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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Hanauer Landstraße 147“: Jens Nagels, Götz Sambale, Hannes Schüppach, Walter Vorjohann, Daliah Ziper

Gefüllte Leere – „Hanauer Landstraße 147“ bietet Raum für Skulpturen, Film und Fotografie

Von Hanneke Heinemann

„Besenrein“ hinterlassene Leerstände können ein Glück für Künstler sein. In der Hanauer Landstraße 147 gibt ein solcher einer Künstlerin und vier Künstlern die Gelegenheit, ihre qualitativ ansprechenden und starken Arbeiten zu den Themen Mensch, Gegenstand und Natur vorzustellen. Sie zeigen unterschiedliche Positionen, die sich auf spannende Weise ergänzen. Die Ausstellung ist noch bis zum 31. März 2016 zu sehen. Sollte der Leerstand andauern, sind weitere Ausstellungen geplant.

Walter Vorjohann hat fotografische Erfahrungen mit „besenrein“ übergebenen Räumen. Nachdem die Stadt Frankfurt die Großmarkthalle an die Europäische Zentralbank übergeben hatte, aber noch bevor die Arbeiten zum Bau des Hochhauses und zum Durchbruch durch die Halle anfingen, hielt er die leeren Räume mit den Spuren der jahrzehntelangen Geschichte des Gebäudes fest. Ein Foto aus dieser Serie ist nun so auf einer Wand in der Hanauer Landstraße platziert, dass fast der Eindruck entsteht, die abgelebte Wand wäre auch aus der Großmarkthalle mitgenommen worden. Dieses Bild wird von einem kräftigen Grün dominiert, das in eine Kompostion von Durchblicken eingebunden ist. Ein von der Wand gerissenes Kabel und korrespondierende Türen und Fenster treten in einen Dialog mit Heizkörpern und einem liegen gebliebenen Schlauch. Und bilden so mit der Umgebung ein reizvolles Zusammen.

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Walter Vorjohann

Auf den anderen Fotos der Ausstellung zeigt Vorjohann Gegenstände von dezenter Farbigkeit, die er auf einem weißen Hintergrund isoliert. Durch diesen Kontextverlust mögen sie auf den ersten Blick vielleicht abstrakt erscheinen, wie eine plastisch-voluminöse graue Masse, eine architektonisch anmutende Konstruktion oder eine klare Zeichnung mit eigenartigen Elementen. Beim genauen Hinsehen und vielleicht nach Hinweisen durch den Künstler ist der Gegenstand in der Regel jedoch immer zu identifizieren. Wobei viele der Gegenstände wie eine aufgeblasene Luftmatratze und aufeinander geschichtete Baustellenbegrenzungen im Alltag eher unüblich sind. Für die ästhetische Wirkung spielt weniger die Funktion des Gegenstands eine Rolle, als vielmehr deren Materialität, ihre Texturen und Strukturen, die durch den weißen Hintergrund hervorgehoben werden. Mit ihrer klaren Struktur und ihrer Anordnung im Raum erhalten die Fotos eine bemerkenswerte Klarheit, die das Auge anzieht und es ruhen lässt.

Die Arbeiten von Daliah Ziper bestehen aus mit Glasscheiben abgedeckten Fotogrammen in blassen bis kräftigen Blaugrau- und Rottönen, die wie ein Teppich oder eine flache Bodenskulptur wirken können. Man muss sich ihnen nähern, um sie herum gehen, um sie zu erfassen.

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Daliah Ziper

Es sind unterschiedliche Frauenoberkörper ohne Kopf zu sehen, die kaum dem gängigen Schönheitsideal entsprechen. Sie wirken holzschnittartig, was durch die Technik mitbedingt ist: Es sind aus einem Aufklärungsfilm der Zwanzigerjahre des letzten Jahrhunderts auf Schablonen aufgebrachte Motive, die auf fotosensibles Material übertragen wurden. In dem argentinischen Film werden Frauen mit Syphilissymptomen zur Schau gestellt – in diesem Fall wohl ausschließlich Prostituierte, die Hauptleidtragenden der Krankheit. Auf diesen Film stieß Daliah Ziper in Buenos Aires während Recherchen zu einem anderen Film, der sich mit dem Schicksal jüdischer Frauen beschäftigte, die von Europa nach Argentinien gelockt wurden, um dort als Prostituierte zu enden. Die Körper der abgebildeten Frauen sind kopflos, bleiben gesichtslos. Vom selbstbewussten Präsentieren des eigenen Körpers kann nicht die Rede sein, vielmehr meint man – selbst durch die Brechung durch Medium und Zeit – noch ein schamhaftes Zurückweichen vor dem Akt der Zurschaustellung in Form einer Filmaufnahme zu spüren.

Das Arrangieren auf dem Boden macht die Figuren trotz der schützenden Glasplatte verletzlicher, denn der Abstand zu den Füßen der Besucher ist gering. Belassene und nicht entfernte Fußabdrücke im alten Estrich vergegenwärtigen diese Gefahr. Ist es ein Akt der Restituierung von Würde, wenn Daliah Ziper aus den Bildern die Symptome der Krankheit entfernt? Abscheu wird so vermieden, jedoch ist es trotzdem schwierig, eine Beziehung zu den Frauenbildern aufzubauen – auch weil das Fotomaterial bei einigen Bildern nicht vollkommen fixiert ist und das Bild deshalb mit der Zeit verschwinden wird, indem es immer schwärzer wird. Das harte und wie hier zu ahnende mitunter tödliche Geschäft mit dem weiblichen Körper verschwindet gleicherweise wieder aus unserem Bewusstsein. Mit diesem Akt des sich Auflösens sät die Künstlerin in die Betrachtenden einen Zweifel, ob ähnliche Bedrohungen nicht auch in der Gegenwart noch zu finden sind.

Analog mit knatternden Filmrollen führte am Eröffnungsabend Hannes Schüppach seine zwei Kurzfilme „Instants“ (2012) und „L’Atelier“ (2007) vor. „L’Atelier“ ist eine Filmcollage mit Aussichten aus seinem Atelier zu unterschiedlichen Zeiten und aus unterschiedlichen Perspektiven. Die Kamera bewegt sich ständig in kurzen Sequenzen, und wenn sie still anhält, kommt Unruhe durch die Bewegung des in Bäumen sichtbaren Winds in das Bild. Viele Motive variieren, scheinen sich neu zusammenzusetzen. „Erinnerung wird dabei als schleifenartiger Prozess verstanden, der von unmerklichen Verschiebungen durchsetzt ist“, heißt es im Ausstellungsflyer. Sieht man hier eher den Bewusstseinszustand einer kreativen Seele, so blickt man in „Instants“ auf die Hand, die in Buchseiten schreibt. Die bewegte Natur, eine im Sprung festgehaltene junge Frau werden Teil dieses Prozesses. Die Sequenzen sind zusammengewebt wie ein Teppich, mit „Flecken“ unterschiedlicher Geschwindigkeit, Farben, Motiven und mit bedeutungsuchenden Leerstellen. Man muss sich den Film wohl mehrfach ansehen, um ihn als Ganzes zu erfassen.

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Jens Nagels, Götz Sambale

Jens Nagels ist in der Ausstellung mit zwei sehr unterschiedlichen Positionen vertreten: In einer Serie mit eindrücklichen Portraits von Menschen, die er auf Reisen meist nach Südostasien traf, sieht man Details in den Gesichtern, den Figuren und der Umgebung. Die Neugierde und Lust, sich ablichten zu lassen, spiegelt sich im Ausdruck und in dem ungekünstelten, aber klaren Aufbau der Fotografien. Seine „Tatorte“ hingegen verunklaren Orte des Verbrechens, die er aus Stills von Fernsehbildern herausarbeitet; sie halten flüchtige Momente fest, die im Film häufig unbeachtet vorüber gehen. Sie sind von einer bestechenden Farbigkeit, die durch verschwommenes Schwarz zurückgenommen und dadurch geheimnisvoll wird. Welche Geschichte steht beispielsweise hinter dem in betörendem Blau eines Swimmingpools treibenden Frauenkörper? Unwillkürlich erdenkt man sich eine Geschichte, die die Bilder zusammenführt.

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Jens Nagels, Götz Sambale

Vor Jens Nagels Tatorten sind Skulpturen aus geschwärztem Holz von Götz Sambale positioniert, die durch die Reduzierung auf eine klare vegetabile Form ebenfalls das Erkennen eines konkreten Gegenstandes erschweren. Ist die eine Form eine Blütenkapsel, die andere ein Wirbel? Durch die recht offene Lesart sind weitere Deutungsmöglichkeiten vorstellbar.

Holz ist wohl das Bildhauermaterial, das am ehesten im engeren Sinn mit Leben in Verbindung steht: Ein ausschlagendes Stück Holz erscheint nicht überraschend, da es die vitalen Kräfte manifestiert, die noch in ihm gespeichert sind. In seinen vegetabilen Formen spürt Götz Sambale genau diesen Kräften nach. Es sind Formen, die auf das Wesentliche zielen, die auf Grundformen zurückgehen ohne selbst welche zu sein. Sie lehnen an Naturformen an, die in einer Klarheit aus dem Material herausgearbeitet und in den Raum gestellt sind, wie man sie in den Urformen beispielsweise eines Kurt Blossfeldt finden könnte. Götz Sambale spürt den Wandlungen und Prozessen in der Natur nach, was nicht nur daran festzumachen ist, dass das Holz nach der Bearbeitung noch weiter arbeitet. Die Röhrenfragmente scheinen durch unterschiedliche Aushöhlungen und Ausstülpungen entstanden zu sein, die den Außenraum vom Innen trennen, in dessen Gefäßen strömende und gärende Vorgänge ablaufen könnten. In ihrer Installation in der Hanauer Landstraße geben sie mit ihren sich aufeinander beziehenden Fragmenten einen Einblick in unterschiedliche organische Studien und spüren so dem Ursprung des Werdens nach.

„off hanauer 147 – Skulptur Film Fotografie“, Hanauer Landstraße 147/Ferdinand-Happ-Straße 28, bis 31. März 2016, Öffnungszeiten: Montag bis Freitag 12 bis 19 Uhr

Fotos Ausstellungsansichten: Hanneke Heinemann; Werke Götz Sambale © VG Bild-Kunst, Bonn

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