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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„PAARALLEL“ von Thea Nöthen-Wulf und Erwin Nöthen

Ausstellung in der Orangerie von Schloss Benrath

Eröffnungsansprache von Petra Kammann
Vorsitzende des Benrather Kulturkreises e.V.

Das Thema, das Sie sich selbst gewählt haben, lässt hinschauen und aufhorchen: „PAARallelitäten“. Der Titel ist gewissermaßen Programm, nicht nur für das Ausgestellte, sondern auch für das fruchtbare Zusammenleben in einer Künstler-Ehe oder auch für das, was man Dialog nennt. Die Wahrheit entsteht zu zweit, sagt die Philosophie.

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Mathematisch gesprochen halten parallele Linien immer den gleichen Abstand. Parallele Linien treffen sich im Unendlichen, so heißt es in der Mathematik, beim bildnerischen Gestalten werden parallele Linien in der Perspektive so dargestellt, dass sie einander an einem Punkt treffen. Können wir daraus den Schluss ziehen, dass die hier ausstellenden Künstler mit Linien spielen? Wohl weniger: Sie gehen jeweils einen klaren Weg nebeneinander, ohne einander zu kopieren.

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Sie suchen, und darin besteht ihre tiefe Wesensverwandtschaft, sowohl in den Bildern als auch in den Skulpturen, Spuren ihres Alltags festzuhalten, der immer wieder von Menschen geprägt ist, von Augenblicken, von Erinnerungen, von Wesenszügen, von Ausschnitten, von Porträts, vom Mimenspiel, wie Thea Nöthen-Wulf ihre Schauspielerserie bezeichnet.

Dabei hatte Erwin Nöthen, der seit den 60er Jahren als freier Bildhauer arbeitet, zunächst gar nicht mit der Darstellung von Menschen begonnen. Nach einer Ausbildung am Kölner Werkseminar hatte er zunächst fein ziselierte Münzen entworfen, unter anderem mit dem Porträt Heinrich Heines. Es folgten apfelartige Skulpturen in allen Variationen, und als er in den 90er Jahren dann von der Kölner Kulturbehörde den Auftrag bekam, vier Ratsturmfiguren zu schaffen, gab das den Durchbruch. Freunde schenkten ihm größere Holzfundstücke, die er als Grundlage nahm, um Menschen darzustellen. Dabei faszinierte ihn immer wieder die Haltung von Menschen, die er dem Alltag abschaute: ein angewinkeltes Bein, aus dem heraus eine Körperdrehung entstand, die so etwas wie eine Rundum-Figur entstehen ließ. Das heißt: wenn Sie durch diese Ausstellung gehen, so gehen Sie einmal um die Figuren herum. Sie werden feststellen, dass sie von allen Seiten plastisch sind und in sich stimmen. Die körperliche Haltung ist immer in perfekter Harmonie. Immer wird die Balance gehalten zwischen Stand- und Spielbein oder einer ausladendenden Handbewegung.

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Nach und nach entstand aus den kleinen Holzfiguren so eine kleine Gesellschaft, sie ist sinnbildlich veranschaulicht durch die Piazza, auf der sie so angeordnet sind, dass alle Figuren Blickkontakt miteinander haben.

Vor dem barocken Kamin wiederum sehen wir eine Reihe von Badenden mit unterschiedlichen Gesten. Aus einer Wanne taucht ein Knie auf. Eine andere Badende hält sich ein Handtuch vor. Handlungen, die wir zu kennen scheinen, die geradezu traumwandlerisch wirken. In einem anderen Falle erleben wir das „Vollbad“, zwei gegenläufige Figuren liegen in einer Ziegelwanne – ein wenig augenzwinkernd. Ihre Silhouetten mutieren beim Blick aus der Ferne zu einer Gebirgslandschaft. In allen Fällen wirken die Badenden so, als seien sie ganz bei sich.

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Im zweiten Raum entdecken wir andere Aspekte von Erwin Nöthens Bildhauerei. Da sehen wir einmal ebenso traumverloren das Bild von der grazilen Lore auf der hohen schmalen Stele, die ihr güldenes Haar herunterlässt. Wir schauen zu ihr auf wie die Schiffer zur der entrückten Loreley, welche diese in der Rheinenge in die Irre leitet. Andrerseits hat Erwin Nöthen auch ganz archaische Skulpturen wie die „Erde weiblich“ geschaffen, die so monumental wie elementar erscheinen. Organisch mit sich abzeichnenden Jahresringen entsteht über dem türkisfarbenen Ring des breiten Holzstammes eine polierte Holzlandschaft, mit den Linien der Jahresringe.

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Ungewöhnlich auch der Blumenstock. Oben sehen wir die fast farblos geschnitzten Blüten, während die Stengel in der Vase farbig und strukturiert wirken fast wie ein triadisches Ballett von Oskar Schlemmer. Nöthens Arbeit beruht nicht allein auf handwerklicher Variation, die jede einzelne der Figuren zu authentischen Individuen macht, sondern auch auf intensiver Beobachtung von Alltagssituationen, aus denen sich die Figur herausdreht.

Bei beiden parallel arbeitenden Künstlern steht der Mensch im Mittelpunkt, malerisch bei Thea Nöthen-Wulf, die ihre Ausbildung ebenso an der Düsseldorfer Kunstakademie gemacht hat wie ihr Mann. Doch lädt das Medium der Farbe zu anderen Ergebnissen ein.

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Im ersten Raum, dem „Frauenzimmer“, setzt sie sich vorzugsweise mit jungen weiblichen Figuren auseinander: Irene, Clara, Ruth. Sie sind moderne junge Frauen, die zum Teil durch ihre zeitgemäße Kleidung wirken. Einige, auf die die Sonne scheint, wirken durch ihre überstrahlten Gesichter. Anders ist wiederum Nöthen-Wulfs Reihe der Mimen zu bewerten. Thea Nöthen-Wulf wertete dazu Programmhefte des Theaters aus. Eine Frage, die sie beschäftigte: Welche Rolle spielt dabei das Maskenhafte, die der Mensch „auf der Bühne des Lebens“ einnimmt?

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Im zweiten Raum entdecken wir an der frontalen Wand das Kommen und Gehen von Menschen. Hier sehen wir auch Männer in interessanter Aufsicht, die im Nebel, im Dunkel, zu verschwinden scheinen. So sehen wir den Abgang von Schröder nach der verlorenen Wahl: „Wie hieß der noch?“

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Vergänglichkeit und Tod sind in diesen Bildern präsent, die sich doch auch ganz der Gegenwart widmen, wie das Bild vom gefesselten Guantanamo-Häftling. Auch wird die Abwesenheit von Menschen in zwei Bildern charakterisiert, die großflächig am barocken Kamin hängen. Hier lässt Thea Nöthen-Wulf die Abwesenheit von Menschen sprechen. Das Messer deutet darauf hin, dass unverhohlene Aggression auch manchmal im Vordergrund steht. Soll das Tischtuch zerschnitten werden?

Sie sehen, meine Damen und Herren, das menschliche Antlitz wie auch seine Gesamterscheinung hat viele verschiedene Facetten. Und das kommt in dieser Ausstellung besonders zum Ausdruck. Ich möchte meiner Kollegin Meike Lutz-Koval sehr herzlich danken, dass sie diesen Aspekt wie auch das Wechselspiel der verschiedenen Werke so hervorragend gemeinsam mit den Künstlern abgestimmt hat. Und auch hier zeigt sich in dieser Ausstellung wieder: Die Wahrheit beginnt immer zu zweit. Und Wahrheit entsteht auch auf der Piazza, der Agora, wie es bei Platon heißt.

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Fotos © Petra Kammann

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