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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„abgeschickt, abgefangen, aufgefunden“ im Museum für Kommunikation Frankfurt

„Das klingende Sonntagsrätsel“ und die Postkontrolle in der DDR:
In den Fängen des Überwachungssystems

Von Hans-Bernd Heier

RIAS Berlin (Rundfunk im amerikanischen Sektor) startete vor 50 Jahren eine neue Sendereihe: „Das klingende Sonntagsrätsel“. Diese Rate-Show mit 52 Ausstrahlungen im Jahr war eine gesamtdeutsche Unterhaltungssendung, die in West und Ost für viele Menschen zum sonntäglichen Ritual gehörte. Erster Moderator war Hans Rosenthal, der es durch seine sehr persönliche Moderation verstand, die Hörerinnen und Hörer über 20 Jahre lang zu begeistern. Sechs Melodien – meist aus dem Bereich der Unterhaltungsmusik – wurden gespielt, zu denen je eine Frage gestellt wurde. Wer das richtige Lösungswort einsandte, konnte auf einen kleinen Gewinn hoffen.

Klingendes Sonntagsrätsel Christian Bienert, Martina Kintscher, Hans Rosenthal (v.lks.) 7305/789, Uk

„Das klingende Sonntagsrätsel“: Moderator Hans Rosenthal (rechts) mit seinen Mitarbeitern im RIAS-Studio 12, links sein Assistent und späterer Nachfolger, Christian Bienert; © RIAS Dietger Schulze

Nach Rosenthals Tod gewann Christian Bienert von 1987 bis 2012 die Herzen der Ratefamilie (zum Jahresanfang 1994 ging RIAS in das neu gegründeten „Deutschlandradio“ ein). Seit 2013 moderiert Uwe Wohlmacher, ebenfalls seit RIAS-Tagen dabei, die Sendung. Hören und Rätseln zählen auch heute noch zum sonntäglichen Vergnügen einer großen Stammhörerschaft – im Familienkreis, mit Freunden oder auch allein. Selbst im Urlaub verzichten viele treuen Fans nicht auf die lieb gewordene Gepflogenheit.

Reporter fotografieren vom RIAS Ü-Wagen bei einer politischen Kundgebung 57/14b, Te 1

Seit 1946 war der RIAS Berlin für Millionen von Hörern eine wichtige Informationsquelle; Übertragungswagen, 1948/49; © RIAS

RIAS Berlin wurde 1946 von der US-Militärregierung gegründet und war der Sender mit der größten Reichweite. Für Millionen von Zuhörern in der Viersektoren-Stadt und in der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands war er eine zuverlässige Informationsquelle: „Eine freie Stimme der freien Welt“. Für die DDR-Führung war die Rundfunkanstalt nicht zuletzt wegen ihrer großen Popularität der „Feindsender Nr.1“. Als erklärter „Kriegshetzer“ und „Saboteur am Aufbau des Sozialismus“ geriet der verhasste Sender deshalb rasch ins Fadenkreuz des Anfang 1950 gegründeten Ministeriums für Staatssicherheit (MfS).

Die Beiträge von RIAS wurden von Berlin und Hof aus gesendet. In Hof wurde eine neue Antenne mit dem Ziel gebaut, den Empfang des Senders in der DDR zu verbessern. Um kurzzeitig die Reichweite der neuen Antennenanlage zu testen, wurde die Unterhaltungssendung „Das klingende Sonntagsrätsel“ aus der Taufe gehoben. Die Zuschriften aus der DDR waren für die Reichweiten-Ermittlung besonders wichtig. Denn es war die einzige Möglichkeit herauszufinden, wo RIAS im anderen Teil Deutschlands gehört wurde. Weil die Sendung bei den Hörern von Anfang an sehr gut ankam, wie die zahlreichen Zuschriften – auch aus der DDR – belegen, wurde das Sonntagsrätsel auch nach der Testphase weitergeführt.

Das Hören des Propaganda-Senders ebenso wie die Beteiligung von DDR-Bürgern an der Rätselsendung waren dem MfS ein Dorn im Auge und wurden in Zeiten des „Kalten Krieges“ heftig bekämpft: Ein flächendeckendes Netz von Störsendern mit Dauerpfeifton, Sprachverzerrung und Stimmenwirrwarr sollte den ungetrübten RIAS-Empfang erschweren. Mit Inkrafttreten des neuen Genfer Wellenverteilungsplans im Jahre 1978 wurden die Störsender zwar wieder abgeschaltet, weil die DDR um internationale Anerkennung buhlte. Aber die Propaganda gegen den RIAS und seine Hörergemeinschaft gingen trotzdem weiter.

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Bei der Pressekonferenz erläuterten Helmut Gold, Direktor Museum für Kommunikation Frankfurt, Projektleiter Professor Joachim Kallinich, Lilo Nagengast, ehemalige Mitarbeiterin des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU) und der frühere Moderator Christian Bienert die Machenschaften der Abteilung M der Stasi; Foto: Hans-Bernd Heier

Ab Mitte der 1970er Jahre kontrollierte das von Erich Mielke geleitete Ministerium für Staatssicherheit (MfS) alle Postsendungen von und nach der Bundesrepublik, Westberlin und dem Ausland. In allen 15 Postverteilämtern der DDR hatte die Abteilung M des Stasi eigene, abgeschirmte Büroräume, in denen die Postsendungen akribisch kontrolliert wurden. Täglich wurden rund 90.000 Briefe geöffnet. Post an westliche Medien weckte die besondere Aufmerksamkeit der Stasi-Mitarbeiter und wurde von der Beförderung ausgeschlossen. Personen, die durch die Postkontrolle in den Fokus des MfS gelangten, wurden in der „M-Kartei“ (Postkontrollkartei) erfasst. Ihre Post wurde bei der Stasi-Postkontrolle einbehalten, geöffnet und ausgewertet. Auf den einbehaltenen Briefen und Postkarten finden sich viele unterschiedliche Bearbeitungsvermerke der Stasi, die Rückschlüsse auf ihre Arbeit zulassen. Die Absender der Post wurden eingeschüchtert, diszipliniert und in etlichen Fällen auch verhaftet. Seit DDR-Gründung hatten ihre Bürgerinnen und Bürger bereits den Verdacht, dass ihre Post geöffnet wird. Diese böse Ahnung hielt sie aber nicht davon ab, sich schriftlich an der Ratesendung zu beteiligen. Die Suche nach dem richtigen Lösungswort wurde nicht selten von der bangen Frage begleitet: „Kommt meine Post auch an?“

25 Jahre "Das klingende Sonntagsrätsel" - 6. März 1990 Marlies Kahlfeldt, Christian Bienert (v.lks.) 9003/119, Uk

25 Jahre „Das klingende Sonntagsrätsel“: Moderator Christian Bienert und Marlies Kahlfeldt mit Hörerpost nach 1989; © RIAS Detlef Maugsch

Wie berechtigt diese Befürchtung war, zeigen die 4.500 Briefe und Postkarten aus dem ehemaligen Bezirk Dresden, die an „Das klingende Sonntagsrätsel“ adressiert waren, dort aber nie ankamen. Nach dem Fall der Mauer sollten zwar alle Unterlagen der Abteilung M und die M-Karteien vernichtet werden, um alles Beweismaterial zu zerstören, das Rückschlüsse auf die Verletzung des Post- und Fernmeldegeheimnis zuließ. Allerdings gelang es nicht, alles belastendes Material zu vernichten. Heute befinden sich diese Dokumente in den Archiven des Bundesbeauftragten für die Stasiunterlagen (BStU).

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Ausstellungsplakat; © Museum für Kommunikation

In den Postsendungen, die zwischen 1982 und 1989 geschrieben wurden, ist häufig mehr zu lesen als nur das schlichte Lösungswort. Die Post steckte voller Lebensgeschichten, Alltagsprobleme, Hoffnungen und Ängste; mitunter enthielt sie auch für den Absender gefährliche politische Äußerungen.

Die enge Hörerbindung der außerordentlich erfolgreichen Rate-Sendung zeigt sich auch darin, dass viele das Lösungswort gezeichnet, in Gedichten versteckt, kalligrafisch verziert oder auf Schmuckpapier geschrieben haben. So sind kleine Kunstwerke entstanden, die die Stasi-Postkontrolle überlebt haben – vielleicht auch deswegen, weil die Verfasser ihre subtilen Botschaften zwischen den Zeilen versteckt hatten.

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Die eingesandten Lösungsworte wurden oft von Gedichten und Zeichnungen begleitet; © Museum für Kommunikation

Studierende des Instituts für Europäische Ethnologie der Humboldt-Universität zu Berlin haben mit Projektleiter Professor Joachim Kallinich nun diese Archivbestände gesichtet, analysiert und interpretiert. Anlässlich des 50-jährigen Jubiläums der auch heute noch beliebten Radioquizsendung werden die Ergebnisse jetzt im Museum für Kommunikation Frankfurt zusammen mit einem DDR-Störsender und rund 40 Originalbriefen gezeigt. Die hoch informative Forumsausstellung, die bis zum 31. Januar 2016 gezeigt wird, ist ein Beitrag zu der ausgeklügelten Postkontrolle in der DDR und zur deutsch-deutschen Rundfunkgeschichte.

Bei der Auswertung der Post fiel auf, dass bei vielen Briefen und auch Postkarten die Briefmarken herausgerissen oder -geschnitten waren. Des Rätsels Lösung: Seit 1962 wurden auf Anweisung Mielkes die entwerteten Briefmarken entfernt und an den Briefmarkenhandel der DDR übergeben. Dieser verkaufte die begehrten, weil attraktiv gestalteten Marken gewinnbringend ins “westliche Ausland“. So betätigte sich das MfS als Devisenbeschaffer. Um übrigens privaten Diebstählen der Postwertzeichen und der häufig beigelegten Westgeld-Scheinen vorzubeugen, trugen die Mitarbeiter Kittel ohne Taschen. Und damit das Kontrollsystem noch besser funktionierte, saßen sich in den engen Büros immer zwei Kontrolleure gegenüber.

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Merkmalsfahndung: Die Postkontrolleure des Ministeriums für Staatssicherheit suchten anhand von Anschriften und Schriftproben nach Post von überwachten Personen; © Museum für Kommunikation

Trotz Zweifel an der Wahrung des Postgeheimnisses schickten die Hörerinnen und Hörer weiterhin ihr Lösungswort an das Sonntagsrätsel oder an eine Deckadresse des Senders. Die bekannteste war die der RIAS-Mitarbeiterin Marlies Kahlfeldt alias Michaela Wegener. Im Laufe der Jahre entwickelten auch die Hörer vielfältige Tricks, ihre Post unentdeckt zu versenden, beispielsweise auf dem Umweg über Westverwandte. Nicht alle Kniffe funktionierten und manche nur für kurze Zeit. Die Verletzung des Postgeheimnisses und der Machtmissbrauch erzeugten bei den Absendern Frust, auch Hilflosigkeit und oftmals ein Gefühl der Ohnmacht.

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Verdächtige Briefe an bekannte Deckadressen wurden am Schräglichtgerät auf Geheimschrift untersucht; © Museum für Kommunikation

Wer mit dem RIAS Kontakt aufnahm, machte sich verdächtig. Drei Beispiele in der sehenswerten Schau zeigen, wie schnell es zu massiven staatlichen Eingriffen in das private Leben kommen konnte: Ein 16-jähriger Schüler wird 1986, nachdem seine Briefe an den RIAS auffällig werden, mit einer Strafandrohung im Wiederholungsfall verwarnt. Durch die Postkontrolle wird das Ministerium für Staatssicherheit 1984 auf einen Studenten aufmerksam, dessen Briefe an den westdeutschen Sender kritische Äußerungen und Hinweise auf Fluchtabsichten enthalten. Ein Ermittlungsverfahren wird eingeleitet, es folgt die Zwangsexmatrikulation. Wegen politischer Stellungnahmen in Briefen an den RIAS wird auch nach Dieter Drewitz gefahndet, der wegen „fortgesetzter Verbindung zu verbrecherischen Dienststellen“ und „staatsgefährdender Hetze“ 1967 zu einem Jahr und sechs Monaten Gefängnis verurteilt wird.

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Briefe, die nicht dem Standardformat entsprachen, wurden aufwendig per Hand geöffnet und wieder geschlossen; © Museum für Kommunikation

25 Jahre nach der Wiedervereinigung Deutschlands ist die massive Verletzung des Postgeheimnisses durch Mielkes Stasi, die über alles Bescheid wissen wollte und den „kontrollierten Alltag“ anstrebte, vielfach in Vergessenheit geraten. Bisweilen werden die Verhältnisse in der damaligen DDR gar nostalgisch verklärt. All diesen sei der Besuch der Ausstellung besonders empfohlen, obgleich hier nur ein Teilaspekt des raffinierten Überwachungssystems des Unrechtsregimes beleuchtet wird.

Trotz akribischer Postkontrolle gingen monatlich noch mehrere hundert Zuschriften aus der DDR beim RIAS sein. Nach dem Fall der Mauer schwoll die Hörerpost beim Sonntagsrätsel sintflutartig an. Waren es im Januar 1990 schon rund 126.000 Zuschriften, erreichten diese im März ihren Höhepunkt mit über 330.000 Briefen und Postkarten aus der Noch-DDR. Nach der Fusion von RIAS, Deutschlandfunk und DS Kultur zum Deutschlandradio am 1. Januar 1994 wurde das Ratespiel als einzige RIAS-Unterhaltungssendung weitergeführt – bis heute. Aus einer Testsendung wurde eine Kult-Sendung, die in diesem Jahr ihr 50-jähriges Jubiläum feiert.

„abgeschickt, abgefangen, aufgefunden – Das klingende Sonntagsrätsel und die Postkontrolle in der DDR“, Museum für Kommunikation Frankfurt, bis 31. Januar 2016

Bildnachweis (soweit nicht anders bezeichnet): Museum für Kommunikation Frankfurt

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