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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Zum Tod von J. Siegfried Dammrath: Der Bildhauer, Philosoph und Poet

Von Petra Kammann

Zur Erinnerung an den verstorbenen Bildhauer, Philosophen und Lyriker J. Siegfried Dammrath ist bis zum 31. Juli 2016 im Museum Kaiserswerth eine Ausstellung zu sehen, die sich mit dem Leben und Wirken dieses vielseitigen Künstlers befasst. Der Bildhauer und Dichter war am Pfingstsonntag im Alter von 87 Jahren verstorben. Er lebte viele Jahre lang in den Düsseldorfer Stadtteilen Kaiserswerth und Kalkum.

Der als Steinmetz ausgebildete Bildhauer absolvierte eine Ausbildung für das künstlerische Lehramt und studierte an der Düsseldorfer Kunstakademie u.a. bei Professor Ewald Mataré Bildhauerei. Im Verlauf seines künstlerischen Wirkens schuf er nicht nur Steinbildwerke, Steinreliefs, Altargestühl und Grabsteine, sondern auch Bronzereliefs und andere Metallskulpturen. Zudem gestaltete er im Rheinland, am Niederrhein und im Ruhrgebiet etliche Arbeiten wie Kirchenfassaden, Glasmalereien in öffentlichen Gebäuden, Lithografien und vieles mehr.

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J. Siegfried Dammrath, Fotos: Petra Kammann

Nach einer Sinnkrise in der Lebensmitte studierte Dammrath an der Düsseldorfer Universität, u.a. Medizingeschichte bei Professor Wolfgang Schadewaldt, Philosophie bei Professor Lutz Geldsetzer, Germanistik bei Professor Herbert Anton. Jahrelang arbeitete er an einer Doktorarbeit unter dem Titel „Das Phänomen des Kunstwerkes in seiner Realisierung“. Seither schrieb er daneben auch philosophische Essays und Gedichte. Im Laufe der Zeit erschienen zwölf von Edgar Schwarz herausgegebene Prosa- und Lyrikbändchen von ihm wie auch zwei Fotobände mit Schwarz-Weiß-Fotografien von Petra Kammann-Kuhlen: „FOTO-BILDER aus Kaiserswerth“ und „FOTO-BILDER. Atelier Dammrath in Düsseldorf-Kalkum mit Gedichten von J. S. Dammrath“, dann „Philosophische Gedichte“, „Fabelhafte Geschichten“ und u.a. der Gedichtzyklus „Dein Engel“. Die Italianistin und Dante-Forscherin Marcella Roddewig, Professorin an der Universität Düsseldorf,  schrieb 1987 darüber, dass dieser Engel-Zyklus zu den schönsten und bewegendsten Gedichten deutscher Sprache gehört, die ihr je begegnet seien.

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↑ Portalentwurf, Strom des Lebens, Bronze
↓ Kryptagestaltung in der Kirche St. Gereon, Brachelen

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Dammraths Atelier in Kalkum war in in den 1970er Jahren ein Zentrum des legendären „Jour Fixe“, zu dem der Künstler Gäste aus allen Gesellschaftsschichten einlud. Außerdem gründete er 1970 mit einigen Studenten an der Düsseldorfer Universität die „Aktion Kreative Universität“ (AKU).

Anlässlich einer Gedenkfeier im Museum Kaiserswerth für den charismatischen Menschen und Künstler hielt die Frankfurter Publizistin Petra Kammann folgende Ansprache:

Charisma und Kreativität bei Siegfried Dammrath

Male er mich so groß
als
daß ich bin“
befahl der gewaltige Kaiser.
Es werde!“
verneigte sich der machtlose
Maler
fünfzig Jahre nach dem Tode
Majestät!“

Aus: Ein paar fabelhafte Geschichten

Der scheinbar so simple wie doppeldeutige Text verweist darauf, dass sich Siegfried Dammraths künstlerischen wie auch seine philosophischen Erfahrungen in seiner Lyrik niedergeschlagen haben. In dieser „fabelhaften Geschichte“ macht er den Leser bzw. Zuhörer mit der Rolle des Künstlers vertraut, der von seinem Auftraggeber abhängig ist und zugleich aber auch die Macht hat, diesen ins Leere laufen zu lassen, weil es sich erst in der Geschichte erweisen wird, ob der Machthaber wirklich so groß ist, wie er glaubt.

Die hintersinnige konjunktivische Wendung „Es werde!“ zeigt den Prozess des sich Entwickelns, das nicht nur das Objekt der Darstellung, den Kaiser, sondern auch den Künstler selbst meint, der die Distanz wahrt, der vom Werden der Dinge beeinflusst ist und für den Zeit eine andere Dimension hat als für den vordergründig denkenden Politiker.

Die Dinge sind für den Künstler nun einmal nicht eindimensional. Vor allem nicht in den „fabelhaften Geschichten“ Siegfried Dammraths, wo er mit mehreren Bedeutungsebenen spielt, aber auch in etlichen anderen seiner Gedichte, die wir gemeinsam mit Edgar Schwarz vor einigen Jahren in verschiedenen Bändchen zusammengetragen haben.

Da dreht und wendet Dammrath Redensarten nach Herzenslust; und sofort schlägt das Denken eine andere Richtung ein. Ein Anliegen, das den gestandenen Steinmetzmeister und Bildhauer auch beschäftigte, als er Ende der 1960er Jahre das Studium der Philosophie an der Düsseldorfer Universität aufnahm, die jüngeren Studenten in Diskussionen verwickelte und in sein Atelier einlud, um gemeinsam mit ihnen über den Prozess nachzudenken, der dem Phänomen der Kreativität auf die Schliche kommen sollte.

Wenn Menschen wie Siegfried Dammrath in der Art, wie sie auftreten, einen eigenen Stil pflegen, dann können sie andere mit ihrem Charisma auch mitreißen. Der Begriff Charisma stammt aus dem Griechischen und bedeutet zunächst einmal „Gnadengabe“. Heute verbindet man den Begriff eher mit unverwechselbarer Ausstrahlung, über die besondere Menschen verfügen – mit ihrer Körpersprache ebenso wie mit ihrem Verhalten. Da solche charismatischen Personen von ihrer Mission überzeugt sind, können sie häufig auch andere dafür begeistern, ein Wir-Gefühl zu entwickeln.

Genau das konnte Siegfried Dammrath. Er lud in sein Kalkumer Atelier in die Oberdorfstraße 38 zum Jour fixe ein, wo dann regelmäßig Menschen jeglichen Alters und verschiedenster Herkunft bei „Brot und Wein“ aufeinander trafen. Gleich ob Maurer, Bäcker, Student oder Universitätsprofessor. Da zählten weder Titel noch Stand. Hier sollte einfach jeder mit jedem ins Gespräch kommen. Und all diese vielen engagierten Individuen trugen mit ihm als Katalysator zum Gelingen der ungewöhnlichen Veranstaltung bei.

Da wurde diskutiert, musiziert, gelesen. Gedichte wurden von Schauspielern des Schauspielhauses wie Wolfgang Arp oder Heribert Sasse vorgetragen, es wurde Cello gespielt. Man denke nur an den inzwischen leider verstorbenen großartigen Cellisten Alfred Lessing, der mit seiner selbstgebauten Viola da Gamba die Anwesenden in Bann schlug. Bisweilen musizierte der auch zusammen mit Bernward Mindé, den ich hier besonders herzlich begrüße. Ihm verdanken wir, dass die Cellistin Zuzana Ermlovà heute – in Erinnerung an dieses Erlebnis – für uns spielt. Vor etwa 40 Jahren war es Bernwards inzwischen verstorbene Frau Sandra Mindé, Tänzerin an der Düsseldorfer Oper, die gerade mit dem Studium der Romanistik als meine Kommilitonin an der Universität begonnen hatte und auf dem Jour Fixe die Teilnehmer durch ihren improvisierten Tanz bezauberte.

Wie auch immer Wirkung entsteht, auf dem Jour fixe bestätigte sich: Charismatische Menschen wie Siegfried Dammrath, die Menschen ohne jegliche Form von political correctness in so unkonventionellen Räumen wie dem schlicht-schönen Kalkumer Atelier zusammenbringen, machen andere mit ihrer Ausstrahlung und Aura glücklich und regen sie zur Kreativität an. Da schien es geradezu natürlich, dass sich an einem solchen Ort unter den damaligen Studenten und Professoren der neugegründeten Düsseldorfer Universität, die sich zunächst nur der Wissenschaft verschrieben hatte, Anfang der 1970er Jahre so etwas wie die „Aktion Kreative Universität“ (AKU) bildete.

Eine Aktion, die vielleicht förmlich „in der Luft zu liegen schien“, zumal sich auch mit dem Beuys-Schüler und Verkehrspolizisten Anatol (Herzfeld), der damals regelmäßig die Vorlesung von Professor Anton besuchte, ein Dialog über die Bedingungen von Kreativität entspann. Zur Erinnerung: Joseph Beuys hatte im Zusammenhang mit seinem erweiterten Kunstbegriff 1973 die „Freie internationale Hochschule für Kreativität und interdisziplinäre Forschung (FIU)“ gegründet und Anatol 1975 dann, in Anlehnung an Joseph Beuys, die „Freie Akademie Oldenburg“. Beide hatten Dammraths Atelier besucht.

Kreativität ist die Fähigkeit, durch Assoziationen und durch Einbeziehung des Unbewussten, die Perspektive zu wechseln und Grenzen zu überschreiten und damit etwas vorher nicht Dagewesenes, Originelles zu kreieren. Damit verbunden ist häufig auch der Bruch mit alten Vorstellungen und Normen, sonst wäre der Weg für Neues nicht frei. Mit dem Unbekannten, bislang Unbewiesenen oder Spekulativen ist natürlich auch immer Unsicherheit verbunden, weswegen Kreativität im sozialen Umfeld wiederum einen schweren Stand hat und bis heute in vielen Gesellschaftsbereichen immer wieder um Anerkennung ringen muss.

Vielleicht ist es kein Zufall, dass eines der zentralen bildhauerischen Werke Siegfried Dammraths, den die Auseinandersetzung mit der Religion sein ganzes Leben umgetrieben hat, die Figur des Judas Thaddäus, des „Rufers in der Wüste“, ist. So freut es mich ganz besonders, dass Herr Gupta, ebenfalls ein treuer Besucher des Jour fixe, heute bei uns ist und den Judas Thaddäus, den Apostel als Fürsprecher in schwierigen und ausweglosen Situationen, die Bronzestatue persönlich mitgebracht hat. Schon der Zisterziensermönch Bernhard von Clairvaux aus dem 12. Jahrhundert soll die Gestalt in seinen Visionen als Patron des Unmöglichen erfahren haben.

Wenn wir den Begriff Kreativität auf das lateinische Wort „creare“ zurückführen, dann bedeutet es so viel wie „etwas neu schöpfen, etwas erfinden, etwas erzeugen, herstellen“. Es hat aber auch die Nebenbedeutung von „auswählen“. Wir, meine frühere Mitstreiterin Gabriele Deylitz, Heinz-Georg Schneider, Regina Müller und Herr Mayer haben hier eine kleine Auswahl aus dem Werk getroffen. In dem Begriff des Kreativen steckt als weitere Wurzel das lateinische „crescere“, „geschehen und wachsen“.

Kreative Menschen – und ein solcher war Siegfried Dammrath in hohem Maße – sind ständig auf der Suche nach Neuem und Unbekanntem. Sie wollen erkennen, verstehen, neu kombinieren, weiterspinnen und ausprobieren. Sie sammeln nicht nur abwechslungsreiche Erfahrungen und Informationen zu relevanten Themen, sondern sie sind auch offen für die Umwelt und geben sich nicht mit einfachen Antworten zufrieden.

Das birgt natürlich auch Risiken in sich, zum Beispiel, dass etwas nicht vollendet werden kann so wie seine Doktorarbeit, deren Thema „Das Phänomen des Kunstwerks in seiner Realisierung“ Siegfried Dammrath bis zum Schluss nicht losließ. Der Abschluss seines Lebens war also nicht verbunden mit einer fertigen Doktorarbeit, die Professor Lutz Geldsetzer, den ich hier begrüße, betreute, oder der dazugehörigen vollendeten Skulptur der „Mariä Heimsuchung“. Dafür entstanden bis zum Schluss zahlreiche Gedichte, die manchen Freunden in den letzten Jahren – Regina Müller sei Dank – zugeschickt wurden. Einige seiner Gedichte haben wir hier für Sie ausgewählt. Sie werden von Heinz-Georg Schneider vorgetragen.

In seinem West-östlichen Diwan sagt Johann Wolfgang Goethe über das Phänomen des Werdens in „Selige Sehnsucht“:

Und solang du das nicht hast,
Dieses: Stirb und werde!
Bist Du nur ein trüber Gast
Auf der dunklen Erde.“

Ich muss bekennen, dass ich heute, nach dem Tod von Siegfried Dammrath, sehe, dass ihm in der zweiten Lebenshälfte der Prozess des Erkennens und Werdens wichtiger war als das fertige künstlerische Produkt. Nicht zuletzt für diese Einsicht möchte ich ihm danken. Das heißt natürlich nicht, dass uns seine aussagekräftigen vollendeten Bronzereliefs und -skulpturen, die Glasfenster und Zeichnungen nicht nach wie vor anrühren würden. Aber die Anstrengung, zu werden, sich zu entwickeln und neue Lösungen zu finden, diese Aufgabe ist vor allem für uns heute eine ständig neue Herausforderung. Danke Siegfried.

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„Judas Thaddäus, Rufer in der Wüste“, Bronze

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Fotos: Petra Kammann

 

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