home

FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

100 Jahre Heussenstamm-Stiftung (1)

Kunst  •  Bildung  •  Soziales

hs100-button-gold-400

Grafik: Rainer Stenzel, © Heussenstamm-Stiftung

Frankfurt am Main – die Stiftungshauptstadt – feiert Geburtstag: keinen gewöhnlichen, sondern den 100. Jahrestag der Gründung der Heussenstamm-Stiftung.

Der Stiftungsgründer

Wer war Karl (Carl) Jakob Moritz Heussenstamm, der Gründer der Heussenstamm-Stiftung? 1835 in Frankfurt am Main als Sohn eines Juristen geboren, Abitur am damaligen Frankfurter Gymnasium, Studium der Rechtswissenschaft in Heidelberg und Göttingen mit Promotion, Rechtsanwalt in Frankfurt; 1873 Wahl zum Stadtverordneten, 1877 Erster Vorsitzender der Stadtverordnetenversammlung; 1880 Wahl zum (Zweiten) Bürgermeister der Stadt (Oberbürgermeister war damals Johannes von Miquel), 1892 Wiederwahl, ab 1899 Ruhestand. Ein engagierter Kommunalpolitiker

mit (als Vorsitzender der Frankfurter Schulbehörden und Verfechter der konfessionsübergreifenden Simultanschule) den Schwerpunkten Bildung und Sozialpolitik. Schliesslich: seit 1890 bis zu seinem Tod im Jahr 1913 Mitglied des Landtags von Wiesbaden und Hessen-Nassau (als Mitglied der linksliberalen wie bürgerlich-demokratischen „Fortschrittlichen Volkspartei“).

„Er war ein schlichter, einfacher Mann und … durchwanderte zu Fuss die Straßen unserer Stadt, um hellen Auges und klugen Blickes sich selbst von den Vorkommnissen des Tages zu unterrichten. Wer ihn nicht kannte, würde in dem einfachen Mann nicht den Bürgermeister einer Großstadt vermutet haben“ (zitiert nach dem Frankfurter General-Anzeiger, Nachruf vom 30. Juli 1913).

!cid_82320B8B-B206-447A-8866-3D0E3F0CC9EC-430

Carl Jakob Moritz Heussenstamm (1835 bis 1913), Gründer der Heussenstamm-Stiftung; (Bildnachweis: Heussenstamm-Stiftung)

Sein Vermögen von 150.000 (Gold-)Mark vererbte Heussenstamm testamentarisch unter Verwendungsauflagen der Stadt Frankfurt zur Errichtung einer „Heussenstamm’schen Stiftung“, die im Februar 1914 gegründet wurde. Satzungsgemässer Zweck der Stiftung – in der damaligen betulichen Sprache – ist insbesondere die „Gewährung von Unterstützungen an bedürftige Frankfurter Bürger“ und „die Gewährung von Beihilfen und sonstigen Hilfsmassnahmen zur Ausbildung und Förderung würdiger Künstler und geistiger Arbeiter, die nach ihrer Anlage, ihrer Begabung oder ihrem sonstigen Wirken besondere Förderung zum Wohl der Allgemeinheit verdienen und aus eigenen Mitteln die Kosten nicht aufbringen können“.

!cid_962C87CE-04E0-4FE6-B2DD-86169C76CCE0-600

Ehrung im Stadtteil Eschersheim; Bildnachweis: Heussenstamm-Stiftung

Stiftungseingliederungen oder „Die verschwundenen Stiftungen“

Seit ihrer Gründung erfuhr die Heussenstamm-Stiftung eine Reihe von Stiftungseingliederungen: 1939 der Stiftung für Heimarbeiter der Stifter Franziska und Georg Speyer, 1941 der Peter-Wilhelm-Müller-Stiftung für Wohltätigkeit und Förderung von Kunst, Wissenschaft und Gewerbe, 1949 der Dr. med. Ernst Asch-Stiftung zur Förderung von Bibliotheken sowie der Wilhelm und Mary Hill-Stiftung für Beihilfen für berufsbehinderte Tonkünstler und schliesslich 1952 der Roederstein-Winterhalterschen Stiftung, von der noch die Rede sein wird.

Zur Eingliederung des Siftungsbesitzes jüdischer Gründer in der Zeit und Folge des Nationalsozialismus schreibt Professor Felix Semmelroth, Kulturdezernent und Vorstandsvorsitzender der Heussenstamm-Stiftung: „Wir sehen heute unsere Verantwortung, das geschehene Unrecht zu benennen, uns zu erinnern und Sorge zu tragen, dass die gerade in der Stadt Frankfurt so traditionsreiche jüdische Kultur in der Arbeit auch dieser Stiftung sichtbar gemacht und weitergetragen wird“.

L1190199-600

Ausstellungstransparent: In der Zeit des Nationalsozialismus als jüdisch verfemte Stiftung von Georg und Franziska Speyer

Die Heussenstamm-Stiftung ist weiblich

Es waren und sind Frauen, die seit Gründung der Stiftung deren Geschäftsführung wahrnehmen. Seit April 2008 hat Dagmar Priepke, zugleich Stellvertretende Vorsitzende des Stiftungsvorstands, diese Position inne. Gemeinsam mit dem Vorstand setzte sie im Zuge einer umfassenden Evaluierung der bisherigen Tätigkeiten von Heussenstamm-Stiftung und -Galerie eine Reihe neuer Akzente und Prioritäten für die künftige Arbeit.

Auch das operative Handeln der Stiftung sei, so Dagmar Priepke, vielfach von weiblicher, meist ehrenamtlicher Mitarbeit bestimmt. „Eingebunden in die historische Entwicklung professioneller sozialer Arbeit und öffentlicher Wohlfahrt, lässt sich die Geschichte der Heussenstamm-Stiftung auch im Hinblick auf berufsspezifische Geschlechterbilder und -hierarchien lesen.“

Stellvertretend für die weibliche Prägung der Stiftung steht in der Ausstellung ein Selbstbildnis der freischaffenden Malerin und Porträtistin Ottilie W. Roederstein (1859 – 1937). Im Jahr ihres Todes errichtete sie mit ihrer Lebensgefährtin, der Chirurgin Elisabeth Winterhalter, die Roederstein-Winterhaltersche Stiftung für notleidende Malerinnen und Maler. Das Stiftungskapital wurde 1952 der Heussenstamm-Stiftung zugeführt.

430-px-Ottilie W Roederstein

Eines der mehreren Selbstporträts der Ottilie W. Roederstein, “Selbstbildnis mit Hut und Mantel”, 1903, Öl auf Leinwand, 69 x 49 cm; Privatbesitz“, zu sehen in der noch laufenden Ausstellung „Künstlerin sein! Ottilie W. Roederstein, Emy Roeder und Maria von Heider-Schweinitz”, Museum Giersch

Kunst

Für das Frankfurter Publikum und die kunstinteressierten Besucher der Stadt tritt die Heussenstamm-Stiftung insbesondere in Gestalt ihrer Galerie in Erscheinung, in prominenter Lage in der Nähe von Paulskirche, Römer und Museum für Moderne Kunst. Einerseits Fördergalerie, andererseits Verkaufsraum, bietet sie auf rund 140 m² Fläche jungen Künstlerinnen und Künstlern ein Forum, jenseits der Geschäftsinteressen eines eher kommerziellen Kunstbetriebs ihre Arbeiten in Einzel- und Gruppenausstellungen einer aufgeschlossenen Öffentlichkeit zu präsentieren wie auch zugleich zu moderaten Preisen zum Erwerb anzubieten. Die Liste der in der Heussenstamm-Galerie ausstellenden Künstlerinnen und Künstler ist mittlerweile beachtlich lang. Vertreten sind aktuelle Positionen in der Bildenden Kunst aus allen medialen Gattungen.

L1180840A-600

Kunstwissenschaftlerin Anna Meseure, Künstlerin Katja Jüttemann, Dagmar Priepke in der Vernissage der Ausstellung „Die Magie der Räume“ am 19. November 2013 (Foto FeuilletonFrankfurt), Foto: FeuilletonFrankfurt

l1010116b-600a

Ausstellungseröffnung „Hot or not“ in der Heussenstamm-Galerie am 5. Mai 2009 mit den Künstlern Costa Bernstein und Max Weinberg, rechts Susanne Kujer vom Frankfurter Kulturamt (Foto: FeuilletonFrankfurt)

Darüber hinaus arbeitet die Heussenstamm-Stiftung mit der Abisag Tüllmann-Stiftung zusammen. Sie ist Gastgeberin zur Verleihung des Abisag-Tüllmann-Preises für künstlerischen Fotojournalismus in der Galerie, so auch wieder in diesem Jahr sowie in 2016.

hs100-collage-grau-600

Er hätte sich gefreut: Carl Jakob Moritz Heussenstamm – umringt von Künstlerinnen und Künstlern der Heussenstamm-Galerie; Grafik: Rainer Stenzel, © Heussenstamm -Stiftung

Bildung

Neben seinem sozialpolitischem Wirken widmete sich der Stifter fast 20 Jahre lang – „den besten Theil meines Lebens“ (Zitate Heussenstamm) der Schul- und Bildungspolitik, mit der er sich „auf das innigste verwachsen“ fühlte.

Panorama

Im Mittelpunkt der Bildungsinitiativen der heutigen Stiftung steht die 2009 begonnene Offensive „Der Rote Punkt“. Das Programm bringt in Workshops Kinder und Jugendliche mit Künstlern zusammen. „Bildung braucht Bilder“ – so lautet das Motto. Ästhetische Bildung fördert analytische Kompetenzen in der visuellen Kultur und öffnet Orientierungs- und Entwicklungsmöglichkeiten für junge Menschen.

HS_imSessel-430

Carl Jakob Moritz Heussenstamm; Bildnachweis Heussenstamm-Stiftung, © Institut für Stadtgeschichte

Soziales

Ein wichtiger Bereich der Stiftungsarbeit ist die Förderung und Präsentation sogenannter Outsider-Kunst. Die Ausstellungsreihe „Mittendrin OUTSIDER!“ stellt künstlerische Arbeiten von Menschen mit Behinderung vor, etwa aus den Praunheimer Werkstätten in Frankfurt am Main. Von November 2010 bis Januar 2011 präsentierte der Galeriekünstler Costa Bernstein, Mitinitiator des Projekts “Integration jüdischer Menschen mit psychischer und geistiger Behinderung in den Jüdischen Gemeinden”, in der Galerie Werke behinderter jüdischer Mitbürgerinnen und Mitbürger.

„Was innen ist und was außen, was als normal und was als davon abweichend gesehen wird, hängt vom historischen Standpunkt des Betrachters ab“, schrieb Professor Salomon Korn im entsprechenden Ausstellungskatalog. „Die Frage danach, von wo aus wir schauen, ist deshalb die entscheidende. So ist auch der Begriff Outsider Art eine diskursive Übereinkunft, die gegenwärtig dazu verwendet wird, künstlerische Werke von Menschen mit Behinderungen zu bezeichnen.“

L1007005-450k

Eröffnung der Ausstellung „Outsider from Costa Bernstein“: Dagmar Priepke, Costa Bernstein, beteiligte Künstlerinnen und Künstler mit einem Vertreter der Frankfurter Jüdischen Gemeinde am 30. November 2010 in der Galerie (Foto: FeuilletonFrankfurt)

Ein ähnliches Projekt dieser Art ist die Zusammenarbeit mit der Frankfurter Integrativen Drogenhilfe e.V. im „Café Eastside“, Europas grösster niedrigschwelliger Drogenhilfeeinrichtung. Sie steht allen drogenabhängigen – und damit oft obdachlosen – Menschen in Frankfurt offen, für die das Café nicht selten zu einem ersatzweisen „Zuhause“ geworden ist.

Die Galerie-Künstlerinnen Katja Jüttemann und Eun-Joo Shin arbeiteten über einen längeren Zeitraum mit Besucherinnen und Besuchern des Cafés kreativ in den Bereichen Malerei und Zeichnung, Fotografie sowie Objektkunst, deren Arbeiten anschliessend vor Ort ausgestellt wurden.

Ihr Jubiläum feiert die Heussenstamm-Stiftung jetzt mit einer Ausstellung in ihrer gleichnamigen Galerie  „100 Jahre Heussenstamm-Stiftung – Kunst • Bildung • Soziales“. Unter dem Motto „Der einzige Ort, in dem die Vergangenheit leben kann, ist die Gegenwart“, ein Zitat des 1942 geborenen italienischen Philosophen Giorgio Agamben, wird der Blick auf 100 Jahre Stiftungsarbeit gerichtet. Darüber hinaus werden Werke von Costa Bernstein, Milan Bolacjos, Georg Dickenberger, Maike Häusling, Oliver Hammerschmidt, Hans-Jürgen Herrmann, Katja Jüttemann, Ellen Libbach, Ottilie W. Roederstein, Harald Schröder, Eun-Joo Shin und Oliver Tüchsen gezeigt. FeuilletonFrankfurt wird in Folge 2 berichten.

→  100 Jahre Heussenstamm-Stiftung (2)

 

Comments are closed.