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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Vom Dasein & Sosein. Skulptur, Objekt & Bühne“ im Frankfurter Kunstverein / 1

Was machen so eigentlich ein Kunstvereinsdirektor, zumal wenn er kuratiert, und seine Mitkuratorin? Eine schwierige Frage, nähern wir uns ihr einmal andersherum und antworten: Jedenfalls machen sie es kaum jemandem recht. Schon gar nicht all den Kunstgurus, seien es grosse oder kleine, lokale oder überregionale, echte oder selbsternannte – und nicht zu vergessen die Vereinsmitglieder! Was die einen gut finden, finden die anderen schlecht. Und was machen dann die von den Ausstellungsmachern Kuratierten? Liebe Künstlerinnen und Künstler: pfeifft auf die Antworten und macht Euer „Ding“! (Na ja, sei ’s zugestanden, über eine lobende Erwähnung freut man sich denn doch.)

Wir gestehen es und „outen“ uns: Wir haben dieser Tage wieder mal von einem Künstler ein Bild erworben. Eine Arbeit auf Leinwand. Soso, hören wir schon einen Ober-Guru uns mitleidvoll entgegnen, und das hängen Sie jetzt wohl an die Wand? In welchem Jahrhundert leben Sie eigentlich? Wissen Sie denn nicht um die wahre Kunst, wissen Sie nicht, wer letztes Jahr in Venedig den Goldenen Künstler-Löwen erhalten hat?

Kein Wunder also, dass wir uns mit dem Chef des Frankfurter Kunstvereins darüber freuen, endlich einmal nicht nur Raunen und Stammeln am Boden Liegender, nicht nur Verkopftes und Digitales, elektronisches Geflimmer und Bildschirmrauschen, sondern Greifbares und Materielles vor unseren Augen und Sinnen zu haben, etwas, was „da ist“ und „so ist“. Und so gingen wir nicht ohne vorfreudige Erwartung in die neue Ausstellung „Vom Dasein & Sosein. Skulptur, Objekt & Bühne“. (Über Sinn und Charme des Kaufmanns-„&“ kann man, wenn man sonst nichts Wichtigeres zu tun hat, füglich streiten.)

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Lilian Engelmann und Holger Kube Ventura, Direktor des Frankfurter Kunstvereins, in der Pressekonferenz

Zu Recht sprechen Holger Kube Ventura und Lilian Engelmann, die die Ausstellung kuratieren, von einer „Dingkrise“ (Matthias Winzen) in der bildenden Kunst unserer mehr und mehr von elektronischen Medien bestimmten, ja beherrschten Gegenwart. Wohin diese Bestimmung und Beherrschung im bevorstehenden bzw. bereits hereingebrochenen Zeitalter der „digitalen Demenz“ (Manfred Spitzer) uns bereits geführt hat, erleben wir sehr klar im Facebook-Zirkus wie im NSA-Skandal.

„Die in der Konzeptkunst der 1960er Jahre entwickelte Vorstellung, dass Kunst vor allem als geistiges Phänomen in den Köpfen ihrer Produzenten und Rezipienten existiert und weniger einer bild- als vielmehr einer wortsprachlichen Logik folgt, die nicht notwendig in konkretem Material umgesetzt werden muss, scheint heute ein dominanter Kunstbegriff zu sein“, lesen wir im Begleitheft. Und: „Die fortschreitende Entmaterialisierung von Kunst zeigt sich zum Beispiel in der starken Bedeutung, die Video- und Filmwerke, sowie Performances und konzeptuelle Interventionen mittlerweile im Ausstellungsbetrieb erlangt haben“.

Dieser Immaterialisierung begegnet die Ausstellung mit einer Zuwendung zu Dinglichkeit, zu Materialität, und es geht dabei konkret um Bildhauerei bzw. die Auseinandersetzung mit ihr. Unter dem Titel und Leitgedanken „Vom Dasein & Sosein. Skulptur, Objekt & Bühne“ zeigt der Kunstverein Werke von neun Künstlerinnen und Künstlern, die sich auf unterschiedliche Weise mit Plastik und Skulptur beschäftigen. „Sie kombinieren Verfahren wie Montage, Skalierung und Rauminszenierung und bearbeiten oder arrangieren Dinge, Objekte und Materialien, um deren erzählerischen Potentiale zu verstärken oder aufzulösen.“

Was sehen wir dort? Skulpturen, gar „Sockelwerke“, oder Installationen, oder beides? Wo verlaufen Trennlinien? Haben nicht Skulpturen immer auch etwas Installatives, Installationen etwas Skulpturales? Und wie verhalten wir uns als Betrachter zu diesen raumgreifenden, mit uns in einem Beziehungszusammenhang stehenden Gegenständen und Objekten?

Sofia Hultén: Megaconglomerates

Beginnen wir mit einer fantastischen Arbeit der 1972 in Stockholm geborenen, in Berlin lebenden (sich übrigens vielfach mit Video beschäftigenden!) Künstlerin Sofia Hultén.

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Megaconglomerates, 2011, Staub, Kunstharz, 101 Stück, Grösse variabel; Courtesy Konrad Fischer Galerie, Düsseldorf (im Hintergrund an den Wänden: Gatefold 02 und 04)

„Megaconglomerates“: Wir sehen Steine auf dem Boden. Was wir nicht sehen: Die Steine haben einen Prozess, eine Art Wandlung durchgemacht. Obgleich sie auf den ersten Blick so aussehen, sind es nicht mehr die Steine, die sie zuvor waren. Wer aber hat die Steine denn im „Zuvor“ gesehen? Die Künstlerin, wir Betrachter aber nicht.

Was ist geschehen? In einem unglaublich aufwändigen Arbeitsprozess hat Sofia Hultén jeden der Steine abgeformt, dann die Steine zermahlen, anschliessend das Steinmehl mit Hilfe der Hohlformen zu eben jenen Steinen zurück „gegossen“, die sie vorher bereits waren. Aber es sind nun andere Steine: in der äusseren Gestalt zwar (augenscheinlich und annähernd) gleich, aus gleichem elementarem Material, aber inhaltlich verschieden. Das Gewachsene wurde zerstört, das Zerstörte in die ursprüngliche Form des Gewachsenen zurückgezwungen. Dasein – Sosein? Zwar „sehen“ wir; aber nur durch zusätzliches Wissen können wir „erkennen“.

Gatefold 02 und 04

Gatefold 02 und Gatefold 04; Metall, 42 x 37 x 41 cm und Metall, 50 x 37 x 41 cm; Privatsammlung, Köln, und Courtesy Konrad Fischer Galerie, Düsseldorf

Ein Eisengitter, ein Eisentor mit einem Schloss: zu neuen Raumkörpern gebogen. Es handelt sich jeweils um das gleiche Material, und doch ist gegenüber dem vormaligen Gitter und Tor eine auch die Zweckbestimmung und Gebrauchseignung verändernde Verwandlung eingetreten: Dasein – Sosein.

Sofia Hultén zeigt, dass „die Dinge, mit denen Menschen umgehen, selbst auf diesen Umgang einwirken und vorgeben, was mit ihnen getan werden kann und was eben nicht. Die von Hultén künstlerisch rekonfigurierten Dinge verweisen immer noch auf ihre ursprünglichen Möglichkeiten, sie sind sich nicht fremd geworden – obwohl sie doch vollständig neu erschaffen wurden“ (Begleitheft).

„Vom Dasein & Sosein. Skulptur, Objekt & Bühne“, Frankfurter Kunstverein, bis 13. April 2014

Fotos: FeuilletonFrankfurt

→  “Vom Dasein & Sosein. Skulptur, Objekt & Bühne” im Frankfurter Kunstverein / 2

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