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FeuilletonFrankfurt

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PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Pioniere des Comic. Eine andere Avantgarde“ in der Schirn Kunsthalle Frankfurt

Von Winfred Kaminski

Unter der Überschrift „Pioniere des Comic. Eine andere Avantgarde“ präsentiert die Schirn Kunsthalle noch bis zum 18. September 2016 Werke sechs großer amerikanischer Comic-Künstler. Kuratiert hat die Ausstellung Alexander Braun, der auch für den opulenten Katalog einen Großteil der Beiträge geliefert hat. Der ehemalige Chef der Schirn Kunsthalle, Max Hollein, und Kurator Alexander Braun leisten mit dieser Ausstellung nicht weniger als den Nachweis, dass Comics seiner Zeit revolutionär waren – und zwar nicht nur hinsichtlich der Zusammensetzung ihres Publikums, weil sie gleichermaßen Bürgertum, Arbeiterklasse und das Heer der Einwanderer faszinierten. Alle waren angezogen von der neuartigen Seh- und Leseerfahrung, die ihnen die US-amerikanischen Tageszeitungen seit 1897 anboten. Comics waren das erste Bildmedium, das millionenfach reproduziert wurde, lange vor Fernsehen und Internet.

Alexander Braun bietet in seinen monografischen Studien zu Winsor McCay (1871-1934), Lyonel Feininger (1871-1956), Charles Forbell (1884-1946), George Herriman (1880-1944), Cliff Sterrett (1883-1964) und Frank King (1883-1969) etwas Neues. Im Unterschied zu den schon vorliegenden historischen, soziologischen und pädagogischen Studien zu Comics zielt er auf eine strikt kunstwissenschaftliche und kunstgeschichtliche Sichtweise. Zwar erfahren wir auch in der Ausstellung einiges über die Kämpfe der damaligen Tageszeitungen um die besten und begabtesten Köpfe, aber noch mehr informiert uns Ausstellung und Katalog über die häufig unterschätzte Beziehung der Comic-Künstler zur damals zeitgenössischen Ästhetik.

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Winsor McCay
↑ Little Nemo in Slumberland, Sonntagsseite, The New York Herald, 3. Dezember 1905, Privatsammlung
↓ Little Nemo in Slumberland, Sonntagsseite The New York Herald, 23. September 1906, Privatsammlung

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Ein ums andere Mal belegt Alexander Braun, wie sehr die Comiczeichner Impulse aus Impressionismus und Jugendstil übernahmen oder sogar Impulse gaben von der Abstraktion bis hin zur Kunst des Bauhauses. Es scheint müßig, im Detail zeigen zu wollen, ob das nun alles eher Avantgarde oder doch manchmal Epilog zur jeweiligen Avantgarde war. Denn eines machen die ausgestellten Zeichnungen, Entwürfe und die Originalzeitungsseiten deutlich: Die Präzision gestalterischen Arbeitens war allen vertraut und selbstverständlich. Zweifellos hat Feininger zuerst erfolgreich als Karikaturist und Comic-Künstler gearbeitet, ehe er einer der Großen des Bauhauses wurde. Und ganz ohne Frage wurzelt die Pop Art eines Roy Liechtenstein in der frühen Comic-Kunst. Aber aufregend sind die Werke der sechs präsentierten Künstler auch rein für sich selbst.

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Charles Forbell
↑ Naughty Pete, Sonntagsseite The New York Herald, 19. Oktober 1913, 57 x 41 cm, Privatsammlung
↓ Naughty Pete, Sonntagsseite, The New York Herald, 23. November 1913, Privatsammlung

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Es bedarf eigentlich nicht mehr einer solchen Verteidigung der Comic-Kunst, wie sie Braun mit Verve leistet. Heutzutage verfügen Comics doch längst über eine eigene Geschichte, die weit ins 19. Jahrhundert zurückreicht, und sie haben eine Fortsetzung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und bis heute gefunden. Längst richtet sich auch der Blick nicht mehr rechtfertigend darauf, ob das Kunst ist oder vielleicht doch nicht, sondern darauf, ob dieser oder jener Comic das Niveau seiner Vorgänger oder der aktuellen Mitbewerber erreicht. Die Suche nach Referenzen heißt doch heute, sich auf die genre-internen Bezüge zu konzentrieren.

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George Herriman
↑ Krazy Kat, Detail, ab 1913, Privatsammlung
↓ Krazy Kat, Sonntagsseite, 23. April 1944, Privatsammlung

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In seinem Katalogbeitrag beschreibt der Maler und Bildhauer Thomas Scheibitz knapp die künstlerischen Horizonte, vor denen sich die sechs ausgestellten Künstler bewegen: Bei Winsor McCay überschäumende Fantastik mit barockem Überfluss und surrealen Elementen, hingegen minimalistische Ausdrucksformen bei George Herriman. Lyonel Feiningers „Kin-der-Kids“ von 1906 stehen in Kontakt mit der späteren klassischen Moderne des Bauhaus. Thomas Scheibitz hebt heraus, dass es sinnlos sei, zwischen kommerziellen Bilderfolgen, Unterhaltung sowie bildender Kunst und deren Wurzeln differenzieren zu wollen oder jene gar zu verurteilen. „Little Nemo in Slumberland“, „The Kin-der-Kids“, „Krazy Kat“ oder „Gasoline Alley“ sind Ikonen und gehören zu den Archetypen unserer Zeit.

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Kurator Alexander Braun, © Schirn Kunsthalle Frankfurt, 2016, Foto: Norbert Miguletz

Jedem, der sich ungezwungen der Seh- und Leselust hingeben will, sei die Ausstellung „Pioniere des Comic. Eine andere Avantgarde“ sehr empfohlen.

„Pioniere des Comic. Eine andere Avantgarde“, Schirn Kunsthalle Frankfurt, bis 18. September 2016

Bildnachweis: Schirn Kunsthalle Frankfurt

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