serie von 71 Aquarellen, von denen er sich zu Lebzeiten nie getrennt  und die er auch kaum jemandem gezeigt hat. Es sind Visionen von besonderer Ausdruckskraft, die er auch – ungewöhnlich für seine Aquarelle – betitelt. 1926 / 1927 zieht er auf den Seebüllhof. Hier entstehen in den Folgejahren für Nolde unübliche großformatige Aquarelle, die er als „Phantasien“ bezeichnet. Sie sind in der Nass-in-Nass-Technik und der Konturierung mit Tuschfeder den „Ungemalten Bildern“ sehr ähnlich. Abgebildet sind visionäre Gestalten – oft im Grenzbereich zwischen Mensch und Tier.

„Ohne Titel (Alter Bärengeist über schlafendem König)“ , Aquarell aus der Serie der „Ungemalten Bilder“, 22,9 x 16,1 cm; © Nolde Stiftung Seebüll

Die Ungemalten Bilder sind mit einem Konvolut von über 1.700 Aquarellen der größte zusammenhängende Bestand in Noldes Werk, das im Dritten Reich als „entartet“ diffamiert wurde. Die meisten Blätter dürften nach dem 1941 von den Nationalsozialisten verhängten Berufsverbot im Verborgenen in Seebüll entstanden sein. Der Künstler hat sich von den Nazis aber nicht verbiegen lassen, obwohl er wie auch seine Frau Ada überzeugte Anhänger des Hitler-Regimes waren. Selbst in den kleinformatigen Arbeiten kann der Betrachter skurrile menschliche Figuren und Fantasiegebilde entdecken.

Mit seinen „Grotesken“, die bislang noch nicht explizit als eines der zentralen Themen innerhalb des Gesamtwerks des Farbenzauberers gezeigt wurden, nimmt der expressive Maler eine einzigartige Stellung in der Kunst der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein, wie in Wiesbaden zu sehen ist.

Die faszinierende Schau, die in enger Kooperation mit der Nolde Stiftung Seebüll konzipiert wurde, umfasst 20 Gemälde sowie rund 90 Werke auf Papier, die zum Teil noch nie öffentlich in einer Ausstellung gezeigt wurden. Nach der Präsentation im Museum Wiesbaden werden die Arbeiten vom 23. Juli bis zum 15. Oktober 2017 im „Buchheim Museum der Phantasie“ in Bernried am Starnberger See gezeigt.

Der umfangreiche Begleitkatalog in Deutsch und Englisch, in dem alle ausgestellten Werke abgebildet sind, ist im Verlag Hatje Cantz erschienen.

 

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