home

FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Euryanthe“ von Carl Maria von Weber an der Oper Frankfurt

Schach der Ehre!

Von Renate Feyerbacher
Fotos: Monika Rittershaus/Oper Frankfurt und Renate Feyerbacher

Am Ostersonntag hatte die heroisch-romantische Oper „Euryanthe“ von Carl Maria von Weber Premiere. Sie wurde 1823 am Kärntnertortheater in Wien uraufgeführt.

euryanthe_02_HQ

im Vordergrund am Schachtisch sitzend Eric Cutler (Adolar) und schräg links hinter ihm stehend Kihwan Sim (König) sowie Chor und Extrachor der Oper Frankfurt; Foto © Monika Rittershaus

Das soll Musik von Carl Maria von Weber sein? Ausser der Ouvertüre – nie gehört. Woran lag es, dass diese aussergewöhnliche Oper nicht aufgeführt wurde? Es lag am schwierigen, eigenwilligen Libretto.

Er habe Weber zunächst unterschätzt, sagt Dirigent Roland Kluttig bei „Oper extra“ und bekennt sich zu seinen früheren Vorurteilen zur Oper, die er längst abgelegt hat. Nun hat er, der das Dirigieren an der „Hochschule für Musik Carl Maria von Weber Dresden“ lernte, wo der Komponist (1786-1826) einst Generalmusikdirektor war, dem Frankfurter Opernpublikum eine vorzügliche Aufführung der „Euryanthe“ beschert.

Vielfältig sind die musikalischen Risse. Mal ist Berlioz, mal Rossini, mal Gluck, mal Wagner zu hören. Richard Wagner war, als „Euryanthe“ uraufgeführt wurde, erst zehn Jahre alt. Carl Maria von Weber konnte sich also nicht an ihm orientieren. Wagner aber war begeistert von dieser Oper und hat sich später – umgekehrt – musikalisch und inhaltlich aus ihr bedient und sich von ihr inspirieren lassen. Die Paar-Konstellation Euryanthe/Adolar – die Weissen – Eglatine/Lysiart – die Schwarzen – hat Wagner im „Lohgengrin“ übernommen: Elsa/Lohengrin contra Ortrud/Telramund. Musikalische Momente à la Weber sind auch in „Tristan und Isolde“ zu hören.

Der französische Dirigent und Komponist polnisch-lettischer Herkunft René Leibowitz bewundert in der „verachteten“ Oper Euryanthe die „dramatische Wucht, die erstaunlich ausdrucksvolle Kraft der Deklamation und die gesanglichen Linien im Allgemeinen, die sehr neue und gewagte Behandlung des Orchesterapparates“ (Programmheft). Euryanthe ist eine eigenwillige Oper, die sich nicht ins gängige Repertoire einordnen lässt.

002-Euryanthe

Roland Kluttig am 29. März 2015; Foto: Renate Feyerbacher

Dirigent Roland Kluttig gelingt es, die musikalischen Risse, die heterogenen Teile, die Stilbrüche des Werkes mit dem Frankfurter Opern-und Museumsorchester fein zu „kitten“ beziehungsweise zu verbinden und zu überwinden. Die melancholischen, die freudigen, die verzweifelten, die rachegeladenen Arien, die gewaltigen Choreinlagen werden einfühlsam – mal äusserst sensibel, mal wuchtig begleitet. Es gelingt dem Orchester, das Publikum für die Wiederentdeckung dieser Weber-Oper zu begeistern. Kaum Kürzungen nahm Kluttig an dem dreistündigen Werk vor, das dadurch seine ganze musikalische Anmut zeigen konnte.

Die Musik richtet sich nach dem Libretto, das dadurch aufgewertet wird. Carl Maria von Weber war Komponist, Dirigent, Konzertpianist und Schriftsteller. Er war ein Kosmopolit, ein Multitalent, von dessen Begabungen noch mehrere aufgezählt werden könnten. Für ihn war die enge Verwandtschaft von Tonkunst und Dichtung beziehungsweise Literatur selbstverständlich.

euryanthe_06_HQ

das Ensemble; Foto © Monika Rittershaus

Die Geschichte, die Helmina von Chézy zum Libretto umarbeitete, geht auf eine mittelalterliche Legende zurück, in der ein Ehemann mit der Tugend und Treue seiner Ehefrau prahlt und sogar sein Hab und Gut dafür verwettet. So geschieht es auch in „Euryanthe“: Adolar, der die Treue seiner Braut besingt, lässt sich von Lysiart provozieren, der ihre Tugendhaftigkeit infrage stellt. Er könne Euryanthe verführen. Adolar verwettet sein Hab und Gut. Er verliert alles, aber nicht weil seine Braut sich verführen lässt, sondern weil sie ein Geheimnis, das Adolar ihr anvertraute, verrät: nämlich, dass seine Schwester Emma, nachdem ihr geliebter Udo im Krieg gefallen war, sich das Leben nahm. Ihr Geist irrt seitdem umher und kann nur erlöst und mit Udo vereint werden, wenn Tränen einer Unschuldigen auf den Ring fallen, von dem sie das Gift nahm. Der Suizid brachte Schande. Die katholische Kirche – und Carl Maria von Weber war Katholik – verweigerte Selbstmördern die Bestattung. Das war bis ins 20. Jahrhundert der Fall. Ausgerechnet Euryanthe hat  dieses Geheimnis der angeblichen Freundin Eglantine erzählt, die sich aber an Adolar, den sie liebt, wegen dessen Zurückweisung rächen will. Eglantine und Lysiart verbünden sich. Die beiden sind erfolgreich in ihrem kriminalistischen Handeln. Eglantine entwendet aus dem Grab Emmas Ring. Adolar verliert alles. Er führt Euryanthe in eine Einöde, um sie zu töten. Sie ihrerseits rettet den Geliebten vor einer Schlange. Dieser verlässt sie dennoch und überlässt sie ihrem Schicksal, dem Tod. Damit lädt Adolar schwere Schuld auf sich. Das königliche Jagdgefolge kommt in die Einöde und der König erfährt von der noch lebenden Euryanthe von der Intrige des Paares Eglantine und Lysiart, deren Hochzeit dennoch gefeiert wird. Lysiart tötet seine soeben angetraute Ehefrau Eglantine beim Hochzeitsfest. Euryanthes Treue wird besungen, aber können ihre Tränen auch Emma und Udo erlösen?

euryanthe_05_HQ

im Vordergrund von oben nach unten James Rutherford (Lysiart), Heidi Melton (Eglantine), Eric Cutler (Adolar)  und Erika Sunnegardh (Euryanthe) sowie im Hintergrund Chor und Extrachor der Oper Frankfurt; Foto © Monika Rittershaus

Carl Maria von Webers kompositorische Einfälle steigern sich gegen Ende der Oper noch einmal: Der Jägerchor, der an „Freischütz“ erinnert, aber auch der Hochzeitsmarsch und die Wahnsinnszene der Eglantine sind von grosser Wucht und Eindringlichkeit.

Mit dem fantasievollen Libretto hatte der Komponist auch gewisse Schwierigkeiten, aber er befürwortete die Aufhebung der strengen Trennung von Fantasie und Wirklichkeit: Traum, Alltag, Realität und Unbewusstes gehörten für ihn zusammen. Auch in den Opern „Freischütz“ und „Oberon“ geht es geisterhaft und märchenhaft zu. Dramaturg Zsolt Horpácsy, der bei „Oper extra“ dieses kompliziert-fantastische Geschehen aufschlüsselte, soll bis zur Premiere nervlich angespannt gewesen sein. So berichtet es Intendant Bernd Loebe bei der Premierenfeier. Auch Horpácsy gilt der Beifall der Kollegen und des Publikums.

Bühnenbildnerin Heike Scheele hat ein Kunstwerk geschaffen. Zunächst erschlägt die Fülle der Dinge das Auge. Aber dieses moderne Ambiente eines grossen Festsaals mit langen, prall gefüllten Flaschenregalen an den Seiten, mit Tischen und Stühlen und einer Bühne als Augenmerk entpuppt sich mehr und mehr als genial. Die musikalischen Risse werden auch im Bühnenbild umgesetzt. Rechts steht ein Schachspiel, an dem Adolar und Lysiart ihre Schachzüge tätigen, daneben sitzt der doch recht unbeteiligte König an der Bar. Der Fussboden des Festsaals hat das Fliesenmuster des Schachbretts. Treppen bringen Bewegung. Der herrlich glänzende, farblich ausgefallene Bühnenvorhang der „Bühne auf der Bühne“ öffnet sich und zeigt Emmas Grabmal (vorausdeutend auf Euryanthes Grabmal). Später teilt sich die „Bühne auf der Bühne“ und wird zur Ruine. Gnome, Geisterfiguren mischen sich unter die Menschen. Die Szene in der Einöde spielt wiederum im umgestalteten Festsaal, in dessen Mitte Euryanthes Grabmal steht, das sie auf der Drehscheibe elend hockend umrundet. Die Hochzeit von Eglantine und Lysiart wird danach pompös gefeiert.

Gesine Völlm hat die Kostüme entworfen. Eine Augenweide. Die Damen posieren in grossen Roben gleich im 1. Teil, als der Friede gefeiert wird. Eine nach der andern kommt nach vorne. Sie scheinen – zum Publikum gewandt – vor einem Spiegel zu stehen, zupfen sich an den Haaren, an der Corsage, die leicht verrutscht ist, schminken sich und so weiter – ein Jahrmarkt der Eitelkeiten, eine grandiose Szene, die sich Regisseur Johannes Erath (er inszenierte an der Oper Frankfurt unter anderem „Giulio Cesare in Egitto“) ausgedacht hat.

Aber es ist nicht die Inszenierung, die insgesamt fasziniert. Es gibt starke, aber auch einige statisch wirkende Momente, die psychologische Führung der Personen ist nicht tief. Es sind die Sängerinnen und Sänger und der Chor, den Tilman Michael vorzüglich einstudierte, die faszninieren.

euryanthe_16_HQ

Eric Cutler (Adolar) und Heidi Melton (Eglantine); Foto © Monika Rittershaus

Heidi Melton, die in „Hänsel und Gretel“ eine recht ruppige Mutter (Gertrud) sang, ist in der Rolle der Eglantine in ihrem Element. Zunächst stolziert sie nur über die Bühne. Die Art, wie sie es tut, lässt Schlimmes ahnen. Die amerikanische Sopranistin, die an der Metropolitan Opera New York, bei den BBC-Proms in London sang, beherrscht das Geschehen. Heuchlerisch fein ist ihre Stimme, wenn sie Euryanthe das Geheimnis entlockt – und wie gewaltig ist sie, wenn sie tobt, ihre Wut, ihre Racheglüste herausschleudert. In der Wahnsinnsszene bei der Hochzeitsfeier mit Lysiart, als sie, gequält von Angst, wirr über ihren Betrug redet, hat sie macbethsche Verruchtheit. James Rutherford, erstmals an der Oper Frankfurt, steht ihr in Verruchtheit kaum nach. Seine schöne Baritonstimme, die auf der ganzen Welt zu hören ist, setzt er voll für den Schurken Lysiart ein.

Das Gesangsduett der beiden Kontrahenten, Adolar und Lysiart, gleich zu Beginn der Oper ist ein Höhepunkt. Auch Eric Cutler singt zum ersten Mal an der Frankfurter Oper. Der gebürtige Amerikaner, der seine Liebe in Hessen fand, wurde bereits mehrfach ausgezeichnet und singt an allen renommierten Opernhäusern der Welt. Sein strahlender Tenor erreicht mühelos die Höhen. Es macht Freude, ihn von der Liebe, von der Tugendhaftigkeit seiner Braut erzählen zu hören – ein Minnelied. Aber er kann auch wüten.

007-Euryanthe

Ehepaar Julia Kleiter, Opern- und Konzertsängerin, und Eric Cutler nach der Premierenfeier am 5. April 2015; Foto: Renate Feyerbacher

Die schwedisch-amerikanische Sängerin Erika Sunnegardh, die das Frankfurter Publikum bereits kennt, gibt ihr Rollendebüt als Euryanthe. New York, Paris, Bregenz, Berlin, München, Toronto, Wien, Leipzig und Wiesbaden sind Stationen ihres Wirkens. Bei der Premiere dauerte es, bis sie ihre klare, exakt intonierende Sopranstimme zur vollen Entfaltung brachte.

Diese Rolle ist meines Erachtens die schwierigste der Oper. Die Männer preisen überschwänglich die Frau, solange sie als Tugendhafte den Forderungen der Männerwelt – sittsam, treu, mütterlich, religiös – entspricht; sie verstossen sie als Verruchte, Verdammenswerte, wenn sie das männlich-vorgegebene Raster verlässt und untreu wird. In diesem sängerischen Spannungsfeld bewegt sich Erika Sunnegardh.

euryanthe_15_HQ

Erika Sunnegardh (Euryanthe); Foto © Monika Rittershaus

Das dritte Paar in dem fantastischen Werk ist Emma und Udo, die unerlösten Toten. Sie sind die Katalysatoren der gesamten Handlung. Der Geist von Emma ist auf der Bühne immer präsent und Udo (Michael Poter) hin und wieder. Emma, gesungen vom Mitglied des Opernstudios Katharina Ruckgaber, hat nur ein einziges naturverbundenes Lied zu singen – und das geht unter die Haut.

Das Publikum feierte den Komponisten der Oper wie auch den Dirigenten und die Interpretinnen und Interpreten.

Weitere Aufführungen heute, am 10. April, 19 Uhr mit anschliessend (22.30 Uhr) „Oper lieben“ im Holzfoyer, am 12., 16., 19., 25. und 30. April 2015, jeweils um 19 Uhr, sowie am 3. Mai 2015 um 15.30 Uhr

 

Comments are closed.