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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Raum und Licht – Malerei von Friederike Walter in der Galerie Maurer

„Der gefundene Raum“

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Friederike Walter vor „Blickwechsel“, 2013, Öl auf Leinwand, 40 x 40 cm (FF)

Von Erhard Metz

Es ist Malerei in einer reinsten Form. Raum wird Licht. Licht öffnet Raum. Raum und Licht scheinen sich, wenn wir diese Bilder länger betrachten, zu entmaterialisieren, entgleiten zu astralen Erscheinungen, transzendieren in eine unbestimmbare Dimension.

Es sind deshalb keine realen Räume. Menschen, Fauna, Flora – nichts Belebtes ist zu sehen. Es sind Gedankengebilde, in einem eigenartigen Zwischen- und Schwebezustand zwischen Figuration und Abstraktion, jenseits eines Raum-Zeit-Gravitations-Gefüges.

Die alte Schulphysik mag dem Betrachter durch den Kopf gehen, auch allerlei danach gemäss dem Faustschen „studiert mit heissem Bemühn“ wissenshungrig Angeeignetes: Einsteins Relativitätstheorien bestätigen sich im Laborversuch, die Newtonsche Physik will sich nicht mit der ebenfalls bestätigten Quantenmechanik zusammenreimen, im wissenschaftlichen Theorienstreit denken namhafte Forscher über die Existenz von Multiversen nach. Und was nun ist eigentlich Licht – in seiner Wechselwirkung mit Materie?

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↑ Ohne Titel (Das Himbeerreich), 2014, Öl auf Leinwand, 180 x 220 cm (FF)
↓ Das Gegenüber, 2013, Öl auf Leinwand, 110 x 210 cm (FW)

Friederike Walter, Malerei, 11.2013 - Frankfurt

In solche Gedankenwelten scheinen sich Friederike Walters Malereien fügen zu lassen. Hier schwebt (im „Himbeerreich“) ein unregelmässiger Korpus in einem Raum, der sich hinter jenem Korpus in einem astralen Licht auflöst. Dort öffnet sich (im „Gegenüber“) ein theaterbühnenweites Portal, eine Art „Brecht-Gardine“ gibt nur hälftig den Blick frei auf den dahinter liegenden Prospekt. Die – je nach Betrachtungsweise auch als ein Ring erscheinende – „Gardine“ wiederum verliert sich zur Linken wie zur Rechten in einem von diffuser Dunkelheit bestimmten Raum. Dem nach zusätzlichen Informationen Suchenden sei verraten, dass sich Friederike Walter neben ihrer Arbeit als Malerin auch mit dem Theater beschäftigt und in diesem Rahmen als Lichtgestalterin für eine Bühne tätig ist.

Wo nun ist (im „Schacht“) ein Oben und ein Unten? Haben unsere alltagsbestimmten Zuordnungen von rechts und links noch einen Sinn? Würde uns – den Fall gesetzt, wir beträten einen derartigen Raum – die Schwerkraft unsere physische Existenz sichern oder würde sie uns in eine bodenlos-unüberschaubare Tiefe reissen? Hülfen uns noch Kompass und Koordinatenbestimmung?

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Schacht, 2014, Öl auf Leinwand, 200 x 150 cm (FF)

„Friederike Walters multiperspektivische Bildgruppen“, schreibt Britta Schröder (Der gefundene Raum), „hebeln die Gesetze der Schwerkraft aus und spielen mit visuellen Kippmomenten, die einen Raumteil einmal nach vorn und im nächsten Moment in die Tiefe ragend erscheinen lassen. Der gefundene Raum konzentriert in sich dieses Vage, Doppeldeutige, die Mehransichtigkeit – mit dem Effekt, dass hier der imaginierte Raum zum reinen Imaginationsraum wird. Bar jeder Funktion, können diese neuen, atmosphärisch reizvollen Bildräume als Visualisierungen eines Denkens gelesen werden, das sich auf der Suche nach grösstmöglicher Freiheit zu allen Seiten öffnet“.

Tatsächlich spielt die Künstlerin mit ihren irritierenden Gedankenräumen. In „Druse“ malt sie ein Sujet zweimal und platziert die beiden Arbeiten untereinander, die untere gegen die obere kopfüber. In ähnlicher Weise verfährt sie beispielsweise mit dem Werk „1. Betrachtung von allen Seiten“, wobei sie das Motiv viermal malte. Schaut man sich die jeweilige Bildtafel länger an, ergibt sich in allen Fällen stets ein plausibler Raumeindruck.

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↑ Druse, 2014, zwei Teile, Öl auf Leinwand, jeweils 100 x 140 cm (FF)
↓ 1. Betrachtung von allen Seiten, 2013, Öl auf Leinwand, vier Mal 60 x 60 cm (Ausstellung im 1822- Forum), Foto: die Künstlerin (FW)

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Auch bei einer als Unikat gefertigten Arbeit kann es nicht selten dem Betrachter überlassen bleiben, wie er das Gemälde hängt, hier exemplarisch gezeigt an der Bildtafel „Dreiecksdrehung“: In der Grundstellung ergibt sich der Eindruck einer (Fenster)Nische in der rechten oberen Bildhälfte; eine 90º-Drehung nach rechts bewirkt den Anschein eines Schachts in den Boden hinein, eine weitere Drehung das Bild einer (Tür)Nischen-Öffnung nach links; und wiederum eine weitere Drehung, in der Summe also um 270º, führt zu dem Eindruck eines Schachts in der Decke hinauf nach oben. Das Werk kommuniziert also mit dem Betrachter und fordert ihn gewissermassen zu einer Handlung und Entscheidung auf. So scheint denn auch der Titel der Ausstellung „Der gefundene Raum“ dem Betrachter die Möglichkeit geben zu wollen, jeweils seinen individuellen „Raum zu finden“ – ein intelligentes Gedankenspiel jenseits aller eingangs angestellten grundsätzlicheren Überlegungen.

Friederike Walter, Malerei 2014

Dreiecksdrehung, 2013, Öl auf Leinwand, 60 x 60 cm (FW); in der Folge erscheint dieselbe Arbeit drei Mal, jeweils um 90° weiter nach rechts gedreht

Friederike Walter, Malerei 2014

Friederike Walter, Malerei 2014

Friederike Walter, Malerei 2014

Friederike Walter ist eine „klassische“ Malerin. Sie grundiert, wie sie erzählt, sorgfältig ihre Leinwände und trägt oft an die zehn Malschichten in Ölfarbe auf, seit einigem beginnend mit einer Schicht in Rot. Meisterlich, wie sie mit dieser aufwändigen Technik eine stufenlose Nuancierung der verschiedenen Farbtöne und -skalen erreicht. Die entsprechenden Trocknungsprozesse nehmen viel Zeit in Anspruch, für die Fertigstellung eines Tafelbilds werden durchaus zwei bis drei Monate benötigt.

Einige der jetzt in der Galerie Maurer gezeigten Werke lassen den Entwicklungsprozess erkennen, den die Künstlerin in den letzten Jahren vollzogen hat – von der früher eher gegenständlichen hin zur heute mehr und mehr abstrakten Malerei beziehungsweise zu jenem eigentümlichen Schwebezustand zwischen beidem, der uns fasziniert. So lässt der „Raum Kubus“ das assoziative Bild einer realen Zimmerecke zu, die „Zwischenräume“ aus dem Jahr 2012 erinnern noch an Architekturmalerei, weisen zugleich hin auf eine bühnen- wie kulissenhafte Raumsituation. Wunderbar ausgeführt der feine Schleier, der auf beiden Gemälden liegt und die Motive der Realität zu entrücken beginnt.

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↑ (links) Raum Kubus, 2014, Öl auf Leinwand, 120 x 120 cm, (rechts) 1., 2. und 3. Raumschleusse, 2013, Öl auf Leinwand, jeweils 35 x 25 cm (FF)
↓ Zwischenräume, 2012, Öl auf Leinwand, 60 x 70 cm (FF)

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Friederike Walter, 1975 in Darmstadt geboren, studierte an der Hochschule für Gestaltung HfG Offenbach bei Professor Heiner Blum (dessen Assistentin sie war) Visuelle Kommunikation mit Diplomabschluss. Zwei Gastsemester führten sie an die Kunstakademie Düsseldorf, ein Aufbaustudium an die Akademie der bildenden Künste Wien. Sie erhielt Stipendien des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst und der Stadt Frankfurt am Main. Nach einer Vielzahl von Gruppenausstellungen ist die derzeitige Werkschau in der Galerie Maurer die sechste Einzelausstellung der hoch qualifizierten, begabten Künstlerin, deren Arbeiten wir in den letzten Jahren wiederholt und zuletzt im Rahmen der „kunstansichten“ 2013 in Offenbach antrafen.

„Der gefundene Raum“, Galerie Maurer, bis Samstag, 1. November 2014; für diesen Tag lädt die Galerie zwischen 11 und 15 Uhr zur Finissage nebst einem Umtrunk ein

Abgebildete Werke © Friederike Walter; Fotos: die Künstlerin (FW) und Erhard Metz (FF)

 

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