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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Bruegel in Brügge und in Brüssel

Die kleine Eiszeit und das ganze flämische Hexenwerk: Ein Bericht 

von Petra Kammann

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Wie Adern durchziehen die Grachten das flämische geschichtsträchtige Brügge. Heute erscheint die mittelalterliche Stadt als Idylle. Renommierte Maler wie Jan van Eyck und Hans Memling ließen sich hier nieder und prägten im 15. Jahrhundert das Bild vom Goldenen Zeitalter; Foto: Petra Kammann

Mittelalterliche Gebäude säumen den Weg bei einem Spaziergang durch die von Kanälen durchzogene flämische Stadt Brügge, deren Stadtkern seit 2000 zum UNESCO Weltkulturerbe gehört mit seinen historischen Kirchen, der Burg, den Museen mit den sogenannten flämischen Primitiven, dem stattlichen Belfried und den romantischen Grachten, welche das Bild der Innenstadt prägen. Dennoch ging es nicht immer ganz so romantisch zu in den vergangenen Zeiten, die uns heute so nostalgisch stimmen. Auch in Brügge scheinen sich vor gut 450 Jahren schon Hexen, mysteriöse „böse“ Wesen getroffen zu haben, um gemeinsam mit dem Teufel den Sabbat zu feiern, zum Beispiel in der Nähe der Jerusalemskirche bei der Herberge „De Zwarte kat“ (Zur schwarzen Katze) …

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↑ Das Sint-Jansspital in Brügge – einst Spital, heute der Ort für besondere Ausstellungen
↓ Aufgang zur Hexen-Ausstellung;
Fotos: Petra Kammann

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Wenn wir heute an Hexen denken, so haben wir meist ein bestimmtes Bild vor Augen. Es scheint von der schwarzen Magierin, eher noch von Otfried Preußlers idyllischem Kinderbuch-Weltbestseller der 1950er Jahre „Die kleine Hexe“ geprägt zu sein, die mit ihrem Raben Abraxas in einem kleinen windschiefen Häuschen im Wald lebt und deren sehnlichster Wunsch es ist, mit den großen Hexen auf dem Blocksberg herumfliegen zu dürfen, und das, obwohl sie eine gute Hexe ist. Auf dem Titelbild des Kinderklassikers reitet sie aber auch auf einem Besen durch die Nacht: ein Bild, das in die Geschichte der Hexendarstellung eingegangen ist. Traditionell wurden Hexen aber als hässlich und böse angesehen. Welches Kind kennt nicht auch das Märchen von „Hänsel und Gretel“? Das Böse der Hexe, das ließ sich auch in etlichen Illustrationen an dem brodelnden Kochtopf, in dem Gift beigemischt ist, am Besen und an der schwarzen Katze erkennen.

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Ort der Hexenausstellung: das Sint-Jansspital in Brügge, hier Blick in die Dauerausstellung; Foto: Petra Kammann

Eine Ausstellung „De Heksen van Bruegel“ in Brügge, die bereits Anfang des Jahres im Utrechter Museum Catharijneconvent zu sehen war, erforscht nun die Entstehung des Hexenbildes in Europa und kommt zu dem Schluss, dass die erste Darstellung einer Hexe, die auf dem Besen durch den Schornstein nach draußen fliegt, während im Kamin ein großer Hexenkessel vor sich hin brodelt, Pieter Bruegels Kupferstich „Jakob beim Zauberer“ aus dem Jahre 1565 war.

Grundlage dieser ikonografischen Forschung war die Doktorarbeit der niederländischen Kunsthistorikerin Renilde Vervoort, die systematisch Hexendarstellungen in den Niederlanden und in Flandern unter dem Titel „Vrouwen op den besem en derghelijck ghespoock“ („Frauen auf dem Besen und ähnlicher Spuk“) zwischen 1450 und 1700 untersucht hat. Ihre Ergebnisse boten dann die Grundlage zur kuriosen wie aktuellen Ausstellung „Bruegels Hexen“, die bis zum 26. Juni 2016 im 800 Jahre alten ehrwürdigen Sint-Janshospitaal in Brügge, wo einst Pilger, Reisende und Kranke von Nonnen und Mönchen versorgt worden waren, zu sehen ist. Es gilt als das erste öffentliche Krankenhaus der Neuzeit, wurde im 12. Jahrhundert gestiftet und noch bis 1978 als Krankenhaus genutzt. Heute kann man in dem Museum in den ehemaligen Krankensälen ebenso über die medizinischen Archivstücke und Folterinstrumente staunen wie über den zauberhaften Ursula-Schrein oder die sechs Werke von Hans Memling, die er der Legende nach dort gelassen hat, nachdem man ihn persönlich bestens gepflegt hatte.

In den oberen Räumen, dem Speicher des Spitals mit dem beeindruckenden Dachgestühl, ist nun die genannte Hexen-Ausstellung im Dunkeln fast so inszeniert, dass es den heutigen Besucher ein wenig gruselt und ängstigt: okkulte Zeichen auf dem Boden, magische Pfeifen aus Rattenfuß und Voodoo-Puppen in Vitrinen, aufgehängte Hexenbesen oder eine Wandtapete, die eine Hexenverbrennung vorspiegelt. Mit einer fünfarmigen Kerze als Orientierungsmittel in der Hand versucht man, in den verdunkelten Räumen dem Unerklärbaren auf die Spur zu kommen.

Neben der Sammlung besonderer Hexendarstellungen, darunter die maßgeblichen Stiche von Pieter Bruegel, bekommt man außerdem auch einen lebendigen Einblick in das Alltagsleben der Niederlande der damaligen Zeit inklusive der entsprechenden Folterinstrumente wie Pranger oder zum Beispiel eine mit Nadeln durchstochene Wachspuppe, ein Wachsherz oder Wahrsagescheiben zur Vorhersage der Zukunft oder einer Katze mit einem Phallus im Maul.

In Traktaten und Handbüchern beschrieben Gelehrte die Maleficia, die bösartigen Verzauberungen, um Menschen, Tieren und Pflanzen Schäden zuzufügen, und die nächtlichen Versammlungen (Sabbats) der Hexen. Zu deren vermeintlichen Untaten gehörte das Töten von Säuglingen, die Vernichtung von Ernten und das Erzeugen von Unwetter. Zum Schutz trugen die Menschen Amulette und Talismane. Von all dem bekommt man einen sinnlichen Eindruck in Brügge.

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Druck nach Pieter Bruegel dem Älteren „Sankt Jakob beim Zauberer“, 1565, das sonst im Rijksmuseum Amsterdam zu sehen ist; Bildnachweis: Sint-Jansspital Brügge

Der flämische Meister Pieter Bruegel dem Älteren (1526/30-1569) war es aber, der dezidiert das bis heute gängige Bild der Hexe auf dem Besen schuf. Mit nur zwei Kupferstichen setzte er mit seinen Illustrationen Maßstäbe, die mit seiner Darstellung „Jakob beim Zauberer“ und „Jakob und der Fall des Zauberers“ (1565) viel Nachahmung in der flämischen Malerei fanden.

Im Mittelpunkt steht die Legende vom Jakob, der den abtrünnigen Zauberer Hermogenes bekehren möchte. Das Böse wird durch die nur zu gut bekannten, an Hieronymus Bosch erinnernden Monster und Kreaturen dargestellt, erstmals aber eben auch durch Hexen. Eine reitet auf dem Besen und fliegt durch den Schornstein, während auf dem Feuer der Zaubertrank im Kessel brodelt und die Katze ganz in der Nähe ist. Alle bekannten Kennzeichen, vom Besen über Zaubertrank und Kamin bis zur schwarzen Katze, sind da bereits versammelt.

Mehr als 150 aus der Zeit erhalten gebliebene Darstellungen von Hexen sind in Brügge zu sehen, darunter auch seltene Archivstücke und detaillierte Sabbatszenen von Frans Francken oder David Teniers dem Jüngeren. Die Entstehung steht natürlich im Zusammenhang mit den Hexenverfolgungen und den Prozessen, die um 1430 stattfanden.

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David Teniers der Jüngere, Hexenszene, um 1635, Privatsammlung Brüssel; Bildnachweis: Sint-Jansspital Brügge

Teniers umgibt seine mit Sturmfrisur schlecht getarnte Hexe mit einem Kranz aus giftigen Pflanzen, Pilzen und teuflischen Wesen. Am Herd in einem Hexenkessel bereitet sie Zaubermittel zu, womit sie anschließend ihr Unwesen treibt.

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David Teniers der Jüngere, Auf zum Sabbat, ca. 1640-1650, © Gemäldegalerie der Akademie der bildenden Künste, Wien

Wie mag es wohl zu dieser Darstellung gekommen sein? War es das verheerende Klima – die plötzliche Kältewelle, die „kleine Eiszeit“ – , welche Europa hart getroffen hatte, welche Menschen und Tiere vor Kälte sterben ließ? Hagelstürme hatten damals die Ernten zerstört und die Schneeschmelze wiederum verheerende Überschwemmungen verursacht und die Menschen in die Armut getrieben. So verlangten die Missernten und Hungersnöte nach einer plausiblen Erklärung und Schuldzuweisung bzw. auch nach einem Sündenbock. Da die Ursachen für die apokalyptischen Katastrophen so nicht auszumachen waren, konnte also nur Zauberei im Spiel sein. So schob man sie den Hexen in die Schuhe.

Es ist anzunehmen, dass Bruegel von seinem Auftraggeber genaue Vorschriften aus Büchern über die Hexerei bekam, sodass er seine Bilder mit den Details schmücken konnte, die damals die Zeitgenossen verstanden, wie etwa die „Main de gloire“, die fünfarmige Kerze, die aus der Hand eines Gehenkten gefertigt wurde und auf dem Kamin brennt, durch den die Hexe davonfliegen will. Deshalb wohl werden in der Schau die Besucher mit elektronisch gespeisten „Kerzen“ in der Hand ausgestattet, mithilfe derer sie die mythischen Hexenwelten erforschen sollen.

Das Hexenbild, so wie es uns heute noch vertraut ist, war geboren. Die Hexe, der Inbegriff des so Anzüglichen wie Abstoßenden, wurde ein begehrtes Thema für die Künstler der Zeit. Die Bildsprache Bruegels, das Hexenbild, so wie es uns heute noch vielfältig übermittelt ist, wurde auch von anderen niederländischen und flämischen Meistern übernommen. So ist das Gemälde „Hexenküche“ von Cornelius Saftleven von 1650 – fast eine exakte Kopie des Bruegelschen Stichs. Andere Maler wie Frans Francken II. und David Teniers II. taten es ihm gleich, so dass sich im Laufe der folgenden Jahre die bildliche Darstellung eines Urmodells der Hexe verfestigen konnte: das von zaubernden Frauen, die mit Luzifer im Bunde stehen, am Sabbat fliegen und nachts den Teufel anbeten, indem sie einem Bock den Hintern küssen.

Diese ersten Abbildungen mit fliegenden Frauen und Männern finden sich auch in den seltenen Lehrbüchern über die Hexerei wieder. Als der Antwerpener Verleger Hieronymus Cock die Drucke Bruegels 1565 veröffentlichte, erlebten die Hexenverfolgungen in den Niederlanden einen schrecklichen Höhepunkt. In der Realität sollen bis 1780 europaweit 40.000 bis 60.000 Menschen dem Hexenwahn zum Opfer gefallen sein: Schließlich waren die Sündenböcke für die erlebten Katastrophen ausgemacht.

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Pieter Bruegel d. Ä., Flandrische Winterlandschaft, Königliche Museen für Schöne Künste Brüssel; Foto: Petra Kammann

Pieter Bruegel d. A. stellte ebenso die „Flandrische Winterlandschaft“ dar, wie bei einem Blick in den Brueghel-Saal in Brüssel zu entdecken. Dort in den Königlichen Museen für Schöne Künste wird außerdem gerade an einer digitalen 3D-Bruegel-Box gearbeitet, um international Bruegels Werk zusammenzuführen.

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Pieter Bruegel d. Ä., Winterlandschaft mit Eisläufern und Vogelfalle, 1564/65, Leihgabe des Museums Mayer van den Bergh, Antwerpen; Bildnachweis: Sint-Jansspital Brügge

Die Ausstellung ruft in Erinnerung, wie schnell und wie leicht Menschen diskriminiert, ausgegrenzt und abgestempelt werden konnten. Die Schau „Bruegels Hexen“ bleibt daher trotz ihres historisch begrenzten Themas aktuell. Während man in anderen europäischen Ländern des 16. Jahrhunderts wie im Italien unter den Medici noch den gehobenen Ständen von Adel und Kirche huldigte, konzentrierte man sich in Flandern auf Landschaften, Innenräume, Marktszenen oder feuchtfröhliche Dorffeste, wo die Verteufelung und Sensationslust an Sex, Lügen und maßloser Gewalt nahelagen, aus denen die wildesten Verschwörungstheorien und Denunziationen entstanden, die dann auch zu willkürlichen Hinrichtungen führten. Schließlich ließen sich die Schuldigen leicht ausmachen, wenn denn, wie es Bruegel in seiner Bildanleitung zur Hexenidentifikation vorführte, die schon erwähnte „main de gloire“ vorzugsweise bei den weiblichen Angeklagten gefunden wurde. Oder lesende Katzen, die Hans Baldung Grien 1514 als Mitglieder eines nackten Hexen-Quartetts porträtierte. Ein häufig eingesetzter Hinweis auf Hexenwerk war auch der Penis-Raub, er symbolisierte das angebliche Verlangen, Macht über den potenzlosen Mann zu gewinnen.

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Hans Baldung Grien, Hexensabbat, 1510, © Rijksmuseum Amsterdam

Insgesamt lässt sich diese Schau als Mahnung verstehen, nicht ungehemmt heutigen Ängsten und wirren Projektionen auf „das Andere“ freien Lauf zu lassen und nicht immer wieder für neue alte Formen der Stigmatisierung zu sorgen.

Während in Brügge gezeigt wird, welchen Einfluss Pieter Bruegel der Ältere auf unsere Hexen-Vorstellungen, auf Himmel und Hölle, Leben und Sterben hat, richteten die Königlichen Museen der Schönen Künste in Brüssel gemeinsam mit Google eine begehbare 3D-Bruegel-Box ein, in der das Bruegel-Gemälde „Der Fall der rebellischen Engel“ in tausende Dateien und eine Milliarde Pixel zerlegt und in 3D wieder zusammengesetzt wurde. Das Original – eine 117 Zentimeter hohe, 162 Zentimeter breite Holztafel, die Pieter Bruegel der Ältere 1562 gemalt hat – hängt ein Stockwerk höher im Bruegel-Saal. Es wurde ursprünglich Bosch zugeschrieben. Durch jahrelanges Detailstudium hat die Kunsthistorikerin Tine Luk Meganck herausgefunden, dass es sich hierbei nicht um Boschs Werk handeln konnte, da zwischen Bosch (1450-1516) und Bruegel (1529/30-1569) die Entdeckung der Neuen Welt lag. „Bruegel“, so die Kunsthistorikerin, „vermischte Fantasiewelten mit Natur, Hybrid- mit exotischen Lebewesen, die auf Expeditionen erbeutet und in Kuriositätenkabinetten ausgestellt wurden.“

Und als Fazit formuliert sie: „In seiner einzigartigen Art vermittelt Bruegel nach dem Vorbild von Leonardo da Vinci, Arcimboldo oder Rabelais die Faszination für die Metamorphose und den Wandel, die das 16. Jahrhundert prägten – und trotzdem zeitlos sind.“

Ausstellung „De Heksen van Bruegel“, Sint-Janshospitaal Brügge, bis 26. Juni 2016

 

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