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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Archiv für Mai, 2015

Insel Borkum – wo ein Zaun aus Walkieferknochen an raue Zeiten erinnert

2015, Mai 12.

Von Elke Backert

Vor der Nordseeküste reihen sich die sieben Ostfriesischen Inseln wie Perlen auf einer Schnur. Auf Sand gebaut und im Wattenmeer zu Hause. Sie und die Küste gehören zur beliebtesten Urlaubsregion im Reiseland Niedersachsen. Und jede Insel hat ihren eigenen Reiz und Fan …

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Vor der Tourist-Info erinnert ein Badekarren an frühere prüde Zeiten

Schon die Anreise mit dem schnellen Katamaran von Emden nach Borkum gefällt. Am Hafen wartet bereits die Kleinbahn, deren Wagen Namen tragen, die den meisten wohl nichts sagen und die niemand erklärt: Waterdelle, Greune Stee, Upholm, Kiebitzdelle, Hopp, Hohes Riff, Tüskendoor, Bantjedünen, Kobbedünen, Muschelfeld, Hooge Hörn … Das aber macht erwartungsvoll. Seeluft auf dem Katamaran, Seeluft in der Bahn, vorausgesetzt man steht auf dem luftigen Einstieg, den heutige Züge nicht mehr kennen. Am Bahnhof Borkum heißt es aussteigen, genau vor dem Hotel Vierjahreszeiten. Ganz modern dagegen die digitalen Haltestellen-Schilder, die die Fahrt zurück zu den Schiffen ankündigen. Nicht nur nach Emden, auch nach Eemshaven in Holland Weiterlesen

Kultur und Zivilisation

2015, Mai 10.

Ein Essay zur Unterscheidung

Von Gunnar Schanno

Kultur ist ein schillerndes Phänomen. Mit dem Begriff Kultur wird bezeichnet, was nicht dem Verbrauch, dem Konsum dient, was sich dem Geschmacklichen, dem Rationalen entzieht, was Zeitlichkeit übersteigt. Kultur wird in die Nähe des Wahren, Schönen und Guten verortet – darin hat sie hoheitlichen Charakter. Der Kultur werden als hauptsächliche, doch unabgegrenzte Ausprägungen die Kunst, das Brauchtum und die Religion zugesprochen. Für alle gilt, dass sie als Phänomene des Kulturellen in welcher Ausprägung auch immer wurzeln in der Tradition und ihren Wert gewinnen im bleibend kreativ Geschaffenen, im gelebten Andenken und in verkündeter Botschaft.

Tradition wird in besonderer Weise reklamiert als Legitimierung des Kulturellen. Tradition innerhalb ihrer Epochen, Stilen oder Formen soll Andenken, Erhalt, Fortführung des kulturell Geschaffenen sein und letztlich auch Schutz bieten vor dem Vergessen, wenn nicht gar dem Vernichten von Kunst, wenn es um ihre materialisierten Einzelartefakte geht. Die Tradition ist also wie ein Verbindungsmodus, der Zusammenhaltskraft, Faser- und Brückengeflecht bildet zwischen den kulturellen Ausprägungen sowohl des bildend Künstlerischen als auch den besagten Kulturausprägungen von Glauben, Sitten und Bräuchen. Über die Tradition erhält Kultur als Pan-Phänomen ihren Status des Erhaltens- und Schützenswerten.

Doch während der materialisierte Kunstgegenstand selbst, ob – beispielsweise – als Gemälde oder Plastik, seine Vollkommenheit in sich selbst trägt – welcher kritischen Wertung auch immer ausgesetzt – , während also der künstlerische Prozess im Gegenständlichen der bildenden Kunst zum Abschluss gekommen ist, so wird Kultur in ihrer in Tradition gelebten Ausprägung als Glauben, Sitten und Bräuche einem fortgesetzten Erkenntnisprozess unterworfen. Deshalb können über Generationen überkommene integritätsverletzende Riten und Bräuche unter menschenrechtlichen Aspekten keinen Anspruch mehr erheben auf Schutz dessen, was als Kulturgut bezeichnet wird – es soll hier nicht weiter Thema sein.

Um dem schillernden Phänomen Kultur etwas mehr Kontur zu geben, sei ihr Gegen- und Komplementärbegriff der Zivilisation zu Hilfe genommen. Zivilisation ist Nichtkultur. Während Kultur im Tiefsten immer unkonkret bleibt, so ist Zivilisation immer konkret und bestimmbar – in Wertung, im besagten Geschmacklichen, in ihrer Zeitverhaftetheit oder Unabgeschlossenheit. Ein Kunstgegenstand, zum Beispiel ein Gemälde, eine Plastik oder ein bauliches Stilcharakteristikum, welcher Qualität auch immer, ist nach Abschluss des künstlerischen Schaffens gänzlich abgeschlossen, in gewisser Weise vollkommen. Selbst ein Torso gilt im kulturellen Kontext nicht als defekt, als bar künstlerischen Wertes, vielmehr wird auch ihm museale Qualität zugesprochen. Ein Kunstwerk kann also nicht ergänzt, aktualisiert werden, es ist wie es ist auf Ewigkeit angelegt – auch wenn es von dinglichem Verfall betroffen ist oder von Menschenhand zerstört wird.

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Spruchbanner an der Ruine der Alten Oper Frankfurt: „Rettet das Opernhaus“, ein Spendenaufruf der gleichnamigen Bürgerinitiative, Aufnahme aus den 1950er Jahren; Nachweis: wikimedia commons/Kurt Liese Harald-Reportagen Weiterlesen

25 Jahre Shakespeare-Festival: das Globe Theatre Neuss nach dem Vorbild des Londoner Shakespeare-Theaters

2015, Mai 8.

„Was ihr wollt“ und „Wie es euch gefällt“ … im rheinischen „Wooden O“
25 Jahre Shakespeare-Kosmos in einer der ältesten Städte Deutschlands, in Neuss. Das kommende Festival findet vom 28. Mai bis zum 27. Juni 2015 statt. Ein Bericht von

Petra Kammann

Auf Londons Southbank wurde die Rekonstruktion des Shakespearean Globe Theatre 1987 eröffnet. Dort kann man nicht nur einen herrlichen Blick auf die Themse genießen, sondern nebenbei noch etwas über Shakespeare und das elisabethanische London, in dem der Dichter lebte und arbeitete, erfahren. In einer Ausstellung wird dort Shakespeares Welt wieder zum Leben erweckt – und mit einer Reihe interaktiver Ausstellungsstücke und Live-Präsentationen bereichert.

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Shakespeare-Büste vor dem Globe in Neuss, Foto: Christoph Krey

Die Konstruktion des Globe, in Form eines hölzernen O („The wooden O“) war der Urform des antiken Amphitheaters nachempfunden, welche sich durch den unmittelbaren Kontakt von Schauspielern und Zuschauern auszeichnet. Der Begriff Globe sollte den neuen Weg, die Welt als Ganzes vorzustellen, dokumentieren. Von der Tribüne und den zwei übereinander gebauten Rängen ließ sich das Bühnengeschehen vom Publikum unmittelbar verfolgen ganz nach Shakespeares Maxime: „Die ganze Welt ist eine Bühne und alle Fraun und Männer nichts als Spieler“. Ganz „Wie es euch gefällt“. Weiterlesen

Unterwegs in Deutschland – Neuland (2)

2015, Mai 7.

Über Eisleben und Lutherstadt Wittenberg, Stendal und die Müritz im ersten Teil des Berichts geht die Reise nun nach Stralsund und weiter nach Rügen …

Von Ingrid Malhotra

In Stralsund

Auf Stralsund war ich sowieso ganz besonders neugierig. Damals, bei meiner ersten Fahrt, sah es desolat aus, aber man konnte ahnen, dass dies einmal eine ganz besondere Stadt war. Wenn man damals die Einwohner fragte, ob sie denn keine Zuschüsse erhielten, um die Stadt zu sanieren, gab es ziemlich bösartige Vermutungen darüber, wo diese Zuschüsse wohl gelandet seien. Davon ahnt man heute nichts mehr. Stralsund ist für mich eine der schönsten Städte Deutschlands und sehr umfassend und liebevoll restauriert. Jetzt sagen die Einwohner, dieses Glück sei ihnen widerfahren, weil es sich bei Stralsund um den Merkelschen Wahlkreis handelt. Nun, wenn das wirklich der Grund ist, dann will ich nicht meckern – hier waren eventuelle Wahlgeschenke ausnahmsweise einmal wirklich bestens investiert.

Bild 15 Stralsund - Rathaus und Nikolaikirche

Stralsund – Rathaus und Nikolaikirche

Nachdem ich in der Stadt angekommen war, habe ich erst einmal in einer blitzblanken Gasse bei der Stadtmauer angehalten und mich informiert, welche Hotels es in der Innenstadt gibt Weiterlesen

Museum für Komische Kunst zeigt Cartoons von Gerhard Glück

2015, Mai 5.

Glücksmomente im caricatura

Von Hans-Bernd Heier

Anlässlich seines 70sten Geburtstags hat Kassel Gerhard Glück im letzten Jahr mit zwei Sonderausstellungen geehrt. „Das Museum für Komische Kunst durfte aus den beiden Ausstellungen das Beste für Frankfurt auswählen und kann die Arbeiten nun im allerschönsten Museum der Welt zeigen“, freut sich Achim Frenz, Leiter des caricatura museums frankfurt. Eigens für die unterhaltsame Schau im ehemaligen Leinwandhaus hat Glück ein farbiges Gemälde gefertigt, das den offensichtlich verdutzten Künstler am Museumsufer sitzend an einem Tisch mit einem Apfelweinglas und Bembel zeigt, umringt von einer fröhlichen asiatischen Reisegruppe. Im Hintergrund sind der Frankfurter Dom und der Eiserne Steg zu sehen. Dabei gehen dem von der unerwarteten Begegnung Überrumpelten die viel zitierten Zeilen des Frankfurt-Gedichts des bekannten Mundartdichters Friedrich Stoltze durch den Kopf:

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„Un es will mer net in de Kopp enei, wie kann nor e Mensch net von Frankfort sei!“, Copyright © Gerhard Glück; Foto: Hans-Bernd Heier

Das caricatura museum hat unter dem Titel „Glück im Museum. Cartoons von Gerhard Glück“ insgesamt rund 240 Cartoons versammelt, die ab den 1980er Jahren entstanden sind. Besucher der kurzweiligen Schau, die das Werk des Meisters der komischen Kunst umfassend zeigt, können sich an seinen humorvollen Cartoons erfreuen. Es sind subtile, kunstvolle Darstellungen, meist in leuchtender Farbigkeit in Tempera oder Acryl auf Karton ausgeführt. „Es sind Glücksmomente – jedes Bild für sich“, schwärmt Frenz. Bei der Hängung hat er weitgehend auf eine chronologische und thematische Gliederung verzichtet. Nur im ersten Stock bildet die „Welt der Kunst“ einen Themenschwerpunkt. Ansonsten hat Frenz die Arbeiten „vornehmlich nach Schönheit“ zusammengestellt Weiterlesen

Unterwegs in Deutschland – Neuland (1)

2015, Mai 4.

Von Ingrid Malhotra

Neuland … also, für mich jedenfalls!

Man kann ja nicht immer nur unterwegs in China sein. Zuhause gibt es doch auch noch Neues zu entdecken. In den vielen Jahren der Trennung Deutschlands in zwei Teile hat man ja Gewohnheiten entwickelt – z.B. immer nur nach Süden, nach Westen und gelegentlich auch einmal nach Norden zu fahren. Nach Osten? Wozu? Man kam ja nicht weit!
Sicher, in den letzten 25 Jahren war ich schon recht oft östlich von Frankfurt am Main unterwegs. Meine Heimatstadt Dresden war dabei meist mein Hauptziel, aber auch das nahe Thüringen mit seinen bezaubernden Landschaften lud immer wieder einmal zu einem Tages- oder Wochenendausflug ein.

Kurz nach der Wiedervereinigung bin ich auch einmal durch Mecklenburg-Vorpommern bis nach Rügen gefahren. Aber damals waren die Städte noch völlig verwahrlost, die Strassen grässlich und die Hotels, naja, seltsam. Eher wie Jugendherbergen, aber wie solche vor 50 oder 60 Jahren. Doch man sah auf jeden Fall, dass es da wunderschöne Landschaften zu entdecken gab und dass die Städte einmal wunderschön gewesen sein müssen – jedenfalls manche.
Viel Zeit hatte ich damals nicht, aber dass ich noch einmal mit Ruhe durch möglichst viele Abschnitte der Alleenstrasse bis nach Rügen fahren würde, war klar. Jetzt hat sich endlich die Gelegenheit ergeben.

Erst einmal ging es an Fulda vorbei Richtung Osten, durch eigenartige Landschaften, die durch gewaltige Abraumhalden eine ganz besondere Prägung erhielten. Irgendwie hatte das auch einen gewissen Reiz, schwer zu beschreiben …

Bild 1 - Irgedwo zwischen Fulda und Eisleben

Irgendwo zwischen Fulda und Eisleben

Mein erstes Etappenziel war Eisleben. Damals, in den frühen Neunzigern, hatte ich Station in der Lutherstadt Wittenberg gemacht, wo man schon Anzeichen eines beginnenden Wiederaufbaus erkannte. Eisleben ist auch eine Lutherstadt, dachte ich mir, ist sicher sehenswert und schön saniert. Dachte ich. Weiterlesen

Wim Wenders: „Landschaften. Photographien.“ im Museum Kunstpalast Düsseldorf

2015, Mai 2.

Lost Places und die Verteidigung der Realität

Wim Wenders wurde vor allem durch Filme und Roadmovies bekannt wie „Im Lauf der Zeit“, „Der amerikanische Freund“, „Paris Texas“, „Der Himmel über Berlin“, aber auch durch den 3 D-Film „Pina“ oder zuletzt durch „Das Salz der Erde“, wo er den brasilianischen Fotografen Sebastião Salgado porträtierte. Doch macht für den Filmemacher die fotografische Arbeit die andere Hälfte seines Lebens aus. So entstand neben seinen filmischen Arbeiten ein unabhängiges fotografisches Werk mit Aufnahmen von einsamen verlassenen Orten und Landschaften, die eine ganz eigene Magie ausstrahlen. Sein 70. Geburtstag war Anlass für das Museum Kunstpalast in Düsseldorf, eine Auswahl von etwa 80 großformatigen, analog entstandenen Fotografien zu zeigen: frühe Schwarz-Weiß-Aufnahmen, monumentale Landschaftspanoramen und Fotografien aus dem letzten Jahr.

Petra Kammann

traf den Bild-Künstler im Museum Kunstpalast

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Wim Wenders im Museum Kunstpalast, Foto: Petra Kammann

Anders als der Schriftsteller oder Fotograf ist der Filmemacher selten allein. Wer Filme macht, muss mit vielen Menschen umgehen, die immer auch viele Konflikte in sich tragen: Schauspieler, Statisten, Standfotografen, Beleuchter und etliche andere. Also könnte man annehmen, dass beim Filmemachen selbst Fotos allemal „abfallen“. Sie hätten Basis einer Foto-Ausstellung sein können. Nicht so bei Wim Wenders, wenngleich seine Fotos eine ähnlich berührende Ausstrahlung haben wie etliche seiner Filme. Für den Filmemacher, der ohne Kunstlicht und ohne Stativ fotografiert, ist der Akt des Fotografierens etwas ganz Besonderes und Unverwechselbares, ja fast etwas Altertümliches. Dabei ist er ganz allein auf sich angewiesen, genießt das auch und eignet sich einen Ort an, der ihm eine Geschichte erzählt Weiterlesen

Auf Thomas Manns Spuren in ehemaligen Davoser Luxussanatorien

2015, Mai 1.

Liegestühle mit Kamelhaardecken auf sonnigen Loggien

Von Elke Backert

„Man lag ganz ungewöhnlich bequem, das stellte Hans Castorp sogleich mit Vergnügen fest. – Er erinnerte sich nicht, dass ihm je ein so angenehmer Liegestuhl vorgekommen sei … Er schlug die Kamelhaardecke zuerst von links der Länge nach bis unter die Achsel über sich, hierauf von unten über die Füße und dann von rechts, so dass er endlich ein vollkommen ebenmäßiges und glattes Paket bildete, aus dem nur Kopf, Schultern und Arme hervorsahen.“ Was Thomas Mann in seinem „Zauberberg“ vor knapp 100 Jahren über den hanseatischen Patriziersohn Hans Castorp schreibt, kann man noch heute nachvollziehen. Das Waldhotel im Schweizer Kurort Davos belegt seine Balkon-Liegen mit einem Schild und obigem Roman-Auszug samt der Anmerkung: „Unsere Davoser Liegestühle wurden im Sommer 2006 von der Behindertenwerkstätte ARGO Davor/Chur restauriert. Sie können die Waldhotel-Decke für 42 Schweizer Franken an der Rezeption käuflich erwerben.“

Davos Waldhotel (2)

Waldhotel; restaurierter Liegestuhl auf dem Balkon des Waldhotel, ehemals Waldsanatorium Weiterlesen