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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Radamisto“ von Georg Friedrich Händel an der Oper Frankfurt

Schwierige Familienkonstellationen,
unauflösbare Abhängigkeiten wie in einem Spinnennetz,
Tyrannenherrschaft

Von Renate Feyerbacher
Fotos: Barbara Aumüller/Oper Frankfurt

Mit tobendem Beifall, unterstützt durch trampelnde Füsse, endete der Premierenabend von „Radamisto“ am vergangenen Sonntag im Bockenheimer Depot. Händels zweite Fassung (es gab davon vier, den Sängerinnen und Sängern geschuldet), die 1720 in London uraufgeführt wurde, liegt der Frankfurter Inszenierung zugrunde.

Dicht gedrängt sitzen die Musiker des Opern- und Museumsorchesters zwischen Bühne und Publikum und spielen 18 Streichinstrumente, 2 Barockflöten, 2 Barockoboen, 1 Barockfagott, 2 Naturhörner, 2 Barocktrompeten und 2 Cembali. Im Bockenheimer Depot lässt sich ihr Musizieren beobachten und nachvollziehen. Die Leitung hat der Italiener Simone Di Felice, der in der letzten Spielzeit sein Debüt bei der Oper „L’incoronazione di Poppea“ hatte. Er dirigiert stehend vom Cembalo aus und unterstützt die Spezialisten Andreas Küppers (Cembalo), Johannes Osterlee (Violoncello) und Toshinori Ozaki (Laute) beim Basso Continuo. Mit Darmsaiten und Barockbögen sind die Streichinstrumente ausgestattet. Es sind Gäste des Orchesters, die die ventillosen Naturhörner, die ebenso ventillosen Barocktrompeten, die Barockoboen und das Barockfagott erklingen lassen, denn sie sind gänzlich anders zu bedienen als die modernen Instrumente. Zum ersten Mal hat Georg Friedrich Händel (1685-1759) im Theater Hörner eingesetzt: in der Arie „Alzo al volo mia fama“ (Ich erhebe mich auf die Höhe meines Ruhms) des Tyrannen Tiridates, den auch die Trompeten herrschaftlich begleiten.

Händels „Radamisto“, die erste erfolgreiche Oper in der neugegründeten Londoner Opernakademie: Sie gehört zweifellos zu seinen bedeutendsten. Musik und Handlung sind konzentriert und spannend. Händel wollte ein Fest von sieben Stimmen, die alle zum Zuge kommen: Radamisto, Sohn von Farasmane, König von Thrakien, und seine Schwester Polinessa, verheiratet mit Tiridate, der sie loswerden will, sowie Radamistos Frau Zenobia. Tiridate, tyrannischer König von Armenien, führt Krieg gegen Thrakien, um Zenobia, seine Schwägerin, zu besitzen. Tigrane, Verbündeter des Diktators, und Fraarte, sein Bruder, mischen kräftig mit, sowohl in Liebesdingen als auch in Kriegshandlungen. Gedanken an den Krieg zwischen Griechen und Trojanern wegen Helena kommen auf. Die Geschichte soll sich 53 n.Chr. abgespielt haben, wurde dann von einem Franzosen im 17. Jahrhundert in eine Tragikomödie gefasst und von Nicola Francesco Haym, Cellist, Komponist und Librettist, zum Libretto umgearbeitet. Ausser Polinessa sind die Figuren historisch. Ziemlich verwirrend die Geschichte, die dank schlüssiger Obertitel – es wird italienisch gesungen – aber gut zu verstehen ist. Es gibt Arien voller Emotionen, voll tragischem Pathos, voll Wut, dennoch haben die langsamen, pathetischen Arien grosses Gewicht und bleiben im Gedächtnis.

RADAMISTO | Georg Friedrich Händel | Premiere 03.04.2016 | Oper Frankfurt Musikalische Leitung Simone Di Felice Regie Tilmann Köhler Bühnenbild Karoly Risz Kostüme Susanne Uhl Licht Joachim Klein Video Bibi Abel Dramaturgie Zsolt Horpácsy Radamisto Dmitry Egorov Zenobia Gaëlle Arquez Polissena Paula Murrihy Tiridate Kihwan Sim Tigrane Danae Kontora* Fraarte Vince Yi Farasmane Thomas Faulkner* Frankfurter Opern- und Museumsorchester *Mitglied des Opernstudio

Kihwan Sim (Tiridate) und Gaëlle Arquez (Zenobia), Foto © Barbara Aumüller

Schön ist im Bockenheimer Depot immer wieder die Einbeziehung des Raums, sogar des Zuschauerraums. So lässt der Regisseur die verzweifelte Zenobia bis etwa zur 12. Reihe die hohen Stufen empor eilen, um das Publikum an ihrer Wut und Verzweiflung teilhaben zu lassen. Die Bühne selbst ist eine einzige grosse, helle Treppe, an die Azteken-Tempel erinnernd, wo Menschen geopfert wurden. Die Rückwand ist ebenso hell und glatt aus Holz, vorzüglich geeignet für die Videos von Bibi Abel. Sie zeigen Horrorbilder von Zerstörung und Flucht in Syrien. Sie begleiten die von Händel auch politisch gemeinte Handlung. „In diesem sich austarierenden Verhältnis von Affekten, Leidenschaften, kontrollierender Vernunft und politischer Verantwortung liegt in Händels Opern die Hoffnung auf Aufklärung – Aufklärung der Herrschenden über sich selbst, Aufklärung aber auch eines Publikums über die allgemeinen wie individuellen Bedingungen der Möglichkeit eines aufgeklärten Monarchen und eine aufgeklärten Regierung“ (Zitat aus dem Programmheft-Beitrag des Politikwissenschaftlers und Opernkenners Udo Bermbach „Lieto fine?“ – Das frohe Ende -). Letzterem misstraut die Inszenierung jedoch, indem sie den Tyrannen Tiridate, scheinbar zu einem guten Menschen mutiert, allen die Kehle durchschneiden lässt. Das Video-Blut ergiesst sich über die Treppe. Aber das Finale-Quartett der vier Hauptakteure, einmalig in Händels Opern, wird dennoch danach gesungen. Also doch Ende gut – alles gut, so wie es der englische Hof verlangte.

RADAMISTO | Georg Friedrich Händel | Premiere 03.04.2016 | Oper Frankfurt Musikalische Leitung Simone Di Felice Regie Tilmann Köhler Bühnenbild Karoly Risz Kostüme Susanne Uhl Licht Joachim Klein Video Bibi Abel Dramaturgie Zsolt Horpácsy Radamisto Dmitry Egorov Zenobia Gaëlle Arquez Polissena Paula Murrihy Tiridate Kihwan Sim Tigrane Danae Kontora* Fraarte Vince Yi Farasmane Thomas Faulkner* Frankfurter Opern- und Museumsorchester *Mitglied des Opernstudio

Kihwan Sim (Tiridate) und Paula Murrihy (Polissena), Foto © Barbara Aumüller

Die Inszenierung, die Regisseur Tilman Köhler, Hausregisseur am Staatsschauspiel Dresden, der an der Frankfurter Oper 2013 mit „Teseo“ debütierte, und sein Team, der Bühnenbildner Karoly Risz und die Kostümbildnerin Susanne Uhl, geschaffen haben, fasziniert von Anfang bis Ende. Lichtkünstler Joachim Klein begeistert wieder durch Schattenspiele.

Köhler verlangt auch schauspielerisch viel von seinen Protagonisten. Zenobia stürzt sich in suizidaler Absicht von der Bühne in den Fluss, wird aber gerettet, wird mehrfach zu Boden geworfen ebenso wie Polinessa, recht brutal sieht es aus. König Farasmane, gefesselt zu Boden gezwungen, trägt Kapuze über dem Gesicht wie bei den Gefangenen von Guantánomo. Sie eilen alle unglaublich schnell die Treppenstufen hinauf und herunter. Sie singen im Liegen die eindrucksvollsten Arien. Dieses Auf und Ab im Geschehen, dieses Hin und Her im Handeln der Personen ist Köhler meisterhaft gelungen.

Musikalischer Höhepunkt der Oper ist Radamistos Totenklage über den vermeintlichen Tod der Gattin „Ombra cara di mia sposa“. In ihr trug der Komponist alle musikalischen Momente für Klage und Trauer zusammen, und das in f-moll, chromatisch auf- und absteigend. Der Russe Dmitry Egorov als Radamisto – eine Wucht! Endlich konnte er, der schon einige kleinere Countertenor-Rollen an der Oper Frankfurt sang, sein wahres Können beweisen.

Seine Stärke sei die Mittellage, hatte er in Oper extra gesagt, aber genauso grossartig und makellos ist seine Höhe. Für diese Rolle habe er einen Auftrag an der Staatsoper Berlin abgelehnt, erzählte er nach der Premiere. Dieser sympathische Mensch schwärmte auch von seinen Bienenstöcken, die derzeit ein Freund betreut. Eine menschlich-schöne Begegnung.

RADAMISTO | Georg Friedrich Händel | Premiere 03.04.2016 | Oper Frankfurt Musikalische Leitung Simone Di Felice Regie Tilmann Köhler Bühnenbild Karoly Risz Kostüme Susanne Uhl Licht Joachim Klein Video Bibi Abel Dramaturgie Zsolt Horpácsy Radamisto Dmitry Egorov Zenobia Gaëlle Arquez Polissena Paula Murrihy Tiridate Kihwan Sim Tigrane Danae Kontora* Fraarte Vince Yi Farasmane Thomas Faulkner* Frankfurter Opern- und Museumsorchester *Mitglied des Opernstudio

Gaëlle Arquez (Zenobia) und Dmitry Egorov (Radamisto), Foto © Barbara Aumüller

Die französische Mezzosopranistin Gaëlle Arquez, die vor drei Jahren ihr Debüt in Händels „Teseo“ an der Oper Frankfurt gab, schöpft als Zenobia, Gattin Radamistos, alle stimmlichen Möglichkeiten von Liebe, Verzweiflung und Wut beeindruckend aus. Paula Murrihy, nun seit sieben Jahren beim Ensemble, singt Polinessa, die zunächst duldende Ehefrau des Tyrannen Tiridate, entwickelt aber dann einen Hass gegen den verbrecherischen Ehegatten, der ihren Bruder und Vater töten will. In ihrem Hassgesang zieht sie alle Register ihrer Stimme.

Der gebürtige Koreaner Kihwan Sim, auch Ensemblemitglied, der vor kurzem sein Debüt an der Metropolitan Opera New York hatte, ist ein eigenwilliger Tiridate. Locker sich bewegend, aber mit brutaler Attitüde schreitet er über die Bühne. Sein tief schwarzer Bass erreicht einen Höhepunkt im 3. Akt bei der Demonstration seiner Macht – spielend mit der Weltkugel, die er zerstört. Thomas Faulkner als sein Gegenspieler Farasmane, der König der Thraker, gefällt durch sonoren Bass. Danae Kontora als Tigrane und Vince Yi als Fraarte sind ein koloraturgeschultes Paar, das burlesk daher kommt.

Diese Aufführung sollte nicht verpasst werden. Gelegenheit dazu gibt es am 9., 10., 13., 15. und 17. April 2016

 

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