home

FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Christiana Protto – „A Taylor‘s Garden“ im KunstRaum Bernusstrasse

Landschaften aus dem Verborgenen

Von Hanneke Heinemann
Kunsthistorikerin und Kuratorin
Eröffnungsansprache

Mit Christiana Protto haben wir eine Künstlerin vor uns, die in jedem Bereich ihres langen Schaffens stark reflektiert und dabei immer wieder auf Hauptthemen wie das Reisen oder die menschliche Existenz zurückgreift, ohne sich jedoch Neuem zu verschließen. Dadurch erhalten ihre Werke eine Konsequenz, die man mitunter erst auf dem zweiten Blick erkennt. Einige Aspekte, die man nicht nur an den Werken der Ausstellung ablesen kann, möchte ich ohne Anspruch auf Vollständigkeit vorstellen. Dabei werde ich Themen wie Garten, Ornamente, Schichten, Raum und das Wanderatelier streifen.

Der Titel „A Taylor’s Garden“ (Eines Schneiders Garten) wurde von Christiana Protto halb mit Bedacht, halb intuitiv gewählt. Die Verbindung von Garten und einem Schneider mag uns vielleicht am Anfang befremdlich erscheinen. Jedoch finden sich durchaus Gemeinsamkeiten in einer Schneiderei und in einem Garten. Ein Schneider schneidet aus und setzt wieder zusammen. Macht ein Gärtner nicht Ähnliches, wenn er Pflanzen umgesetzt und Beete und Flächen anlegt? Ein Schneider arbeitet mit Formen und Ornamenten, ein Gärtner richtet sich ebenfalls nach Strukturen und Mustern. Auch ein Flechtzaun, mit dem Gärten umzäunt sein können, wird ähnlich hergestellt wie das Gewebe, mit dem der Schneider arbeitet.

Wir kennen den Garten als ein abgegrenztes Stück Natur, das mehr oder weniger stark gepflegt und bearbeitet wird. Mit unseren kunsthistorischen Kenntnissen haben wir sofort einen „Hortus conclusus“ vor Augen, ein wunderschönes Rasen- und Gartenstück, in dem meist von schönsten Blüten umgeben Maria sitzt, ausgestattet mit Symbolen ihrer Tugenden.

Einen schönen Ort, ein Paradies, stellt man sich in vielen Kulturen als Garten vor. Es ist der fruchtbare Ort, in dem etwas wächst, mit meist üppiger Vegetation aus Zweigen, Blüten und Rasen. Häufig ist ein Garten oder Park mit Wasser in Form von Seen, Brunnen oder Sprinkelanlagen verbunden, das Üppigkeit und Leben garantiert. Sehen Sie sich hierzu bitte besonders die Fotos an.

Doch die Künstlerin sieht auch andere Aspekte im Garten. Für sie ist der Garten ebenfalls ein Ort des Verfalls, im dem auch Gewalt angewendet wird: Um dem Garten Form zu geben, muss geschnitten und gestutzt werden. Auf einigen Fotos kann man aggressive Eingriffe sehen: So schön die Sichelform des neuen Beetes im Rasen auch ist, der Schnitt und das Entfernen der Graspflanzen hat etwas von der Brutalität einer Schnittwunde, von der wir allerdings annehmen, dass sie bald schön verheilen wird.

Die meisten anderen Ornamente in Christiana Prottos Werken sind jedoch deutlich angenehmer und man spürt sofort, dass die Künstlerin von Ornamenten fasziniert ist.

Protto-ATG-Ausstellung Raumsicht

↑ Raumansicht:
Coupage (Vase), 2015, Mischtechnik auf Papier, 42 x 30 cm
Giardinetto, 2014, Acryl auf Tablett, 30 x 45 x 7 cm
Buddha, 2014, Mischtechnik auf Papier auf Leinwand, 40 x 30 cm
© VG Bild-Kunst, Bonn

↓ Iris, 2015, Acryl auf Leinwand, 100 x 150 cm, © Christiana Protto/VG Bild-Kunst, Bonn

Protto-ATG-Acryl auf Leinwand 2015

Neben Tapetenmustern mit vielfältigsten Rapporten liebt Christiana Protto textile Muster, Tischdecken, Geschirrtücher und vieles andere. Spätestens oben im Wanderatelier wird man es auf dem Rundgang bemerken. Es fällt auch auf, dass sie Kreise immer wieder verwendet, die in den Collagen und auch in den Fotografien häufiger wieder auftauchen. In den Malereien hingegen erscheinen eher Formen, die an Rundvasen oder Lampions erinnern.

Vorherrschend jedoch sind in den Malereien Streifen- und Karomuster. Sie sind in einem konzentrierten, immer wieder abwägenden Prozess Strich um Strich, jede Schicht mit der Hand, aufgelegt worden. Es kann vorkommen, dass die Künstlerin mehr als zehn Schichten in einem Bild aufträgt, von denen viele noch beim flüchtigen Betrachten sichtbar bleiben, andere ganz hinter den anderen Schichten zurücktreten. Sie verwendet in den einzelnen Leinwänden mitunter einige Schemata mehr als einmal, auch in dieser Ausstellung, diese jedoch immer wieder deutlich anders. So wird die Bildfläche oft in wenige Abschnitte aufgeteilt, die sich durch Farbauftrag, Struktur und Farbigkeit deutlich unterscheiden. „Spring“ (Acryl auf Holz) besteht beispielsweise aus zwei deutlich unterschiedlichen Abschnitten: Rechts sehen wir ein Streifenmuster mit schwarzem Untergrund und weißen Streifen. Abgesetzt wird die Struktur durch türkisfarbene und grüne Farbstreifen. Unser Auge fühlt sich sicher, weil die Ordnung mit der eigenen Erfahrung an Mustern übereinstimmt und somit als vertraut angenommen wird, obwohl ich fast ausschließen möchte, dass einer von Ihnen schon vorher genau solch ein Muster gesehen hat. Es ist dadurch gekennzeichnet, dass es unten undurchlässig erscheint, den Blick dann in die Vertikale zieht, um ihn dann wieder vor einem dahinter gelegten grünen Balken abzubremsen. Die horizontalen Streifen auf der linken Seite sind von einem kräftigen Rot-Grün-Farbkontrast bestimmt, sie scheinen zwar durch die anderen Farbschichten hindurch, sind aber nur an einer schmalen Stelle klar zu sehen. Dieser Teil des Bildes wird von einer Zeichnung bestimmt, in der Christiana Protto die Farbe fließen ließ. Sie setzt den Pinsel an und beobachtet, wie der Zufall in den Verlauf und die Form der Linien eingreift. So erhält die vorgeplante Zeichnung etwas Luftiges, etwas Verspieltes – oder ist es doch etwas Vegetabiles?

Nicht nur durch das verbindende Element der Streifen gehören beide soeben beschriebene Teile so zusammen, wie sie sind. Stellt man sich hypothetisch beide Abschnitte einzeln vor, würde man feststellen, dass ihnen jeweils etwas Wesentliches fehlen würde.

Nicht nur mehr oder weniger subtile Kontraste schafft Christiana Protto mit den Strukturen auf ihren Bildern, sondern damit auch gleichzeitig Raum. Manchmal greift sie innerhalb ihrer Sprache, in der sie Streifen und Strukturen mit anderen Formen kombiniert, auch auf Konventionen zurück, die sowohl in der Malerei als auch in der Fotografie seit langem bekannt sind, um Tiefe zu erzeugen. Auf dem Bild „Geäst“ (Acryl auf Leinwand) sehe ich eine Vase und zwei Lampions beziehungsweise Laternen. Bei der Betrachtung ist die malerische Funktion der Gegenstände wohl wichtiger als die konkrete Deutung. Sie werden hier sicher gesetzt, um eine Raumandeutung zu erzeugen: Die „Vase“ steht rechts vor einem Vorhang und wird, verstärkt durch die dunkle Farbigkeit, näher zum Betrachter gerückt. Die beiden Laternen werden teilweise überdeckt und rücken somit eine Schicht weiter zurück in den Hintergrund.

Noch deutlicher werden Tiefe und Raum auf dem Bild „Herbst“ (Acryl auf Papier auf Leinwand). Hier gewähren helle Vorhänge einen Einblick in einen Raum, in dem sich ein Baum oder eine andere vegetabile Form bewegt, teilweise recht dramatisch mit einer riesenhaften Blüte, die in den Vordergrund ragt. Im Hintergrund scheint Licht hineinzufallen, das Ferne dahinter suggeriert.

Nicht nur die Tiefe, die durch Struktur und Hell-Dunkel gebildet wird, ist hier sehr schön herausgearbeitet. Auch die stimmige Farbigkeit der Rot-und Grüntöne ist sehr gelungen. Ein Element, das auf die Biografie der Künstlerin anspielt, ist der Untergrund, auf dem teilweise noch chinesische Sprachübungen zu erkennen sind.

Christiana Protto hat viele Malweisen absorbiert. Mit ihren interkulturellen Erfahrungen und Studien ist das kaum überraschend. Hier sieht man, dass sie mit Mitteln von Fläche und Struktur, die man eher aus dem asiatischen Bereich kennt, eine Raumtiefe erzeugt, die man allerdings in der östlichen Malerei kaum findet. Auf jahrhundertealte westliche Technik wie die Zentralperspektive kann sie durchaus verzichten.

Schichten und Strukturen sind für ihre Malerei grundlegend. Christiana Protto arbeitet allerdings nicht nur mit Malschichten, sondern schichtet auch Papier in ihren Collagen und Zeichnungen. An Schichten kann man die Zeit ablesen, denken Sie nur an archäologische oder geologische Schnitte, aus denen man interessante Details aus der Vergangenheit erfahren kann.

Wenn man sich ein gemaltes Bild anschaut und verschiedene Schichten erkennt, macht man sich häufig Gedanken darüber, in welcher Reihenfolge – in welcher Zeitenfolge – sie angelegt wurden. Bei den Malereien hier sind solche Betrachtungen selten von Bedeutung, da sich Flächen, Schichten und Zeichnungen recht schnell zu einem homogenen Ganzen zusammenfügen.

Bei den Collagen trennt man doch unwillkürlich die Zeitebenen, vor allem wenn man zu wissen glaubt, woher und aus welcher Zeit die verwendeten Schnipsel kommen, beispielsweise in „Coupage (Löwe)“ (Mischtechnik auf Papier): Ist dieses Tapetenmuster nicht so eines, wie wir es aus den Siebziger- und Achtzigerjahren kennen? Die Farben und Ornament-Anordnungen sind zu typisch. Erinnern Sie nicht an die Prilblumen, die auf vielen Küchenfliesen klebten? Diese hier sind ähnlich. Aber dann wird dieses isolierte Muster mit der Zeichnung eines Gesichtes kombiniert, das auf einem Blatt mit geschriebenen chinesischen Schriftzeichen getuscht worden ist. Diese drei Elemente sind wiederum auf ein gitterartiges Ornament geklebt und genäht. Hier sind wir wieder beim Schneider, der aus mehreren Stücken etwas Neues zusammenfügt. Die stehengelassenen Nähfaden werden selbst Teil der Zeichnung und verbinden geschickt Flächen und Linien.

In anderen Collagen sind übrigens weitere Verweise auf ältere Werke eingearbeitet: Da findet sich beispielsweise eine selbst gefertigte Tapete, Zeichnungen oder Skizzen.

Im oberen kleinen Raum leitet ein altes, sichtbar gebrauchtes Tablett zum Wanderatelier über „Giardinetto“ (Acryl auf Tablett). Dessen Rand ist aus einem gewundenen Plastikband gebildet und könnte mit dieser Flechtung vielleicht sogar als Zaun gemeint sein: Er umschließt eine Malerei, mit grünen Flächen und vegetabilen Details auf einem kaum noch zu erkennendem Musterdekor. Sehr aufschlussreich ist Christiana Prottos Bemerkung zum alten Tablett: Sie habe lange überlegt, ob sie es instand setzen solle, die durchtrennten Bänder wieder flicken und den Griff wieder befestigen. Sie wusste dann, dass eine Reparatur nicht stimmen würde. In Verbindung mit der malerischen Inbesitznahme des Tabletts und dem Stehenlassen selbst einiger Ablagerungen im vorgefundenen Objekt fing das Bild an zu wachsen. Aus etwas Defektem – Totem – wurde Leben.

Protto-ATG-Fotografie Wannsee Berlin 1

↑ o. T. (Wannsee Berlin 1, 2014), 2015, Fotografie, 50 x 70 cm, © VG Bild-Kunst, Bonn

↓ Wanderatelier, 2015, Detail; Foto: Christiana Protto, © VG Bild-Kunst, Bonn

Protto-2015Wanderatelier-Detail

Dieser Gedanke hilft auch bei der Betrachtung der neuesten Ausgabe des Wanderateliers, an der Christiana Protto bis zuletzt noch gearbeitet hat.

Das Konzept Wanderatelier beschäftigt die Künstlerin seit vielen Jahren. An wichtigen Ausstellungsorten platziert sie Gegenstände, die sie gesammelt hat, die ihr am Herzen liegen, und ergänzt sie mit Gegenständen, die sie vor Ort vorgefunden hat. Die Buchsbaumkübelpflanzen werden regelmäßigen Besuchern der Galerie vielleicht bekannt vorkommen. Die aus Kernen selbst gezogenen Zitrusbäumchen hat Christiana Protto mitgebracht. Es ist ein „Wandlungsatelier“, das immer wieder Vorhandenes umwandelt. In ihm verbindet sie immer wieder Altes mit Neuem und denkt eine Idee immer wieder anders. Diese Herangehensweise verrät uns viel über die Persönlichkeit der Künstlerin. Das Thema im KunstRaum Bernusstraße ist – wie könnte es auch anders sein – der Garten.

In einem Vorgespräch zur Ausstellung zitierte Christiana Protto den passenden Satz, mit dem Voltaire seinen „Candide“ abschließt: „… mais il faut cultiver notre jardin“. Auf seinen Reisen übersteht der Titelheld viele Abenteuer und Unglücksschläge, er erwirbt Reichtum, verliert sein Glück wieder. Am Ende seiner Reise angekommen, bleibt die Erkenntnis, dass man seinen Garten bestellen muss, egal wie die Dinge stehen.

Besonders wenn man sich länger mit Christiana Prottos Bildern beschäftigt, merkt man ihnen an, wieviel Kultivierungsarbeit sie die Künstlerin als Gärtnerin gekostet haben. Man merkt ihnen nicht nur den geschulten, sondern auch intuitiven kritischen Blick an, der sie geformt hat. Zeichen von Vergänglichkeit und Labilität, auch in schönen Formen, sieht man besonders in den Fotografien. Aber in vielen Bildern – sei es in einzelnen Details oder in den Räumen – ahnt man auch das Paradies. Gibt es mehr, was eine Ausstellung zeigen kann?

„Christiana Protto – A Taylor’s Garden – Neue Arbeiten“, KunstRaum Bernusstrasse, bis 9. Mai 2015

→ Christiana Protto: “Geronimo” in der Weissfrauen Diakoniekirche
→ Christiana Protto und der Hauch eines west-östlichen Zaubers
→ Christiana Protto
s. a. → Hausgeister bei “Home Abroad”

Comments are closed.