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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Go Away Closer“: Dayanita Singh im MMK 3

Von Erhard Metz

Mancher wird sich erst noch daran gewöhnen müssen: Wir gehen nicht mehr ins MMK-„Zollamt“, sondern in das „MMK 3“. Dies sollten alle, die bislang die Ausstellung „Go Away Closer“ mit Fotografien von Dayanita Singh noch nicht gesehen haben, in diesen Tagen unbedingt tun, denn die Werkschau – sie gibt mit rund 700 Schwarz/Weiss-Arbeiten einen tiefen Einblick in das künstlerische Schaffen der international hoch geschätzten indischen Fotografin – endet jetzt am Sonntag, 4. Januar 2015.

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Dayanita Singh vor einem ihrer von ihr selbst entworfenen Displays („Photo-Architectures“)

Dayanita Singh ist unseren Leserinnen und Lesern spätestens seit der 55. Biennale Venedig im Jahr 2013 bekannt: MMK-Direktorin Susanne Gaensheimer, damals zugleich Kommissarin (Kuratorin) des Deutschen Pavillons auf der Weltkunstschau, präsentierte eine Auswahl von Werken der Künstlerin (neben den anderen Pavillon-Künstlern Ai Weiwei, Romuald Karmakar und Santu Mofokeng).

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Ausstellungsansichten

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Die Fotografin präsentiert ihre Bilder – besser gesagt Bilderfolgen – von erzählerischem Charakter in selbst entworfenen Displays: hölzernen Ordnungssystemen, „museum structures“, die in der Tat wie grosse, aufgeklappte, in den Raum gestellte Fotoalben aussehen. Die „Alben“ sind nach Themengebieten sortiert, Themen beispielsweise wie „Museum of Little Ladies“, „Museum of Embraces“, „Museum of Machines“, „Museum of Furniture“ oder „Museum of Chance“: kleine „Museen“ im Museum. Ihre einzelnen Fotos beschriftet Singh, die sich als „bookmaker“ und „book artist“ versteht, dabei nicht.

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Familiengeschichten, in Fotografien erfasst und dokumentiert: auch „Klein-Dayanita“ als Kind kommt darin vor – schliesslich war bereits ihre Mutter eine profilierte Fotografin

Apropos „Book Artist“: Dayanita Singh gestaltet Fotobücher – bislang sind es zwölf an der Zahl – , die meisten in Zusammenarbeit mit dem Steidl Verlag. So geht die Präsentation ihrer Fotografien in Form der „museum structures“ auch auf ihre Fotobücher zurück. „Diese besondere Art des Ausstellens verleiht den Bildern etwas Prozesshaftes, etwas, das nie abgeschlossen zu sein scheint. Mit den ‚museum structures‘ erweitert Singh zudem die Vorstellung vom Umgang mit Fotografie hin zum Skulpturalen und Architektonischen“, so MMK-Direktorin Susanne Gaensheimer.

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Ausstellungsansicht des „Kitchen Museum“ mit acht Leporellos in Holzkästen

„Die Balance zwischen eindringlicher Empathie und Distanz kennzeichnet Singhs technisch und handwerklich sehr genau gearbeiteten Fotografien. In ihren Bildern, denen eine melancholische Stimmung zugrunde liegt, findet Singh einfache Übersetzungen für komplexe Gefühlslagen. Wie in einem traumähnlichen Zustand verschmelzen in den fotografischen Essays unzählige Bilder ihrer Vergangenheit in Indien mit Wahrnehmungen der Gegenwart. Europäische Musik und Literatur sowie amerikanische Filmgeschichte fliessen in ihre Arbeit ebenso ein wie die Menschen, Strukturen und Orte ihres Umfelds in Neu-Delhi“ (MMK).

Im MMK 3 ist jetzt auch Singhs Videoporträt „Mona and Myself“ zu sehen, das sie für den Deutschen Pavillon der Biennale Venedig 2013 produzierte. Mit Mona Ahmed, einem Eunuchen, verbindet die Künstlerin eine enge Freundschaft. „Dieser Film veranschaulicht, worum es in meiner Arbeit wirklich geht: Es ist wie ein Traum, jener kurzer Moment zwischen Schlaf und Erwachen“, so die Künstlerin. „Mona erzählt, wie es ist, wenn man weder hier noch dort dazu gehört, weder männlich ist noch weiblich, weder ein Eunuch noch jemand wie ich“ (MMK).

„Go away closer“ – so der zunächst widersprüchlich erscheinende Titel der Werkschau wie auch des im Jahr 2007 erschienenen Fotobuchs der Künstlerin. Distanz und Nähe werden jedoch in eine Beziehung gesetzt – „Distanz“ vielleicht eher als Respekt vor dem anderen, „Nähe“ als Interesse und Zuwendung, ja vielleicht sogar als Liebe.

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Natürlich fotografierte die Künstlerin auch in der Pressekonferenz zur Ausstellungseröffnung … und war fasziniert von einer sündhaft teuren Leica M, deren Eigner lächelnd zuschaute

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Dayanita Singh, 1961 in Neu Delhi geboren, studierte Visuelle Kommunikation am National Institute for Design in Ahmedabad sowie Dokumentarfotografie und Fotojournalismus am New Yorker International Center of Photography. Sie lebt und arbeitet in Neu Delhi und in Goa.

„Dayanita Singh. Go Away Closer“, MMK 3 Frankfurt am Main, bis 4. Januar 2015

Fotos: Erhard Metz

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