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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Vasco da Gama“ von Giacomo Meyerbeer an der Deutschen Oper Berlin

Regisseurin Vera Nemirova inszeniert die historisierende Geschichte eines Karrieristen

Von Renate Feyerbacher

Die Deutsche Oper Berlin widmet seit 2014 den grossen Bühnenwerken von Giacomo Meyerbeer (eigentlich: Jakob Liebmann Meyer Beer, 1791-1864) einen Zyklus. Am 4. Oktober 2015 folgte nun die erste szenische Neuproduktion: „Vasco da Gama“ (früher trug die Oper den irreführenden Titel „Die Afrikanerin“).

„Vasco da Gama“ war Meyerbeers letzte Grand Opéra, die er allerdings nicht vollenden konnte. In seinem Tagebuch (tägliche Gebete) schreibt er: „Mache, daß ich Vasco in ein paar Monaten definitiv und komplett beendige, … und ich dieses Ereigniß in Gesundheit und Freude erlebe. Mache, daß Vasco gleich bei seinem Erscheinen auf der Pariser Oper, einen großen und glänzenden Erfolg erringe. Mache daß dieser Erfolg ein verdienter und dauernder sei“ (Programmheft der Deutschen Oper Berlin).

Der Musikwissenschaftler Francois-Joseph Fétis, von der Witwe beauftragt, bearbeitete das Stück. Er eliminierte wichtige Teile, die ihn störten. Die Oper „L’Africaine“ wurde 1865 an der Opéra de Paris uraufgeführt. Fétis sei den Ansprüchen seiner Zeit an eine konventionelle Grand Opéra gerecht geworden, nicht aber der Innovationskraft der Meyerbeerschen Partitur, formulierte Jürgen Schläder, der eine Neuedition von „Vasco da Gama“ schuf. Diese fand im Februar 2013 in Chemnitz ihre erste Bühnenrealisation und nun auch an der Deutschen Oper Berlin.

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VASCO DA GAMA von Giacomo Meyerbeer, Regie: Vera Nemirova, Premiere am 4.10.2015, Deutsche Oper Berlin, copyright: Bettina Stöss

Die Musik des in der Nähe von Berlin geborenen Komponisten, der in einer der einflussreichsten Familien der Stadt aufwuchs, ist insgesamt in Vergessenheit geraten. In Berlin, wo das erste Werk des Neunzehnjährigen – eine Balletmusik – aufgeführt wurde und wohin Meyerbeer nach dem Tod des Vaters (1825) seinen Hauptwohnsitz verlegte, erinnert nur eine Gedenktafel an ihn. Auch als er später preußischer Generalmusikdirektor und Leiter der Hofmusik war, arbeitete er überwiegend in Paris. Immerhin wurde dem Berliner Stadtmuseum der Nachlass des Komponisten geschenkt. Meyerbeer starb in Paris, beerdigt ist er auf dem Jüdischen Friedhof in Berlin.

Meyerbeer: ein Komponisten-Star – beliebt an bedeutenden Opernbühnen Italiens und vor allem an der Pariser Opéra. Mit dem Schriftsteller Eugène Scribe und dessen Libretto-Werkstatt, die einige grosse Komponisten bediente, war er eng verbunden. Scribe schrieb die Libretti für die Meyerbeer-Opern „Robert der Teufel“, „Die Hugenotten“ und „Vasco da Gama“ (ehemals „Die Afrikanerin“).

Der vollständigen, kritisch revidierten Fassung von Jürgen Schläder gelingt es, die Oper wieder auf die Bühne zu bringen. Ausgefallene Töne sind gleich zu Beginn zu hören. In den fast vier Opern-Stunden – zuzüglich zwei Pausen – überraschen grossartige Motive, eigenwillige Übergänge. Die jüngeren Komponisten Richard Wagner (1813-1883) und Hector Berlioz (1803-1869), die Meyerbeer aus Antisemitismus und „Futterneid“ hassten, scheuten sich nicht, sich von seinen Musikideen inspirieren zu lassen. Das ist zu hören.

Eugène Scribe hat eine Dreicks-Liebesgeschichte um Vasco da Gama ersonnen, die historische Fakten andeutet. Der historische Vasco da Gama – er war aus höherem adeligen Hause, mit einer Adeligen verheiratet und hatte fünf Söhne und eine Tochter – war ein bedeutender portugiesischer Seefahrer, der Ende des 15. Jahrhunderts den Seeweg um das afrikanische Kap der Guten Hoffnung nach Indien entdeckte. Mit dem portugiesischen König Manuel I. war er ein Leben lang befreundet. Dieser vertraute ihm die Expeditionen an. Vasco war 28 Jahre alt, als er mit seinem Schiff zum ersten Mal Lissabon verliess und nach knapp einem Jahr Indien erreichte.

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VASCO DA GAMA von Giacomo Meyerbeer, Regie: Vera Nemirova, Premiere am 4.10.2015, Deutsche Oper Berlin, copyright: Bettina Stöss

Dagegen das Operngeschehen: Vasco kehrt von einer Expedition zurück, ohne Indien entdeckt zu haben. Er bittet den Kronrat, unter seinen Mitgliedern der Großinquisitor, die Expedition erneut zu wagen. Als dieser ablehnt, beleidigt er die Herren des Kronrats und wird zusammen mit den beiden Sklaven, Selica und Nelusco, die Vasco auf dem afrikanischen Markt gekauft hatte, eingesperrt. Selica verliebt sich in Vasco. Dieser aber liebt die portugiesische Gräfin Inès. Um ihn aus dem Gefängnis freizubekommen, stimmt Inès der Heirat mit Don Pedro zu, der zum Befehlshaber einer neuen Indien-Expedition ernannt wird. Mit Inès und den beiden Sklaven sticht Don Pedro in See. Vasco eilt ihm mit einem anderen Schiff nach. Es kommt zur Auseinandersetzung zwischen Don Pedro und Vasco. Indische Piraten entern das Schiff und Nelusco, der Selica auch liebt, gibt ihre wahre Identität preis: sie ist eine indische Königin. Angekommen in Indien heiraten Selica und Vasco. Als Inès, die nun Sklavin ist, erscheint, erkennt Selica, dass Vasco sie immer noch liebt. Sie gibt beide frei und sucht in den giftigen Dämpfen des Manzanillobaums den Tod.

Die Geschichtsschreibung liefert andere Fakten.

Es geht um Verrat, Liebe, Liebesunfähigkeit, Verzicht, um Hass auf alles Fremde, um religiösen Fanatismus, um die Suche nach einem menschenwürdigen Leben.

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Vera Nemirova am 22. Januar 2012 in Frankfurt am Main, Foto: Renate Feyerbacher

Regisseurin Vera Nemirova, die mit ihrer Inszenierung von Wagners „Der Ring des Nibelungen“ an der Oper Frankfurt begeisterte, arbeitete zwei Jahre an dem Konzept der Vasco-Inszenierung. Die Suche nach einem menschenwürdigen Leben in der Fremde ist für Nemirova einer der Grundgedanken der Oper, der durch die Ereignisse um die heutige Flüchtlingskrise aktuell wurde. So berichten Nelusco und Selica vom Kentern ihres Bootes und von ihrer Verschleppung. Gewalt ist ein treibendes Moment der Aufführung. Nemirovas Konzept überzeugt aber nur stellenweise. Es verweigert sich nicht konsequent genug dem Pomp der Grand Opéra, vor allem im vierten und fünften Akt.

Die Zeremonien am Hof von Königin Selica, die auf Vasco verzichtet und den Liebestod unter dem giftigen Manzanillobaum sucht und findet, sind pompös ausgestattet mit einem touristischen Hauch. Der Gedanke einer Suche nach einem menschenwürdigen Leben bleibt verschwommen, ebenso der Gedanke „akzeptiert zu werden von einem fremden Menschen in einem fremden Land in einer fremden Kultur“ (Nemirova im Programmheft). Die Bühne von Jens Kilian, die sich mehrmals genial verwandelt, und die Kostüme von Marie-Thérèse Jossen tragen nicht dazu bei, das gedankliche Konzept zu vertiefen. Weniger wäre mehr gewesen.

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VASCO DA GAMA von Giacomo Meyerbeer, Regie: Vera Nemirova, Premiere am 4.10.2015, Deutsche Oper Berlin, copyright: Bettina Stöss

Giacomo Meyerbeer hat vier aussergewöhnliche Gesangsrollen komponiert: den Vasco nennt er seine bedeutendste Tenorrolle, „von deren Darstellung hängt ein besonderer Theil des Erfolges der Oper ab“. Der französisch-italienische Sänger Roberto Alagna, der bei der Premiere einen grippalen Infekt hatte, glänzte in der nachfolgenden Aufführung. Seine Stimme wird der französischen Sprache am besten gerecht. Heroisch, frech tritt Vasco auf, aber auch feinfühlig wie in der berühmten Arie „Pays merveilleux“ im Vierten Akt. Ohne Abschied geht er von Selica fort, die ihn ziehen lässt, weil sie erkannt hat, dass Vascos Liebe der portugiesischen Gräfin Inès gehört, die er seit Jugendtagen kennt.

Auch zwei aussergewöhnliche Frauenrollen sind dem Komponisten gelungen: Die französische Mezzosopranistin Sophie Koch als Selica und die georgische Sopranistin Nino Machaidze als Inès, beide auf internationalen Opernbühnen zuhause, interpretieren sie mitreissend. Bariton Markus Brück, der zum Ensemble der Deutschen Oper Berlin gehört, verleiht der Rolle des Nelusco die ganze Palette von Hass-, Rache- und Liebesgefühlen. Die Chöre der Deutschen Oper Berlin agieren stimmgewaltig, dagegen könnte das Orchester unter der Leitung von Enrique Mazzola noch etwas kraftvoller musizieren.

Eine weitere Aufführung in dieser Besetzung gibt es am 24. Oktober 2015 um 17 Uhr an der Deutschen Oper Berlin

 

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