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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Medardo Rosso und On Kawara: Bedeutende Neuerwerbe für Städel Museum und MMK

Von Erhard Metz

Die Sammlung eines Museums sollte in gewisser Weise einem Organismus ähneln: leben, sich entwickeln und erweitern. Wie schon in vergangenen Zeiten und besonders heutzutage ist sie dabei auf vielfältige Unterstützung angewiesen, in Gestalt von Vermächtnissen, Schenkungen, Spenden und sonstige Formen von Zuwendungen. Jüngste Beispiele sind Ankäufe des Städel Museums und des Museums für Moderne Kunst MMK, die durch derartige Initiativen ermöglicht wurden.

Dank der grosszügigen Spende einer dem Haus besonders verbundenen Mäzenin konnte das Städel Museum in diesem Frühjahr die Skulptur „Aetas Aurea“ von Medardo Rosso, neben Auguste Rodin und Aristide Maillol einem der bedeutenden Vertreter der modernen Skulptur, für seine Sammlung erwerben.

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Medardo Rosso (1858–1928), Aetas Aurea, ca. 1902, Bronze, H 60,1 cm (mit Sockel), Städel Museum, Frankfurt am Main; Foto: Städel Museum – ARTOTHEK

Medardo Rosso wurde 1858 in Turin geboren. Nach anfänglichem Malunterricht und einem unvollendeten Studium an der Accademia di Brera in Mailand übersiedelte er nach Paris, errichtete dort eine eigene Giesserei und wurde französischer Staatsbürger. 1922 kehrte er nach Mailand zurück. Er litt an – als Folgen eines Verkehrsunfalls eingetretenen – gesundheitlichen Problemen. Im Frühjahr 1928 verstarb er in  Mailand während eines chirurgischen Eingriffs.

Aetas Aurea, goldenes Zeitalter: eine Mutter- und Kind-Szene. Ein altes Motiv, immer wieder in der christlich-abendländischen Kunst als Madonna mit Jesuskind verwirklicht. Beinahe unwirklich schön die Oberfläche der Bronze, ergreifend die Darstellung. Lassen wir eine berufene Autorin sprechen:

Von seinen Zeitgenossen als „Bildhauer des Lichts“ bezeichnet, prägte Rosso die Entwicklung moderner Skulptur massgeblich. Dabei versuchte er Zeit seines Lebens, die Grenzen des Mediums Skulptur auf radikale und unkonventionelle Art zu sprengen. Mit seinen vorwiegend in Gips, Wachs und Bronze gearbeiteten Werken strebte er nach der Erneuerung der Skulptur, indem er Momentaufnahmen festhielt, das Fragmentarische betonte und seine Figuren mit dem Raum und ihrer Umgebung verschmelzen ließ. In seinen oftmals selbstgegossenen Bronzen, bemalten Gipsarbeiten oder groben Wachsfiguren gestaltete Rosso vibrierende Oberflächen, die ein subtiles Spiel mit Licht und Schatten offenbaren.

Im Laufe seines Lebens schuf Rosso ein verhältnismässig kleines Œuvre, was die Zahl der Motive betrifft. Dabei erarbeitete er jedoch immer wieder neue Fassungen seiner Werke, die in Material und Ausarbeitung variieren. Das nun zur Sammlung des Städel gehörende Werk „Aetas Aurea“ (Goldenes Zeitalter) ist eines der berühmtesten Werke Rossos. Es zeigt den flüchtigen Augenblick einer zärtlichen Berührung zwischen Mutter und Kind und ist – wie der Titel deutlich macht – als Metapher für das „Goldene Zeitalter“ zu deuten. Der Begriff stammt aus der antiken Mythologie und bezeichnet das Ideal des friedlichen Urzustandes der Menschheit. Kurz nach der Geburt seines ersten Sohnes schuf Rosso ab 1885 mehrere Varianten der Skulptur in Gips, Wachs und Bronze. Die vom Künstler selbst gegossene Bronze von ca. 1902 besitzt eine besonders nuancenreiche Oberfläche und Patina. Mit Hilfe komplexer chemischer Verfahren und Vergoldungstechniken erreichte Rosso die bestechende Farbigkeit. Je länger man den in der Bronze verewigten Augenblick der Berührung betrachtet, desto mehr Details lassen sich im bewegten Auf und Ab von Material und Form entdecken.

Carolyn Meyding, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit Städel Museum, im „Städel Blog

Auch das Museum für Moderne Kunst MMK konnte in diesem Jahr mit Hilfe einer grosszügigen finanziellen Förderung – im Rahmen einer gemeinschaftlichen Aktion des Vereins der Freunde des MMK, der Kulturstiftung der Länder, der Hessischen Kulturstiftung und der Georg und Franziska Speyer’schen Hochschulstiftung Frankfurt am Main – ein bedeutendes Werk des konzeptuellen Künstlers On Kawara ankaufen: seine Arbeit „One Hundred Years Calendar – 20th Century ‚24,845 days'“ aus dem Jahr 2000. Es entsprach einem ausdrücklichen Wunsch des vor zwei Monaten im Alter von 81 Jahren verstorbenen Künstlers, dass dieses Kalenderwerk seinen Platz in der Sammlung des MMK finden sollte. Es besteht aus einem grossformatigen grafischen Blatt, auf dem der Künstler jeden Tag seines Lebens- und Werklaufes von 1932 bis ins Jahr 2000 farbig gekennzeichnet hat.

On Kawara wurde 1933 in Kariya auf der japanischen Insel Honschu geboren. Seine hoch konzeptuelle Kunst kreist um „Zeit“ und „Zeitlichkeit“. Der nahezu permanent reisende, jedoch in New York ansässige Künstler scheute jedwede Öffentlichkeit. Seine international begehrten Arbeiten befinden sich in zahlreichen öffentlichen und privaten Sammlungen. In diesem Frühjahr, wenige Monate vor seinem Tod, wurde sein Bild „May 1, 1987“, wie der „SPIEGEL“ berichtete, in einer New Yorker Auktion für rund 4,2 Millionen Dollar verkauft. On Kawara starb am 10. Juli 2014 in New York.

Bereits im Jahr 2013 hatte On Kawara dem MMK, dem er sich verbunden fühlte, neun „Date Paintings“ aus den Jahren 1992 bis 2000 geschenkt. Sie erweitern die Serie von 25 „Date Paintings“, beginnend mit dem Titel „FEBRUARY 7, 1966“, die mit zu den Hauptwerken der MMK-Sammlung zählen. Das Museum, das nunmehr über eine der weltweit umfangreichsten Werkgruppen des Künstlers verfügt, widmet On Kawara im Haupthaus an der Domstrasse, dem künftigen MMK 1, einen eigenen Präsentationssaal.

„Wir fühlen uns sehr geehrt und privilegiert, dass On Kawara kurz vor seinem Tod so sehr daran gelegen war, seine Werkgruppe in unserer Museumssammlung durch die Schenkungen zu vervollständigen. Ebenso erfreulich ist es, dass wir den Ankauf des ‚One Hundred Years Calenders‘ dank der grosszügigen Unterstützung realisieren konnten. Der erweiterte On-Kawara-Raum ist ein Höhepunkt unserer neuen Sammlungspräsentation im MMK 1“, freut sich MMK-Direktorin Susanne Gaensheimer.

Am 4. Januar 1966 produzierte On Kawara sein erstes „Date Painting“ – ein handgemaltes Datum auf monochromem Grund. Von diesem Zeitpunkt an malte der Künstler fast jeden Tag ein solches Datumsbild und folgte dabei einem präzisen Regelwerk: Jedes der Schrift-Bilder trägt das Datum des jeweiligen Tages, das stets im lateinischen Alphabet und arabischen Zahlen verfasst wurde. Jedes Gemälde musste an dem Tag begonnen und beendet werden, dessen Datum es trägt. Die Sprache, in der On Kawara das Datum verfasste, richtete sich immer nach der Landessprache seines aktuellen Aufenthaltsortes und somit nach dem Entstehungsort des Bildes. Durch die strikte Reduktion des Motivs auf das Datum werden On Kawaras Bilder gleichsam zu einem Beleg für Gegenwart. Für die Fertigstellung eines Bildes benötigte der Künstler rund zehn Stunden, so dass ein Bild auch als ein Tagwerk bezeichnet werden kann. Die „Date Paintings“ können in diesem Sinne auch als gemalte Zeit gesehen werden. Die Werkgruppe in der Sammlung des MMK gibt einen Einblick in On Kawaras immenses Lebenswerk, das mehrere tausend Datumsbilder umfasst (MMK).

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↑ „One Hundred Years Calendar – 20th Century ‚24,845 days‘ „, 2000, Tinte und Siebdruck auf Papier, 68,6 x 129,5 cm, MMK Museum für Moderne Kunst Frankfurt am Main; Bildnachweis: MMK, © On Kawara

„February 7, 1966“, 1966, MMK Museum für Moderne Kunst Frankfurt am Main, Bildnachweis: MMK

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„Es handelt sich bei den Bildern von On Kawara nicht nur um reine Malerei, sondern auch um absoluten Realismus. Die Gleichsetzung von Bild und Tag als Materialisierung von Zeit wird durch das geschaffene Werk real fassbar. Das Bild als beständige Form von Zeitlosigkeit scheint der Thematisierung des Verlaufes von Zeit zu widersprechen. Die ‚Date Paintings‘ verweisen aber auch auf das Heute und die Lebenswirklichkeit der Betrachter, also auf deren eigene Existenz. Die Daten werden zum Spiegel für das Hier und Jetzt – sie werden zu Ikonen des Säkularen“, so Mario Kramer, Sammlungsleiter des MMK.

„One Hundred Years Calendar – 20th Century ‚24,845 days‘ “ liegt im MMK als Faltblatt aus: unbedingt mitnehmen, solange der Vorrat reicht; und das Werk in der dritten Museumsebene unbedingt aufsuchen, dabei – wie immer – viel Zeit mitbringen und die Bereitschaft, sie bewusst zu erleben und zu ergründen. Wo anders als vor diesem Werk könnte man solches tun.

 

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