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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Die Grosse Orgel in der Friedenskirche zu Schweidnitz/Świdnica

Ein Juwel erhält seine Stimme zurück

Von Erhard Metz

Im Jahr 2001 wurde die Friedenskirche in Schweidnitz/Świdnica (wie auch die Friedenskirche in Jauer/Jawor) als Kulturdenkmal zum UNESCO-Welterbe erhoben – und mit ihr auch deren Grosse Orgel.

Kirchenorgeln haben ihre Geschichte: Die erste Orgel in der 1655 erbauten Friedenskirche wurde in den Jahren 1666 bis 1669 von Christoph Klose aus Brieg/Brzeg errichtet. Bereits gut 100 Jahre später, von 1776 bis 1784, wurde sie durch ein neues Instrument von Peter Zeitzius aus Frankenstein/Zabkowice Ślaskie ersetzt. Von diesem Instrument blieb bis heute der prächtige hochbarocke Prospekt erhalten, das Orgelwerk wurde indes 1880 bis 1882 von der schlesischen Orgelbauwerkstatt der Brüder Johann Karl und Heinrich Schlag erneuert.  In den Jahren 1909 bis 1912 schliesslich wurde es von der unter dem Namen Schlag & Söhne fortgeführten Orgelwerkstatt generalüberholt, die sich zur bedeutendsten schlesischen Orgelbaufirma entwickelt hatte und bis 1923 existierte. Das Werk hinter dem historischen Prospekt verfügt seitdem über 60 Register, verteilt auf drei Manuale und Pedal. Eine Aufstellung der Register findet man bei „Pipe Organ Taxonomy“ von João Valério. Seit mehr als zehn Jahren nun setzt sich der Musik- und Orgelliebhaber Jürgen Schlag, Enkel des letzten Geschäftsführers dieser Firma, vormals Tonmeister und Technischer Leiter der Fachhochschule für Fernsehfachkräfte in Berlin, in unermüdlichem Wirken für die Restaurierung des seit längerem nicht mehr spielbaren Instruments ein.

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↑ „Orgel in Not“: der fantastisch restaurierte Orgelprospekt – aber im Sommer 2015 noch ohne Werk und Pfeifen (Foto: Erhard Metz)
↓ So soll die Orgel im Sommer 2016 wieder aussehen und erklingen (Bildnachweis: wikimedia commons / Barbara Maliszewska / CC)

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Ein Kuratorium beauftragte die renommierte Orgelwerkstatt Christian Scheffler in Sieversdorf mit den notwendigen Arbeiten – das Unternehmen restaurierte bereits unter anderem die Orgeln der Leipziger Thomaskirche und des Bremer Doms. Ermöglicht wurde die Renovierung des Gesamtkomplexes Friedenskirche Schweidnitz einschliesslich der Orgel durch eine Förderung des Norwegischen Kulturfonds für den Erhalt herausragenden Kulturdenkmäler in Europa, der 85 Prozent der Gesamtkosten von rund 3,8 Millionen Euro übernimmt. Namhafte Zuschüsse leisten ergänzend die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien sowie die Deutsche Stiftung Denkmalschutz. Auf die Restaurierung allein der Orgel entfallen rund 850.000 Euro.

Auf das Beste renoviert wurde bereits der wunderbare Orgelprospekt – wie bereits erwähnt aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Auch die Wiederherstellung des Orgelwerks macht grosse Fortschritte. Nach Ausbau, Reinigung und teilweiser Erneuerung der über 3.500 Labial- und Lingualpfeifen sowie des Regier- und des Windwerks befindet sich bereits das Regierwerk mit dem Spieltisch wieder am angestammten Platz. Als eine besondere Herausforderung gestalteten sich Transport und Aufstellung des wiederhergestellten, knapp 1 Tonne schweren Spieltischs auf der Orgelempore. Nach dem bevorstehenden Einbau des Windwerks und der Pfeifen muß das Instrument in einem viele Wochen umfassenden Prozess intoniert werden, das heisst jede einzelne Pfeife muß an Ort und Stelle im Kirchenraum mit Spezialwerkzeugen auf einen optimalen Klang hin bearbeitet werden – eine Mammutaufgabe, wenn man bedenkt, das der Klang einer Orgelpfeife von etwa 50 Parametern bestimmt wird.

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Der auseinandergebaute Spieltisch in der Orgelwerkstatt Christian Scheffler (Foto: Jürgen Schlag)

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Ein Teil des oberen Manuals, noch fehlen die Tasten, und die historischen Armaturen des Spieltischs. Ein Kalkant (Balgtreter) wird heute nicht mehr benötigt, denn der Orgelwind wird maschinell erzeugt.
Fotos: Jürgen Schlag

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↑↓ Abenteuerlich und schwierig: der fast 1 Tonne schwere Spieltisch wird über die kostbare Balustrade der Orgelempore an seinen Platz gehievt (Fotos: Jürgen Schlag)

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Eine Augenweide für den Betrachter und eine Herausforderung für den Organisten: der restaurierte Spieltisch, noch fehlt das Pedal (Foto: Jürgen Schlag)

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Die ausgebauten Labialpfeifen (Lippenpfeifen) des Orgelprospekts vor ihrem Transport in die Werkstatt, unten Lingualpfeifen (Zungenpfeifen), die beiden rechten sind bereits nach Entfernung des Grünspans restauriert (Fotos: Jürgen Schlag)

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Die Prospektengel verfügen zum Teil über bewegliche Arme, die jeweils eine „echte“ kleine Pauke und vier Glocken anschlagen. Auch sie werden liebevoll funktionsfähig restauriert.

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↑ Jeweils ganz oben links und rechts im Orgelprospekt: zwei der Engelchen blasen bereits Horn und Trompete, der mittlere wartet noch auf seine Pauke. Die vier unteren Engelchen schwingen Glöckchen (Foto: FeuilletonFrankfurt)
↓ Hier sind die aus der Barockzeit überkommenen Pauken, ca. 60 cm im Durchmesser, Kupferkessel, Fell und Stimmschrauben handwerklich aufs Feinste aufgearbeitet (Foto: Jürgen Schlag)

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Die Grosse Orgel der Schweidnitzer Friedenskirche zählt von ihrem Klangspektrum her zu den „romantischen“ Orgeln und ist in hervorragender Weise für die Orgelliteratur des 19. Jahrhunderts geeignet. Bis die Orgel im Eröffnungskonzert – es ist für den Sommer 2016, eventuell zeitlich noch vor dem diesjährigen traditionellen Bach-Festival Schweidnitz vorgesehen – erklingen kann, ist noch ein gutes Stück Weg zu gehen. Ebenso bedarf es dazu weiterer Zuwendungen und Spenden.

Neben den bereits genannten grosszügigen finanziellen Förderungen des Norwegischen Kulturfonds, der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien sowie der Deutschen Stiftung Denkmalschutz haben sich bereits manche Orgelliebhaber mit grösseren oder kleineren Spenden an dem Projekt engagiert. Mit dazu bei trägt eine Reihe von deutschlandweit veranstalteten Benefiz-Konzerten, die der Frankfurter Kulturförderer Jobst-Babo Graf Harrach, Vorstandsmitglied im Förderverein der Evangelischen Akademie in Hessen und Nassau, in Zusammenarbeit mit Jürgen Schlag und gegebenenfalls Dritten zugunsten der Restaurierung der Orgel organisiert. Derartige Konzerte fanden im Rhein-Main-Gebiet bereits in der Frankfurter Dreikönigskirche, in der Pauluskirche in Darmstadt sowie in der Schlosskirche in Bad Homburg statt.

Das am 17. April 2016 bevorstehende Benefiz-Konzert in der St. Katharinen-Kirche in Frankfurt verspricht ein neuerlicher Höhepunkt zu werden. Der bekannte Organist an St. Katharinen Martin Lücker, Professor für Orgel an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt, spielt Orgelmusik aus Barock und Romantik. Felix von Manteuffel vom Schauspiel Frankfurt liest dazu Lyrik und Prosa schlesischer Dichter.

Weitere Benefiz-Konzerte im Rhein-Main-Gebiet sind für den 24. Juni in der Mannheimer Friedenskirche und den 11. September 2016 in der Erlöserkirche Bad Homburg geplant.

„Wo Du Leben uns versprochen“, Orgelmusik aus Barock und Romantik (Professor Martin Lücker, Orgel) sowie Lyrik und Prosa schlesischer Dichter (Felix von Manteuffel, Rezitation), St. Katharinen-Kirche Frankfurt am Main, Sonntag, 17. April 2016, 18 Uhr (Eintritt 15 Euro, ermässigt 12 Euro)

→ (mit vielen weiteren Links) Die Friedenskirche in Swidnica (Schweidnitz)

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