home

FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Schirn Kunsthalle Frankfurt: Der Holzschnitt in Wien um 1900

Der Holzschnitt im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit in seiner ganzen Vielfalt in der Donaumetropole zwischen 1900 und 1910

Von Petra Kammann

Eines der ältesten Druckverfahren der Welt, der Farbholzschnitt, unter Albrecht Dürer in Europa zu besonderer Blüte gelangt, wurde im späten 19. Jahrhundert wiederentdeckt und bekam, ausgelöst durch die „Kunst für  alle“-Bewegung, eine neue gesellschaftspolitische Dimension, vor allem im Wien des beginnenden 20. Jahrhunderts.

pan

Blick in die Ausstellung „Kunst für alle“: Präsentation der Holzschnitte in aufwändig-dramatischer Atmosphäre, inszeniert von Theaterregisseur Ulrich Rasche und kuratiert von Tobias G. Natter, Experte für die Kunst um 1900; Fotos: (li., Ausstellungsansicht) Norbert Miguletz, (re. Tobias G. Natter) Petra Kammann

In der Frankfurter Schirn Kunsthalle ist – noch bis zum 3. Oktober 2016 – eine herausragende Ausstellung unter dem Titel „Kunst für alle“ zu sehen, die den Farbholzschnitt in der Wiener Moderne auf ungewöhnliche Weise, nämlich auf schwarzen stürzenden Wänden, in Augenschein nimmt. Die Schau dokumentiert am Beispiel von 240 Werken von 40 Künstlern und Künstlerinnen die Blüte dieser Drucktechnik in den goldenen Jahren des Wiener Jugendstils zwischen 1900 und 1910. Sie macht deutlich, dass der Farbholzschnitt die Entwicklung der modernen Bildsprache des beginnenden 20. Jahrhunderts maßgeblich geprägt hat. Im hochpreisigen Kunsthandel hatte der Farbholzschnitt mit seinen erschwinglichen Preisen den Erwerb von Originaldrucken auch für ein breites Publikum möglich gemacht. Durch seine Reproduzierbarkeit wurde er so zur „Kunst für alle“.

Modernes Design des Art Nouveau, wie die Stilrichtung im Französischen hieß: Erwin Langs Porträt von Grete Wiesenthal (Das rote Mädchen).

schirn_presse_kunstfueralle_lang_wiesenthal_um1904-500

↑ Erwin Lang, Grete Wiesenthal (Das rote Mädchen), um 1904, Holzschnitt auf Papier, koloriert, 38 cm x 36 cm, UAK Wien, Kunstsammlung und Archiv / Schenkung O. Oberhuber

↓ Anton Eichinger, Till Eulenspiegel, um 1903, Farbholzschnitt auf Japanpapier, teils mit Aquarellfarbe überarbeitet, Blatt: 30 x 28 cm, Universität für angewandte Kunst Wien, Kunstsammlungen und Archiv, Schenkung Oswald Oberhuber, Inv. 753

schirn_presse_kunstfueralle_eichinger_tilleulenspiegel_um1903-500

Typisch hier die flächige und ornamentale Stilisierung sowie Gestaltung des Quadrats.

Warum gelangte nun gerade in Wien der Holzschnitt zu einer besonderen Blüte? Während die Malerei dort noch an der eher konservativ historistisch angelegten Akademie der Bildenden Künste gelehrt wurde, wurde die Grafik an der Wiener Kunstgewerbeschule aufgewertet. War sie noch im 19. Jahrhundert zum gängigen Verfahren für illustrierte Bücher herabgesunken, so hatte sie sich um 1900 immer mehr zu einem Zentrum der Avantgarde und des neuen Designs entwickelt. Da aber auch die Fotografie eine neue Bedeutung erlangt hatte, musste die traditionelle Malerei als Abbild der Wirklichkeit in Frage gestellt werden. Daraus ergaben sich neue Freiräume, die gestaltet werden konnten. Erst die Befreiung aus den Zwängen des traditionellen Mediums der Malerei konnte zur Basis für eine künstlerische Neubewertung des Farbholzschnitts werden, aus der dann auch eine neue experimentierfreudige Formensprache entstand. Charakteristisch dafür waren vor allem die Umrisszeichnungen sowie die flächig stilisierende Darstellungsweise, welche die verschiedensten Lebensbereiche widerspiegeln sollten.

„Obwohl die Wiener Moderne in den letzten Jahrzehnten intensiver erforscht wurde als jede andere Epoche der österreichischen Kunst- und Kulturgeschichte“, so Tobias G. Natter, Kurator der Ausstellung und Experte für die Wiener Kunst um 1900, „wurde ihr Beitrag zur Kunst des Farbholzschnitts bislang kaum thematisiert. Dieser blinde Fleck lässt sich teilweise vor dem Hintergrund des enormen Facettenreichtums der Wiener Moderne erklären, aber auch damit, dass das alles überstrahlende Dreigestirn Gustav Klimt, Egon Schiele und Oskar Kokoschka den Blick auf das Medium bisher verstellte. Keiner der drei interessierte sich sonderlich für den Holzschnitt. Dennoch war die Neuentdeckung des Holzschnitts und verwandter Techniken in der Moderne ein Experiment mit weitreichenden Folgen, nicht zuletzt für nachfolgende Künstlergenerationen. Am Wiener Farbholzschnitt faszinieren die stilistische und thematische Vielfalt sowie eine noch heute spürbare Aufbruchsstimmung, die sich aus vielen Quellen speiste und erfolgreich um ein zentrales Thema rang: Flächenkunst von bleibendem Wert zu schaffen.“

Holzschnitte waren – im Gegensatz zu gemalten Bildern wie denen Gustav Klimts – auch für größere Bevölkerungsschichten erschwinglich. Hinzu kam, dass die Vertreter der Wiener Secession in ihrer Zeitschrift „Ver Sacrum“ (lat. Heiliger Frühling) verkündet hatten: „Wir kennen keine Unterscheidung zwischen ,hoher Kunst‘ und ,Kleinkunst‘, zwischen ,Kunst für die Reichen’ und ,Kunst für die Armen’“. Der Alltag – so ihr Credo – sollte von Kunst durchdrungen werden. Das bezog sich sowohl auf Häuser, Möbeldesign, Typografie als auch auf die Gestaltung von Alltagsgegenständen, wie sie vor allem auch durch die Vertreter der Wiener Werkstätten, einer Produktionsgemeinschaft bildender Künstler, so charakteristisch war. Man denke nur an die Möbel von Josef Hoffmann oder an das Ausstellungshaus der Wiener Secession nach Entwürfen des Otto-Wagner-Schülers Joseph Maria Olbrich. So gelangte zwischen 1900 und 1910 der illustrative Farbholzschnitt vor allem auch wegen seiner innovativen Formensprache zu neuem Ruhm. Insgesamt erschienen in dieser Zeitschrift 216 grafische „Originalholzschnitte“.

Daran hatten nicht nur die Künstler der Wiener Secession wie Carl Moll und Koloman Moser besonderen Anteil, sondern auch etliche Künstlerinnen und einstige Schülerinnen der berühmten Wiener Kunstgewerbeschule wie Jutta Sika oder Marie Uchatius. An der Kunstgewerbeschule waren nämlich nun auch Studentinnen zugelassen, später dann auch Lehrerinnen. Von der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts wurden sie zwar kaum wahrgenommen, weswegen uns ihre Namen noch heute kaum vertraut sind. Tatsächlich aber hatten sie sich in ihrer Experimentierfreude von den neuen Möglichkeiten des Druckverfahrens inspirieren lassen. Diese boten ihnen sowohl neue Freiräume für ihre künstlerische Phantasie als auch für ihre gesellschaftliche Emanzipation. Wichtig war für sie vor allem, dass auch der Alltag mit Kunst durchdrungen werden konnte.

Czeschka Schule

Marie Uchatius, Panther – Muster für ein Vorsatzpapier, um 1905, Holzstöckeldruck und schwarze Tinte auf Papier, Blatt: 40,2 x 29,5 cm, MAK – Österreichisches Museum für angewandte Kunst/Gegenwartskunst

Andererseits führte der Einfluss des japanischen Holzschnitts seit der Öffnung Japans 1854 nicht nur in Paris und London zu einer großen Japanbegeisterung. Der Pariser Kunsthändler Siegfried Bing belieferte von 1888 bis 1891 in seiner Zeitschrift „Der japanische Formenschatz“ die europäischen Metropolen mit tausenden von Abbildungen japanischer Kunst, die von den Künstlern aufgegriffen wurden. Um 1900 ist auch Wien davon infiziert. So widmete sich die sechste Ausstellung der Wiener Secession der japanischen Kunst. Aus einer Privatsammlung wurden u.a. darin 150 Farbholzschnitte abgebildet. Die Wiener Künstlerinnen und Künstler waren vor allem von der Einfachheit des Striches, der Feinheit des Farbauftrags und den sparsam angelegten Freiräumen beeinflusst.

Motive aus dem Tierreich und der Sinn für das Groteske waren besonders beliebt, besonders bei Ludwig Heinrich Jungnickel. Seine „Rauchende Grille“ von 1910 greift Eigenschaften des Großstadtdandys des 20. Jahrhunderts auf: urban, lässig, manieriert und dekadent. In den ornamental gestalteten Freiflächen ist zudem der Einfluss des Japonismus spürbar.

schirn_presse_kunstfueralle_jungnickel_rauchendegrille_1910-550

Ludwig Heinrich Jungnickel, Rauchende Grille, 1910, Farbholzschnitt, 40,3 x 45,9 cm, Privatsammlung Deutschland

Die Jugendstilkünstler verfolgten ähnlich wie die japanischen Meister die Technik des Aquarelldrucks und erzielten damit ebenso nuancierte Farbvariationen.

Ein Vorreiter für die Entwicklung des Wiener Farbholzschnitts war der aus Prag stammende Secessionskünstler Emil Orlik (1870-1932). Seine Quellenstudien hatten ihn schon früh nach Japan geführt, wo er die Technik eingehend studiert hatte. Daher nimmt seine Dreiergruppe „Der Maler“, „Der Holzschneider“ und „Der Drucker“ (alle 1901) eine Schlüsselstellung ein. In der Frankfurter Ausstellung werden sie in einem separaten Bereich zur technischen Praxis des Farbholzschnitts als Leporello gezeigt. Orlik hat darin festgehalten, dass der japanische Holzschnitt eine Gemeinschaftsproduktion ist. Detailgetreu zeigt er die einzelnen Arbeitsschritte auf, wie z.B. der Maler das Motiv entwirft und eine Tuschezeichnung anfertigt, während der Holzschneider die Zeichnung mit der Bildseite nach unten auf den Holzstock legt und in die Platte schneidet. Der Drucker wiederum fertigt die Abdrucke an, auf die der Maler die verschiedenen Farbtöne in die einzelnen Flächen einträgt. Zum Schluss fertigt der Holzschneider für jede Farbe eine eigene Farbplatte an, auf welche die wasserlöslichen Farben aufgetragen werden.

Anhand der kleinen Bretonin von Carl Moll sowie der „Bretonischen Hütten“ lassen sich die Stufen des Zusammendrucks eines Farbholzschnitts verfolgen. Zunächst liefern die Umrisslinien den Grundstock des Holzschnittdrucks. Mit den modellierenden Schraffuren des zweiten Drucks entsteht Plastizität:

schirn_presse_kunstfueralle_moser_bretonischeskind_1904-450

↑ Carl Moser, Bretonisches Kind, 1904, Farbholzschnitt auf Japanpapier, Blatt: 29,7 x 21,1 cm, Albertina, Wien, Inv. DG1912/86, © Albertina, Wien

↓ Carl Moser, Bretonische Hütten, 1904, Farbholzschnitt auf Japanpapier, Blatt: 29,3 x 45,8 cm, Albertina, Wien, Inv. DG1912/89, © Albertina, Wien

schirn_presse_kunstfueralle_moser_bretonischehuetten_1904-600

Aber auch andere Reproduktionstechniken werden in der Schau gezeigt wie etwa die Entwicklung von Vorsatzpapieren bei Marie Uchatius’ „Panther“, typografisch gestaltete Kalenderblätter oder Linol- und Papierschnitte. Dass die Ausstellung nach Wien weiterwandert, wundert nicht. Schließlich ist sie in Kooperation mit der Albertina entstanden. An sie gehen die Exponate aus dem eigenen Bestand zurück, während alle anderen Werke an die Besitzer zurückgelangen, darunter viele Privatsammler wie interessanter Weise auch der Kurator selbst.

Wer die Kenntnisse über die revolutionäre Technik und Thematik des Farbholzschnitt vertiefen will, dem sei ausdrücklich der sehr informative 414-seitigen Katalog mit den hervorragenden Abbildungen aus dem Taschen Verlag empfohlen.

„Kunst für alle. Der Farbholzschnitt in Wien um 1900“, Schirn Kunsthalle Frankfurt, bis 3. Oktober 2016

Bildnachweis: Schirn Kunsthalle Frankfurt

 

Comments are closed.