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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2014 an Jaron Lanier

Die Notwendigkeit von Regeln, die eine Art von Humanismus im Hightech schaffen

Lasst uns die Schöpfung lieben“

Von Renate Feyerbacher

Am Sonntag, den 12. Oktober 2014, wurde in der Frankfurter Paulskirche in Anwesenheit von 1000 geladenen Gästen dem amerikanischen Internet-Pionier der ersten Stunde und heutigen Internetkritiker Jaron Lanier der Friedenspreis des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels verliehen. In der Begründung lobt die Jury Laniers Einsatz für das „Bewahren der humanen Werte“, die „Grundlage eines friedlichen Zusammenlebens, auch in der digitalen Welt“. Der Preis ist mit 25.000 Euro dotiert.

Die Begründung des Stiftungsrats: „Den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verleiht der Börsenverein im Jahr 2014 an Jaron Lanier und ehrt mit dem amerikanischen Informatiker, Musiker und Schriftsteller einen Pionier der digitalen Welt, der erkannt hat, welche Risiken diese für die freie Lebensgestaltung eines jeden Menschen birgt.

Eindringlich weist Jaron Lanier auf die Gefahren hin, die unserer offenen Gesellschaft drohen, wenn ihr die Macht der Gestaltung entzogen wird und wenn Menschen, trotz eines Gewinns an Vielfalt und Freiheit, auf digitale Kategorien reduziert werden. Sein jüngstes Werk ‚Wem gehört die Zukunft‘ wird somit zu einem Appell, wachsam gegenüber Unfreiheit, Missbrauch und Überwachung zu sein und der digitalen Welt Strukturen vorzugeben, die die Rechte des Individuums beachten und die demokratische Teilhabe aller fördern.

Mit der Forderung, dem schöpferischen Beitrag des Einzelnen im Internet einen nachhaltigen und ökonomischen Wert zu sichern, setzt Jaron Lanier sich für das Bewahren der humanen Werte ein, die Grundlage eines friedlichen Zusammenlebens, auch in der digitalen Welt, sind.“

Der Preisträger

Jaron Laniers Biografie ist europäisch geprägt. Die Mutter hatte Wien mit 15 Jahren verlassen, der Vater stammte aus der Ukraine und war schon vorher vor den antijüdischen Pogromen geflüchtet. Jaron Lanier wurde 1960 in New York geboren, wuchs aber in der Nähe von El Paso, Texas, auf. Die Mutter starb bei einem Autounfall, als der Junge neun Jahre alt war. Die Kindheit verlief sehr turbulent. Der Vater starb vor kurzem, „während ich diese Worte schreibe“, das sind letzte Sätze in seiner Paulskirchen-Rede, die er tief bewegt ausspricht. Er ist der Einzige, der von seiner Familie blieb, viele kamen in den Konzentrationslagern um.

Mit 15 Jahren verliess Lanier die High School, aber ein Nachbar vermittelte die Begegnung mit einem Wissenschaftler und fortan besuchte er Mathematik- und Chemieseminare an der New Mexico State University. Er gewann erste Einsichten in die Computer-Technologie.

Heute lehrt Jaron Lanier Informatik an der University of California in Berkeley, wo er mit Frau und Tochter lebt. Er erhielt unter anderem zwei Ehrendoktortitel und weitere hohe Auszeichnungen. Als ein Multitalent ist er auch Musiker. Er spielte mit dem Komponisten Philipp Glass, mit Yoko Ono, Sean Lennon und vielen anderen Musiker verschiedener Couleur. Er komponiert Konzerte, Ballette und Filmmusiken. Und er malt. Seine Zeichnungen, Gemälde und Kunstinstallationen – für Steven Spielberg schuf er virtuelle Bühnenbilder – wurden in den USA und Europa gezeigt. Er ist Buchautor („Gadget. Warum die Zukunft uns noch braucht“ und „Wem gehört die Zukunft? ‚Du bist nicht der Kunde der Internetkonzerne. Du bist ihr Produkt.‘ „). Er hat eine Sammlung von mehr als tausend seltenen alten Musikinstrumenten, von denen er am Ende der Preisverleihung in der Paulskirche eine alte Bambusflöte aus Laos, eine Khaen, spielte.

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Jaron Lanier in der Paulskirche mit einer Flöte aus Laos

Seine Gedanken, seine Forderungen

Jaron Lanier nennt sich einen digitalen Idealisten. Als die Preisvergabe bekannt wurde, hiess es, sie sei eine Kampfansage an das Netz des Everybody. Er, der zu den Erfindern des Internets gehört, verfolgte immer die Intentionen von Demokratisierung, von Bildung, transparenter Politik und wissenschaftlicher Erneuerung. Was ist daraus geworden? Die zunehmende Diskrepanz zwischen Mensch und Maschine, zwischen Wirklichkeit und virtueller Realität liessen ihn zum Kritiker werden, weil Freiheit, Persönlichkeit und Selbstbestimmung im Internet bedroht sind: unter anderem durch Aktivitäten von Massen in der Onlinewelt, durch die NSA (National Agency Security), die gossen Konzerne. Der Begriff „digitale Barbarei“ wird geprägt.

Büchern widmet er in seiner Rede viele Gedanken: „Doch ein Buch greift viel tiefer. Es ist die Feststellung eines bestimmten Verhältnisses zwischen einem Individuum und der menschlichen Kontinuität.“ Nun ja, so könnte man denken, das tut das eBook doch auch. Er kontert: „Aber zu viele Metamorphosen sind unheimlich. Plötzlich müssen wir uns gefallen lassen, überwacht zu werden, um ein eBook zu lesen! Auf was für einen eigentümlichen Handel haben wir uns da eingelassen! In der Vergangenheit kämpften wir, um Bücher vor den Flammen zu retten, doch heute gehen Bücher mit der Pflicht einher, Zeugnis über unser Leseverhalten abzulegen, und zwar einem undurchsichtigen Netzwerk von Hightech-Büros, von denen wir analysiert und manipuliert werden. Was ist besser für ein Buch, ein Spionagegerät zu sein oder Asche?“

Der Glaube ans Internet hat den Status einer Ideologie, ja einer Religion bekommen. Der Google-Gründer Larry Page hat einmal gesagt, dass die „menschliche Programmierung“ weniger Bytes habe als eine einfaches Computer-Betriebssystem. Ist der Mensch nur die Summe seiner Daten? Nimmt er in dieser Welt keine besondere Stellung ein? Hat das globale Netz ein eigenes, höheres Bewusstsein als der Mensch? Ist es vernünftiger als wir?

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Jaron Lanier

All diese Fragen stellte der Laudator Martin Schulz, Präsident des Europäischen Parlaments, in seiner vorzüglichen Laudatio. Nein, er wende sich nicht per se gegen digitale Technologien, vor allem, wenn sie das Leben der Menschen verbesserten. „Aber der Glaube, dass wir nur die Summe unserer Daten sind, reduziert und entwürdigt Menschen und verkennt überdies, wer der Schöpfer von Kultur ist.“ Es seien die Schriftsteller und Schriftstellerinnen, Musiker, Filmemacher, Ingenieure, Programmierer, Journalisten und andere Kreative, die die Inhalte erdenken, die sich im Netz finden. Schulz erwähnt auch das vermeintlich kostenlose Abgreifen im Netz, das wir mit der Sammlung unserer Daten bezahlen müssten. „Denn Daten werden zukünftig eine der wichtigsten Ressourcen sein und digitale Standards werden zur maßgeblichen Infrastruktur.“

Es dürfe keine Trennung zwischen analoger und digitaler Welt geben. Jaron Lanier betont, dass es beim Friedenspreis des Deutschen Buchhandels nicht nur um Bücher, sondern auch um Frieden geht und den sieht er bedroht. „In der digitalen Kultur zum Beispiel wird schnell diffamiert, wer sich nicht streng genug zum Dogma der ‚offenen‘ Netzgemeinschaft bekennt … Was können wir in Amerika noch mit der Idee der Menschenrechte anfangen? Sie wurde ad absurdum geführt.“

Lanier kritisiert den digitalen Kapitalismus, die Konzentration des Reichtums in den Händen weniger, die die Verarmung des Mittelstandes zur Folge hat, er warnt vor Monopolismus. Die Umsonst-Mentalität, die im Netz herrscht, ruiniere die Ideengeber.

Er fordert die Europäer auf, Anregungen, Erfahrungen einzubringen, „die für den nächsten Innovationsschub im Netz wichtig sind“. Den Standards der US-amerikanischen und asiatischen Unternehmen, die derzeit dominieren, müssten andere entgegengesetzt werden:

Martin Schulz schlug vor, zum Beispiel könnte ein Ethikrat die technischen Innovationen begleiten. Seine Thesen sind: Internetangebote nicht als kostenlose Verfügungsmasse; Achtung der Privatsphäre; Sicherheit von Daten; Vergessen und Verzeihen von Irrtümern; Wettbewerb und Pluralität.

Aus dem Internet-Saulus Jaron Lanier wurde ein Internet-Paulus, der sich jedoch nicht als Gegner grosser Konzerne sieht – so hat er einen Forschungsauftrag bei Microsoft – , aber er fordert die Konzerne auf, sich gegenseitig gleichsam in ein Gleichgewicht zu bringen.

Lanier: „Ohne Menschen sind Computer Raumwärmer, die Muster erzeugen.“

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(v.l.) Alexander Skipis, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Heinrich Riethmüller, Vorsteher des Börsenvereins, Professorin Monika Grütters MdB, Staatsministerin für Kultur und Medien, Jaron Lanier, Martin Schulz, Präsident des Europäischen Parlaments

Fotos: Renate Feyerbacher

 

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