home

FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Düsseldorfer Fotografie im Städel: Die Becher-Klasse – eine Klasse für sich

Von der neuen Sachlichkeit zur digitalen Romantik

Von Petra Kammann

In den späten 1980er und in den 1990er Jahren hatte die Fotografie sich so sehr etabliert, dass sie einen neuen Status bekam. Aus Fotografen wurden Künstler. 1976 nahm diese Entwicklung an der Düsseldorfer Kunstakademie in Deutschland ihren Anfang mit dem neu begründeten Lehrstuhl für künstlerische Fotografie, den Bernd Becher (1931 – 2007), in enger Zusammenarbeit mit seiner Frau Hilla Becher, geb. Wobeser (1934 – 2015) 20 Jahre lang innehatte. Ihre Schüler gingen äußerst erfolgreiche eigene Wege, indem sie die neuen Möglichkeiten der Fotografie ausloteten. Im Frankfurter Städel ist die Vielfalt ihres Wirkens noch bis zum 13. August 2017 zu sehen. 

Martin Englert und Jana Baumann, die Kuratoren der Städel-Ausstellung informieren über die Fotografien der Becher-Klasse 

In Düsseldorf nennt man sie flapsig die „Struffkys“. Gemeint waren mit dem zusammengezogenen Kunstwort die drei „Flaggschiffe“ der Düsseldorfer Fotografen-Schule: Thomas Struth, Thomas Ruff und Andreas Gursky. Sie galten nicht nur der gigantischen Preise wegen als spektakulär, weil Anfang des neuen Jahrtausends für ihre großformatigen Fotografien stattliche Summen gezahlt wurden – Gurskys Fotografie Rhein II von 1999 etwa erzielte 2011 bei Christie’s New York mit 4,3 Millionen Dollar einen Rekordwert und wurde damit zeitweise zur teuersten Fotografie der Geschichte – sondern auch wegen ihrer monumentalen Formate und ihrer unverstellten präzisen Sicht auf globale Orte, die sie am Computer neu zusammensetzten.

Die Schüler des sehr viel bescheideneren und eine Generation älteren Fotografenehepaars Bernd und Hilla Becher hatten es schneller zu etwas gebracht. Die größtenteils in den 50er Jahren oder später geborenen hatten keine Berührungsängste mit der Werbeszene, die in Düsseldorf in den 70er und 80er sehr präsent war. Die Bechers dagegen waren stattdessen mit ihrer schweren Fotoausrüstung unter schwierigen Bedingungen in einem alten Bulli durch die Welt der niedergehenden Industrielandschaften gefahren, um die Industriebauten von allen Seiten und unter neutralem Licht auf ihre großformatige fotografische Platte zu bannen, so dass Schwarz-Weiß-Bilder mit enormer Tiefenschärfe entstanden, die an Skulpturen erinnern. Heute sind sie auch Zeugen einer größtenteils untergegangenen Industriekultur.

„Becher-Schüler“ der ersten Stunde: Thomas Struth. ↑ Heute stellen sie weltweit aus

             

↑ Andreas Gurksky                                               Thomas Ruff  ↑

Heute haben Fotografien gleichrangig neben Gemälden, Grafiken und Skulpturen ihren Platz in großen Kunstsammlungen. Doch das war nicht immer so. Bis in die 1970er Jahre hinein wurde Fotografie vor allem als Mittel der Dokumentation, Reportage oder Werbung gesehen. Und Reportagefotos blieben allenfalls in Erinnerung, weil sie in Hochglanzmagazinen abgedruckt wurden. An der Düsseldorfer Kunstakademie revolutionierte ab 1976  das Fotografen-Künstlerpaar Bernd und Hilla Becher die Kunstwelt.

Wie war es damals? Als 1959 das Ehepaar Becher seine Arbeit aufnahm, war die Fotografie als eigene Kunstform – von einigen wenigen Ausnahmen wie der Bauhaus-Fotografie einmal abgesehen – nicht mehr präsent, allenfalls die Fotografie der „Neuen Sachlichkeit“ der 20er /30er Jahre, die skulptural wirkenden Schwarz-weiß-Fotografien eines Karl Blossfeldt oder die Industrielandschaften eines Albert Renger-Patzsch oder auch die gestochenen Foto-Porträts der Weimarer Gesellschaft eines August Sander. Sie haben die Wirkung auf die Bechers nicht verfehlt. Sie knüpfen in gewisser in gewisser Weise daran an. Doch gingen sie noch einen Schritt weiter und ließen sich vom Minimalismus und von der Konzeptkunst der Nachkriegskunst beeinflussen.

Ihre Besonderheit: sie bildeten einen neuen fotografischen Werkbegriff. Anstelle der einzelnen gestalteten Aufnahme trat nun eine nüchterne Serie von frontal angelegten verzerrungsfreien Fotos mit einer durch das neutrale Licht unbestechlichen Sachlichkeit. Bernd Becher hatte ab 1961 an der Akademie zunächst Typographie studiert und bis dahin vor allem pedantisch Industrielandschaften gezeichnet. Als er dann seine Frau Hilla in die Arbeit der Fotografie-Professur mit einbezog – sie hatte bereits seit ihrer Kindheit fotografiert und in Potsdam eine solide Fotografenausbildung  genossen – , konnte mit ihrer systematischen Herangehensweise auch ein Paradigmenwechsel einhergehen. Sie hatten mit ihrer neuen Art der Fotografie eine eigene Kunstform geschaffen, so dass die Fotografie mit einem neuen Werkbegriff plötzlich einen Kunst-Status erhielt.

Zunächst hatte sich der 1931 in Siegen geborene Bernd Becher das typische Siegerländer Fachwerkhaus vorgenommen. Denn damals stand dem Erzbergbau und der Hüttenindustrie seiner Siegerländer Heimat das Ende bevor. Bechers Vater hatte vom Untertagebau auf die Dekorationsmalerei umgesattelt und versucht, die Siegerland-Bauten mit Zeichenstift und Pinsel festhalten. Becher und seine zur Fotografin ausgebildete Frau, sahen, dass der Zeichenstift  als Dokumentationsmedium für die vom Abriss gefährdeten Industriebauten der Region im Bild viel zu langsam gewesen wäre. So machten sie sich an die fotografische Dokumentation kompletter Bild-Reihen von Fachwerkhäusern.

Später erweiterten die Bechers ihr Spektrum auf ganze Industrielandschaften mit ihren Kühltürmen, Gasbehältern, Zechen, Wassertürmen und Getreidesilos, zunächst im Ruhrgebiet, dann in Nordfrankreich, Lothringen, Belgien, Großbritannien (vor allem Wales) und auch in den Industriezonen Nordamerikas wie in Pennsylvania. Für die Wahrnehmung des seriell angelegten fotografischen Werkes wurde die Teilnahme der Bechers an der documenta 5 im Jahr 1972 bedeutsam. Dort stellten sie eine Serie von Industriebauten in Schwarz-Weiß aus, die prägend für ihre künftigen Fotos werden sollte. Mit der Dokumentation der bedrohten Industriebauten trugen sie teils auch zu deren Erhalt bei. Daneben hatten sie den Blick für das Skulpturale von Industriebauten geschärft, so dass sie mit ihren Fotografien 1990 auf der Biennale in Venedig den Goldenen Löwen für Skulptur erhielten.

Ihre Fotografie wurde bald der Konzeptkunst zugeordnet, zumal sie gemeinsam mit Künstlern der Konzeptkunst und des Minimalismus ausstellten, zuerst in der Ausstellung Prospect in Düsseldorf. Dadurch wurde das Werk künstlerisch anerkannt und bald auch international gewürdigt. Und das zu einem Zeitpunkt, als besonders in Europa die Fotografie im Unterschied zu den USA, wie etwa bei Stephen Shore oder William Eggleston als künstlerisches Medium noch keine Anerkennung fand. Die Unbestechlichkeit und Strenge ihres Blicks sowie ihre Konsequenz, in Typologien zu arbeiten, beeinflusste zweifellos auch ihre Schüler, weswegen diese heute meist in einem Atemzug mit dem Etikett Becher-Klasse identifiziert werden. Für sie aber wurde nach und nach auch die Farbe zu einem eigenen Ausdrucksmittel. Außerdem arbeiteten sie – jeder auf seine Weise – seit den 1980er Jahren systematisch mit den Möglichkeiten der Bildbearbeitung und von Anfang an daran, dass die Fotografie als eigenständige Kunstgattung anerkannt wurde. Die Entwicklung der individuell so unterschiedlichen „Becher-Schüler“ lässt sich in der Ausstellung im Frankfurter Städel: „Fotografien werden Bilder. Die Becher-Klasse“ bestens nachzeichnen. Auf zwei Ebenen kann man sich dort strukturiert und raumweise die Entwicklung vom kleinformatigen Schwarz-Weiß-Foto zum mammutformatigen digitalisierten Farbfoto vor Augen führen.

Jörg Sasse – hier im Interview – verfremdet Bilder unterschiedlichster Herkunft und lädt sie atmosphärisch auf

Natürlich gehörten zu dieser Becher-Klasse nicht nur die eingangs erwähnten und in einem Atemzug genannten „Struffkys“(Struth, Ruff, Gurksy). Auch Candida Höfer, Jörg Sasse, Volker Döhne, Axel Hütte, Tata Ronkholz und Petra Wunderlich zählten ab Mitte der 1970er Jahre zu den neun Schülern der ersten Fotoklasse der Düsseldorfer Kunstakademie. Gemeinsam mit ihren Lehrern, Bernd und Hilla Becher, stehen sie derzeit alle mit ihren starken und repräsentativen Arbeiten im Fokus der Städel-Ausstellung.  Insgesamt sind rund 200 teils großformatige Arbeiten der heute international renommierten Fotografen (wieder) in ihren unterschiedlichen Ausprägungen in dieser Schau zu entdecken.

Die Becher-Schüler übernahmen zwar den neutral-sachlichen Ausgangspunkt der Wahrnehmung der Bechers, bezogen ihn jedoch nicht nur auf menschenleere Architektur, sondern auch auf die ganz alltägliche Umgebung. Heute wirken manche der heruntergekommenen Trinkhallen wie Zeugen einer komplett anderen Zeit, ebenso die fotografierten banalen Gegenstände wie schlichte Küchenmöbel, Kochgeschirr, Topflappen u. ä., die eine solche Präsenz entwickeln, dass man auch schmunzeln muss. Trotz der Abwesenheit von Menschen verweisen sie auf das jeweilige Milieu und die soziale Klasse ihrer Besitzer. Assoziiert man heute mit einer Candida Höfer vor allem die kühn-kühle und monumentale Architekturfotografie oder die atemberaubenden Bilder der großen Bibliotheken der Welt, so staunen wir nicht schlecht, wenn wir in einer dunklen Koje ihre früh entstandene Bilderserie über die Lebenswelt türkischer Mitbürger in Köln entdecken.

Auch sehen wir etwa, wie Anfang der Neunziger Jahre Andreas Gursky, Thomas Ruff und Jörg Sasse begannen, ihre Fotografien digital zu bearbeiten und wie sie neue Formate schufen. Eine der ersten Arbeiten dieser Art im Werk Gurskys ist der Endlosstreifen des Immergleichen eines Wohnblocks in Paris, Montparnasse, der aus verschiedenen Perspektiven aufgenommen und dann mit höchster Präzision digital wieder zusammengesetzt wurde. Im Gegensatz zu den Bechers setzte Gursky nämlich nicht auf Serien, sondern auf das monumentale Einzelwerk, welches mit seiner stummen Präsenz auf das Individuum durchaus bedrohlich wirken kann.

↑ Volker Döhne arbeitete ähnlich seriell wie die Bechers, setzte aber entschiedene Farbflächen in die graue Alltagswelt ↓

↑ Volker Döhne, Ohne Titel, Bunt, 1979, 37 x 47 cm

Am Ende werden die Formate der Fotografien insgesamt um ein Vielfaches monumentaler. Und das lässt die ernsthafte Arbeit von Bernd und Hilla Becher umso bescheidener und authentischer wirken. „Man entfernt sich auch so ein bisschen von den Typologien, dieser minimalartigen Reihung der Kunstwerke. … Man geht ins große cinemascopeartige Breitformat. Man fängt an, Fotografien zu rahmen, mit braunen Holzrahmen, was man normalerweise den Gemälden vorbehalten hat. Und da merkt man eben doch, woher es kommt, aber auch wohin es am Ende geht“, kommentiert Städeldirektor Demandt die Auswahl.

Was man aber jenseits aller Kunstdiskussion als Bild mit sich herumträgt, ist der Eindruck des bescheidenen in seiner Ausstrahlung dürftigen Wirtschaftswunder-Nachkriegsdeutschlands. Da setzt die weniger bekannte Fotografin Tata Ronkholz den Ruhrpott-Trinkhallen ein fotografisches Denkmal und Volker Döhne eines der Nachkriegsarchitektur von Krefeld und des Bergischen Lands, während Thomas Struth, der zunächst trostlose schwarz-weiße Straßenzüge in Düsseldorf und New York fotografierte, neue Serien von Familienpoträts in ihrer Umgebung schuf, aus deren Mimik und Körperhaltung der Betrachter sich jeweils ein eigenes Bild machen kann.

Gerade auch an ihren Serien wird kenntlich, wie sich aus kleinsten regionalen Anfängen, in Düsseldorf und im umliegenden Ruhrgebiet und aus dem Verhältnis von Distanz und Nähe heraus eine Schule des Sehens entwickelte, die unser Bildverständnis bis heute spiegelt und prägt, inklusive des Hungers nach Gigantomanie. Wir erleben aber auch, wie sich der Blick der Fotografen weitet und ihr Augenmerk auf spektakuläre Stadt- und Landschaften oder auf Menschen richtet, nimmt man einmal die Porträtserie eines Thomas Ruff. Seine Portraits erinnern in manchem an Bilder von Rasterfahndungen. Heute zählen die „Düsseldorfer Fotografen“ zur Weltklasse der zeitgenössischen Fotografie.

Während Jörg Sasse unscharfe, poetische Farbkompositionen, die an Malerei erinnern, entwickelte, bezog Axel Hütte sich bildnerisch auf historische Landschaftsmalerei.

Plakat am Städel

Was die Becher-Schüler aber trotz aller Unterschiedlichkeit miteinander verbindet, ist die handwerkliche Sorgfalt, mit der sie arbeiten und bei denen sie sich auch größtenteils vom hoch renommierten Düsseldorfer Foto-Atelier Grieger unterstützen lassen. Was das im Titel der Ausstellung beschworene Malerische der Fotografie bis ca. zur Jahrtausendwende angeht, so ist vor allem Sasse zu nennen, über dessen Bilder aus den 90er Jahre Nebelschwaden zu ziehen scheinen, die an die romantische Malerei erinnern.

In Frankfurt ist ein guter repräsentativer Querschnitt der „Düsseldorfer Fotografen“ zu sehen. Rund 20 Prozent der ausgestellten Bilder stammen aus der Sammlung des Städel, der Rest sind Leihgaben. Und natürlich profitiert die Ausstellung, die eigentlich in der Rheinmetropole stattfinden müsste, von den wertvollen Sammlungsschätzen der DZ-Bank, der Sammlung Wiegand, der Deutschen Börse Photography Foundation, der Sammlung der Deutschen Bank wie auch anderer renommierter Leihgeber.

Ein aufwendig gestaltetes, interaktives Digitorial gibt umfassende Einblicke in die Ausstellung, von der aus rechtlichen Gründen etliche der Werke auf Dauer bei uns nicht abgebildet werden können.

Zur Ausstellung erscheint außerdem im Hirmer Verlag ein übersichtlich konzentrierter Katalog mit 256 Seiten und ca. 178 Abb., mit einem Vorwort von Philipp Demandt und mit informativen Essays von Alexander Alberro, Jana Baumann, Martin Engler und Steffen Siegel sowie mit Texten von Lukas Engert, Iris Hasler, Markus Kramer und Kristin Schrader.

Hinweisen sollte man aber auch auf die exzellent gedruckten Bildmonographien aus dem Schirmer & Mosel Verlag, die das Spektrum der Bechers und ihrer Schüler nochmals erweitert. Der Verleger und Kunstsammler Lothar Schirmer hat die Arbeiter der Bechers und ihrer Schüler über viele Jahre mit wichtigen Bildbänden begleitet.

Fotos: Petra Kammann

Anbei ein Artikel aus dem Jahr 2007 über die Fotografen Becher aus der Zeitschrift …IN RHEINKULTUR 1/2007 von Inge Sauer

Comments are closed.