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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Mechanismen der Gewalt“: Arcangelo Sassolino und Regina José Galindo im Frankfurter Kunstverein

Von Erhard Metz

Schüsse und dumpfe Schläge dröhnen im Frankfurter Kunstverein, fast schmerzen die Ohren und man spürt das Gebäude erzittern. Es geht heftig zur Sache in der Doppelausstellung „Mechanismen der Gewalt“, kuratiert von Direktorin Franziska Nori und Co-Kurator Eugenio Viola vom Museo d’Arte Contemporanea Donnaregina in Neapel.

Im Souterrain und im Erdgeschoss sowie den beiden oberen Etagen werden gemeinsam Skulpturen und Installationen des italienischen Künstlers Arcangelo Sassolino sowie Arbeiten der guatemaltekischen Künstlerin Regina José Galindo gezeigt. Es geht Sassolino und Galindo um ein „Ausloten der Grenzen der Kunst und die Beschäftigung mit der Frage nach ihrer Rolle in unserer Gesellschaft. Sie verweigern sich dabei einer Reduktion auf einen rein symbolischen Raum und konfrontieren ihre konzeptionellen Ideen mit sozialen oder materiellen Realitäten. Während die Auswirkungen von physischer Gewalt und Machtverhältnissen auf den Körper, sowohl auf den individuellen als auch auf den sozialen, ein zentrales Thema der kompromisslosen Performancekunst von Galindo sind, werden die von Sassolino durch Kräfte bestimmt, die jederzeit ihr Gewaltpotential entladen können“, so der Kunstverein.

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„Afasia 2“, 2008, Ausstellungsansicht, Stahl, Stickstoff 250 Bar, 53 x 70 x 70 cm, Foto Erhard Metz, © Frankfurter Kunstverein, Courtesy Pietro Fiorentini

Beginnen wir mit Arcangelo Sassolino. Gleich in der Eingangsebene wird der Besucher mit einem gegenüber dem Lärm aus den oberen Etagen verdächtig stillen Gefäss konfrontiert, dem er sich instinktiv mit Skepsis und Vorsicht nähert. Die Lektüre des Wandtextes bestätigt ihn in dieser Haltung, herrscht in der 600 Kilogramm schweren, mit Stickstoff befüllten Stahlkapsel doch ein Druck von 250 bar (zum Vergleich: dem Hundertfachen etwa eines mit Luft aufgepumpten Autoreifens). Unwillkürlich tritt man ein paar Schritte zurück, denn was wäre, wenn … Nun, das Objekt sei, liest man weiter, von der EU durch eine Fachinstitution geprüft und für Ausstellungszwecke zugelassen worden. Hoffen wir ’s.

Nicht weniger beunruhigend dröhnen die dumpfen Schläge aus der ersten Etage ins Ohr. Dort schafft sich ein Ungetüm von Baggergreifer, seine sechs Klauen öffnend und schliessend, über den von ihm bereits reichlich geschundenen Boden, auf den er regelmässig krachend aufschlägt, um sich alsbald erneut zum zerstörerischen Tun zu erheben. Wem seine Füsse lieb sind, sollte dem Monster keinesfalls zu nahe kommen. Was, fragt man sich, geschieht nach Ausstellungsende mit dem malträtierten Fussboden?

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↑↓ „Untitled“, 2006/7, Ausstellungsansichten, Stahl und Hydraulikpumpe, geschlossen 95 x 100 x 100 cm, offen 60 x 195 x 195 cm, Fotos Erhard Metz, © Frankfurter Kunstverein, Courtesy Galleria Continua and Galerie Rolando Anselmi

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Vor lebensgefährlicher Annäherung an einen gewaltigen Schussapparat im Obergeschoss bewahrt den Besucher ein Stahlgitter. Empfindlicheren Gemütern wird angeraten, bereit hängende Ohrschützer anzulegen. Eine maschinengewehrähnliche Konstruktion – das Magazin befüllt mit grünen Glasflaschen – schiesst computergesteuert in unregelmässigen Abständen mit jeweils 30 bar Druck eine auf 900 Stundenkilometer beschleunigte Flasche auf eine Zielscheibe. Das Glas pulverisiert dort im Bruchteil einer Sekunde. Gewalt pur. Auch deren Folgen.

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„Afasia 1“, 2008, Ausstellungsansichten, Stahl, Glas, Stickstoff, Druckluftanlage, PLC Computer, 300 x 500 x 2200 cm, Fotos Erhard Metz, © Frankfurter Kunstverein, Courtesy Galleria Continua and Galerie Rolando Anselmi

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Im Vergleich zu den Glasflaschen nicht minder schlecht ergeht es auch einem Stapel von sechs stämmig dicken Holzbrettern. Die 800 Kilogramm schwere Skulptur samt hydraulischem Zylinder hängt an einem vergleichsweise dünnen Stahlseil, für dessen Belastungsfähigkeit der Künstler Arcangelo Sassolino keine Garantie übernimmt. Purgatory, erinnernd an das Purgatorium, das die Seele der „Hexen“ und anderer reinigende Fegefeuer, nennt er sein das Holz quälende Werk. Zug und Druck setzen das knarrende und ächzende Naturmaterial, gleich dem im Folterbett des Prokrustes Liegenden, zerstörenden Belastungen aus. Es kann sein, dass das Holz während der noch laufenden Ausstellung bricht.

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„Purgatory“, 2016, Ausstellungsansicht, Ölkolben, Stahl, Holz, Hydraulik, 360 x 400 x 35 cm, Foto Erhard metz, © Frankfurter Kunstverein, Courtesy Galleria Continua and Galerie Rolando Anselmi

Sassolinos Skulpturen stellten ihre eigenen Prinzipien in Frage, indem sie, so der Kunstverein, das Potenzial der eigenen Zerstörung implizierten. „Kontrolle und Unberechenbarkeit treffen sich in Sassolinos Arbeiten, so dass seine Grenzgänge die Gefahr beinhalten, dass die Situation jederzeit kollabieren kann, wenn die den Skulpturen innewohnenden Spannungen freigesetzt werden.“

Arcangelo Sassolino, 1967 in Vicenza geboren, stellte weltweit aus. Er lebt und arbeitet in seiner Heimatstadt.

Regina José Galindo, 1974 in Ciudad de Guatemala geboren, setzt in ihren Foto- und Videoarbeiten sowie ihren Performances ihren eigenen Körper und somit sich selbst in physisch und psychisch extrem belastenden Situationen ein. „Angst, Schmerz und Leid sind für den Betrachter in vielen ihrer Arbeiten spürbar und rufen ein Gefühl von Ohnmacht hervor … In deutlichen Bildern spricht sie existenzielle Grenzerfahrungen wie Gewalt und Macht, Leben und Tod sowie Verlust und Trauer an. Ein Schwerpunkt der politisch motivierten Kunst Galindos ist ihr Kampf für Frauen, die beginnend mit der gewaltsamen Phase des Bürgerkriegs in Guatemala Opfer von Gewaltverbrechen geworden sind“, so der Kunstverein.

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„Nadie atraviesa la región sin ensuciarse“, 2015, Foto Eddie Arroyo, © the artist, Courtesy the artist and prometeogallery di Ida Pisani, Milan / Lucca

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„Secreto de Estado“, 2016, Performance im Frankfurter Kunstverein 2016, Foto Neven Allgeier

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„Tierra“, 2013, Fotografie, 90 x 135 cm, © Foto Bertrand Huet, Courtesy the artist and prometeogallery di Ida Pisani, Milan / Lucca

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„Raíces“, 2015, Fotografie, © the artist, Courtesy the artist and prometeogallery di Ida Pisani, Milan / Lucca

Regina José Galindo lebt und arbeitet in ihrer Heimatstadt. In den Jahren 2001, 2005, 2009 und 2011 nahm sie an den Biennalen in Venedig teil. „2005 gewann ich“, schrieb sie, und wir können hier nicht umhin, die Künstlerin zu zitieren, „den Goldenen Löwen als beste Künstlerin unter 35 Jahren. 2007 verkaufte ich den Goldenen Löwen an den spanischen Künstler Santiago Sierra, der ihn wiederum an einen Sammler verkaufte. 2011 habe ich eine Kopie des Goldenen Löwen bei befreundeten Bildhauern, Angel und Fernando Poyón aus Guatemala, in Auftrag gegeben. Sie lieferten mir eine exakte Kopie, gegossen aus Bronze und überzogen mit guatemaltekischem Gold“.

Weltweit stellte Regina José Galindo aus, und weltweit sind ihre Arbeiten, die ganz unmittelbar aus sich heraus sprechen, in Sammlungen vertreten.

Wer in diese Ausstellung hinein geht, kommt als ein anderer wieder heraus. Arcangelo Sassolinos Skulpturen und Installationen bedrängen den Betrachter bis hart an die physische Schmerzgrenze, Regina José Galindos Arbeiten bis hart an die psychische. Gewalt ist bis heute die Sprache der Menschheit. Man mag dies in den ersten Jahren des 21. Jahrhunderts kaum mehr für möglich halten. Und doch ist es so. Eine bedrückende, schmerzende Erfahrung. Und was nun vermag die Kunst?

Arcangelo Sassolino und Regina José Galindo: „Mechanismen der Gewalt“, Frankfurter Kunstverein, bis 17. April 2016

Am 7. April 2016, 19 Uhr, findet eine Kuratorenführung mit Kunstvereins-Direktorin Franziska Nori statt, am 15. April, 19 Uhr, die Veranstaltung „Kriegsführung heute: Mechanismen der Gewalt im 21. Jahrhundert“, Professor Herfried Münkler im Gespräch mit Franziska Nori

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