home

FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Das Städel präsentiert „Die 80er. Figurative Malerei in der BRD“

Mit breitem Pinselstrich und knalligen Bildern die Kunstszene aufgemischt

Von Hans-Bernd Heier

L1260724A-600

Friedhelm Hütte, Global Head of Art Deutsche Bank, Städel-Direktor Max Hollein und Franziska Leuthäußer, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Abteilung Gegenwartskunst, in der Pressekonferenz; Foto: FeuilletonFrankfurt

In den späten 1970er und frühen 80er Jahren trat eine neue Generation von Künstlern auf: Mit ihrer heftigen und knalligen Malerei sorgten junge Malerinnen und Maler für große Aufmerksamkeit und Furore auf den Kunstmärkten. Aus ganz unterschiedlichen Motivationen heraus begannen die sämtlich um 1950 Geborenen in einem neuen, expressiven Stil zu arbeiten. Sie malten mit raschen, breiten Pinselstrichen sehr farbkräftige Bilder mit trivialen Motiven, die für die damalige Zeit prägend waren. Ihre figurativen, mit großer Intensität und Dynamik geschaffenen Bilder stellten innerhalb weniger Jahre den Kunstbetrieb auf den Kopf. Wegen ihrer heftigen, teilweise auch als neo-expressionistisch eingestuften Malweise wurden sie als „Junge Wilde“ oder „Neue Wilde“ bezeichnet, die mit ihren provokanten, schwungvoll hingehauenen und teilweise obszönen Motiven großen Erfolg hatten, auch finanziellen. Denn sie stiegen schnell zu hochdotierten Stars des nationalen wie internationalen Kunstgeschäfts auf. Dem schnellen Aufstieg folgte allerdings auch ein rascher Abstieg.

W2

Martin Kippenberger „Zwei proletarische Erfinderinnen auf dem Weg zum Erfinderkongreß“, 1984, Öl und Silikon auf Leinwand, 160 × 133 cm; Städel Museum, Frankfurt am Main; © Estate of Martin Kippenberger, Galerie Gisela Capitain, Cologne

Noch heute spürt der Betrachter der Werke die Energie und „Power“ sowie die unbändige Lust der Künstler beim Malen. „Wir fühlten uns wie Rock’n’Roller innerhalb der Malerei! Es wurde so mit dem Pinsel gefuchtelt, als stünde man auf der Bühne und spielte Gitarre“, so beschreibt der West-Berliner „Wilde“ Bernd Zimmer die Atelier-Atmosphäre.

DUMONT FETTING_028

Rainer Fetting „Erstes Mauerbild“, 1977, Tempera auf Leinwand, 160 × 190 cm; Städel Museum, Frankfurt am Main; Foto: Städel Museum – ARTOTHEK; © Rainer Fetting

Die Neubelebung der heftigen gegenständlichen Malerei fand nahezu zeitgleich in den Zentren Berlin, Hamburg und dem Rheinland statt. Obwohl die Künstlerinnen und Künstler dort teilweise zusammen arbeiteten und auch gemeinsame Ateliers hatten, bildeten sich dennoch keine festen Gruppen. Die Künstler-Gemeinschaften waren eher locker und lösten sich auch rasch wieder auf. „Die Protagonisten der Zeit waren alles andere als eine homogene malerische Bewegung. Vielmehr zeichnet sich die Malerei jenes Jahrzehnts zwischen Studentenrevolte und wiedervereinigtem Deutschland durch ein vielschichtiges, zum Teil widersprüchliches Nebeneinander unterschiedlicher Strömungen, Einflüsse und Befindlichkeiten aus“, sagt Kurator Martin Engler, Sammlungsleiter Gegenwartskunst im Städel. Das mag auch ein Grund dafür sein, dass sich kein gemeinsamer Name durchsetzen konnte.

„Mutwillig zerstörte Telefonzellen“ von Werner Büttner

Werner Büttner „Mutwillig zerstörte Telefonzellen“, 1982, Öl auf Leinwand, 190 × 150 cm; Museum für Kommunikation, Frankfurt am Main; Foto: Axel Schneider; © Werner Büttner

Rund 30 Jahre nach dem kometenhaften Erfolg der „Jungen Wilden“ scheint der Abstand groß genug, um kritisch auf diese stürmische Kunstphase zurückzublicken. In einer groß angelegten Sonderausstellung präsentiert das Städel Museum bis zum 18. Oktober 2015 „Die 80er. Figurative Malerei in der BRD“. Mit rund 90 Werken von insgesamt 27 Künstlerinnen und Künstlern beleuchtet die beeindruckende Schau jenes irritierende und überaus dynamische Kunstgeschehen. „Die Ausstellung möchte einen neuen, unverstellten Zugang zu einer Malerei ermöglichen, die allzu oft durch die Raster der Diskurse gefallen ist“, erläutert Engler. Ein ambitioniertes, gleichwohl gelungenes Unterfangen.

„Die Sammlung Gegenwartskunst des Städel Museums mit ihrem spezifischen Fokus auf der Malerei nach 1945 stellt“, so Ko-Kuratorin Franziska Leuthäußer, „einen idealen Rahmen für die Präsentation dieser ereignisreichen Dekade dar“. Kann das Museum doch gleich neun Arbeiten aus dem Sammlungsbereich Gegenwartskunst beisteuern. Des Weiteren werden hochkarätige Werke aus dem Hessischen Landesmuseum Darmstadt, der Klassik Stiftung Weimar, des Neuen Museums Weimar, der Berlinischen Galerie gezeigt sowie Gemälde aus Privatsammlungen und Künstlerbesitz, die lange nicht mehr zu sehen waren.

oehlen_7.tif

Albert Oehlen „Selbstportrait mit Palette“, 1984, Öl auf Leinwand, 180 × 180 cm; Private Collection; © Albert Oehlen

„Mit der Ausstellung hebt das Städel einen gewaltigen Bilderschatz, der zu lange durch die Brille überkommener Klischees gesehen wurde. Werke, die einerseits zu unserem kollektiven Bildgedächtnis gehören, andererseits in ihrer malerischen Potenz und konzeptuellen Komplexität neu bewertet und gesehen werden können“, erklärt Max Hollein, Direktor des Städel Museums. Das Museum, das derzeit sein 200jähriges Jubiläum feiert, begibt sich damit „bewusst auf einen schmalen Grat zwischen Gegenwart und Kunstgeschichte“, schreibt Hollein im Vorwort des opulenten Begleitbands. Die adäquate Rezeption dieser Werke verlange eine gewisse Bereitschaft, sich auf eine Zeitreise zu begeben.

Zu sehen sind im Ausstellungshaus des Städel u. a. Arbeiten von Ina Barfuss, Werner Büttner, Walter Dahn, Jiří Georg Dokoupil, Elvira Bach, Rainer Fetting, Georg Herold, Martin Kippenberger, Helmut Middendorf, Christa Näher, Albert Oehlen, Salomé oder Andreas Schulze.

Die Präsentation erstreckt sich über zwei Etagen des Peichl-Anbaus und folgt einer geografischen wie thematischen Gliederung. Den Auftakt bildet das klassische Genre der Porträtmalerei. Insbesondere die Selbstporträts, etwa Albert Oehlens „Selbstportrait mit Palette“ (1984), Werner Büttners „Selbstbildnis im Kino onanierend“ (1980) oder Walter Dahns „Selbst doppelt“ (1982), zeigen die intensive Auseinandersetzung mit dem Künstler-Ich in der Malerei. Die Selbstbildnisse bewegen sich laut Engler zwischen bloßer Abbildung und psychologischem Ausloten des Dargestellten, zwischen Selbsterkundung und oberflächlichem Rollenklischee.

MK_002

Martin Kippenberger „Ich kann beim besten Willen kein Hakenkreuz entdecken“, 1984, Öl und Silikon auf Leinwand, 160 × 133 cm; Friedrich Christian Flick Collection; Foto: Estate of Martin Kippenberger, Galerie Gisela Capitain, Cologne; © Estate of Martin Kippenberger, Galerie Gisela Capitain, Cologne

Es folgt die erste geografische Gruppierung am Standort West-Berlin. Das Zentrum bilden Maler der „Galerie am Moritzplatz“, die 1977 von Rainer Fetting, Helmut Middendorf, Salomé und Bernd Zimmer in Kreuzberg gegründet wurde. Ab 1979 war auch G. L. Gabriel Mitglied und stellte bis zur Auflösung der Galerie 1981 in Gruppen- und Einzelausstellungen am Moritzplatz aus. Das Berlin jener Zeit mit der trennenden Mauer wurde zum zentralen Motiv dieser Maler, die aus den westdeutschen Bundesländern in die Metropole gekommen waren. Rainer Fetting malt die Berliner Mauer gleich in verschiedensten Varianten. Während Künstler wie Gabriel oder Middendorf die Architektur ihrer Stadt thematisieren, befragt Bernd Zimmer mit seinen Landschaftsbildern die Grenzen zwischen Figur und Abstraktion.

W9 (2)

Walter Dahn „Die Geburt der Mülheimer Freiheit“, 1981, Dispersion auf Leinwand, 170 × 160 cm; Paul Maenz, Berlin; Foto: Archiv Paul Maenz, Berlin

Ein wesentliches Element im Schaffen der Berliner Künstler ist die sich formierende Punk- und Subkulturszene, ihre Dynamik und Rohheit, die in ihre Malerei einfließen. Besonders anschaulich wird dies beispielsweise in dem eingangs abgebildeten Gemälde „Electric Night“ (1979) von Helmut Middendorf.

Körperbilder, die von Rainer Fetting mit klassischen Aktmodellen in unterschiedlichen Posen fortgeführt werden, finden sich auch in den Werken Castellis und Salomés. Sie gehören zweifelsohne zu den radikalsten Themen der an Extremen überreichen Malerei der 80er Jahre. In ihren Werken konfrontieren sie den Betrachter in drastischer Weise mit ebenso politischen wie radikalen, vor allem explizit homoerotischen Akt-Darstellungen jenseits gesellschaftlicher Normen. „Die Rolle der Geschlechter in der Paarbeziehung auf der einen und die freizügige Darstellung erotischer Fantasien fernab bürgerlicher Moralvorstellungen auf der anderen Seite werden zum Thema“, so Engler.

W10

Milan Kunc „Schöner Wohnen (Nomenklatura)“, 1979, Acryl auf Leinwand, 130 × 150 cm; Sammlung Bischofberger, Schweiz; Foto: Galerie Bruno Bischofsberger, Schweiz; © Milan Kunc

Der zweite Teil der Präsentation im ersten Stock wird mit einer Reihe von offensichtlich politisch motivierten Werken eröffnet. Neben Albert Oehlens „Führerhauptquartier“ (1982) sind hier auch Fettings „Erstes Mauerbild“ (1977), Salomés „Blutsturz“ (1979), Dokoupils „Stern in Not“ (1982) oder Hans Peter Adamskis „Bildnis“ (1983) zu sehen. In diesen Gemälden greifen die Künstler einerseits politische Symbole auf, nur um ihre Sinnzusammenhänge umgehend aufzuheben. So etwa auch bei Kippenbergers zentralem Werk „Ich kann beim besten Willen kein Hakenkreuz entdecken“ (1984).

Die Bilder der Hamburger Szene um Werner Büttner, Georg Herold, Martin Kippenberger sowie Albert und Markus Oehlen schließen im folgenden Raum an den politischen Diskurs an. Anders als die „Moritzboys“ fanden die Künstler nicht primär als Ausstellungsgemeinschaft, sondern als Bündnis von Freunden zusammen, zu denen auch Ina Barfuss und Thomas Wachweger gehörten. Ihre Arbeiten bewegen sich zwischen Malerei und Text, zwischen Pathos, Klischee und Banalität. Auch gesellschaftliche oder politische Sujets werden stets mit ironisch-sarkastischen Anspielungen behandelt.

Mit der „Mülheimer Freiheit“ schließt sich der dritte geografische Raum an: Hans Peter Adamski, Peter Bömmels, Walter Dahn, Jiří Georg Dokoupil, Gerard Kever und Gerhard Naschberger arbeiteten ab 1980 in einem Gemeinschaftsatelier in einer Straße in Köln-Deutz, nach der sie ihre Gruppe benannten. Dahn hielt die Entstehung dieses Zusammenschlusses in seinem Werk „Die Geburt der Mülheimer Freiheit“ (1981) auf der Leinwand fest. Keiner der sechs akademisch ausgebildeten Künstler verfügte über eine klassische Malerausbildung. Der Kunstbetrieb sowie die Banalitäten des Alltags waren Themen, die sie diskutierten und künstlerisch bearbeiteten. „Die ‚Mülheimer Freiheit‘ pflegte einen gezielt ästhetisierten Dilettantismus, der sich in klischeehaften, kitschigen und banalen, immer aber auch malerisch faszinierenden Arbeiten zeigte“, sagt Franziska Leuthäußer. Ihre Arbeiten vergegenwärtigen auf besonders anschauliche Weise den Stilpluralismus, der die neue Kunst insgesamt prägte und die Kritik bis heute spaltet.

Diese faszinierende Vielfalt wird nicht nur im Vergleich der Gruppierungen und Künstler untereinander, sondern auch im Werk der einzelnen Künstler selbst sichtbar. Und allein das ist schon ein Besuch der klar strukturierten, unterhaltsamen Schau wert.

Die Ausstellung wird gefördert durch die Deutsche Bank AG. Das kostenlose, von der „Aventis Foundation“ geförderte digitale Angebot, das „Digitorial“ in deutscher und englischer Sprache, ermöglicht es, sich bereits vor dem Museumsbesuch auf die Themen der Ausstellung einzustimmen.

PK-600

Franziska Leuthäußer, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Abteilung Gegenwartskunst, und Martin Engler, Sammlungsleiter Gegenwartskunst, in der Pressekonferenz; Foto: FeuilletonFrankfurt

„Die 80er. Figurative Malerei in der BRD“, Städel Museum, bis 18. Oktober 2015

Bildnachweis, soweit nicht anders bezeichnet: Städel Museum – ARTOTHEK

 

Comments are closed.