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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„L’Orontea“ von Antonio Cesti an der Oper Frankfurt

Der ägyptische Hof – ein Liebes-Tollhaus

Von Renate Feyerbacher
Fotos: Monika Rittershaus/Oper Frankfurt

Ist das Frankfurter Haus zu einer Hochburg der Barockoper geworden? Am Sonntag wurde wieder ein musikalischer Schatz, den meisten wohl unbekannt, auf die Bühne gebracht: eine Frankfurter Erstaufführung.

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Paula Murrihy (Orontea) und Sebastian Geyer (Creonte); Foto © Monika Rittershaus

Schon das Vorspiel der Oper des Komponisten Antonio Cesti (1623-1669) macht neugierig. Neben den siebzehn Streichern des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters musizieren zehn Solisten des Monteverdi-Continuo- Ensembles. Sie spielen Cembalo, Orgel, Harfe, Gambe, Theorbe, Barockgitarre, Zink, aber auch Posaune und Fagott. Diese beiden Instrumente geben dem Klang eine besondere Note. Dirigent Ivor Bolton, ein Barockspezialist, und die 27 Musiker versprühen von Anfang an musikalisches Feuer und präsentieren dem Publikum den melodischen Einfallsreichtum des Komponisten. Vorzüglich.

Antonio Cesti, in Arezzo zu Hause, war 20 Jahre alt, als Claudio Monteverdi („Die Krönung der Poppea“) starb und 21 Jahre jünger als Franceso Cavalli („La Calisto“), der ihn beeinflusste. Cesti stand auch als Sänger immer wieder auf der Bühne. Die Medici schätzten ihn. Erste Opernerfolge hatte Cesti in Venedig, dem damaligen „Epizentrum“ der Oper. „L’Orontea“, eine Komödie des Librettisten Giacinto Andrea Cicognini ist eines von fünfzehn Opern-Werken, die er schuf. Die Uraufführung fand am 19. Februar 1656 in Innsbruck statt, dahin hatten ihn der kunstsinnige Tiroler Erzherzog Ferdinand Karl und seine Ehefrau Anna de Medici verpflichtet. Ein Karnevalsspass – sehr turbulent – sehr beziehungsverzwickt. Die Szenen sind oft sehr kurz. Das Karussell von Leidenschaft und Sexualität dreht sich ununterbrochen. Am Ende steht jedoch die Identitätsfindung.

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Juanita Lascarro (Tibrino), Xavier Sabata (Alidoro) und eine Statistin der Oper Frankfurt; Foto © Monika Rittershaus

Im Prolog streiten sich Philosophie und Liebe, wer wieder mal siegen wird. Den Beweis will Amore am ägyptischen Hof liefern. Denn da lebt Königin Orontea, die nicht heiraten will, sich nicht der Liebe unterwerfen, sondern unabhängig, frei bleiben will. Natürlich siegt das hässliche Gebilde von Liebe, das im witzigen Prolog in der Luft herum turnt und mit der Philosophie streitet. Die Schönheit hat bei dem Streit gefehlt, denn alle Frauen schwärmen von der Schönheit des Mannes. Von Liebe kann da zunächst gar keine Rede sein. Ganz schön oberflächlich werden die Frauen von Librettist und Komponist charakterisiert.

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vorne auf dem Podest sitzend v.l.n.r. Guy de Mey (Aristea) und Kateryna Kasper (Giacinta) sowie im Hintergrund die Statisterie der Oper Frankfurt; Foto © Monika Rittershaus

Der erste Eindruck von Orontea, die sich ganz als Herrscherin gibt, erinnert an die jungfräuliche Queen Elizabeth I. aus England. Geradezu herb wehrt sie ihren Hofphilosophen Creonte ab, der sie beschwört, zum Wohle des Volkes zu heiraten. Dann plötzlich zerreisst der papierne Hintergrund und es kriecht ein Mann hindurch, offensichtlich schwer verletzt, begleitet von einer schmuddeligen Alten, seiner Mutter, und einem militärisch gekleideten jungen Mann, Ismero alias Giacinta. Sofort mischt Liebe mit. Orontea ist fasziniert von der Schönheit des Verletzten. Giacinta (Ismero) , die einstige Vertraute der Königin, die entführt wurde und am phönizischen Hof landete, wurde von der dortigen Königin damit beauftragt, Alidoro – der nun verletzt vor Orontea liegt – zu verfolgen und zu töten. Der in Ungnade gefallene Maler, der offensichtlich vor der Zudringlichkeit der phönizischen Königin geflohen war, wurde von Giacinta fast getötet. Nun offenbart sie der Königin ihre Identität und ihre Tat. Die Herrscherin tobt.

Das Liebeskarusell beginnt zu rotieren: Silandra verlässt Corindo wegen Alidoro, Giacinta beklagt seine nicht erwiderte Liebe, und die Königin? Sie dreht ziemlich durch. Wieder gibt es einen Tobsuchtsanfall, als sie, leicht bekleidet im Dessous, Silandra – ebenso leicht bekleidet im Dessous – in Alidoros Armen findet.

Die alte Mutter von Alidoro hat sich unsäglich aufgeplustert und versucht, Ismero alias Giacinta zu verführen. Das ist alles sehr grotesk. In diesem Durcheinander gerät Alidoro immer mehr in Konflikte. Er wird zum Duell gefordert, des Diebstahls bezichtigt, weil bei ihm das Medaillon, das seine Mutter Ismero schenkte, gefunden wird. Doch alles klärt sich zum Guten und Alidoro, der in Wirklichkeit Floridano heisst und königliches Blut hat, aber als Säugling von Piraten entführt wurde, ist nun ein ebenbürtiger Partner von Orontea. Es kann geheiratet werden. Ein kurioser Schluss wie aus heiterem Himmel.

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Xavier Sabata (Alidoro), Louise Alder (Silandra), Matthias Rexroth (Corindo) und Paula Murrihy (Orontea); Foto © Monika Rittershaus

Nicht nur turbulent und verwirrend ist die Geschichte, sondern auch ganz schön verwegen. Den adeligen Zuschauern des 17. Jahrhunderts wird so manche Frechheit um die Ohren geschlagen. Das Personal der Oper gibt sich locker, und auch Orontea wird nach ihrer jungfräulich beschworenen Herrscherattitüde beim Anblick von Alidoro sofort geschmeidig.

Der englische Regisseur Walter Sutcliffe („Die Gespenstersonate„) und der Bühnenbildner Gideon Davey, verantwortlich auch für die Kostüme, bringen das Liebeskarussell durch herrlich-ironische Regieeinfälle sowie grandiose Bühnenaufbauten und Zimmer-Ambiente mächtig in Schwung. Am Ende wäre etwas mehr Ruhe in den sich bewegenden Kuben – bevölkert von hässlichen Liebesweiber-Putten – wünschenswert. Es ist ohnehin genug los. Lichtgestalter Joachim Klein, der vor kurzem in London als „Ritter der Beleuchtung (Oper)“ ausgezeichnet wurde, ist voll beschäftigt.

Der einzig „Vernünftige“ der Protagonisten, Creonte, drückt sich ausschliesslich in Rezitativen aus. Ensemblemitglied Sebastian Geyer, schon einmal Sänger Jahres der Zeitschrift Opernwelt, hat den Part übernommen. Die anderen dürfen ihre Leidenschaft, ihre Wut, ihre Traurigkeit, ihr sexuelles Begehren auch in Arien ausdrücken.

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im Vordergrund Simon Bailey (Gelone) und im Hintergrund Paula Murrihy (Orontea); Foto © Monika Rittershaus

Die Musik lässt allen Emotionen freien Lauf. In der Figur der Orontea, die von ihren Gefühlen hin- und hergerissen ist und daher auch widersprüchlich erscheint, ist dem Komponisten eine vielschichtige, dichte Charakterisierung gelungen, die Paula Murrihy eindrücklich umsetzt. Ihre schöne Stimme, die Schroffheit sowie Empathie gleich auszudrücken weiss, und ihr überzeugendes Spiel gefallen.

Übrigens gibt es in der Oper kein Duett von Orontea und Alidoro, wohl aber ein bemerkenswertes von Silandra und Alidoro. Der wird gesungen von Xavier Sabata, eine neue Stimme, ein neues Gesicht an der Oper Frankfurt. Der katalanische Countertenor ist ein Gewinn. Sehr fein, manchmal etwas zu leise schmachtet, verzweifelt und jauchzt er.

Vorzüglich ist jede der anderen Rollen besetzt: Corindo mit dem Countertenor Matthias Rexroth, Guy de Mey als quirlig-penetrante Mutter Arista, Juanita Lascarro als solider Tribrino wie auch verschlagener Amore im Prolog, Louise Alder als wankelmütige Silandra, Kateryna Kasper als verzweifelte Giacinta/Ismero, Katharina Magiera als witzige Filosofia und last not least Simon Bailey als versoffener Diener Gelone, der nur den Wein liebt. Eine Paraderolle, die durch die ganze Oper hindurch präsent ist. Bailey begeistert durch schauspielerisches Talent, durch seine Stimmakrobatik, denn wenn er betrunken ist, imponiert seine Baritonstimme, im nüchternen Zustand singt er Falsett.

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vorne v.l.n.r. Xavier Sabata (Alidoro), Paula Murrihy (Orontea), Louise Alder (Silandra) und Matthias Rexroth (Corindo) sowie im Hintergrund das Ensemble; Foto © Monika Rittershaus

„Frauen widerstehen nicht den Liebesfackeln und Amors mörderischem Bogen; ich sehe, dass diese Waffen Männern seltener gefährlich werden. Männer betrügen oft …“ (Ovid, nach Programmheft).

Das Frankfurter Publikum feierte die Sängerinnen und Sänger, den Dirigenten und die anderen Herren „in Schwarz“. Ein vergnüglicher Opernspass, passend zur Karnevalszeit, der auch Barockmusikmuffeln gefallen könnte.

Weitere Aufführungen, in italienischer Sprache mit Übertiteln, am heutigen 6. Februar, am 8., 14., 20. und 22. Februar sowie am 7. und 13. März 2015

Weitere Besprechungen von „Barockopern“ an der Oper Frankfurt:

→ “L’incoronazione di Poppea” von Claudio Monteverdi
an der Oper Frankfurt

→ “Orpheus oder Die wunderbare Beständigkeit der Liebe”
von Georg Philipp Telemann an der Oper Frankfurt

→ “Ezio” – Oper von Christoph Willibald Gluck. Frankfurter Erstaufführung
→“Giulio Cesare in Egitto“ von Georg Friedrich Händel
an der Oper Frankfurt

→ “La Calisto” von Francesco Cavalli
an der Oper Frankfurt

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