home

FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Krakau, April 2016 (Folge IV – Schluss)

Von Monika Müller-Löwenberg

Für Christa

FOLGE IV (Schluss)

Beim Empfang im Rathaus, der bei diesen Städtepartnerschaftsreisen üblich ist, hatte ich gefragt: „Gibt es hier eine funktionierende jüdische Gemeinde in Krakau?“. So wie beispielsweise in Berlin oder Frankfurt.

70.000 Juden lebten in Krakau vor dem Krieg, ein Viertel der Bevölkerung. Heute zählt die jüdische Gemeinde etwa 180 Mitglieder. Einhundertachtzig – meist wird diese Zahl ausgesprochen wie eine Bedrohung. Es sind zu wenige, um die jüdische Gemeinde auf Dauer am Leben zu erhalten. Zudem sind die meisten jüdischen Bewohner in Krakau alt, viele sind sehr arm. Sie kommen regelmäßig in das jüdische Gemeindehaus, wo sie umsonst ein warmes Essen bekommen, so unsere polnische Fremdenführerin Barbara.

Unser letzter gemeinsamer Ausflug führte uns in die Hohe Tatra. Eine dreistündige Fahrt mit dem Bus. Vor Zakopane hielten wir in der Einöde vor einer Bergkäserei mitten auf dem Feld. Für Leo, meine Enkel und mich habe ich dicke Schafswollsocken in der Käserei erstanden. Die alte Bäuerin (eine Goralin) verkaufte und ließ uns probieren in einer Hütte, in der ein brodelndes offenes Feuer knisterte. Sie hatte die gesunde, rötliche Gesichtshaut eines Menschen, der viel im Freien ist. Ihr Mann stand außerhalb der Hütte und behielt uns im Auge. Arbeitsteilung nennt man das. Um die Hütte herum überall weilten, entfernt von uns, grasende Schafe.

Der komplette Bus roch nach Holzkohle und gegrilltem Käse, alle hatten den frischen geräucherten Schafskäse gekauft.

kaeserei-b-450

Bevor wir in Zakopane ankamen, ein weiterer Stop im Dorf Chocholow, wo wir einen Holzschnitzer besuchten. Ich durfte ihn fotografieren in seiner dunklen Stube. Knurrend und brummend stimmte er dem Foto zu. Er hatte schneeweißes Haar und einen ebensolchen Schnurrbart. Von seiner Werkstatt aus, die Tür war offen, sah ich sein Bett, ein selbstgeschnitzter Stock lehnte auf dem Holznachtschränkchen, darauf lag ein schwarzer Hut, als Band hatte dieser eine Muschelkette. Eine Gaslaterne oder Öllampe befand sich neben einem kleinen Schrein, Jesus am Kreuz und zwei Frauen, wahrscheinlich eine davon Maria. Alle drei Figuren aus weißem Holz geschnitzt. Er erschien mir in seiner bescheidenen Hütte zufrieden.

Ich erwarb ein Andenken, eine handgeschnitzte Hexe auf dem Besenstil, die böse Geister vertreibt. Sie hängt jetzt über meinem Kamin.

hexe-b-500

Erhaltene und bewohnte Holzhäuser im Zakopane-Stil, alles aus Holz, auch die Kirchen. Im Innenhof eines Hauses stand eine Hundehütte, im gleichen Baustil, davor schlummerte ein Hund, der sich sichtlich wohlfühlte. Bevor wir in Zakobane die Seilbahn bestiegen, besuchten wir einen Friedhof der Goralen. Überall Holzkreuze mit einem Dächlein verziert, die die Tafel mit der jeweiligen Inschrift schützten. Das ungewöhnliche an den Gräbern waren geschnitzte Holzblumen. Sie waren mindestens einen halben Meter hoch, ein Stil, eine runde Scheibe als Blume, die Blätter ebenso flach. Auf jedem Grab mindestens eine der Blumen.

Vor der Seilbahn durfte ich einen Goralen, einen alten Pferdekutscher in seiner Tracht fotografieren. Auf dem Kopf trug er eine flache Pelzmütze, ein löchriger grau-blauer Pullover über einem blau-weiß karierten Hemd, darüber eine warme Felljacke. Seine weiße Hose mit schwarzen Streifen an der Seite, sah aus wie eine Jogginghose, an einem Bein hing ein zinnoberrotes undefinierbares Etwas. An den Ständen rund herum Bärenfelle, Felle aller Art.

gorale-450

Vom Berg „Gubalówka“ hatten wir einen weiten Blick über die hohe Berge bis zu 2600 Meter, ein wahres Skiparadies, was mir völlig neu war.

Am Abend besuchten wir erneut den jüdische Stadtteil Kazimierz, um dort an einem koscheren Essen mit Klezmermusik teilzunehmen. Hotel, Restaurant „KAWIARNIA“, ein Foto mit Roman Polanski hing an der Wand. Ich war unsicher, ob das Essen, auch in Kombination mit den Getränken, tatsächlich koscher war. Auch wunderte ich mich darüber, dass an einem Freitagabend – nach Sonnenuntergang ist bereits Schabbes – Klezmermusik gespielt wurde. Die Musiker hatten keine Kippa auf. Mein Eindruck: touristisch geprägt. Auf dem großen Platz mitten in Kazimierz wird in jedem Jahr Ende Juni und Anfang Juli das Festival jüdischer Kultur gefeiert. Der Höhepunkt ist ein Freilichtkonzert in der Szeroka-Straße mit Tanz. Das sollte unser nächster Termin in Krakau werden, liebe Christa.

Wenn ich von Schönheit bei dieser Reise spreche, war es der Abreisetag. Die Sonne schien, strahlte Wärme aus. Die Menschen, die wir trafen, strahlten. Es war nicht einmal ein halber Tag, denn um 11 Uhr traf sich die Gruppe zum Einchecken auf dem Weg zurück nach Frankfurt. Unser letzter Spaziergang führte endlich, wenn auch nur kurz, dahin, wo wir alle gerne am ersten Tag gewesen wären – in die Altstadt von Krakau. Gepflegte Altbauten ohne Strassennummern, ein Haus mit einem bunten Straußenvogel, der ein Rad mit seinen Federn schlägt in Blau und Gold.

In der Franziskaner-Kirche keine Kreuzigungsszenen oder Marienbilder, Stiefmütterchen in zartrosa, gelb, hellblau und dunkelblau eingerahmt von Wandteilen mit stilisierten Herzen, im Kern dunkelgrün, darumherum hellgrün. Die Wände nebenan mit sternförmigen Ornamenten in Ocker mit dem gleichen Grün innerhalb der Ockerfarbe. Auf der nächsten Wand schlängeln sich Winden in zartblau und einem rötlichen Braun auf einem aus achteckigen Quadraten gebildeten dunkelgrünem Hintergrund entlang. Kerzen angezündet, immer auch für Christa. Durch Seitenstraßen hindurch, neben den Touristenwegen entdecken wir das „Café Camelot“, urig mit vielen Antiquitäten, kleine separate Sitzecken, draußen und drinnen. Ein Erlebnis ist das „Restaurant Polski Smaki“, da sitzen die Polen und genießen den Samstagvormittag. Das Gran Hotel „Hotel Saski“ wäre eine schöne Unterkunft für die nächste Reise. Wir durchqueren die St. Anna-Straße, in dieser stand einstmals die älteste Synagoge der Stadt. Den Abschluss genossen wir, ich und eine Dame aus der Gruppe, die mir im Bus immer den Platz neben sich freihielt, auf dem „Stepanski-Platz“ im Freien auf einer abgesessenen Ledercouch sitzend, im „Café Noworolski“ mit einem Kaffee und – für mich ungewöhnlich – einem süssen Blätterteig-Teilchen. Vor uns der Markt auf dem Platz mit bunten Blumenständen. Sprachen aus aller Welt waren zu hören, bevor der Turmbläser der Marienkirche die Melodie von „Hejnat“ die volle Stunde ankündigte. Hejnat bedeutet so viel wie Dämmerung. Die Krakauer lieben Rituale, im Mittelalter ein Weckruf, aber auch ein Warnruf.

Kirchen sprießen in Krakau in allen Variationen und vielfältig. An jeder Ecke ist der katholische Glauben zu spüren. Papa Karol Jozef Wojtyla, Johannes Paul II., strahlte uns von einem Fenster aus sein Gesicht, mindestens zwei Meter hoch, von einem Foto entgegen. Ich lernte, in den rein polnischen Kirchen gibt es keine Kerzen zum Anzünden, selten ein Weihwasserbecken. „Das gibt es nur für Touristen, in den Kirchen, die sie besuchen“ erfuhr ich von Barbara. Glücklicherweise fand ich immer eine Möglichkeit, Kerzen anzuzünden.

* * *

Mittwoch, 4. Mai 2016 feierten wir in der Stiftung den Holocaust-Gedenktag (28. Nissan, Tag des Gedenkens an Shoah und Wiederstand).

Sechs Kerzen für sechs Millionen Tote. Beklemmend, eng in meiner Brustgegend. Diesmal sah ich nicht nur unsere jüdischen Bewohner bewegt und betroffen zum Kerzenanzünden gehen, ich hatte das Bedürfnis, selbst beim Anzünden dabei zu sein. Bei der 6. Kerze, die für all die Kinder steht, forderte der Rabbiner jeden, der sich jung fühlt, auf, mit nach vorne zu kommen.

„Wir wurden nicht gerettet, sondern befreit“ sagt der Rabbiner bei jedem Gedenktag. Heute verstehe ich, was er damit meint.

Heinz wurde an diesem Gedenktag von seinem Sohn gestützt, der aus New York angereist war. Er wohnt in der Stiftung. Er ist ein Auschwitz-Überlebender, seine Nummer, auf dem Arm tätowiert, ist gut lesbar. Nach dem Ende von Krieg und Naziherrschaft schrieb Heinz seine Erlebnisse im Winter 1945/1946 autobiografisch auf: „Bekannte traf man viele …“. Die Schrift war Grundlage einer Verfilmung unter dem Titel „Schritte ins Ungewisse“.

Fotos: Monika Müller-Löwenberg

→ Krakau, April 2016 (Folge I)

 

Comments are closed.