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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Roger Pfund: „Dimension absurde“ im Museum Wiesbaden

Ölfarbe trocknet dem ungestümen Multitalent zu langsam
Landesmuseum mit fünf Sonderausstellungen voll bespielt

Von Hans-Bernd Heier

Roger Pfund ist ein Grafiker von Weltruhm und international anerkannter Maler. Seine kreativen Schöpfungen haben viele schon in der Hand gehabt, meist ohne es zu ahnen: Denn der 1943 in Bern geborene Künstler ist gefragter Gestalter von Banknoten, zum Beispiel für die Schweiz, Frankreich, Argentinien oder Russland.

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Roger Pfund in seinem Atelier; © Atelier Roger Pfund Communication visuell sa

Das Museum Wiesbaden widmet dem genialen Multitalent, der auch als Illustrator und Fotograf arbeitet, die große Sonderausstellung „Dimension absurde“. Der Titel der sehenswerten Schau, die das Wiesbadener Museum vom Musée d’art et l’histoire in Genf übernommen hat, stellt eine Referenz an eine frühe Selbstportraitserie des Schweizers aus dem Jahre 1974 dar, die er so benannt hat. Es war eine Studie entstanden mithilfe des damals neuen Phänomens Computer, ausgeführt in klassischer Kaltnadeltechnik. Diese schwarz-weißen Selbstbildnisse sind in der großen Präsentation im Landesmuseum ebenso zu sehen wie rund 250 weitere Exponate, die Pfunds ganze Bandbreite seines Wirkens demonstrieren: angefangen von expressiver Malerei und filigranen Meister-Radierungen über originell gestaltete Plakate, Glückwunsch- und Neujahrskarten bis hin zu Design-Entwürfen für Uhren, Schmuck und Goldmünzen.

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„Dimension absurde I“, 1974; Folge von zehn Kaltnadelradierungen, hier Blatt 1; © Atelier Roger Pfund Communication visuell sa

Die Betrachter seiner Arbeiten mag überraschen, dass ein Grafiker, der seinen internationalen Durchbruch mit der Gestaltung von Banknoten erlangt hat, auch als freier Künstler arbeitet. Für einen bildenden Künstler dürfte die verhältnismäßig kleine Fläche, die für die Entwürfe von Geldscheinen zur Verfügung steht, geradezu als absurde Dimension vorkommen – insbesondere, wenn ein Grafiker wie Pfund auf dem äußerst begrenzten Raum auch noch Geschichten erzählen will und dabei alle vorgeschriebenen Sicherheitselemente zu berücksichtigen hat, wie er selbst sagt.

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Multiple Portraits (Variation), 2002; Collage auf Karton; © Atelier Roger Pfund Communication visuell sa

Der vielseitige Pfund besitzt neben seinem Grafik-Atelier, in dem ein Team von Mitarbeitern für grafische Gestaltung und Design zuständig ist, noch ein privates Malatelier, in dem nur er wirkt. Wie der faszinierende Parcours durch die facettenreiche Schau zeigt, kontrastieren die höchst präzisen, gestochen scharfen Gestaltungsvorlagen für Banknoten, die in gut gesicherten Vitrinen zu bewundern sind, mit der großen Freiheit und Experimentierfreudigkeit des Schweizers bei seiner Malertätigkeit. Dabei stellt das „Malen zweifellos die Quelle der Kunst von Roger Pfund dar“, wie der Kunstkritiker Alexandre Fiette in dem exzellenten, dreisprachigen Begleitband zu der Wiesbadener Präsentation schreibt. Für den Schweizer ist Malerei Quell seiner Inspiration.

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„Europrojekte“, 1996; erster Preis der Jury; Laserdruck auf Papier; © Atelier Roger Pfund Communication visuell sa

Roger Pfund ist bereits seit seinem zwölften Lebensjahr ein eifriger Besucher des hervorragend bestückten Kunstmuseums seiner Heimatstadt. Besonders beeindrucken ihn Bilder von Klee, Matisse, Gauguin und Wölfli. Nach der Matura absolviert er eine Grafiklehre bei dem renommierten Kurth Wirth. Nach Abschluss seiner Ausbildung richtet er in Bern ein erstes Malatelier ein und erhält auch rasch erste Grafikaufträge. Dann geht es mit dem Multitalent Schlag auf Schlag aufwärts: Eine Ausstellung folgt der anderen und eine Auszeichnung und Ehrung der nächsten.

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„Rainer Maria Rilke“, 2009; Mischtechnik auf Karton; © Atelier Roger Pfund Communication visuell sa

Der Vollblut-Maler arbeitet zunächst mit Ölfarbe, später in Verbindung mit Kohle, Bleistift oder Tinte und Acryl. „Da Ölfarbe nur langsam trocknet, steht sie im Widerspruch zu seiner Ungeduld und seinem künstlerischen Ungestüm“, so Alexandre Fiette. Von Acrylfarben ist der experimentierfreudige künstlerische Tausendsassa dagegen ganz begeistert, da diese rasch trocknen. Ihn reizt, Acryl mit den unterschiedlichsten Bildträgern und Techniken in Verbindung zu bringen.

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„Nijinski“, 2005, Mixed media auf Papier; © Atelier Roger Pfund Communication visuell sa

Der Schweizer ist ein Mann der Serie – sowohl bei seinen grafischen Arbeiten als auch in der Malerei, wie er selbst sagt: „In der Welt der Banknoten stellt die Serie die Grundlage dar: Serien von fünf, sechs oder mehr Banknoten. Es entsteht eine Familie … Das Gleiche gilt für Theaterplakate: eines für die Saison, dann jene, die die Vorführungen ankündigen … Die Sprache muss dieselbe sein“.

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Ausstellungsansichten mit Callas-Gemälden; Foto: Hans-Bernd Heier

In seiner Malerei will er dagegen frei experimentieren. Dennoch bereitet es ihm spürbar Freude, die Bildsujets zu variieren, das zeigt sich besonders in der Porträtmalerei, die in seinem Werk ein wichtige Rolle einnimmt. So hat er beispielsweise die Bildnisse der Schauspielerin Sarah Bernhardt und der Schriftstellerin Colette sowie der Schriftsteller Samuel Beckett, Marcel Proust, Arthur Rimbaud oder der Primaballerina Anna Pawlowa und des Tänzers Vaclav Nijinski vielfach als „multiple Porträts“ variiert. Von keiner Künstlerin hat Pfund allerdings mehr Porträtvarianten gefertigt als von Maria Callas. Die große griechisch-italienische Sopranistin, die Ende der 40er und in den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts Welterfolge feierte und das Publikum zu Begeisterungsstürmen hinriss, hat er seit Mitte der 1980er immer wieder dargestellt – in den unterschiedlichsten Techniken und Materialien – als Aquatinta, Kupferdruck, in Collagen und mit Übermalungen, in Pastell, Kohle und ganz häufig in Mischtechnik. Sechs großformatige Callas-Gemälde aus den Jahren 2008/2013 sind in der Schau zu bewundern.

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Ausstellungsansichten mit Nijinski-Gemälden; Foto: Hans-Bernd Heier

Auch als Buchgestalter hat Pfund sich einen Namen gemacht. So hat er zum Beispiel das Buch „hundert T variationen“ gestaltet und auch einen künstlerischen Beitrag für die Umsetzung dieses „unverwüstlichen Buchstabens“ geliefert. Dieser hat laut Herausgeber Jan Teunen „in seiner 17.000-jährigen Geschichte nichts an Symbolkraft verloren. T symbolisiert nach wie vor das Leben, es lebe das T!“

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Holz-Schuber und Buch „hundert T variationen“; Foto: Hans-Bernd Heier

Die beeindruckende Schau, die das Wiesbadener Museum vom Musée d’art et l’histoire in Genf übernommen hat, wird noch bis zum 12. April 2015 gezeigt.

Großes Haus voll bespielt

Das engagierte Team um Direktor Alexander Klar hat das geräumige Landesmuseum mit vier weiteren Sonderausstellungen voll bespielt. Gleich im Anschluss an die Pfund-Präsentation sind im Projektraum unter dem Titel „Black Atlas“ die jüngsten Arbeiten des Grafikers und Bildhauers Markus Döhne zu sehen.

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„Rockets“, Silber und Lack auf Holz, Ausstellungsansicht, Foto: Hans-Bernd Heier

Im Zentrum dieser Schau, die bis zum 31. Mai 2015 gezeigt wird, stehen Abbildungen amerikanischer und sowjetischer Raketen aus der Zeit des „Wettlaufs zum Mond“ während des kalten Kriegs. Einer dieser Flugkörper trägt wie die Ausstellung im Projektraum den Namen „Black Atlas“. Die gezeigten Tafelbilder basieren auf dokumentarischem Fotomaterial, das der 1961 in Limburg geborene Döhne in Archiven, Bibliotheken und digitalen Bilderdepots aufgespürt hat.

Ebenfalls bis zum 31. Mai 2015 sind die raumgreifenden Werke von Lutz Fritsch zu sehen. Seit 1978 beschäftigt sich der Künstler mit der Linie, ihrer Ausdehnung, ihrer Intensität, ihrer Erscheinung, ihrem Ort auf dem Papier, an der Wand und im Raum. Sein Interesse ist, bestehende Strukturen zu verändern, neue Räume zu bilden sowie neue Bezugssysteme und Orientierungspunkte zu setzen.

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„Cosmos“ von Lutz Fritsch, Ausstellungsansicht, Foto: Hans-Bernd Heier

Das Werk von Lutz Fritsch ist seinem Charakter nach grenzenlos und überspannt weite Räume. Daher erweitert sich das Ausstellungsprojekt in Wiesbaden auch auf den Stadtraum, in dem es Stadt und Museum in einen Dialog bringt. Diese Raumuntersuchungen in Form skulpturaler Arbeiten, Zeichnungen und Fotografien beschreiben den „Cosmos“ von Lutz Fritsch, der Maß und Unermessliches sichtbar werden lässt.

Für das Museum Wiesbaden transformiert Lutz Fritsch den Ausstellungsbereich auf der Ebene 2 mit Arbeiten, die in die angrenzenden Räume der Naturhistorischen Sammlung übergreifen. So bildet der 1955 in Köln geborene Künstler von einem zentralen Raum aus ein imaginäres Netz in die Räume des Museums, um Dialoge und Irritationen zu den Themen der Räume aufzubauen.

Steinberg 2015 Museum Wiesbaden

Eduard Steinberg, „Zaïtsev“, aus dem Dorf-Zyklus, 1986, Museum Wiesbaden, Schenkung Galina Manewitsch 2013

Zwei Jahre nach der großzügigen Schenkung präsentiert das Museum Wiesbaden unter dem Titel „Ost ⁄West. Eduard Steinberg zwischen Moskau und Paris“ Arbeiten des 2012 verstorbenen Künstlers. Die Witwe des Künstlers, Galina Manewitsch, hat vor zwei Jahren dem Landesmuseum ein umfangreiches Konvolut von Werken des besonders von Kasimir Malewitsch inspirierten Künstlers überlassen. Mit den 83 gestifteten Werken (vornehmlich Gemälde und Collagen), die in zweijähriger kunsthistorischer Forschung wissenschaftlich aufgearbeitet wurden, sind in der Ausstellung alle Schaffensphasen des Künstlers vertreten und werden nun bis zum 7. Juni 2015 erstmals in sorgfältiger Auswahl öffentlich gezeigt.

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Ausstellungsansicht mit einem Schwarm übergroßer Tigerfliegen-Modelle

Auch die Naturkundlichen Sammlungen locken mit einer letzte Woche eröffneten Sonderausstellung: „bzzzzzzz – Fliegen, Mücken, Bremsen“. Unsere Kulturgeschichte ist durchdrungen von Zweiflüglern, die als Metaphern meist das Böse verkörpern. In altmeisterlichen Darstellungen symbolisieren sie häufig den Teufel, die Kurzlebigkeit, Vergänglichkeit oder Fremdbestimmung.

Die kleine Quälgeister sind selten Thema großer Ausstellungen. Im Museum Wiesbaden kommen jetzt Fliegen, Mücken und Bremsen allerdings ganz groß raus. Und das nicht nur, weil ein Schwarm übergroßer Tigerfliegen-Modelle ausgestellt ist. In hochaufgelösten Fotografien wird ihre bizarre Schönheit zur Schau gestellt und unter dem Mikroskop kann ihre filigrane Bauweise studiert werden.

Die Ausstellung, die vom Naturhistorischen Museum von Neuchâtel und dem Museum für Naturkunde in Berlin entwickelt wurde, zeigt bis zum 30. August 2015 die erstaunliche Vielfalt der Zweiflügler. Sie nähert sich den Tieren auf unübliche Weise und wartet mit vielen neuen Erkenntnissen auf. Die Besucher können selber mit dem Mikroskop forschen. Sie werden von lebenden Zweiflüglern umschwärmt und können sie bei der Nahrungssuche beobachten.

Bildnachweis (soweit nicht anders bezeichnet): Museum Wiesbaden

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