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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Annika van Vugt: „Meine Geliebten“ im Frankfurter 1822-Forum

„Meine Geliebten“ – eine künstlerische Reise in das Ich?

Von Erhard Metz

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Professor Jean-Christophe Ammann bei seiner Eröffnungsansprache, im Hintergrund die Künstlerin

Wir sehen aufrecht stehende weibliche Akte in Frontalansicht, lebensgross – alle diese Gemälde messen 180 cm in der Höhe. Die Häupter der Frauen umgibt eine mal stärker, mal schwächer ausgebildete Gloriole. Ein gleicher Schein umfängt auch, hier meist etwas deutlicher ausgeprägt, die Füsse. Die Frauen wirken statuarisch, mitunter archaisch. Niemals treffen ihre Blicke die Augen des Betrachters. Ihre Körperhaltung ist geschlossen, versammelt, eine Würde, ein ruhiger – ja wir möchten sagen – Stolz spricht aus dieser. Mal liegen die Hände, deren gespreizte Finger eine leichte Öffnung verraten, auf den Oberschenkeln der geschlossenen Beine auf. Ein andermal sehen wir vor der Brust verschränkte, dann sogar mit den Händen auf die Hüfte gestützte Arme, diese Haltung korrespondiert mit einer leichten Spreizung der Beine, die Figuren beginnen, sich in einer gewissen Weise aus ihrer Blockhaftigkeit zu lösen und sich zu öffnen. Etwas mehr Bewegung kommt in die letzte der von uns Abgebildeten, wenn die Hände andeutungsweise das Genital öffnen.

Die Frauen stehen vor einem tief dunklen, fast monochrom schwarz-braunen Hintergrund, die Farbe ihrer Haut, die weder fotografisch noch offenbar drucktechnisch (es gibt einen schön gestalteten Katalog) korrekt wiedergegeben werden kann, wirkt fahl, ja etwas morbid, Kopf- und Schamhaar weisen einen leicht ins Rötliche gehenden Ton auf. Auch wo sich die Attitüde der Figuren leicht zum Selbstbewussteren hin öffnet, wirken sie eher fragil. Die leichte „Aura“ um die Füsse, von der wir bereits handelten, lässt sie nicht fest auf dem Boden stehen, sondern scheint sie in einen andeutungsvoll schwebenden Zustand zu erheben. Sie gewinnen dadurch etwas Erhabenes, Entrücktes, „Ätherisches“ (griechisch Aither), ja sogar Transzendentes, sie entheben sich der Abbild- und Porträthaftigkeit.

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Annika van Vugt fotografiert in ihrem Atelier ihr bekannte Frauen, nach diesen Fotografien fertigt sie ihre Aktmalereien. Sind diese Bekannten „Geliebte“ – oder sind die „Geliebten“ nicht viel eher die auf ihren Leinwänden gestalteten Figuren?

„Abbilder“, gar „Porträts“ wollen diese Frauenbildnisse gewiss nicht sein. Vielmehr sind sie malerische „Metaphern“ (wenn man diesen Begriff vom Ursprünglichen entfernen und entsprechend erweitern will), eine Art „Gefäss“, in das die Malerin etwas von ihr selbst, von ihrer eigenen Individualität eingibt – wiederum keinesfalls misszuverstehen als ihr „Porträt“ -, aber doch etwas von jenem Geheimnisvollen, das in ihr und in ihrer Lebensgeschichte ruht, das ihre besondere künstlerische Persönlichkeit ausmacht. Etwas, was nicht im Verborgenen verharren will und kann, sondern das, was, vereinfacht gesprochen, „hinaus muss“. Könnte die Künstlerin es mit Worten beschreiben, wäre sie Romancière, Lyrikerin geworden und nicht Malerin. Beides begegnet sich ebenbürtig, aber die Malerei erst öffnet sich, nach unserem, des Rezipienten Empfinden, hin zum wortwörtlich „Unbeschreiblichen“.

Gänzlich fehl ginge deshalb, wer in diesen Akten ein vordergründiges Offenbaren, gar ein zu Voyeurismus einladen wollendes Geschehen erblicken wollte.

Vergleichbares gilt für die Halbakte der Künstlerin, die jedoch eine darüber hinaus gehende Qualität gewinnen, öffnen sie sich doch gleichsam – im Rahmen einer künstlerisch-anatomischen Erkundung und Betrachtung – dem Inneren, ja dem „Innerlichen“. Kopf und Rumpf erscheinen durch ein angedeutetes Luft-, Speiseröhren- und Halswirbelsystem differenziert verbunden, schemenhafte Linien erinnern an den aus Rippenbögen gebildeten Brustkorb, der die für menschliches Leben höchst substanziellen Organe Herz und Lunge birgt. Wobei das eine oder andere Halbportät, wenn es auf die Darstellung der weiblichen Brust verzichtet, durchaus androgyn anmutet.

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Auf dem Künstler liegt immer der Schatten des Todes, sagte Jean-Christophe Ammann in seiner Eröffnungsansprache. Das untere der beiden hier abgebildeten „Röntgen“-Malereien ist in der Ausstellung zu sehen. Der Blick geht hinein auf die knöcherne Struktur jenseits des Fleisches, und wir erinnern uns jener Verse des 1. Petrus-Briefes „Denn alles Fleisch ist wie Gras und alle Herrlichkeit der Menschen wie des Grases Blume. Das Gras ist verdorrt und die Blume abgefallen“, wie sie Johannes Brahms in seinem Deutschen Requiem ergreifend vertont hat. Fast zärtlich aber, wie eine Kostbarkeit, hält eine Hand den Totenschädel.

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Ihren Gemälden – sämtlich in Öl auf Leinwand – gibt Annika van Vugt numerische Bezeichnungen in römischen Ziffern und arabischen Jahreszahlen, oder zuweilen benennt sie sie „o. T.“.

Annika van Vugt, 1983 in Gießen geboren, hat sich viel vorgenommen, und wir werden von der – bisher im strengeren Sinne Autodidaktin – noch sehen und hören, da sind wir uns gewiss. Nach ihrem mit Diplom abgeschlossenen Studium der Germanistik, Politik- und Erziehungswissenschaften, der Soziologie und der Europäischen Ethnologie an der Marburger Philipps-Universität studiert sie derzeit am Institut für Kunstpädagogik der Goethe-Universität in der Hauptklasse von Professorin Lucie Beppler. 2013 erhielt van Vugt den Nachwuchsförderpreis der renommierten Frankfurter Künstlerhilfe e.V. Im 1822-Forum sehen wir heuer, noch bis zum 21. Februar 2013, ihre erste, so überaus sehenswerte Einzelausstellung.

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Die Künstlerin mit zwei „Geliebten“

Am Samstag, 14. Februar 2015, 18 Uhr findet im 1822-Forum die Veranstaltung „Panta rhei – alles fliesst. Musik und Malerei – eine Begegnung“ mit Annika van Vugt und Laura Maria Bastian mit einem Streichquartett statt. Bastian, Studentin in der Kompositionsklasse von Professor Gerhard Müller-Hornbach an der Frankfurter Hochschule für Musik und Darstellende Kunst, komponierte die Musik zeitgleich zu den Werken der Malerin; ein Austausch der beiden Künstlerinnen in einem Dialog über Themen, die beiden wesentlich und wichtig sind: Leben – Tod – Transzendenz – Trauer – Freude – Geburt – Abschied.

Abgebildete Werke © Annika van Vugt;
Fotos: Erhard Metz

 

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