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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Stiffelio“ von Giuseppe Verdi an der Oper Frankfurt

Linas Sexualität als treibende Kraft der Inszenierung
Unterdrückte Begierden – Heuchelei – mörderischer Ehrbegriff

Von Renate Feyerbacher
Fotos: Monika Rittershaus / Oper Frankfurt

Die selten gespielte Oper „Stiffelio“ von Giuseppe Verdi hatte am 31. Januar 2016 Premiere. Die Frankfurter Erstaufführung wird in italienischer Sprache gesungen mit deutschen Übertiteln.

Ein schwieriges, aber heute noch durchaus relevantes Thema hat Verdi (1813-1901) aufgegriffen. Seine Brisanz rief die Zensur auf den Plan, die das Libretto kurz vor der Uraufführung 1850 in Triest verstümmelte. Das Werk, das erst kürzlich rekonstruiert wurde, hatte der Komponist später sogar zurückgezogen: Auch wenn es sich um einen protestantischen Prediger und Pastor einer Sekte namens Stiffelio, der verheiratet war, handelte, so war man im katholischen Italien, dessen Kirche grundsätzlich durch unverheiratete Priester repräsentiert wird, schockiert. Ein christlicher Pastor, der fast zum Mörder wird, der seine Frau, die ihn betrogen hatte, zur Scheidung zwingt, das war zu viel für das damalige Publikum.

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(v.l.) Sara Jakubiak (Lina), Russell Thomas (Stiffelio) und Dario Solari (Stankar); © Monika Rittershaus

Während der Ouvertüre, bei der die Trompete signifikant hervortritt, sitzen in einem gläsernen Bau Lina und ihr Vater, Graf Stankar, bei der aufgebahrten toten Mutter beziehungsweise Ehefrau. Keine emotionale Regung, Eiseskälte.

Stiffelio alias Rudolfo Müller, kommt von einer Missionsreise zurück und wird von Familie und Gemeindevolk begrüsst. Er erzählt, dass ihm der Schiffer eine Brieftasche gab, die ein Mann, der Hals über Kopf aus einem Fenster in den Fluss sprang, verloren hatte. Eine Frau hatte er an dessen Seite gesehen. Stiffelio berichtet, dass er die Brieftasche verbrannt habe, damit die Identität des flüchtenden Mannes, es war Raffaele, der mit Stiffelios Frau die Nacht verbracht hatte, nicht entdeckt werden könne. So wolle es das christliche Gebot der Vergebung.

An diesem Satz des Pastors und an der ständig heraufbeschworeren Ehre orientiert sich das Geschehen. Vater Stankar, der Verdacht schöpft, verbietet seiner Tochter Lina, Stiffelio ihren Fehltritt zu gestehen. Raffaele hatte einen Zettel mit einem neuen Termin zum geheimen Treffen mit Lina im verschlossenen Buch von Klopstocks „Messias“ deponiert, zu dem er einen Schlüssel hatte. Stiffelio, der über Verrat predigen will, schöpft Verdacht, und als er das Fehlen von Linas Ehering bemerkt hatte, fordert er Lina auf, das Buch zu öffnen. Diese weigert sich und Stiffelio bricht das Schloss gewaltsam auf. Vater Stankar tritt dazwischen, reisst den Zettel an sich und vernichtet ihn.

Stankar fordert Raffaele zum Duell, das auf dem Friedhof austragen wird. Stiffelio erscheint und Stankar enthüllt, dass Raffaele der Liebhaber Linas ist. Stiffelio bricht zusammen.

Das „Miserere“ ertönt mehrfach. Stankar, der glaubt, Raffaele sei geflohen, will sich, durch die Tochter der Ehre beraubt, das Leben nehmen, triumphiert dann aber, als Raffaele erscheint. Stankar denkt nur an Rache, er tötet Raffaele. Makaber die Szene, wie er mit dessen blutverschmiertem Kopf erscheint. Stiffelio will die Trennung und Lina unterschreibt widerwillig das Scheidungspapier, das er ihr vorlegt. Nun kann sie in Form einer Beichte dem Pfarrer, nicht dem Gatten, ihren „unfreiwilligen“ Fehltritt bekennen, und sie sagt, dass sie ihn immer noch liebe. Unfreiwilliger Fehltritt – Vergewaltigung?

Die Gemeinde erfleht im „Miserere“, das später im 2. Bild des 3. Aktes immer wieder erklingt, Gottes Erbarmen und Vergebung. Lina befindet sich verschleiert in der Kirche, um Stiffelio noch einmal zu sehen. Jorg, der alte Geistliche, fordert Stiffelio auf, sein Amt zu versehen und eine Bibelstelle vorzulesen, die er zufällig aufschlägt: es ist das Gleichnis von der Ehebrecherin, der Jesus mit den Worten verzeiht: „Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie.“

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Russell Thomas (Stiffelio) und Sara Jakubiak (Lina); © Monika Rittershaus

Wurde Lina von Raffaele vergewaltigt und von ihrem Vater Stankar missbraucht? So wie Regisseur Benedict Andrews eine Szene zwischen Vater und Tochter spielen lässt, kann das vermutet werden. Zumindest kann der Vater nicht von der Tochter lassen.

Für den in Island lebenden australischen Regisseur ist Linas Sexualität die treibende Kraft des Stückes: „Der Sturm ihrer Sexualität bricht sich Bahn in einer in sich geschlossenen, von der restlichen Gesellschaft abgesonderten Glaubensgemeinschaft. In dieser engen Umgebung gibt es keinen Raum dafür“ (Gespräch zwischen Benedict Andrews, Bühnenbildner Johannes Schütz und Dramaturg Konrad Kuhn  im Programmheft). Glaube, Begierde und Psychose sind in einer packenden Geschichte verwoben. Familie und Gemeinde stehen sich gegenüber und sind ineinander verstrickt.

Der gebürtige Frankfurter Johannes Schütz, Träger des Theaterpreises „Der Faust“, der mit den genialen Regisseuren Jürgen Gosch und dem soeben verstorbenen Luc Bondy zusammenarbeitete, schuf ein durchsichtiges Haus. Privatheit gibt es nicht. Die Menschen sind ausgeliefert. Das Haus, mal Privathaus, mal Kirche dreht sich immer wieder, es hat keine Stabilität und verliert schliesslich die Bodenhaftung wie die Menschen – ein verfluchter Ort. Die Kirche gerät in Schieflage.

Passend unterstützt Joachim Kleins Lichteffekte die Atmosphäre. Am Bühnenende öffnen sich viele Türen, aus denen die Mitglieder des Chores strömen, die aber auch den Protagonisten zum Ein- und Ausgehen dienen. Ein Bühnenbild, das dem erstaunlich fortschrittlichen Libretto entspricht, das Francesco Maria Piave, der für Verdi mehrere Libretti schrieb, nach der Vorlage eines französischen Romans verfasste. Viktoria Behr kleidet Lina in ein schwarzes Kleid, ihre Haare sind hüftlang, die anderen Frauen der Gemeinde zeigen sich dagegen farbenfroh. Sie habe sich an mennonitischen Gemeinden Südamerikas orientiert, heisst es. Lebensfroh, dennoch puristisch-protestantisch ist die Stimmung. Die Szene auf dem Friedhof, wo die Verstorbenen auf den Gräbern liegen und sich erheben, ist jedoch gewöhnungsbedürftig.

„Perdonata“, singt Lina immer wieder, besonders im letzten 3. Akt. Sie sehnt sich geradezu nach Vergebung. Die Gemeinde hat von Stankars Mord nichts mitbekommen und Raffaele kann nichts mehr verraten. So scheint die heile Welt der Gemeinde wiederhergestellt zu sein. Das Paar, Stiffelio und Lina – angeblich versöhnt – steht ihr wieder vor.

Russell Thomas als Stiffelio ist eine Idealbesetzung. Der aus Miami stammende Tenor, der schon 2010/2011 sein Debüt an der Oper Frankfurt gab, singt klar, vermeidet schluchzende Momente – einfach hervorragend. Sara Jakubiak, ebenfalls sehr gut, darstellerisch manchmal zögerlich, muss sich allerdings gegen die Kraftpakete Stiffelio und Graf Stankar, letzterer famos gesungen von Dario Solari, durchsetzen, und geht als Figur etwas unter. Der aus Uruguay stammende Bariton Dario Solari, auf internationalen Bühnen zu Hause, tritt zum ersten Mal in Frankfurt auf. Ein Gewinn!

Der Chor unter Tilman Michael war wieder ein Höhepunkt.

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Sara Jakubiak (Lina) und im Hintergrund Russell Thomas (Stiffelio); © Monika Rittershaus

Nicht gross ist die Partie des Raffaele. Sie wird interpretiert von Vincent Wolfsteiner, dessen Figur schauspielerisch nicht wirklich zur Geltung kommt, aber sängerisch sich durchsetzt. Der bisher am Staatstheater Nürnberg  agierende Sänger, nun Mitglied im Ensemble, beherrscht neben italienischem Repertoire auch die Wagner-Rollen Loge, Siegmund und Siegfried aus dem „Ring“. Er wird (anstelle von Lance Ryan, der aus privaten Gründen die Rolle zurückgab) im Mai 2016 den „Siegfried“ singen.

Aus der Musik von Verdi ist mal etwas Otello, mal Simone Boccanegra und Rigoletto herauszuhören.
Durchaus eine interessante Komposition, die – manchmal zu laut – vom Frankfurter Opern- und Museumorchester unter der Leitung des Pariser Dirigenten Jérémie Rhorer umgesetzt wurde. Manchmal wünschte man sich mehr musikalische Differenzierungen.

Das Publikum feierte Russel Thomas enthusiastisch, grossen Beifall erhielten auch Sara Jakubiak als Lina und Dario Solari als Stankar. Beifall auch für die Inszenierung.

Weitere Vorstellungen am 7., 13., 21. und 25. Februar, am 28. Februar um 15.30 Uhr mit Kinderbetreuung und anschliessend „Oper lieben“ sowie am 3., 5. und 12. März, jeweils um 19 Uhr

 

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