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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Kamagurka im caricatura

Die „Deutschwerdung“ des belgischen Star- Cartoonisten –
Im Grenzbereich von Hochkunst, Hochkomik und rabenschwarzem Humor

Von Hans-Bernd Heier

Kamagurka gilt als Erfinder des belgischen Humors. Er ist einer der bekanntesten und vielseitigsten Cartoonisten, Comiczeichner, satirischen Fernsehmacher, Theaterartisten und Aktionskünstler niederländischer Sprache. Zwei tägliche Cartoons in wichtigen Tageszeitungen, verrückte Parodien in der belgischen Fernsehzeitschrift „Humo“, zahlreiche Ausstellungen, TV-Sendungen, Bücher und Publikationen in allen bekannten internationalen Satire- und Kulturmagazinen, von „Punch“ über „Charlie Hebdo“ bis hin zum „New Yorker“, haben den Tausendsassa nicht nur in seiner Heimat Belgien bekannt gemacht.

In Deutschland gilt es dagegen, den für seinen minimalistischen Strich und seinen tiefschwarzen Humor gefürchteten Ausnahmekünstler noch zu entdecken. Er publiziert zwar seit Anfang der Neunziger regelmäßig im Satiremagazin „Titanic“, auch im „Eulenspiegel“ und seit neuestem auch im „Stern“, aber dennoch, so scheint es, ist Kamagurka hier noch nicht richtig angekommen. Das will das caricatura museum frankfurt – Museum für Komische Kunst – mit einer umfassenden Schau ändern. Unter dem Titel „Kamagurka – How to become a German – Die Deutschwerdung des Kamagurka“ sind unter anderem über 160 Cartoons und 51 Gemälde versammelt. Die Arbeiten sind bis zum 22. März 2015 im historischen Leinwandhaus zu sehen.

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In der Pressekonferenz informieren: Achim Frenz, Leiter caricatura museum frankfurt, Kurator Leo Fischer und Kamagurka über ein weltweit einzigartiges museales Projekt; Foto: Hans-Bernd Heier

„Um Kamagurka auch in Deutschland bekannter zu machen, initiiert das caricatura ein weltweit einzigartiges museales Projekt: die künstlerische Einbürgerung eines Cartoonisten“, erläutert Ausstellungskurator Leo Fischer. Der „Wirtschaftsflüchtling“ reist deshalb nicht nur für eine Woche nach Frankfurt, sondern stellt sich auch verschiedenen Prüfungen, mit denen er seine Deutschwerdung beweisen und dokumentieren möchte. „Damit will er zeigen: Deutsche akzeptieren in Wahrheit nur andere Deutsche als ebenbürtig“, so Fischer. „Um also als Humorist bestehen zu können, muss Kamagurka selbst Deutscher werden; nur so kann er die Anerkennung dieser Menschen finden, die seine neuen Landsleute werden sollen“. Der Humorist beteuert, gerne nach Deutschland gekommen zu sein; hier gebe es keine Geschwindigkeitsbegrenzung, keinen Atomstrom und gutes Essen. Auch sei es sein Wunsch, dort zu leben, wo die Fußballweltmeister 2014 herkommen.

Für die künstlerische Einbürgerung bringt Kamagurka – 1956 mit dem bürgerlichen Namen Luc Charles Zeebroek in Nieuwpoort, Belgien, geboren – beste Voraussetzungen mit. Der belgische Satiriker, der den Namen seiner frühen Punkband „The Kama and Gurka“ zu seinem Künstlernamen zusammengefügt hat, spricht nämlich bereits gut Deutsch. Außerdem ist er ein ökonomisch wertvoller Einwanderer, da er seinen Lebensunterhalt selbst bestreiten kann. Vor allem aber kennt er die berühmten deutschen Tugenden wie Disziplin, Fleiß, Gehorsam, Pflichtbewusstsein, Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit. Diese „Sekundärtugenden“ nimmt er in der unterhaltsamen Schau im „schönsten Museum der Welt“ einfallsreich und gekonnt ins Visier. Der Karikaturist selbst hat die Cartoons nach diesen Charaktereigenschaften geordnet, um die umfangreichen Werkschau thematisch zu strukturieren.

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Luc Zeebroek; Copyright © Stefaan Vandorpe

Kamagurkas Kunst ist von einer spröden und bizarren Komik. Er zeigt Menschen in Situationen, in denen sie sich wenig menschlich verhalten. Hunger, Missbrauch, Sklaverei, sexuelle Abgründe, menschengemachte Naturkatastrophen, nicht zuletzt der ganz normale Wahnsinn unseres zivilisierten Alltags – kein Thema ist vor seinem unbarmherzigen Witz sicher. Die meisten seiner Beobachtungen stellt er bei Spaziergängen mit seinem Hund „Bobje“ an.

Seine Arbeiten sind selten niedlich, niemals auf billige Lacher aus und ganz bestimmt nicht auf freundliches Schmunzeln. Er will vielmehr schockieren, die hässlichen und grässlichen Seiten des Lebens zeigen – um dann die Komik darüber triumphieren zu lassen. In Deutschland konnte er mit seinem tiefgründigen, rabenschwarzen Humor bislang noch nicht die erhoffte Anerkennung finden. Immerhin erhielt er 2009 den „Bernd Pfarr Sondermann für Komische Kunst“.

Kamagurka war ein Frühreifer: Bereits mit 15 Jahren suchte er während eines Schulausflugs nach Paris das Satiremagazin „Hara Kiri“ auf und konnte daraufhin als freier Mitarbeiter beginnen. Noch bevor er 1976 das Kunststudium in Brügge und Gent begann, arbeitete er regelmäßig für die Fernsehzeitschrift „HUMO“.

Nach einer komischen Karriere, die vor allem von schnellen Cartoons, Comics, Fernseh- und Rundfunkarbeiten geprägt war, beschäftigt Kamagurka sich seit Beginn dieses Jahrtausends auch mit bildender Kunst, Malerei und Skulptur. Dabei lotet er die Grenzbereiche zwischen Hochkunst und Hochkomik aus. Viele Werke scheinen zunächst traditionell „ernster“ Kunst verpflichtet, entfalten aber im Zusammenspiel mit ihrem Titel durchaus komische Wirkung. Andere sind hingegen echt parodistisch, äffen etablierte zeitgenössische Kunst nach oder stellen durch Übertreibung ihre Mechanismen bloß.

Kamagurkas Durchbruch als bildender Künstler begann nach einer Ausstellung in Beaufort 2006, bei der er den Kunstsammler und Mäzen Marc Coucke kennenlernte. Dieser förderte unter anderem das Projekt „Kamalmanak“: Für ein großzügiges Stipendium hatte Kamagurka an jedem Tag des Jahres 2008 ein völlig neues Bild zu malen; die Ergebnisse wurden dann 2009 in Buchform publiziert. Das caricatura museum frankfurt zeigt ein Original sowie die komplette Serie von 366 Gemälden als Videoinstallation.

Im Stil eines Aktionskünstlers startete der vielseitige Kamagurka ein besonders originelles Projekt: Er malte eine Porträtserie von Personen, die er völlig ohne Vorbild frei erfand. Anschließend ließ er dann über Fernsehen und Internet nach den Porträtierten suchen. Zahlreiche Einsendungen folgten, und der Satiriker besuchte die auf diese Weise entdeckten Personen, um ihnen persönlich zu ihrer Ähnlichkeit zu gratulieren.

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Ausstellungsarchitektur im caricatura museum, beheimatet im historischen Frankfurter Leinwandhaus; Foto: FeuilletonFrankfurt

Unter dem Stichwort „Gemütlichkeit“ kann der Besucher „liegende Landschaften“ bewundern. Kamagurka gönnt Landschaften eine Auszeit. Statt dass die „Lazy Landscapes“ draußen vor dem Fenster herumliegen und die Menschen beim Blick aus ihren Häusern erfreuen, werden sie von dem vielfach ausgezeichneten Humoristen ins Wohnzimmer gepackt, wo sie auf der Couch verschnaufen dürfen. Diese Gemälde und auch die Skulptur „landschap laat zich fietsen“ hat Kamagurka in bester René Magritte-Manier – den er sehr schätzt – gestaltet.

„Jan Hoet & Eiskühler“ – eine weitere lebensgroße Skulptur – basiert auf einer Anekdote: Der bekannte Ausstellungsmacher Jan Hoet (unter anderem Leiter der documenta IX 1992 in Kassel) hatte in einer Kolumne die ehemalige Miss Belgien Joyce de Troch verspottet. Als die beiden sich zufällig in einer Bar in Gent trafen und Hoet zum Rauchen nach draußen ging, nahm der Freund von Frau de Troch einen Eiskühler und kippte ihn über Hoet aus. Für Kamagurka war klar, dass eine Anekdote über einen Kunstpapst auch nur als Kunst erzählt werden konnte.

Schließlich seien noch die bitterbösen, grenzwertigen Kreuzweg-Bilder sowie eine Serie von Porträts erwähnt, die berühmte Comic- und Zeichentrickfiguren im Stile der frühen Kubisten darstellen. Die ohnehin schon extrem reduzierten Figuren sind nach Kamagurkas Ansicht so sehr ins kulturelle Gedächtnis eingebrannt, dass man sie ohne Verlust auf ihre einfachsten geometrischen Grundformen reduzieren kann.

„Kamagurka – How to become a German – Die Deutschwerdung des Kamagurka“, caricatura museum frankfurt – Museum für Komische Kunst, bis 22. März 2015

Bildnachweis (soweit nicht anders bezeichnet): caricatura museum frankfurt

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