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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Fiona Tan: „Geografie der Zeit“ im Frankfurter Museum für Moderne Kunst (MMK 1)

Gebannter Strom der Zeit: Installative Environments, Vexierspiele mit Vergangenheit und Gegenwart, mit dem Hier und Anderswo

Von Petra Kammann

Spuren der Zeitgeschichte und der Zeitläufte greifen die kunstvoll angelegten Videoinstallationen und Filme der in Indonesien geborenen und in Amsterdam und Los Angeles lebenden Künstlerin Fiona Tan auf und verwandeln sie in einer Art Umkehrschluss. Tan hat das Erdgeschoss des Museums für Moderne Kunst (MMK 1) auf besondere Weise in einen Ruhe ausstrahlenden Parcours verwandelt, in dessen Bann sich der Betrachter begeben kann, so er denn eine Grundregel beachtet: Man bringe Zeit mit. Denn ein schnelles Abhaken des zu Sehenden ist hier nicht hilfreich und führt nicht zu Erkenntnisgewinn. Die konzentrierte Ausstellung „Geografie der Zeit“ im MMK 1 macht Zeit und Raum geradezu körperlich spürbar, wenn man ihr auch ein wenig eigene Lebenszeit schenkt.

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Fiona Tan, Ghost Dwellings I-III, 2014, Installationsansicht MMK Museum für Moderne Kunst Frankfurt am Main, Courtesy the artist and Frith Street Gallery, London, Foto: Axel Schneider

Fiona Tan nimmt die Besucher von Raum zu Raum mit auf ihre Reisen in eine globalisierte Welt, die aus den Fugen geraten scheint und an der sich der Fortschritt ins Gegenteil verkehrt hat. Spektakulär nicht nur die Modelleisenbahn gleich im Entree, die ihre Kreise durch eine scheinbar heile Welt und Musterlandschaft nahe des Abgrunds zieht, sondern auch die Installation der „Ghost Dwellings I-III“, für die Fiona Tan 2014 an drei spezifische Orte nach Irland, in die USA und nach Japan reiste, um Szenen zu filmen, die vom Verfall gezeichnet sind, was sich u.a. in der Verwüstung von Gebäuden niederschlägt wie in der einst florierenden Autostadt Detroit, die 2009 durch die Insolvenz von General Motors den Bankrott erklären musste, während im südirischen Cork, ausgelöst durch den Finanzcrash 2008, ganze und zum Teil noch unfertige Wohnkomplexe aufgegeben und verlassen wurden.

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Fiona Tan, 1 to 87, 2014, Installationsansicht MMK Museum für Moderne Kunst Frankfurt am Main, Courtesy the artist and Frith Street Gallery, London, Foto: Axel Schneider

In Fukushima wiederum, 2011 durch das Erdbeben, den Tsunami und die damit verbundene Nuklearkatastrophe verwüstet, hat sich die Künstlerin in die Sperrzone des kontaminierten Gebiets begeben und gefilmt. Bilder, die man so schnell nicht vergisst. Die Videos über diese endzeitlichen Orte sind eingebettet in individuelle, leicht schummrig beleuchtete Räume, die von außen betrachtet aussehen wie die Container im Zollfreilager für Kunst und Luxusgüter. Im Inneren scheinen sie von einer fiktiven Person bewohnt zu sein. Im schwachen Licht nimmt man nur spärliches Mobiliar wahr, an den Wänden hängende Zeitungsausschnitte, auf dem Boden liegende gestapelte Decken, und stellt sich unweigerlich die Frage, ob hier überhaupt noch irgendein Leben stattfinden kann. So apokalyptisch wie die Schauplätze Fukushima oder Detroit erscheinen mögen, unmerklich nisten sich hier Keime für neues, anderes Leben ein …

In der raumgreifenden Doppelprojektion „Rise and Fall“, welche die Künstlerin 2009 für den niederländischen Pavillon der Biennale in Venedig produzierte, können wir hautnah den schlichten Bewegungen einer alten und einer jungen Frau parallel im Bild folgen, die möglicherweise Facetten ein und derselben Person sind. In manchem verhalten sie sich ähnlich und weichen doch auch voneinander ab, allein schon durch ihr Äußeres. Ist die ältere Frau blond und hellhäutig, so wirkt die jüngere dunkelhaarige wie eine Asiatin. Und bei ähnlichen Alltagshandlungen spürt man die Mühen und das Nachdenkliche der älteren Person.

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Fiona Tan, Rise and Fall, 2009, Installationsansicht 2016, Foto: Axel Schneider

Der Blick der Kamera verweilt so intensiv auf dem Gesicht, dass man den Eindruck hat, man könnte auch den Träumen und der inneren Erregung dieser Frauen nachspüren. Mit dieser nahe an die Person tretenden Kameraführung öffnet Tan einen Raum für die eigene Imagination des Betrachters. Diese tief sich einprägenden Bilder werden konterkariert von der dynamischen Bewegung des ozeanischen Wassers, das mal ruhig vor sich hinströmt oder aber sich aufbäumt oder tosend bricht wie in einem gewaltigen Wasserfall.

Auch in den Arbeiten „Nellie“ von 2013 und „Diptych“ (2006 bis 2011), in der Tan in einer Art Video-Diptychon Langzeitbeobachtungen von eineiigen Zwillingen auf der schwedischen Insel Gotland macht, beschäftigt sich die Künstlerin vor allem mit den individuellen Merkmalen der Persönlichkeit und ist dabei sowohl auf der Suche nach der persönlichen Identität als auch nach ihrer kulturellen Prägung.

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Fiona Tan, Nellie, 2013, Still, Courtesy the artist and Frith Street Gallery, London

Auf die Bedeutung niederländischer Malereigeschichte stößt man in dem kleinen abgedunkelten, intimen Raum zur Linken, in dem an der rechten Wand lediglich ein Stück gerahmter Stofftapete hängt, eine blau-weiße „Toile de jouy“ mit tropischer Fauna und Flora. Das Muster dieser Stofftapete, das sich auf dem Bildschirm auf der anderen Seite als Bildmotiv durch das Video zieht, entstammt dem ehemaligen kolonialen Herrenhaus der niederländischen Patrizierfamilie van Loon, die an der Gründung der holländischen Ostindischen Kompagnie beteiligt war. Fiona Tan drehte im „Vogelzimmer“ dieses Hauses, das heute Museum ist.

Der dreiminütige Loop erzählt die Geschichte der unehelichen Tochter Rembrandts, Cornelia van Rijn, die, 1654 in Amsterdam geboren, mit 16 Jahren heiratete und in die niederländische Kolonie Batavia, ins heutige Jakarta, emigrierte und dort an Malaria starb. In dem einstigen Patrizierhaus entstanden die äußerst subtilen Bilder, die untermalt werden mit den Vogelstimmen der Paradiesvögel, welche die Künstlerin Tan durch das ruhige Führen der Kamera gleichsam zum Leben erweckt hat. Ihre subtile Lichtregie erinnert an die hohe Qualität niederländischer Malerei in ihrer intimen Farbigkeit, vor allem das Blau, an die magische Kunst Vermeers, wenn auch weniger an die Kunst Rembrandts.

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Fiona Tan, Nellie, 2013, Still, Courtesy the artist and Frith Street Gallery, London

Mit dieser nur dreiminütigen Videominiatur ist Fiona Tan ein kleines Meisterstück gelungen, nicht zuletzt als Reminiszenz an die niederländisch geprägte Kunstgeschichte. Dabei verweist die Künstlerin gleichzeitig diskret auf die Kolonialgeschichte des Landes. Und sie thematisiert damit ihre eigene Herkunft aus der entgegengesetzten Richtung kommend. War Rembrandts Tochter Cornelia van Rijn nach dem Tod des Vaters nach Indonesien gegangen, so vollzog Fiona Tan selbst den umgekehrten Weg: 1966 als Tochter von chinesisch-australischen Eltern in Indonesien geboren, wuchs sie in Australien auf . Erst später zog es sie zum Studium in die Niederlande nach Amsterdam. In ihrem Video „Nellie“ verknüpft sie mit schlichten optischen und akustischen Mitteln Cornelias Geschichte mit Szenen aus dem Leben einer Adoleszenten mit all ihren Träumen und Alpträumen. Eine wahrhaft gelungene Hommage an die vergessene Tochter und Frau.

„Geografie der Zeit” ist die erste große Werkschau von Fiona Tan in Deutschland. Zur „Vermessung der Welt“, welche die Aufklärer im Sinne hatten, entwirft sie mit dieser Schau ein zeitgenössisches Pendant, ein Palimpsest zur Verwobenheit von Zeit- und Raumebenen. In den atmosphärisch äußerst dichten Filmen und Installationen legen sich immer wieder persönliche Erinnerungen über die Geschichte. Ihre Filme, Fotos, Installationen kreisen immer um die Frage nach der Identität des Menschen im 21. Jahrhundert. Und sie lösen die Grenzen zwischen dem persönlichen und dem kollektiven Gedächtnis auf.

Zeiten und Orte beginnen zu verschwimmen, wobei wir bei der Meeresmetaphorik angekommen wären, die sich vor allem im großangelegten Diptychon „Rise and Fall“ aufdrängt: Das bewegte Meer ist es, das wir teilen, nicht zuletzt geografisch.

Es verweist auch noch einmal auf die diesjährige Frankfurter Buchmesse mit dem Schwerpunktthema „Flandern und die Niederlande“ und ihr Motto „Das ist, was wir teilen“, welche den Anlass für diese ungewöhnliche aktuelle Ausstellung bot. Sie weist uns den offenen Blick auf den weiten Horizont, der an den jeweiligen Landesgrenzen nicht Halt macht. Unsere Geschichte ist verwoben. Es sind ein paar besondere kulturelle Leuchttürme , welche uns verbinden und in die Zukunft weisen.

Die Ausstellung „Geografie der Zeit“ von Fiona Tan im Museum für Moderne Kunst (MMK 1) läuft bis zum 15. Januar 2017

Bildnachweis: MMK Frankfurt

 

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