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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Verena Billinger & Sebastian Schulz: „Unlikely Creatures (1)“ im Künstlerhaus Mousonturm

Doch die Feen sterben nicht
Choreographen-Kollektiv Billinger & Schulz zeigt in Frankfurt den ersten Teil seiner Trilogie „Unlikely Creatures“

Dietmar Zimmermann
berichtet von der Uraufführung im Forum Freies Theater Düsseldorf

Am Anfang sieht es aus, als übten sie noch. Aber am Anfang aller Tage, als Gott Himmel und Erde schuf, übte er vermutlich auch noch. Dann erschuf er die merkwürdigsten Lebewesen – und am Ende warf er die Menschen aus dem Paradies. Auch die fünf Performer von Billinger & Schulz erschaffen nach und nach die seltsamsten Kreaturen. Aber am Ende landen sie im Paradies. An einem traumschönen Zauberort jedenfalls, im Lustgarten des William Shakespeare oder im Märchenwald unserer Kindheit. Eher linkische Tanzbewegungen stehen am Anfang der Performance. Am Anfang machen die Jungs und Mädels unbeholfene Tanzbewegungen, doch bald lassen sie die Erdenschwere hinter sich. Sie werden zu Feen und Monstern – und zu Automatenmenschen. Sie zitieren Elemente des Tanzes aus allen möglichen Epochen und spielen ausgiebig mit der erotischen Wirkung ihrer Kunst. Und bleiben doch: sie selbst, die Tänzer. Denn eines ihrer Anliegen ist es, mit ihren „Unlikely Creatures“ auch die Geschichte der Kunstgattung Tanz auf die Bühne zu bringen.

Am Anfang: sehen wir Trockenübungen. Ballettausbildung, 1. Lektion. Mal ohne Musik, mal mit. Dann Männer im Gleichschritt – immerhin ein Einstieg in das Wesen der Choreographie. Judith Wilhelm beginnt zu tanzen, zu ersten Beats, zu elektronischer Musik. Langsam tastet sich die Aufführung voran auf dem Weg zu zeitgenössischem Tanz. Mimik und Bewegungsablauf wirken feierlich ernst. Wieviel Ironie mag in diesen Bewegungen liegen, wieviel ernst gemeintes Pathos? Kurz scheint eine Buddha-Figur auf der Bühne zu sitzen; dann kostümiert sich Jungyun Bae als Manga-Mädchen. Noch ließe sich an normale Verkleidungen denken oder, wenn die Tänzer sich zu einem Akrobatik-Ensemble formieren, an einen Zirkus. Doch mit zunehmender Dauer des Abends werden die Figuren immer phantastischer, immer rätselhafter, immer weltabgewandter. Gleichzeitig wirken die Tänze immer professioneller. Es ist ja wahr: Tänzerinnen und Tänzer auf der Höhe ihres Könnens sind ja auch irgendwie „Unlikely Creatures“.

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Nicolas Niot und Judith Wilhelm in „Unlikely Creatures (1)“, Fotos Künstlerhaus Mousonturm © Florian Krauß

Zigmal werden sie sich umkleiden auf der Bühne. Rechts und links liegen die Kleider, in die sie schlüpfen, während andere gerade ihren performativen oder tänzerischen Auftritt haben. Vorn finden sie Farbtöpfe, mit denen sie zunächst einzelne Körperteile, später ihre gesamte nackte Gestalt färben. Statuen, versteinerte Schönheiten drehen sich wie auf einem rotierenden Podest, auf dass man sie von allen Seiten bewundern kann. Später treten Fabelwesen auf: Trolle, Geister und Kobolde, Feen, Faune und Elfen, Nymphen und kleine Monster. Ariel und Caliban lassen sich assoziieren, all die anderen dienstbaren Geister des Inselherrschers Prospero, auch Puck und seine „fairies“ aus dem „Sommernachtstraum“. Ludvig Daae färbt sich am gesamten Körper tiefschwarz und führt mit einem hübschen, charismatischen schwarzen Kobold jede Blackfacing-Debatte ad absurdum; Figuren mit um den nackten Körper gewundenen Lichterketten schaffen beim Tanz magische Effekte. Nicolas Niot ruckt als geheimnisvoller, bunt beschmierter König des Waldes durch die Szene, während Judith Wilhelm eine schlanke, zarte grüne Fee abgibt. Ein wunderhübsches Geschöpf, aber wer weiß: vielleicht ist sie ja auch die Tochter des Dovre-Alten, des Trollkönigs aus Ibsens/Griegs „Peer Gynt“, und wir sollten uns besser fernhalten von der verführerischen Grünen. Zuckende Automatenmenschen ruckeln über die Bühne – nicht alle sind Geschöpfe einer harmonischen Zauberwelt, manche mögen auch in ihrem so fremd (in manchen Fällen auch miss-)gestalteten Körper gefangen sein und auf den einen oder anderen Zuschauer gruselig wirken.

Gern lassen wir uns mitnehmen in diese geheimnisvolle Welt, die zumeist fröhlich und harmonisch wirkt und wunderschöne Bilder schafft. In diesem Märchenwald könnten wir vielleicht den Ängsten und Sorgen unseres Alltags entrinnen; vielleicht müssten wir aber auch zunächst ähnlich gefährliche Abenteuer bestehen wie Alice im Wunderland.

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„Unlikely Creatures (1)“, Foto Künstlerhaus Mousonturm © Florian Krauß

Wer sind wir“ und „Was ist normal“, wollen Billinger und Schulz in diesem ersten Teil ihrer Performance-Reihe „Unlikely Creatures“ fragen, und: „Warum geht der Mensch nie ganz in seinem Bild auf?“ Tatsächlich, die üblichen Regeln für den Menschenpark gelten in dieser Welt nicht, so wenig wie bei Lewis Carrolls „Alice“. Aber die Regeln für den Tanz – sie werden in herausragender Weise beachtet: Mit außerordentlicher Präzision bewegen sich die fünf Performer im Rhythmus der Musik, die vor allem aus Beats und Elektropop besteht, aber auch einmal Anklänge an afrikanische Trommelrhythmen hören lässt. Doch so wie die Schönheit der Bilder immer wieder gebrochen wird, unterbrechen Störgeräusche wieder und wieder die Musik. Getanzt wird viel an diesem Abend, was bei zeitgenössischen Tanz-Performances ja keineswegs mehr erwartet werden darf. Kostümbildnerin Caroline Creutzburg, die wohl auch für die Bodypaintings verantwortlich zeichnet, schöpft die ganze Bandbreite ihrer Kunst aus: Sie steckt die Performer mal (selten) in züchtige Kleidchen, mal zitiert sie Transgender-Motive, und immer wieder stellt sie durchaus provokativ die Nacktheit der Körper aus, bevor die Tänzer sich mit den hübschen poppigen Signalfarben bemalen.

Verena Billinger und Sebastian Schulz gelten als eines der vielversprechendsten und innovativsten Choreographen-Kollektive Deutschlands. Oft geht es provokant und sogar gewalttätig in ihren Tanz-Installationen zu. Mit dem ersten Teil von „Unlikely Creatures“ haben sie jedoch wieder ihre romantische Seele entdeckt und vorwiegend schöne Bilder geschaffen, ohne jemals in den Kitsch zu verfallen. Gespannt warten wir auf die Fortsetzung der Reihe.

Billinger & Schulz zeigt den ersten Teil der Trilogie „Unlikely Creatures“, Künstlerhaus Mousonturm, Frankfurt, 22. und 23. April 2016 jeweils 20 Uhr; am 23. April: 19 Uhr „Warm up“ und Künstlergespräch im Anschluss an die Aufführung

 

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