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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Ersehnte Freiheit. Abstraktion in den 1950er Jahren“ im Museum Giersch

Wirtschaftswunder, Kalter Krieg und Aufbruchstimmung in der Adenauer-Ära („Keine Experimente“), da wächst der Wunsch der Kreativen, sprich der Künstler, die Grenzen des Realen zu überschreiten. Eine Ausstellung im Museum Giersch zeigt die befreiende Rolle der abstrakten Malerei im Nachkriegsdeutschland, die an die Avantgarde der 1920er Jahre anknüpft und schon bald den Rahmen des Regionalen sprengt. Die Sehnsuchtsblicke der Künstler gingen nach Westen, in die USA und nach Frankreich … Die Künstler entwickelten einen eigenständigen Stil – sowohl  in der Auseinandersetzung mit den internationalen Strömungen als auch mit den Konservativen. Eine Schau im Museum Giersch zeigt bis zum 9. Juli 2017, wie sich in den 50er Jahren verschiedene Künstlergruppen formierten. Die Schau präsentiert drei Zentren der Avantgarde im Westen Deutschlands: München, Recklinghausen und Frankfurt. Ausgestellt wurde zunächst in kleinen Galerien, debattiert wurde in Darmstadt. Mit der documenta 2 in Kassel hat sich 1959 die abstrakte Malerei entgültig etabliert und internationalisiert.

Von Petra Kammann

Ausstellungskonzeption und Forschung gehen im Museum Giersch seit Kurzem Hand in Hand: Die Präsidentin der Goethe-Universität, Professor Birgitta Wolff, schlug in ihrer Einführungsrede einen Bogen zum Ausstellungsthema,  indem sie die zunehmende Bedeutung der Freiheit heute erörterte, die sie als Beleg für die Aktualität der Ausstellung hervorhob.

Die Kuratoren: Stellvertretende Museumsleiterin des Museum Giersch, Brigitte Sander und  Christian Spies, Professor der Kunstgeschichte an der Goethe-Universität Frankfurt am Main  bei der Ausstellungseröffnung, Foto: Petra Kammann

Professor Birgitta Wolff, Präsidentin der Goethe-Universität, hielt die einführende Rede; Foto: Petra Kammann

Als der legendäre Düsseldorfer Galerist Alfred Schmela in den 60er-Jahren vom Rheinland aus Kunstgeschichte schrieb, zeigte er Werke von Yves Klein, Joseph Beuys, Gerhard Richter, Christo oder der Gruppe Zero, in einer Zeit, in der das breite Publikum noch wenig von diesen Künstlern gehört hatte. Schmela, der eigentlich selbst Künstler werden wollte, hatte eine völlig unverstellte Art, mit Kunst umzugehen. Aus seinem eigenen künstlerischen Verständnis heraus hatte er dafür umso mehr das richtige Gespür für die kommenden Künstler und dafür, ihnen in seiner winzigen Galerie neben dem Kom(m)ödchen, die er teils auf die Düsseldorf Altstadt erweiterte, neuen Raum zu geben. Wenn er schon selbst nicht der allerbeste Künstler werden konnte, wie er selbstironisch bemerkte, so wollte er wenigstens der „allerbeste Galerist“ sein, was ihm damals durchaus gelang. Seine Initiative war so privat wie das, was vor ihm schon an Rhein und Ruhr, an der Isar und am Main aufkeimte.

Drei Wochen vor der Eröffnung der Galerie Schmela am 2. Mai 1957 hatte Jean-Pierre Wilhelm, ursprünglich Kunstvermittler und Übersetzer französischer, spanischer und portugiesischer Literatur – er übersetzte Paul Celan ins Französische und André Malraux ins Deutsche – im dritten Stock eines Wohn- und Geschäftshauses auf der Kaiserstraße 22 in Düsseldorf gemeinsam mit Manfred de la Motte und der Unterstützung von Gerhard Hoehme die Galerie 22 eröffnet mit der Ausstellung: „Der Aufstand gegen die Form/L’insurrection contre la forme“, in der er Werke von Karl Fred Dahmen, Winfred Gaul, Karl Otto Götz, Gerhard Hoehme, Paul Jenkins, Heinz Kreutz, Bernard Schultze und Emil Schumacher zeigte, Künstler, denen wir zuvor auch in Frankfurt hätten begegnen können. Das war typisch für die 50er Jahre. Künstler, Musiker, Literaten wollten ein neues, ein anderes Deutschland schaffen, eines, das an die Moderne vor der Nazi-Zeit anknüpfen konnte.

Fritz Winter: Vor Weiß-Grün, 1952Öl auf Leinwand, 135 x 145 cm, Städel Museum, Frankfurt, Dauerleihgabe der Fritz-Winter-Stiftung, Bayerische Staatsgemäldesammlungen; Foto: Städel Museum – ARTOTHEK © Fritz-Winter-Stiftung 

Die neue Kunstrichtung des „Art Informel“ diente als Sammelbegriff für die diversen Kunstausprägungen, die sich zunächst „auf die nicht-geometrische Traditionslinie abstrakter Malerei“ gründeten. Zu ihren Merkmalen zählten Formlosigkeit und die Spontaneität in der künstlerischen Produktion. Dabei wurden sowohl die Farbe als auch andere bildnerische Materialien völlig eigenständig eingesetzt. Der künstlerische Arbeitsprozess, der keinen starren Regeln unterlag, sollte ähnlich wie im Surrealismus, den Prozessen des Unbewussten folgen. Der Begriff „Informel“ diente dabei als Sammelbegriff für die abstrakte Kunst schlechthin. Er hatte sich in den europäischen Nachkriegsjahren, vor allem im Paris der 40er und 50er Jahre, als Gegenpol zur geometrischen Abstraktion eines Kandinsky herausgebildet. Formlosigkeit und die Spontaneität in der künstlerischen Produktion zählten zu seinen Merkmalen und entwickelten sich zu einer Art „Pendant“ zum amerikanischen abstrakten Expressionismus, der sich wiederum in den 1940er Jahren als „Action Painting“ und als Farbfeldmalerei („Cour Field Painting“) hervorgetan hatte.

Betrachter vor „Blaue Polyphonie“ von 1961 von Heinz Kreutz (1923-2016); Foto: Petra Kammann

Ab etwa 1952 hatte sich das Informel an verschiedenen Orten in Deutschland etabliert. Eine der ersten Ausstellungen, die verschiedene deutsche informelle Künstler zeigte, fand in Frankfurt in der Frankfurter Zimmergalerie statt, wo die sogenannte Quadriga ausstellte und wo Arbeiten  mit ihren verschiedenen informellen Ansätzen in all ihrer Vielfalt gezeigt wurden, angefangen vom spontanen Malgestus bis hin zu äußerst durchdachten Kompositionen und von farbig bis monochrom erdig. Schon ein Jahr später formierte sich die Gruppe 53 in Düsseldorf, die 1953 als Künstlergruppe Niederrhein 53 e.V. gegründet wurde. Sie stellte bereits 1954 als Gruppe in der Düsseldorfer Kunsthalle aus. Ihr gehörten vor allem Künstler des Tachismus an wie zum Beispiel Peter Brüning, Karl Fred Dahmen (ab 1959), Fathwinter (ab 1955), Albert Fürst, Winfred Gaul (ab 1955), Herbert Götzinger, Peter Royen und Gerhard Hoehme. Auch Bernard Schultze und Emil Schumacher stellten dort bereits als Gäste aus. Der einzige, der seinerzeit nicht abstrakt malte, war Konrad Klapheck mit seinen surrealistisch anmutenden Schreibmaschinen- und Nähmaschinen-Bildern. Und bald schon, 1959, verließen Otto Piene und Heinz Mack die Künstlervereinigung, um die Gruppe Zero zu gründen. Auch sie gehörten zusammen mit den Gruppen Quadriga in Frankfurt und ZEN 49 in München zu den Keimzellen des Informel in Deutschland. Doch ist in der Frankfurter Ausstellung das Rheinland ausgespart.

Die Schwarz-weiß-Fotonotizen von Hans Haacke entstanden 1959 auf der documenta 2, wo sich einerseits die abstrakte Malerei durchgesetzt hatte, andererseits das Publikum durchaus noch mit Unverständnis reagierte; Foto: Petra Kammann

Informel-Ausstellungen gab es in München seit 1949 durch den Zusammenschluss  von Willi Baumeister, Rolf Cavael, Gerhard Dietz, Rupprecht Geiger, Willy Tempel, Fitz Winter und Bitte Meier-Denninghoff in der Münchner Galerie Stangl. Der Name, den sie sich gaben  ZEN 49, verdeutlichte vor allem den Wunsch nach Harmonie. Sie knüpften einerseits an der Gruppe „Blauer Reiter“ an und andrerseits an Kandinsky, der 1911 in seiner Schrift „Über das Geistige in der Kunst“, Zen als Symbol für Freiheit aufgegriffen hatte. Ihre erste Ausstellung fand im Central Art Collecting Point  statt. Sie erhielten sowohl Unterstützung vom britischen Konsul John Anthony Thwaites als auch von der amerikanischen Künstlerin Hilla von Rebay sowie vom US-amerikanischen Diplomaten Stephan P. Munsing, der u.a. auch Leiter des Amerika-Hauses war. Diese Beziehungen  erleichterten sicher auch die erste Reise zu einer Ausstellungstournee durch die USA im Jahre 1957.

Otto Greis: Blauer Aufbruch, 1952, Mischtechnik auf Leinwand, 130 x 115 cm, GDKE – Direktion Landesmuseum Mainz, Foto: © GDKE_Ursula Rudischer 

Die aktuelle Frankfurter Ausstellung beginnt mit dem Darmstädter Gespräch aus dem Jahre 1950, wo man versuchte, als Gegenpol zur Kunstdoktrin des Nationalsozialismus neue Positionen  zwischen Abstraktion und Figuration zu bestimmen. Hintergrund bildete dabei die Ausstellung „Das Menschenbild in unserer Zeit“ auf der Darmstädter Mathildenhöhe. An den Diskussionsveranstaltungen nahmen neben den Künstlern auch Theologen, Soziologen, Mediziner, Biologen und Philosophen teil. Die Kontroversen waren heftig. Einige sprachen sogar von einer „Diktatur der Abstraktion“. Man mag es heute für eine Verballhornung des Begriffs Diktatur halten. Da wurde zum Beispiel von Hans Sedlmayr die Moderne als krankhafte Erscheinung heftig angegriffen. Er beklagte aufs Heftigste den seiner Meinung nach geradezu krankhaften „Verlust der Mitte“, die nicht mehr dem christlichen Idealbild vom Menschen folgte, während der Arzt und Psychoanalytiker Alexander Mitscherlich für eine neue ganzheitliche Auffassung des Menschen jenseits von Hierarchien plädierte. Der Philosoph und Soziologe Theodor W. Adorno wiederum war, kurz nach seiner Rückkehr aus dem Exil, auf der Suche nach einer neuen ästhetischen  Theorie (vor allem der Musik) und verwies dabei auf die Negativität der Katastrophe von Auschwitz. Einen möglichen Sinn von Kunst sah er allenfalls noch darin, dieses Desaster zu reflektieren und zu gestalten.

Gleichwohl war der Aufbruchswille stark und so wurde die abstrakte Malerei als „Esperanto“ der internationalen Moderne begriffen. Besonders anschaulich erlebt man diese Auffassung in dem großartigen und farblich dynamischen Bild von Ernst Wilhelm Nay „Tausend Stimmen“, das normalerweise in der Goethe-Universität hängt – gewissermaßen als Sinnbild für das produktive Zusammenwirken der Studenten aus zahlreichen Nationen –, und das diese dem Museum Giersch leihweise für die Zeit der Ausstellung eigens zur Verfügung gestellt hat. Auch Künstler wie Willi Baumeister und Fritz Winter engagierten sich für neue Positionen. Hingegen stieß diese Moderne beim breiten Publikum wiederum auf Unverständnis. Bildlich festgehalten hat das Hans Haacke in seinen teils amüsanten schwarz-weißen Fotonotizen auf der documenta 2, womit zeitlich auch die Ausstellung im Übergang zu den 60er Jahren endet. Da sieht man zum Beispiel gelangweilte Burschenschafter vor einem Gemälde von Kandinsky scherzen oder eine Nonne vor abstrakten Gemälden unverdrossen die Bibel lesen. Die Lager „figurativ“, im Museum vor allem durch Gemälde von Carl Hofer vertreten, und „abstrakt“, standen sich in dieser Zeit äußerst unversöhnlich gegenüber.

Schon 1947 war durch den Recklinghausener Museumsleiter Franz Große-Pferdekamp die Gruppe Junger Westen gegründet worden, eine künstlerisch sehr heterogene Ausstellungsgemeinschaft mit den Künstlern Emil Schumacher, Thomas Grochowiak, Heinrich Seemann und Hans Werdehausen,  welche die Hinwendung zur Abstraktion auf sehr unterschiedliche Weise zum Ausdruck brachten. Einige ihrer Mitglieder waren geprägt durch die Industrie und Technik an Rhein und Ruhr, was sich auch strukturell in ihren Arbeiten zeigt. Aber 1962 löste sich der „junge Westen“ auf, möglicherweise, weil die einzelnen Künstler flügge und eigenständig geworden waren.

Inge Franck, Nachlassverwalterin der Galerie Franck, setzte sich für die Digitalisierung des Bestands der Zimmergalerie ein. Sie kam ebenfalls zur Eröffnung der Schau im Museum Giersch; Foto: Petra Kammann

Die Zimmergalerie Franck wurde ab 1949 in Frankfurt zum Zentrum der Avantgarde mit internationalen Tendenzen. Der engagierte Versicherungsangestellte Klaus Franck brachte regelmäßig Schriftsteller wie zum Beispiel Marie-Luise Kaschnitz, Musiker, Kunsthistoriker, Journalisten, Käufer, Jazzer, Sammler in der Böhmerstraße, später in der Vilbeler Straße, zusammen, um andere „Formate“ für das neu zu Sagende zu entwickeln. Nach einem kommerziellen Misserfolg musste er jedoch 1961 schließen, als er sich gerade den neuen Zero-Künstlern wie Hermann Goepfert gewidmet hatte.

Bei ihm trafen die Quadriga-Künstler Karl-Otto Götz, Otto Greis, Heinz Kreuz und Bernhard Schultze aufeinander, welche auch Kontakte zur international orientierten Gruppe CoBrA pflegten. Sie überwanden schließlich den Einfluss avantgardistischer Tendenzen aus Paris und New York und entwickelten ihre je eigene künstlerischen Handschriften. Bemerkenswert waren in dieser Zeit vor allem aber Privatinitiativen, meist bestehend aus Kunstkritikern, Sammlern, Galeristen und zum Teil auch Literaten. Sie waren es, welche die neuen Impulse aufgriffen und fruchtbar machten, sehr stärker als die öffentlichen Einrichtungen und Museen, die nur allzu sehr mit ihrer eigenen Standortbestimmung und dem Wiederaufbau beschäftigt waren.

In Zeichen des Umbruchs könnten solche Privatinitiativen auch heute vorbildhaft sein. Die „ersehnte Freiheit“ ist eben kein Geschenk, das einfach vom Himmel fällt.

„Ersehnte Freiheit. Abstraktion in den 1950er Jahren“, Museum Giersch, bis 9. Juli 2017

 

 

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