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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Joachim Gaucks Ehrung in Paris

À Paris, à Göttingen und demnächst à Francfort

Zum Ende seiner Amtszeit wurde Bundespräsident Joachim Gauck in Paris nicht nur vom Präsidenten der Französischen Republik, François Hollande, mit allen Ehren empfangen. Im Rahmen der „Semaine franco-allemande“, der deutsch-französischen Woche (23. bis 28. Januar 2017), traf er auch mit verschiedenen Vertretern der französischen Kultur und Gesellschaft zusammen. An der traditionsreichen, renommierten, auf Literatur, Sprachen, Geistes- und Sozialwissenschaften spezialisierten Universität Paris-Sorbonne wurde dem Bundespräsidenten in einem Festakt die Ehrendoktorwürde verliehen. Aus diesem Anlass hielt Gauck eine bemerkenswerte Rede, in der er die deutsch-französische Aussöhnung nach dem Zweiten Weltkrieg würdigte und im Wahljahr in Frankreich und Deutschland an die Bedeutung Europas erinnerte.

Eindrücke von Petra Kammann

Als Joachim Gauck bei seinem offiziellen Staatsbesuch in Frankreich vor mehr als drei Jahren als erster deutscher Staatsmann das französische Dorf Oradour, das 1944 von der Waffen-SS bis auf einen Überlebenden ausgelöscht worden war, besuchte, und er die angemessenen Worte dafür fand, schien ein Bann in der aktuellen deutsch-französischen Beziehung gebrochen zu sein, und es entwickelte sich daraus eine fast emotional zu benennende Beziehung zu Staatschef François Hollande. Der empfing Gauck nun auch besonders herzlich bei seinem Abschiedsbesuch in Frankreich im Elysée-Palast.

Dies mag auch der Grund dafür sein, warum unser Nachbarland den Präsidenten, dessen Funktion mit der in Frankreich nicht vergleichbar ist, mit besonderer Aufmerksamkeit und Ehre bedachte und Gauck die Ehrendoktorwürde verlieh. Und das mitten im Herzen von Paris, im Amphithéâtre, dem AudiMax der renommierten alten Sorbonne, unter deren Kuppel das gewaltige Wandgemälde „Der geweihte Wald“ von Puivis de Chavannes die Wissenschaften illustriert. Die herausragenden Köpfe und Denker Frankreichs wie Robert Sorbon, Gründer der Sorbonne, wie die Mathematiker-Philosophen Blaise Pascal oder René Descartes oder aber der gebildete Kardinal Richelieu treten als lebensgroße klassische Statuen in den Ädikulä zwischen den klassizistischen Säulen hervor. Auch wenn der Bau der Sorbonne im Quartier latin jünger ist, so wurde die älteste Universität Sorbonne schon Mitte des 13. Jahrhunderts als Theologenkolleg gegründet, während es heute 13 unabhängige Pariser Universitäten gibt, von denen einige noch den Zusatznamen Sorbonne in der Bezeichnung tragen.

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Audi-Max der Sorbonne: das Grand Amphithéatre

Allein der Rahmen des Gebäudes vermittelt etwas vom Bewusstsein der „vieille France“, des in Traditionen verhafteten Frankreichs, auf das man auch heute noch ungebrochen stolz ist. Da erscheint der feierlich von Fanfaren begleitete Einzug der Professoren im Talar in das „Allerheiligste“ des „Amphithéâtre“ wie eine Prozession, die so etwas wie Demut heraufbeschwören soll. Allein ein solch weihevolles Szenarium könnte auf einen deutschen Akademiker, dem die damit verbundenen französischen Rituale eher fremd sind, wenn er sie nicht gar als lächerlich empfindet, einschüchternd wirken. Das glasklare Singen der beiden Nationalhymnen durch den Chor der Sorbonne wirkte hingegen geradezu überirdisch.

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Der Chor der Sorbonne links auf dem Podium singt die beiden Nationalhymnen

In einer solch einschüchternden Atmosphäre kann es einem schon einmal die Sprache verschlagen. Bevor der Rektor der Akademien der Île-de-France in seinem Grußwort an frühere hohe ausländische Gäste wie Dante, Beethoven und Goethe erinnert und er dem deutschen Bundespräsidenten die Medaille der Sorbonne überreicht und bevor Berthélémy Jobert, Präsident der Pariser Sorbonne, Gauck das Diplom übereignet, hält er eine Laudatio auf den Bundespräsidenten. Er begründet die Auszeichnung der Sorbonne mit Gaucks jahrelangem Einsatz für die Freiheit und u. a. auch damit, dass er als Bundespräsident die Verbrechen der Nationalsozialisten verurteilt habe.

Gaucks Stimme klang zu Anfang ob dieser Begleitumstände denn auch weniger kräftig als üblich, er wirkte gerührt und bat um Wasser. Einstieg seiner Dankesrede war dann gegenwartsbezogener der Text der Chansonsängerin Barbara, die mit ihrem Chanson „Göttingen“ 1964 einen wichtigen Beitrag zur Aussöhnung zwischen Deutschen und Franzosen nach dem Zweiten Weltkrieg geleistet hat. Rasch schlug Gauck einen oszillierenden Bogen vom Persönlichen zum Allgemeinen und fing sich auch wieder auf seiner Tour d’horizon. Vor dem Fall der Mauer sei nicht nur für ihn, sondern für die DDR-Bürger wie auch für die Menschen jenseits des „Eisernen Vorhangs“ Paris und Göttingen „gleichermaßen sternenweit“ entfernt gewesen. Deswegen sei es für ihn wie die Erfüllung eines Traumes gewesen, „den ich früher nie zu träumen gewagt hätte, hier, im Herzen des alten Paris, auf diese Weise empfangen zu werden und die Ehrendoktorwürde der Sorbonne verliehen zu bekommen.“

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Das Publikum – bekannte Professoren von französischer wie von deutscher Seite, Studenten und Vertreter von Kulturinstitutionen, der Botschafter inklusive – folgte ihm anhand der Liebesgeschichte von Héloise und Abélard auf seinem fast erzählerischen Umherstreifen durch das Quartier Latin, das damals lateinisch sprechende linke Seine-Ufer, durch das mittelalterliche Frankreich und vernetzte Europa, bis hin zu seiner Verneigung vor dem zum katholischen Glauben konvertierten jüdischen Erzbischof von Paris, Jean-Marie Lustiger, wie zu Emmanuel Levinas. Gauck sprach über das Gute, das Europa zustande gebracht hat, über dessen „inneres Baugesetz“. Dabei sparte der einstige Theologe Kritik am Selbstbewusstsein einer christlichen Welt nicht aus. „Alle denkbaren Grausamkeiten sind hier begangen worden. Es gibt wahrhaftig keinen Grund, ein goldglänzendes Bild von Europa zu malen. Es gab nie ein goldenes Zeitalter und es wird es vermutlich auch niemals geben.“

Mit einem Seitenhieb auf den Islamismus, den er namentlich mit keinem Wort erwähnte, könne auch Religion durchaus Kritik und Selbstkritik vertragen; eine Religion, die sich Kritik verbiete, traue ihrem eigenen Wahrheitsanspruch nicht.

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Vielmehr appellierte er an den Zusammenhalt Europas, das nach der Wende von 1989 noch einmal „in ganz neuem Glanz“ erstrahlte, das mit dem Versprechen von Freiheit und Solidarität, von Partizipation und Demokratie, von Liberalität und Rechtsstaatlichkeit auch ein Erbe der Französischen Revolution sei; das habe nun für den ganzen Kontinent gegolten, nicht nur für dessen westlichen Teil. Damit gelangte der Redner vollends zur Gegenwart:

„Da haben viele von uns das Gefühl, dass vor unseren Augen dieses Versprechen verblasst und dass unter unseren Händen ein Werk zu zerrinnen scheint, das wir alle für so sicher und für so fest gegründet hielten.“ Es gebe nur den immer wieder neu zu beginnenden Kampf für Humanität, für Freiheit und Recht, für Frieden, Gerechtigkeit und Demokratie. Das habe mit dem „Wunder“ der deutsch-französischen Aussöhnung begonnen. Bei Licht betrachtet habe es sich allerdings weniger um ein Wunder gehandelt als um das Ergebnis der engagierten und auch nüchternen Arbeit „kluger und verständigungsbereiter“ Politiker. Ebenso sei die Aussöhnung das Werk vieler Gelehrter und Künstler, die auf der jeweils anderen Seite des Rheins mit großer Aufmerksamkeit wahrgenommen worden seien. Gauck beschloß seine Rede, die viele Anwesende berührte, nochmals mit einer Bilanz und forderte angesichts der aktuellen Lage zum Mut auf:

„Wir erinnerten uns an das Europa der Poesie und des Chansons, der Kritik und der Wissenschaft, der Leidenschaft und des Glaubens, der großen Projekte und der Eleganz des Gelingens, der Nächstenliebe und der Solidarität, der Freiheit und der Innerlichkeit, des Individuums und des menschlichen Antlitzes. Ein Europa, das sich zu erinnern und zu bewahren lohnt, weil es nur in seinen über so lange Jahrhunderte erkämpften Werten eine Zukunft hat. Unser kleiner Spaziergang durch das Quartier Latin offenbart mehr Möglichkeiten und Chancen, mehr Ermutigung und Auftrag als Nostalgie und Erinnerung.“ Die Schlussfolgerung als Apell an uns alle kann daher nur lauten: Courage! Eine französische Vokabel, die wir nicht vergessen sollten!

Im Anschluss an den Festakt ging es dann beschwingt über die geschwungenen Treppen mit den kunstvoll geschmiedeten Geländern in den getäfelten, von Benjamin Constant mit dem Mythos des Prometheus ausgemalten „Grand Salon“ zum Empfang, wo sich Gaucks Lebensgefährtin Daniela Schadt, u.a. auch Romanistin, unter das debattierende Publikum gemischt hat. Die gestandene Journalistin überprüft gerne selbst die Dinge auf ihren Realitätsgehalt. Gauck machte sich dann freudig auf zum nächsten Termin, auf eine Sitzung mit den „Unsterblichen“ in die Académie française, die französische Institution, welche sich die Pflege der französischen Sprache zur Aufgabe gemacht hat – heute ein weites Feld, das viele Ursprungsorte in der Welt hat.

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Bundespräsident Joachim Gauck: Diskussionsfreudiges Bad in der Menge auf dem anschließenden Empfang; Romanistin Daniela Schadt im Gespräch mit Vertretern der Kultur

Die „Prüfung“ in der Sorbonne, die hat der scheidende Bundespräsident mit seiner klugen und diplomatisch ziselierten Rede „bestanden“. Die nächste Herausforderung steht für ihn schon an. Dafür ist er erst das 17. Staatsoberhaupt in der Geschichte der 1635 gegründeten Akademie, dem diese große Ehre nach dem Bruder von Friedrichs des Großen zuteil wird. Dort hält er einen Vortrag über den Unterschied zwischen deutscher Romantik und französischem „romantisme“. Dies jedoch leider hinter verschlossenen Türen und unter den kritischen Augen und Ohren der 40 „Auserwählten“, bevor er dann noch auf den französischen Außenminister Jean-Marc Ayrault und Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier trifft, der fortan für seine Nachfolge kandidiert.

Abgesehen von den politischen Herausforderungen, die nach diversen Wahlen im Schicksalsjahr 2017 in Europa anstehen, hatten die Gespräche in Paris die Chance, zum Zentrum neuer Ein-und Aussichten zu werden. Vielleicht ist in Europa ja doch noch nicht alles verloren. Auf den Weg gebracht wurde auf jeden Fall mit Gaucks Besuch in Paris auch der Ehrengastauftritt Frankreichs „Francfort en français“ auf der diesjährigen Buchmesse in Frankfurt am Main. Da wäre jedenfalls die Weltöffentlichkeit nicht ausgeschlossen. Messedirektor der Frankfurter Buchmesse Juergen Boos und Paul de Sinety, der verantwortliche Kurator des Ehrengastlands Frankreich, waren in dem historischen Moment auch dort präsent.

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Gespräch zwischen Paul de Sinety, Leiter des Organisationskomitees für Frankreich als Ehrengast der Frankfurter Buchmesse 2017 (li.), mit Buchmessedirektor Juergen Boos

Auch für den Gastland-Koordinator Paul de Sinety hatte Gaucks Besuch Signalwirkung: „Die Reise des Bundespräsidenten Joachim Gauck nach Paris, an die Sorbonne und an die Académie française – einer seiner letzten offiziellen Staatsbesuche – ist ein Signal von allergrößter Bedeutung: Das Kulturgut Buch steht im Zentrum der Kulturen unserer beider Länder. Und es obliegt der Jugend unserer beiden Länder, die Herausforderung eines neuen, auf dieser Kultur basierenden, europäischen Humanismus anzunehmen. Eine erste Etappe auf diesem Weg ist ohne Zweifel die Frankfurter Buchmesse 2017, zu der Frankreich als Ehrengast geladen ist.“

Juergen Boos erklärte dazu: „Innerhalb Europas gewinnt die deutsch-französische Freundschaft immer weiter an Gewicht. Die Verleihung der Ehrendoktorwürde der renommierten Universität Sorbonne an den deutschen Bundespräsidenten Joachim Gauck symbolisiert die Tiefe der Beziehungen zwischen beiden Ländern. Französische Literatur wird längst nicht nur in Frankreich geschrieben. Als Ehrengast der Frankfurter Buchmesse wird Frankreich dem Einfluss der französischen Sprache als weltumspannende Identität nachspüren und so einen Dialog im Sinne der kulturellen Diversität anstoßen.“

→ Rede des Bundespräsidenten zur Verleihung der Ehrendoktorwürde in Paris (deutsch)
→ Rede des Bundespräsidenten zur Verleihung der Ehrendoktorwürde in Paris (französisch)

Fotos: Petra Kammann

 

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