home

FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Athen. Triumph der Bilder“ im Frankfurter Liebieghaus (1)

Die Göttin Athena mit Entourage im Fokus einer grandiosen Schau

Von Hans-Bernd Heier

Keine andere Stadt hat die Entwicklung Europas stärker beeinflusst als Athen. Der Stadtstaat gilt als Geburtsstätte der europäischen Hochkultur. Das ambitionierte Ausstellungsprojekt „Athen. Triumph der Bilder“ im Frankfurter Liebieghaus kreist, wie Kurator Professor Vinzenz Brinkmann, Leiter der Antikensammlung, betont, „um die hochklassischen Bauten der Akropolis und fragt im Besonderen nach den zahlreichen, zum Teil kolossalen Bildern, die die Mythen Griechenlands, aber vor allem das Märchen von der Stadtgöttin Athena und ihrem Sohn erzählen“.

pan-b

Professor Vinzenz Brinkmann, Leiter der Antikensammlung, und Max Hollein, bis Ende Mai 2016 Direktor der Liebieghaus Skulpturensammlung (bei seiner letzten Pressekonferenz im Liebieghaus), Fotos: FeuilletonFrankfurt

Die umfangreiche Sonderausstellung lenkt den Blick auf die faszinierende Bilderwelt des antiken Athen und zeigt eindrucksvoll dessen Riten, Opfer, Prozessionen und Feste. „Die Schau stellt das Athen im goldenen Zeitalter des Perikles ins Zentrum. Keine andere Epoche hat den Begriff und die Vorstellungen von der Klassik so stark geprägt wie die Zeit des Wiederaufbaus in Athen nach dem Sieg über die Perser. In der Liebieghaus Skulpturensammlung wird die zum damaligen Zeitpunkt geschaffene, facettenreiche attische Bilderwelt nun in einer völlig neuartigen Weise der Antikenrezeption wieder zum Leben erweckt“, erläuterte Max Hollein bei seiner letzten Pressekonferenz in der Skulpturensammlung.

Die erstklassigen Rekonstruktionen der athletischen Krieger von Riace gehören zu den Glanzstücken der Schau.

L1310247A-450

Eumolpos und Erechtheus von einer Statuengruppe der Athener Akropolis. Experimenteller und rekonstruierender Nachguss der Bronzekrieger Riace A und B; Bronze, Silber, Kupfer, Gold, farbige Steine, Asphaltlack, Pigmente; Lorenzo Campana, Paola Donati, Kristine Balzer, Christoph Bergmann, Toni Silvestri, Ulrike Koch-Brinkmann, Vinzenz Brinkmann 2015 (mit Unterstützung des italienischen Staates und der Fondazione Prada Mailand); Foto: FeuilletonFrankfurt

Roman art: Herm of Pericles. Vatican, Museo Pio-Clementino*** Permission for usage must be provided in writing from Scala.

Porträtherme des Perikles, römische Wiederholung einer griechischen Porträtstatue, die Kresilas um 430/420 v. Chr. für die Athener Akropolis geschaffen hat, aus Tivoli, Marmor, Höhe 183 cm; Musei Vaticani, Vatikanstadt; Foto: 2016. Photo Scala, Florence

Der Stadtstaat Athen wurde 480 /490 v. Chr. von den Persern bis auf die Grundfesten zerstört. Kaum mehr als Schutt und Asche hatten die zwei Perserkriege in Athen und ganz Attika hinterlassen. Doch auf die schmachvolle Niederlage der Athener folgte ein glanzvoller und radikaler Neubeginn: der Wiederaufbau einer kompletten Kulturlandschaft. Aus den Trümmern entstand Athen prächtiger denn je zuvor. Alle Bauten der Akropolis, so wie wir sie heute kennen, wurden in der Phase von 450 bis ca. 410 vor Christus errichtet. Der geniale und machtbewusste Staatsmann und Kulturpolitiker Perikles und der kongeniale Bildhauer und Architekt Phidias machten sich entschlossen ans Werk: Einzigartige Heiligtümer erzählen mit leuchtend-farbigem Skulpturenschmuck die Mythen ihrer Heimatstadt. Im Zentrum der Geschichten steht die kluge und weise Göttin Athena. Bei dem gigantischen Wiederaufbau hatte Perikles keine Skrupel, Gelder des griechischen Verteidigungsbündnisses, des delisch-attischen Seebündnisses, zweckzuentfremden.

L1310242A-450

„Athena des Myron aus Rom“, Gärten des Lucullus Augusteische Wiederholung nach einer klassischen Bronzegruppe aus der Zeit um 450 v. Chr., Marmor, Höhe 173,5 cm; Liebieghaus Skulpturensammlung, Frankfurt am Main;
Links: Gorgoneion. Römische Marmorkopie, vielleicht des Schildzeichens der phidiasischen Goldelfenbeinstatue der Athena Parthenos (sog. „Medusa Rondandini“), moderner Abguss, nach dem Original in München, Glyptothek, um 120/130 n. Chr., Gips, Höhe 39 cm; Archäologisches Institut der Universität Göttingen
Foto: FeuilletonFrankfurt

Anhand von über 100 bedeutenden Leihgaben aus großen Sammlungen, wie dem British Museum, dem Louvre, den Vatikanischen Museen, dem Kunsthistorischen Museum, Wien, und der Antikensammlung der Staatlichen Museen zu Berlin wird der Mythos Athens, der Stadtgöttin Athena, und ihres Ziehsohnes Erechtheus äußerst anschaulich erzählt. Es ist eine Geschichte von Liebe, Sehnsucht, Gewalt, Rache, Tod und Versöhnung. Des Lebens des Erechtheus und seiner jungfräulichen Mutter wurde mit den großen Festen und Prozessionen, die den Zyklus des attischen Jahres bestimmten, feierlich gedacht.

lh_presse_athen_GeburtAthena_London-500

Rotfiguriges Weingefäß (Pelike) aus Athen mit der Darstellung der Geburt der Athena aus dem Kopf des Zeus, um 450 v. Chr., Ton, Höhe 41,5 cm; The British Museum, London, Foto: The British Museum, London, © The Trustees of the British Museum

Während das Geschehen um Troja den meisten auch heute noch bekannt sein dürfte, wissen wir doch deutlich weniger über das Leben der großen Stadtgöttin Athena und die aufregenden „Märchen“ Attikas, der bedeutendsten antiken Kulturlandschaft. Deswegen sei zum besseren Verständnis zunächst ihre Geschichte kurz beleuchtet.

lh_presse_athen_GeburtErechtheus_London-500

Rotfiguriges Wassergefäß (Hydria) aus Athen mit der Darstellung der Geburt des Erechtheus (Erichthonios), um 450 v. Chr., Ton, Höhe 37,5 cm; The British Museum, London; Foto: The British Museum, London; © The Trustees of the British Museum

Zeus, der oberste Gott im Olymp und notorischer Schwerenöter, hatte die Titanin Metis verführt. Diese wurde mit zweieiigen Zwillingen schwanger, einem Mädchen und einem Jungen. Weil ein Orakel dem Göttervater vorausgesagt hatte, dass ihn einst sein eigener Sohn stürzen würde, verschlang er Metis. Doch der weibliche Fötus überlebte und reifte in Zeus Kopf. Weil seine Kopfschmerzen übermächtig wurden, rief er seinen Bruder, den Schmiedegott Hephaistos, zu Hilfe. Dieser nahm eine Axt und spaltete Zeus Kopf. Aus ihm stieg Pallas Athene – schon voll ausgewachsen und in voller Rüstung erscheinende. Die Kopfgeburt war perfekt und Athena geboren.

Die stattliche Protagonistin und der oben erwähnte Schmiedegott Hephaistos kommen sich später näher. Aber einer Liaison entzieht sich die Göttin, da die Charaktere zu unterschiedlich sind: Sie verkörpert Geist und Inspiration, ganz im Gegensatz zu Hephaistos, dem eher erdgebundenen Handwerker. Athena verweigert sich dem aufdringlichen erotischen Zugriff ihres Onkels. Dennoch kommt es zum Erguss und die jungfräuliche Göttin wischt seinen Samen mit einem Wollknäuel von ihrem Schenkel und wirft diesen zur Erde. Damit wird Gaia, die Erdgöttin, befruchtet und gebiert den Erechtheus (auch Erichthonios genannt), den Athena an Sohnes statt annimmt. Die Göttin errichtet später das „Erechtheion“ als Palast für ihren geliebten Sohn, der heiratet und mit seiner Frau sechs Töchter hat.

lh_presse_athen_PoseidonLoeb_Muenchen-450

Statuette des Poseidon mit Dreizack und Schilfkranz (sog. „Poseidon Loeb“), griechisch, um 150 v. Chr., Bronze, Höhe 29,5 cm; Staatliche Antikensammlungen und Glyptothek München; Foto: Staatliche Antikensammlungen und Glyptothek München, Renate Kühling

Als die attische Stadt eine schützende Stadtgottheit sucht, erhält die ehrgeizige Athena, die Göttin der Wehrkraft, Weisheit, Kunst und des Ackerbaus, den Vorzug gegenüber dem aufbrausenden Meeres- und Pferdegott Poseidon, ebenfalls ein Bruder des „Ober-Olympiers“ Zeus. Die Stadt trägt fortan den Namen ihrer Schutzgöttin. Poseidon ist darüber extrem erzürnt, weil er das Anciennitätsprinzip verletzt sieht, und kann seine Niederlage lange Zeit nicht verwinden. Er rächt sich dafür mit Niedertracht und Gewalt. Schließlich führt er zusammen mit dem Heer seines Sohnes Eumolpos, König von Thrakien, einen blutigen Krieg gegen die Stadt. Diesen Krieg gewinnt Athen erst, als Erechtheus, der inzwischen König von Athen ist, eine seiner Töchter opfert. Er selbst wird, nachdem er Eumolpos tödlich besiegt hat, vom Dreizack des Poseidons vernichtet und erleidet so den Opfertod für das Wohl des Volkes. Es folgen die „Auferstehung“ des Erechtheus als unsterbliche Burgschlange sowie die Versöhnung der Olympier.

lh_presse_athen_Akropolis_KorenhalleErechtheion-650

Die Korenhalle des Erechtheion Athen, Akropolis, ca. 420/410 v. Chr.; Foto: Liebieghaus Skulpturensammlung

Diese hochdramatischen Geschehnisse geben die Topoi für die großen Feste, Prozessionen und Gedenkfeiern ab, die den Zyklus des attischen Jahres bestimmten. Sie ziehen sich wie ein roter Faden durch die grandiose Schau. So begann das Kalenderjahr Athens mit dem Geburtsfest Erechtheus in den Sommermonaten Juli / August und endete mit der Feier seines Opfertodes im Juni / Juli.

lh_presse_athen_ausstellungsansicht_7 (2)-650

Ausstellungsansichten „Athen. Triumph der Bilder“, Fotos: Liebieghaus Skulpturensammlung

lh_presse_athen_ausstellungsansicht_5-650

In einer dichten chronologischen Inszenierung werden in „Athen. Triumph der Bilder“ die zwölf Monate des attischen Kalenders in zwölf Räumen anhand exquisiter Exponate anschaulich präsentiert. Erlesene Bildwerke machen die antiken Feste und deren unmittelbaren Bezug zum Mythos Athens erfahrbar. Im Zentrum eines jedes Raums stehen die jeweiligen Feste, die meist auch die Grundlage für den Monatsnamen lieferten. Auf den einzelnen weißen Gipsabdrücken des 160 Meter langen Athener Parthenon-Frieses (440 v. Chr.), die nach jüngsten Forschungsergebnissen die unterschiedlichsten Feste im Zyklus des attischen Jahres zeigen, werden die Feierlichkeiten und Zeremonien des jeweiligen Monats abgebildet. Auch Bilder auf ausgewählten griechischen Amphoren, Vasen, Krügen und Schalen berichten von Festen und Riten, beispielsweise bei den Vorbereitungen zu Hochzeiten oder Opferzeremonien am Grab.

Zitate aus der antiken Literatur, wie zum Beispiel aus der Erechtheus-Tragödie von Euripides, ergänzen die bildlichen Beschreibungen der höchst dramatischen Geschehnisse,. Mithilfe von sogenannten „Kontextpanoramen“, die aus Bildern, Grafiken und bewegtem Bild zusammengesetzt sind, vermittelt die Präsentation, die noch bis zum 4. September 2016 zu sehen ist, einen lebendigen Eindruck der Riten und Feierlichkeiten jener Zeit.

Kontextpanorama_Raum1-650

Kontextpanorama in der Ausstellung „Athen. Triumph der Bilder“ Raum 1; © Atelier Markgraph

In Teil 2 unseres Berichtes möchten wir die Besucher bei ihrem Gang durch die 12 Themenräume begleiten und die jeweiligen Glanzstücke kurz vorstellen. Der ergänzende 13. Raum erlaubt einen Blick in das „Planungsbüro“ des genialen Phidias.

Mit Hilfe eines Digitorials können sich Interessierte bereits vor dem Museumsbesuch mit den Schwerpunkten der Sonderausstellung vertraut machen und sich auf die „wirkmächtige“ Bilderwelt des antiken Athens einstimmen. Ein rund dreiminütiger Einführungsfilm ist im Untergeschoss des Liebieghauses zu sehen.

„Athen. Triumph der Bilder“, Liebieghaus Skulpturensammlung, bis 4. September 2016

Bildnachweis: Liebieghaus Skulpturensammlung

→ „Athen. Triumph der Bilder“ im Frankfurter Liebieghaus (2)


Comments are closed.