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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Heilige Nacht. Die Weihnachtsgeschichte und ihre Bilderwelt“ im Frankfurter Liebieghaus

Skulpturengalerie lockt mit stimmungsvoller Sonderausstellung

Von Hans-Bernd Heier

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Neapolitanische Krippe (Ausschnitt), 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts; Terrakotta, Holz, Textilien; Diözesanmuseum, Freising; Foto: Jens Bruchhaus

Eine der bekanntesten Erzählungen des christlichen Kulturkreises ist die Weihnachtsgeschichte. Der Anfang dieser biblischen Geschichte ist weithin bekannt: „Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde“, heißt es im Lukasevangelium. Der Lukastext hat sich im Bewusstsein der Christen mit Motiven aus dem Matthäusevangelium zu einer Legende verwoben, welche die Ereignisse rund um die Geburt Jesu Christi schildert. Doch die Weihnachtsgeschichte erzählt nicht nur, wie der göttliche Sohn als Mensch zur Welt kommt, sondern auch von seiner Verehrung durch einfache Hirten und weise Männer, die später als Könige bezeichnet wurden, von dem Bethlehemitischen Kindermord und gefährlicher Flucht sowie schließlich von glücklicher Heimkehr.

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Maria in der Hoffnung“, Niederbayern, um 1520/25, Lindenholz, Fassung barock, erneuert; Bayerisches Nationalmuseum, München; Fotos: Bastian Krack.

Um die Schwangerschaft zu verdeutlichen, griffen die Schnitzer zu einem Trick, indem sie im gewölbten Bauch der schwangeren Maria ein kleines Jesusfigürchen unter einem abnehmbaren Deckel verbargen.

Heutzutage ist für viele Heiligabend am 24. Dezember gleichbedeutend mit dem Weihnachtsfest. Tatsächlich ist aber erst der 25. Dezember der eigentliche Festanlass: Das Christentum feiert an diesem Tag die Geburt Christi. Die Überlieferung dieses Ereignisses, die Weihnachtsgeschichte, ist eine der populärsten Erzählungen überhaupt: Mit ihr beginnt die christliche Heilsgeschichte.

Die Evangelien liefern allerdings lediglich knappe Passagen und vage Andeutungen ohne erzählerische Details oder stringenten Erzählkontext. Dieser Umstand führte bereits in antiker christlicher Zeit zu detail- und bilderreichen Erzählungen, die die spärlichen Angaben bei Lukas und Matthäus ergänzten und erweiterten. Vor allem so genannte apokryphe (altgriechisch: verborgen, dunkel), also von der Amtskirche nicht als gültig anerkannte Texte waren weit verbreitet. All diese Schriften reicherten die dürren biblischen Berichte an, schmückten sie aus und ließen sie so wesentlich lebendiger werden. Sie enthielten motivreiche Schilderungen der Ereignisse, genauere Beschreibungen der biblischen Akteure, Anekdoten und wundersame Episoden. Auf diese Weise wurden erzählerische Lücken geschlossen und biblische Geschehnisse und Figuren konkretisiert, was dem Bedürfnis der Gläubigen nach zusätzlichen Erkenntnissen und Erklärungen von Handlungsabläufen entsprach. Diese narrativen Weiterentwicklungen schlugen sich auch in der gesamten Bildproduktion christlicher Kunst nieder, beispielsweise in Andachtsbildern, Altären, Skulpturen, Reliefs, Handschriftenillustrationen oder Glasfenstern. Die bildlichen Darstellungen regten wiederum die Vorstellungskraft und Emotionen der Menschen an und intensivierten die Andacht der Betenden.

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Geburt Christi, Mittelrhein, Ende 15. Jh., Lindenholz, Fassungsreste, Liebieghaus Skulpturensammlung, Frankfurt am Main; Foto: Rühl & Bohrmann

Die Liebieghaus Skulpturensammlung beleuchtet in der großartigen Sonderausstellung „Heilige Nacht. Die Weihnachtsgeschichte und ihre Bilderwelt“ die vielfältigen Ereignisse und facettenreichen Geschichten. „Ziel der groß angelegten Schau ist es, die Weihnachtsgeschichte in ihrer ganzen thematischen Bandbreite erfahrbar zu machen und zu einem neuen Verständnis der Bildwerke beizutragen“, sagt Kurator Stefan Roller, Leiter der Abteilung Mittelalter des Liebieghauses. Zu bewundern sind insgesamt rund 100 kostbare Objekte aus über 40 internationalen Sammlungen, wie dem Metropolitan Museum of Art in New York, dem Kunsthistorischen Museum in Wien, dem Louvre in Paris oder den Vatikanischen Museen.

Der zeitliche Schwerpunkt liegt auf der Kunst des Mittelalters. Darüber hinaus führen ausgewählte frühchristliche Zeugnisse und einige barocke Exponate die überraschende Fülle an Bildthemen eindrucksvoll vor Augen. Die klar strukturierte Präsentation, die noch bis zum 29. Januar 2017 zu bewundern ist, fächert die erzählerische Vielfalt der Weihnachtsgeschichte in zehn Kapiteln auf und bietet eine chronologische Erzählung von der Verkündigung an Maria bis zur Heimkehr der Heiligen Familie aus Ägypten.

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Wiener Meister „Ankunft, Reise und Anbetung der Könige“, um 1490, Malerei auf Holz; Stiftsmuseum, Klosterneuburg; Foto: Michael Himml

In welchem Maße die ursprünglich wenig detailreichen biblischen Berichte schon in frühchristlicher Zeit und im Laufe des Mittelalters umfangreiche motivische wie erzählerische Erweiterungen erfahren haben, wird in der Ausstellung besonders bei den Darstellungen zur Geschichte der drei Weisen aus dem Morgenland deutlich. Diese ursprünglich heidnischen Sterndeuter folgen dem Stern, durch den ihnen die Geburt des neuen Königs der Juden signalisiert wurde. Im Laufe der Zeit (etwa 11. Jahrhundert) mutierten die Drei zu den Königen Caspar, Melchior und Balthasar, die dem Kind huldigten und ihm Geschenke mitbrachten: Gold, Weihrauch und Myrrhe. Nicht nur in den Überlieferungen, sondern auch in den bildenden Künsten wurde die Reise der Könige samt Gefolge immer detailfreudiger und prächtiger geschildert. Ein großes, wohl in Wien um 1490 gefertigtes Tafelgemälde aus Klosterneuburg führt diese Entwicklung eindrucksvoll vor Augen.

Die Geburt Christi.

Meister BM (Schongauer Nachfolge), tätig am Oberrhein um 1500–1520, Geburt Christi, um 1500–1520, Mischtechnik auf Eichenholz; Städel Museum, Frankfurt am Main; Foto: Städel Museum – ARTOTHEK

Für neue Impulse in der Darstellung der Geburtsszene Christi sorgt eine Vision der heiligen Birgitta. Im Jahr 1372 wallfahrtet die schwedisch Adelige (1301/1303-1373) ins Heilige Land. Dort besucht sie die Geburtskirche in Bethlehem, in deren Geburtsgrotte sie eine Vision von der Übernatürlichkeit der Niederkunft Marias ereilt: Gerade noch sieht Birgitta, wie sich das Kind in Marias Leib bewegt, und schon ist es auch geboren, ohne dass ersichtlich geworden wäre, woher es kam und wie die Geburt im Einzelnen vonstattenging. Das Kind ist einfach plötzlich da, makellos und ohne Verunreinigung oder Blut. Sofort regeneriert sich Marias Leib, und augenblicklich gewinnt sie auch ihre körperliche Zartheit und Schönheit zurück. Von dem Kind geht ein Licht aus, das heller erstrahlt als die Sonne. Aber dem Neugeborenen ist es kalt, weil es nackt am Boden liegt. Also hebt Maria das Kind auf und wärmt es an ihrer Wange und Brust. Erst jetzt durchtrennt sie die Nabelschnur und beginnt, ihren Sohn in die bereitgelegten Tücher zu wickeln. Als Joseph, der die Höhle kurz verlassen hat, zurückkehrt, beten beide das Kind an, legen es in die Krippe und knien verehrend vor ihm nieder, während liebliche Engelsgesänge erschallen.

Geburt Christi.

Hans Baldung Grien „Die Geburt Christ“, um 1525-1530, Mischtechnik auf Lindenholz; Städel Museum, Frankfurt am Main; Foto: Städel Museum – ARTOTHEK

Birgittas Vision spricht sich schnell herum, und in wenigen Jahren verändert sich die Geburtsdarstellung grundlegend. Neue Motive gehören jetzt zum festen Repertoire der Künstler: Fortan betet Maria kniend das Neugeborene an, manchmal ohne Mantel, oftmals mit offenem blondem Haar. Das Kind liegt häufig nackt auf dem Boden oder auf einem Mantelzipfel und erstrahlt in hellem Licht, während Joseph eine Kerze oder Laterne hält.

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Marienaltärchen mit Geburt im Schrein, Flügel innen: Verkündigung/Heimsuchung/Darbringung, Malerei aus dem Umkreis des Altenberger Altars, Mittelrhein, um 1350, Malerei auf Holz, Skulptur, Lindenholz, orig. Fassung; Privatbesitz; Foto: Rühl & Bohrmann

Eine besonders unterhaltsame und spannende Veranschaulichung des weihnachtlichen Heilsgeschehens ermöglichen Krippen mit ihren frei arrangierbaren Figuren, die sich in der heutzutage bekannten Form im Laufe des 16. Jahrhunderts ausbildeten. Öffentlich ausgestellt in Ordens- und Pfarrkirchen fanden diese oftmals opulenten und in Landschaften integrierten Ensembles großen Zuspruch. Bald wurden kunstvolle Krippen auch vom Adel als religiöses und repräsentatives Sammelobjekt entdeckt. Im Zuge der Aufklärung des ausgehenden 18. Jahrhunderts wurden sie in unseren Breitengraden schließlich vorübergehend aus den Kirchen verbannt, hielten aber Einzug in bürgerliche Haushalte. Hier nahm die Erfolgsgeschichte der populären Krippen im 19. und 20. Jahrhundert ihren Anfang. Zwei großformatige, vielfigurige Krippenensembles aus Neapel und Tirol runden die Liebieghaus-Präsentation ab – ein atmosphärisch höchst eindrucksvoller Abschluss der sehr sehenswerten Schau.

Die Ausstellung „Heilige Nacht. Die Weihnachtsgeschichte und ihre Bilderwelt“ wird unterstützt durch die Georg und Franziska Speyersche Hochschulstiftung.

Heilige Nacht. Die Weihnachtsgeschichte und ihre Bilderwelt“, Liebieghaus Skulpturensammlung, bis 29. Januar 2017

Bildnachweis (soweit nicht anders bezeichnet): Liebieghaus Skulpturensammlung

FeuilletonFrankfurt wünscht
allen Leserinnen und Lesern ein
frohes, besinnliches Weihnachtsfest


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