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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

40 Jahre Junge Deutsche Philharmonie

Drehscheibe zwischen Hochschulen und öffentlichem Musikbetrieb
Generationsübergreifendes Projekt und einmaliges Ausbildungszentrum

Von Renate Feyerbacher

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Die Dirigenten Lothar Zagrosek und Jonathan Nott mit Vorstandsmitglied Peter Amann, Fagottist, und Miriam Schmaderer, Geigerin und Vorstandssprecherin; Foto: JDPh / Achim Reissner

In einem feierlichen Festakt im Oktober 2014 in der Alten Oper Frankfurt wurde das 40-jährige Bestehen dieses einmaligen Orchesters begangen. Michael Quast hatte mit einer humorvoll-informativen Moderation durch die Musikstücke von Giovanni Gabrieli (1557-1612) bis hin zu Conlon Nancarrow (1912-1997) geführt. 200 Musiker, heutige und ehemalige Mitglieder der Jungen Deutschen Philharmonie, füllten zweitweise die Bühne. Die ungebremste Spielfreude begeisterte das Publikum. Ausserdem übergab Dirigent Lothar Zagrosek den Dirigentenstab an Jonathan Nott. Der anschliessende Empfang, zu dem alle eingeladen waren, war ein Familienfest.

Basisdemokratische Organisation

In Orchestern herrscht meist hierarchisches Denken. Fremdbestimmung ist üblich. Nicht so bei der Jungen Deutschen Philharmonie (JDPh), die sich 1974 aus dem Bundesjugendorchester herauskristallisierte. Weder herrschafts- noch von Kommerz bestimmt ist das Denken der jungen Musiker, im Alter zwischen 18 und 28 Jahren. In der Jungen Deutschen Philharmonie versammeln sich die besten Studenten deutschsprachiger Musikhochschulen, die nach bestandenem Probespiel aufgenommen werden. Derzeit ist es wieder soweit: 150 Nachwuchstalente aller Nationalitäten stellen sich beim Probespiel in der Frankfurter Schwedlerstrasse, wo die Organisation ihren Sitz hat, vor, um Orchestermitglied zu werden. Etwa 30 werden angenommen.

Das Besondere: Organisatorische und künstlerische Entscheidungen werden von den Musikerinnen und Musikern selbst verantwortet. Von jeder und jedem wird Engagement verlangt. Jede Orchestergruppe, jedes Instrument hat eine eigene Vertretung, wählt einen Sprecher beziehungsweise eine Sprecherin, die sich in vorausgegangenen Diskussionen profiliert haben. Diese koordinieren die Arbeit, legen die Zahl der zu besetzenden Stellen fest, bereiten die Probespiele vor und führen sie durch. Viel Arbeit ist also zu erledigen. Alle Mitglieder wählen den Orchestervorstand, der aus ihren Reihen kommt, und einen Programmausschuss, ebenso den Geschäftsführer, der kein Mitglied der Jungen Deutschen Philharmonie ist, und last not least den Ersten Dirigenten und Künstlerischen Berater.

Der Orchestervorstand entscheidet unter anderem über Konzerte, über Produktionen, über Gastdirigenten und Solisten. Ihm obliegt es, die oft hundert Musiker im Klangkörper eines Konzertes – gesamt sind es um die 200 Instrumentalisten in der JDPh – für die Probezeiten in einer der Musikakademien der Bundesländer zusammenzutrommeln. Sie kommen von überall her aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Konzerte finden in Köln, Düsseldorf, Berlin und Frankfurt am Main und auch im Ausland statt. Workshops über Sprechen und Schreiben, über Musik und Mediengeschehen werden angeboten und vieles andere mehr. Eine solche Praxiserfahrung, bereits während der Ausbildung gesammelt, ist einmalig.

Auch in diesem Sinne ist die Junge Deutsche Philharmonie ein in der europäischen Klanglandschaft einzigartiges Ausbildungszentrum. Temporär zwar, aber höchst konzentriert, effektiv und visionär“ (Stefan Fricke in „Der Taktgeber“ – Jubiläumsausgabe der JDPh Oktober 2014).

Etwa 2000 Musiker waren Mitglieder im Laufe dieser 40 Jahre. Das Ensemble Modern, gegründet von Musikern der JDPh, hat in seine Satzung deren fundamentale Regeln übernommen. Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen, das Ensemble Resonanz, das Freiburger Barockorchester: auch sie sind Sprösslinge der JDPh.

Die einen der Ehemaligen sind Musiker in einem Orchester geworden oder freischaffend, die anderen Professoren an einer Musikhochschule.

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Lothar Zagrosek; Foto: JDPh / Achim Reissner

Drei Projekte gab es im Sommer 2014: das „Freispiel 2014 – pubblico“ – ein Festival in Frankfurt und Berlin; „Licht und Schatten“ war Thema der Sommertournee in mehreren Städten, unter anderem in der Berliner Philharmonie; und schliesslich „Epoche mit Zukunft“ – Junge Klassik unter anderem im Sendesaal des Hessischen Rundfunks.

Für den erkrankten und wenig später verstorbenen weltberühmten englischen Dirigenten Christopher Hogwood (1941-2014) sprang im Konzert des hessischen Rundfunks der legendäre Sir Neville Marriner ein.

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Sir Neville Marriner und die JDPh am 7. September 2014 im Sendesaal des Hessischen Rundfunks; Foto: Renate Feyerbacher

Was für eine Energie geht von dem 90-jährigen Dirigenten aus! Marriner, der als Geiger begann, Mitglied im London Symphony Orchestra war, gründete und leitete die Academy of St. Martin in the Fields – eine Instanz des klassischen Musiklebens.

Die Liste international renommierter Dirigenten und Künstler, die mit der JDPh zusammenarbeiten, ist beachtlich. Auch namhafte zeitgenössische Komponisten wie Wolfgang Rihm, Jörg Widmann, Beat Furrer, Heiner Goebbels engagieren sich.

Stabwechsel

Ein Dirigent aber hat die JDPh entscheidend geprägt: Lothar Zagrosek (geboren 1942). Der mehrfach ausgezeichnete Künstler wurde dreimal von der Zeitschrift „Opernwelt“ mit der Auszeichnung „Dirigent des Jahres“ gewürdigt. Er war Chefdirigent namhafter Konzert- und Opernorchester in Wien, Paris, London, Leipzig, Stuttgart und Berlin und wurde 1995 Erster Gastdirigent und Künstlerischer Berater der Jungen Deutschen Philharmonie. Neunzehn Jahre bekleidete er dieses Amt. Freundschaftlich ist das Verhältnis zwischen dem Dirigenten und den jungen Musikern. Das ist zu spüren. Sie sind auf Augenhöhe mit ihm.

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Lothar Zagrosek am 10. Oktober 2014 im Gebäude der JDPh in der Frankfurter Schwedlerstrasse; Foto: Renate Feyerbacher

Lothar Zagrosek hat viele Ur- und Erstaufführungen zeitgenössischer Musik aus der Taufe gehoben. Bei Dreharbeiten am 7. Februar 1991 anlässlich des Konzertes im Hessischen Rundfunk, das er in Anwesenheit des bedeutenden französischen Komponisten Olivier Messiaen (1908- 1992) dirigierte, spielte das hr-Sinfonieorchester „Le prêche aux oiseaux“ (Die Vogelpredigt) aus Messiaens Oper „Saint François d’Assise“. Für mich eine beeindruckende Begegnung.

Ebenso unvergessen ist Zagroseks Dirigat von Helmut Lachenmanns Werk „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“ an der Deutschen Oper Berlin im September 2012, für das er ausgezeichnet wurde. Einige Monate zuvor dirigierte er an der Frankfurter Oper, wo er immer wieder gastierte, die Einakter „Volo Di notte“ (Nachtflug) und „Il Prigioniero“ (Der Gefangene) von Luigi Dallapiccola (1904-1975). Zagrosek ist ein Förderer und Garant für zeitgenössische Musik, ohne aber etwa Wagner oder Mozart zu vernachlässigen.

Bei seinen vielen künstlerischen Aktivitäten engagiert er sich wie kaum ein anderer Dirigent für die Nachwuchsförderung. Immer wieder steht er am Pult von Orchestern deutscher Musikhochschulen oder dem Bundesjugendorchester. Er ist Schirmherr der Offensive Kulturelle Bildung in Berlin. Ein Freund der jungen Generation.

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Übergabe des „Dirigentenstabs“ von Zagrosek an Nott; Foto: Renate Feyerbacher

In die grossen Fussstapfen, die Zagrosek hinterlassen hat, tritt nun Jonathan Nott (geboren 1962). „Was ist ein Dirigent?“ fragt er und gibt die Antwort: „Architekt, Priester, Drogenhändler“. Nott ist nun Erster Dirigent und Künstlerischer Berater der JDPh, ihr Wunschkandidat – „ein Glücksfall“. Er selbst war überrascht von dem „Überfall“ der Musiker. Er habe keine Ahnung, wo es hingehe, aber es werde schön, scherzt er bei der Pressekonferenz. Seit vierzehn Jahren ist der Engländer Chefdirigent der Bamberger Symphoniker, die ab nächstem Jahr die Patenschaft für die JDPh übernehmen. Das heisst: in jedem Jahr wollen sie den jungen Musikern in Bamberg eine Plattform bieten in Form von Probenarbeit und einem Konzertabend.

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Jonathan Nott; Foto: Renate Feyerbacher

Der Orchestervorstand bei den Bambergern ist übrigens ein Gründungsmitglied der JDPh aus dem Jahr 1974.

Jonathan Nott, der in Frankfurt und Wiesbaden Kapellmeister war, ist heute auf der ganzen Welt mit „seinem“ Bamberger Orchester unterwegs. Das Repertoire reicht von Werken der Wiener Klassik bis hin zur Gegenwart. Diese Vielfalt im Programm hofft er auch bei den jungen Musikerinnen und Musikern der JDPh, die sehr genau sagen werden, was sie spielen wollen, realisieren zu können. Notts Vorstellung: „Ich brauche Seele in meiner Musik.“

Ohne Experimentierfreudigkeit, die vier junge Leute mit ihrem musikalisch-fulminanten „Kochlöffel“-Auftritt bei der Pressekonferenz demonstrierten, wird es nicht gehen.

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„Kochlöffel-Auftritt“; Foto: Renate Feyerbacher

Jonathan Nott, dessen wunderbare Art zu kommunizieren die jungen Musikerinnen und Musiker loben, war wie alle Anwesenden begeistert.

Die Junge Deutsche Philharmonie ist eine aussergewöhnliche Talentschmiede. Das vorbildliche Generationenmodell sollte überall Schule machen.

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Konzert der JDPh in der Alten Oper Frankfurt; Foto: Renate Feyerbacher

 

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