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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

TTIP und kollaterale Kultur

Einige Anmerkungen von Gunnar Schanno

Das von der deutschen Regierung für alternativlos erklärte Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und den USA ist in öffentlich ansteigender Diskussion. Ihr Niederschlag in Medien und Netzwerken ist unübersehbar, geradezu gigantisch geworden. Seit 2011 bei einem EU-USA-Gipfel als Verhandlungs-Abkommen ins Leben gerufen, hat sich Idee und Realisierung institutionalisiert. Mit zwanzig „High-level-working groups on jobs and growth“ soll sich das seit 2013 in Verhandlung stehende Freihandelsabkommen nach acht Verhandlungsrunden finalisieren. Ihre Verhandlungsbühnen haben sie meist in Washington und Brüssel.

Als Vorbild steht die Europäische Union und als „Vision“ die größte Freihandelszone der Welt, die ein Gegengewicht gegen den pazifisch-chinesischen Wirtschaftsraum bilden soll. Darin liegt die globale Dimension von TTIP. Als nicht zu beweisendes Versprechen steht das Generieren Tausender neuer Jobs vor allem in Deutschland. Doch TTIP ist als „Transatlantic Trade & Investment Partnership“ (Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft) ein Handels- und kein völkergemeinschaftliches Abkommen. Deshalb stehen ihre Hauptziele als klare Vorgaben, wie sie Deutschlands verhandlungsverantwortliche Instanz, das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi.de/go/ttip), deutlich nennt: Abbau von Bürokratie und Zollschranken, Abbau nicht-tarifärer Handelshemmnisse, Erzielen von Kostenvorteilen durch Synergie, Angleichung von Standards und Industrienormen, Erleichterung des Marktzugangs für Investoren in den USA.

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Treffen der Regierungschefs der USA und einiger europäischer Staaten zu TTIP einen Monat vor Beginn der Verhandlungen am Rande des G8-Gipfels in Enniskillen, Nordirland, im Juni 2013; Foto: Peter J. Souza, Bildnachweis: White House/wikimedia commons

Die ansteigende Diskussion hat die „Kultur“ erreicht. Handel ist nicht Kultur. Wirtschaft reklamiert für sich, nicht für Ethik zuständig zu sein. Für die Ökonomie ist Kultur ein Phänomen, das im Sog wirtschaftsliberaler Dynamik eher kollateral mitgerissen wird – im föderalen Deutschland meist nicht zum Nachteil der Kultur. Auch unter TTIP-Regeln ginge es jedenfalls „nicht um Abbau von sozialen oder kulturellen Standards“, so das BMWi. Das Abkommen werde „das deutsche Bildungssystem nicht ändern“. Vielmehr: TTIP wolle zur Nachhaltigkeit beitragen und zwar „im Einklang mit dem Besitzstand der EU und ihrer Mitgliedstaaten“. Kultur stehe auch unter dem Anspruch öffentlicher Daseinsvorsorge. Das „Niveau der Rechtsvorschriften, Normen in Umwelt- Arbeitsrecht und Gesundheitsschutz“ und die „Förderung kultureller Vielfalt müssen gewahrt werden“. Eine Art Versprechen! Doch eine Garantie liegt in dieser Formulierung nicht.

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Anti-TTIP-Graffiti in Malmö im Juni 2015, Foto: Johan Jönsson, Bildnachweis: wikimedia commons CC

Denn TTIP-Ergebnisse stehen unter „Liberalisierungspflicht“. Dennoch heißt es, dass „keine Verpflichtung zur Privatisierung“ geschaffen wird und die Kommunen auch dort, wo keine Monopole bestehen, unverändert ihre Aufgaben wahrnehmen können. Doch sollen wiederum billigste Angebote bei Auftragsvergabe zum Zuge kommen. Dass Bildungskonzerne wie etwa Sprachschul-Unternehmen die kommunale Förderung den Volkshochschulen zum juristisch zu klärendem Vorwurf machen könnten, wird bestritten. Eine EU-Resolution will klarstellen, dass „das TTIP-Abkommen sich nicht auf spezifische Werte und Traditionen auswirkt – beispielsweise die kulturelle Vielfalt“. Was soll man dazu sagen? Hätten wir nicht gerne die von Frankreich zum „Kulturgut“ erhobene Gänsestopfleber durch TTIP vom Tisch gefegt?

Das Wirtschaftsministerium ist das Drehkreuz im Verhandlungswerk für Deutschland und im Zusammenspiel der EU-Kommission mit den EU-Beteiligungsstaaten und den USA. Zugleich ist es als zuständiges Ministerium zur Kommunikationszentrale in nicht vorausgeahntem Umfang geworden. In ministerieller Verlautbarung wird der Öffentlichkeit „größtmögliche Transparenz“ garantiert, eine „lebendige Debatte“, „Dialogbereitschaft“ auf beiden Seiten angemahnt, die „Vorbehalte und falsche Informationen“ aufklären und eine „unvoreingenommene Debatte unter den Beteiligten, also unter Beteiligung von Wissenschaft und Zivilgesellschaft“ herstellen sollen.

Wir hören die Botschaften: dass als Ziel der „Erhalt der kulturellen Vielfalt“ für alle Kulturbereiche gilt und dass die „öffentliche Kultur- und Medienförderung abgesichert“ sei. Die Entscheidungsfreiheit regionaler Körperschaften bleibe unberührt auch im Blick auf den „Gestaltungsspielraum für die Zukunft“. Noch konkreter heißt es, dass, als Beispiel genannt, der öffentlich-rechtliche Rundfunk umfassend gesichert sei und „für die öffentliche Finanzierung der Kulturlandschaft – bestehend etwa aus Theater, Museen, Opern“ eine horizontale Ausnahme gewährleistet werde, dass „TTIP keine Verpflichtungen zum Subventionsabbau schaffen“ werde.

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TTIP-Proteste in London im Juli 2014, Bildnachweis: World Developement Movement/wikimedia commons CC

„Was bedeutet TTIP für die öffentlich finanzierte Kulturlandschaft?“, steht als Frage aus hier zitierten Informationsbroschüren des Ministeriums und stellt außer Frage: Der Schutz der kulturellen Vielfalt werde „durch die Verhandlungen mit den USA nicht in Frage gestellt“. Ihr Erhalt und die Absicherung der öffentlich-finanzierten Kulturlandschaft bliebe „zentrale Anliegen der Bundesregierung im Rahmen der Verhandlungen“. „Auch unsere reiche Kulturlandschaft darf durch TTIP nicht beschädigt werden“, so ein regierungsamtlicher Ausruf. Da steckt durchaus Vagheit drin und lässt aufmerken.

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Mitglieder des Europäischen Parlaments demonstrieren im Oktober 2014 dagegen, dass sie keinen Einblick in den Verhandlungsprozess erhalten; Bildnachweis: greensefa/wikimedia commons CC

Es ist gut, dass die öffentliche Einmischung der Zivilgesellschaft im föderalen Deutschland wie wohl in keinem anderen TTIP-betroffenen Land zu einer für alle Verhandlungsinstanzen nervenden Angelegenheit geworden ist. Verräterisch spät (Mai 2014) wurde vom Bundeswirtschaftsminister ein TTIP-Beirat gegründet, der unterschiedlichste gesellschaftliche Gruppen, darunter Wissenschaft und Kultur, in zivilgesellschaftlichen Diskurs bringt. Seither gibt es wohl kaum ein Verhandlungsgeschehen, in dem gerade auch unter Experten inhaltliche Programmatik so widersprüchlich beurteilt wird. Dennoch mögen auch die anderen Bürgergesellschaften europaweit die notorische Einmischung der vom Wirtschaftsminister als neurotisch charakterisierten Deutschen profitieren.

So sehr es bestritten wird von Verhandlungsseite aus: TTIP war gedacht als eine Art „mission possible“ hinter verschlossenen Türen. Erst im vielseits erzwungenen öffentlichen Diskurs erschlossen sich die aus TTIP entstehenden Implikationen eben auch für die Kultur, steht sie doch bei all ihrer Gestaltungskraft auch in fragilen ökonomisch-politischen Abhängigkeiten.

Alles täglich aktuell über TTIP: → Deutscher Kulturrat e.V.

– Weitere Beiträge von Gunnar Schanno –

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