home

FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Brisante Ausstellung „1938. Kunst, Künstler, Politik“ im Jüdischen Museum Frankfurt

Der infame Ausschluss der Juden aus dem Kunstbetrieb

Von Hans-Bernd Heier

Das Jahr 1938 war ein katastrophales Jahr in der jüdischen Geschichte. Es war das Jahr, in dem jüdische Künstler, Galeristen und Kunsthändler endgültig aus dem Kunstbetrieb ausgeschlossen wurden. „Mehr noch als 1933 bilden das Jahr 1938, insbesondere die November-Pogrome und die folgende Inhaftierung, Verschleppung und Ermordung Tausender Juden, eine Zäsur in der jüdischen Geschichte“, schreibt Professor Raphael Gross, Direktor des Jüdischen Museums, in dem profunden Begleitband zu der Ausstellung „1938. Kunst, Künstler, Politik“. Mit diesem Jahr habe die Epoche des deutschen Judentums eigentlich ihr Ende gefunden.

J3-430

Professor Raphael Gross, Direktor des Jüdischen Museums, und die Kuratorinnen (v.l.) Julia Voss sowie Eva Atlan; Foto: Hans-Bernd Heier

Die Sonderausstellung konzentriert sich bewusst auf einen kulturellen und gesellschaftlichen Bereich, der durch seine Objekte anschaulich präsentierbar ist: den Kunstbetrieb. Was 1938 geschah, schlug sich in den Lebensläufen von Künstlern, Sammlern, Händlern, Kritikern und Museumsmitarbeitern nieder. Die Ausstellung zeigt, wer Opfer, Täter und Zuschauer wurde. Nach dem „Anschluss“ Österreichs wurden in Wien zahllose jüdische Sammlungen von den Nationalsozialisten geplündert. Der bekannte jüdische Kunsthändler Hugo Helbing wurde im November bei den Pogromen vor den Augen seiner Frau niedergeschlagen und so schwer verletzt, dass er kurz darauf starb. Wer von den Gewalttaten profitierte, zeigt sich im Kunstbetrieb sehr deutlich.

Welche thematische Brisanz der aktuellen Präsentation im Rothschild-Palais zukommt, die in Kooperation mit dem Fritz Bauer-Institut erarbeitet wurde, belegt der Fall Gurlitt. Bei dem sensationellen Münchner Bilderfund wurden rund 1.400 Kunstwerke in der Wohnung von Cornelius Gurlitt, dem Sohn des Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt (1895 bis 1956), beschlagnahmt. Alle Werke stammen aus den Beständen des Vaters. Hildebrand Gurlitt machte vor allem im Nationalsozialismus Karriere. Die Aufarbeitung dieses Falles dürfte Kunstwissenschaftler und Juristen noch auf Jahre beschäftigen. Angesichts der aktuellen Lage müsste Gross zufolge die Schau im Jüdischen Museum Frankfurt „eine Pflichtveranstaltung“ sein.

Die Ausstellung, die bis zum 23. Februar 2014 zu sehen ist, versammelt die Werke von verfolgten Künstlern wie beispielsweise Lotte Laserstein, Elfriede Lohse-Wächtler oder Jankel Adler. Gezeigt werden aber auch Arbeiten von den Nationalsozialisten genehmen Künstlern wie etwa Werner Peiner oder Edmund Steppes.

Die gängige Vorstellung, im Zentrum der nationalsozialistischen Kunstpolitik hätte die Verfolgung der Avantgarde gestanden, soll korrigiert werden“, betont Gross. „Das Ziel der Kunstpolitik im Nationalsozialismus war, restlos zu kontrollieren, wer am Kunstbetrieb teilnimmt. Über die Partizipation entschieden vornehmlich rassepolitische Kriterien“. Die vollständige „Arisierung“ des Kunstbetriebs wurde 1938 durchgesetzt – mit Folgen bis weit in die Nachkriegszeit hinein. Aufgrund der Arisierungsmaßnahmen wurden viele Künstler um ihre Existenzgrundlage gebracht.

Aus dem Kampfwort ‚entartet‘, mit dem gegen die ‚Verjudung‘ des Kunstbetriebs gehetzt worden war, entstand in der Rückschau ein Stilbegriff“, sagt Julia Voss, eine der beiden Kuratorinnen der tief beeindruckenden Ausstellung. Es sollte so der Eindruck erweckt werden, „der Hass der Nationalsozialisten hätte sich vornehmlich gegen die Avantgarden gerichtet und den von ihnen geprägten Ausdruckweisen oder Stilen. Die Bemühungen, die verfemte Kunst zu rehabilitieren, galten fast ausschließlich der Moderne“, so Voss weiter. „Anhand von ausgewählten Beispielen zeichnen wir in dieser Ausstellung ein anderes Bild als jenes, das in der Nachkriegszeit vom Kunstbetrieb im Nationalsozialismus entworfen wurde und das zu Verzerrungen oder auch Legenden führte“.

Das lässt sich beispielsweise an dem Werk der Malerin Lotte Laserstein (geboren 1898 in Preußisch-Holland/Ostpreußen – gestorben 1993 im schwedischen Kalmar) belegen. Ihre Karriere verhinderte der Nationalsozialismus. Bereits 1933 wurde ihr verboten auszustellen, die Mitgliedschaft in der Reichskammer der bildenden Künste blieb ihr verwehrt. Nach den diskriminierenden „Nürnberger Gesetzen“ galt sie als „Dreivierteljüdin“.1937 wurde eines ihrer Gemälde aus Berliner Museumsbesitz als „entartet“ beschlagnahmt. Als Lotte Laserstein im selben Jahr von einer Stockholmer Galerie zu einer Ausstellung ihrer Gemälde eingeladen wurde, sagte sie zu und kehrte nie wieder nach Deutschland zurück. Von der Familie Trolle erhielt sie Porträtaufträge, ein Genre, das ihre Existenz in den ersten Jahren des Exils sicherte.

J6-430

Wanda von Debschitz-Kunowski „Lotte Laserstein vor ‚Abend über Potsdam‘ „, Fotografie 1930; Foto: © Berlinische Galerie

Die Werke von Lotte Laserstein stehen im Zentrum der Präsentation im Jüdischen Museum. Dafür führt Voss zwei Hauptgründe an: „Laserstein war eine herausragende Künstlerin. Ihren Bildern ist die Freude an der Malerei anzusehen, an der Schilderung von Oberflächen wie Haut, Haar, Pelz oder Stoff. Gleichzeitig löste sie sich von althergebrachten Darstellungsweisen, wenn sie etwa in Gemälden wie ‚In meinem Atelier‘ von 1928 einen neuen ungewöhnlichen Künstlerinnentypus schuf: nüchtern und melancholisch, sachlich und sinnlich zugleich. Selbstbewusst stellte sie eine mögliche erotische Verbindung zu ihrem Modell in den Vordergrund, ihrer Muse und Freundin Traute Rose“.

Die Künstlerin, die den Holocaust im Exil überlebt hatte, gehörte zu der Gruppe von Kunstschaffenden, die im Nationalsozialismus aus dem Kulturleben ausgestoßen worden waren und auch nach dem Krieg in Deutschland ausgegrenzt blieben. Ihr Stil erschien zu konventionell und zu wenig modern. An die Verfolgung schloss nahtlos das Vergessen an. In Deutschland war es 2003 die Ausstellung des Berliner „Verborgenen Museums“, der Lotte Laserstein die Wiederentdeckung verdankte. Im Jahre 2010 erwarb die Berliner Neue Nationalgalerie mit „Abend über Potsdam“ von 1930 eines ihrer Hauptwerke.

Die Schau will auch auf die anhaltende „Vertreibung“ jüdischer Künstler, Kunsthändler, Kritiker und Museumsfachleute aus dem deutschen Kunstbetrieb aufmerksam machen. Wie Lotte Laserstein wurden viele von den 1938 verfolgten jüdischen Künstlern auch nach 1945 nicht mehr in Deutschland gesammelt. Sie gehören zu den Künstlern der „vergessenen Generation“.

Aus Sicht der Nationalsozialisten war 1938 ein außerordentlich erfolgreiches Kunst-Jahr. Von den Nationalsozialisten favorisierte Künstler, wie Arno Breker (1900-1991) oder Werner Peiner (1897-1984), der mit vier Tempera-Arbeiten „Deutsche Schicksalsschlachten“ in der Ausstellung vertreten ist, erhielten Großaufträge. In München eröffnete die zweite „Große Deutsche Kunstausstellung“ im „Haus der Deutschen Kunst“. „Das Geschäft der Auktionshäuser boomte, die Museumssammlungen wuchsen. Der ‚Anschluss‘ Österreichs war für einen beispiellosen Raubzug durch jüdische Sammlungen genutzt worden, bei dem sich die nationalsozialistische Führungsriege ebenso bereicherte wie der Kunsthandel und die Museen“, erläutert Kuratorin Voss. Die Arisierung des Kunstbetriebs war Ende 1938 nahezu abgeschlossen und der Ausschluss aller Juden aus dem Kunstbetrieb durchgesetzt. Ihre Stellen waren nun vollständig mit „arischen“ Nachfolgern besetzt.

Wer etwa glaubt, die Nationalsozialisten hätten vornehmlich nach ästhetischen Kriterien Kunstpolitik betrieben, die Avantgarde verfolgt und „naturalistische“ Malweisen gefördert, der wird in der Frankfurter Schau eines Besseren belehrt. Da die Ausstellungsmacher bewusst darauf verzichtet haben, Exponate durch die Ausstellungsarchitektur auf den ersten Blick als „verfolgt“ oder „gefördert“ zu kennzeichnen, könnte der Besucher beim Betreten des Ausstellungsraumes Lotte Laserstein zunächst falsch einordnen und sie womöglich für systemkonform halten.

Andererseits, wer bisher der Meinung war, die deutschen Expressionisten hätten im Fadenkreuz der nationalsozialistischen Verfolgung gestanden, dürfte überrascht erfahren, dass beispielsweise der Expressionist Heinrich Ehmsen ausreichend Vertrauen genoss, um als Mitglied einer deutschen Propaganda-Staffel in Paris stationiert zu werden. Zuvor waren seine Werke als „entartet“ beschlagnahmt worden. Nachdem er einen „Ariernachweis“ vorgelegt hatte, wurde Ehmsen 1939 wieder in die „Reichskammer der bildenden Künste“ aufgenommen.

J8-430

Elfriede Lohse-Wächtler „Selbstporträt im Halbprofil“, um 1930, Pastell auf Karton, 34,5 x 27 cm; © Fischer Kunsthandel & Edition

Für die Expressionistin Elfriede Lohse-Wächtler gab es dagegen keine Möglichkeit mehr, ihr Werk zu „rehabilitieren“: Die Malerin hatte bis 1932 ein vielfältiges Œuvre geschaffen. In kraftvollen Zeichnungen sowie farbintensiven Aquarellen und Pastellkreide-Arbeiten porträtierte sie Arbeiter, Obdachlose oder Prostituierte – und immer wieder sich selbst. In der Heilanstalt, in die sie 1932 eingewiesen worden war, malte sie Blumenpostkarten und schickte sie an ihre Eltern. Die lieblich wirkenden Zeichnungen waren jedoch verzweifelte Versuche, dem lebensbedrohlichen System der Klinik zu entkommen. 1935 wurde Elfriede Lohse-Wächtler zwangssterilisiert, ihre Werke zwei Jahre später in den Hamburger Museen als „entartet“ beschlagnahmt. Ende Juli 1940 wurde sie in der Gaskammer der Heilanstalt Pirna-Sonnenstein im Rahmen der sogenannten „Aktion T4“ ermordet. Dieser exzentrischen Malerin widmet derzeit das Edwin-Scharff-Museum in Neu-Ulm eine Sonderausstellung; ihre Arbeiten sind dort noch bis zum 12. Januar 2014 zu sehen.

In der Schau werden, wie Ko-Kuratorin Eva Atlan erläutert, neben Werken von Künstlern, die als verfemt galten, auch einige gezeigt, die diese ersetzten.

J9-430

Rudolf von Alt „Alter Bettler vor gotischem Kirchenportal“, 1849, Aquarell, Papier, 25,1 x 17,8 cm; © Staatliche Graphische Sammlung München; das Blatt ließ Hitler 1938 aus einer jüdischen Sammlung rauben

Rudolf von Alt (1812 bis 1905) gehörte zu den Lieblingsmalern Adolf Hitlers. Des Führers Vorliebe für die Aquarelle des weit gereisten Malers, der Gebäude, Gassen und Plätze in der ihm eigenen technischen Perfektion dokumentierte, wurde vor allem vielen jüdischen Sammlern zum Verhängnis.

J10-430

Rudolf von Alt „Blick aus dem Fenster in Gastein“, 1888, Aquarell, Papier, 26,3 x 17,2 cm; © Staatliche Graphische Sammlung München; ebenfalls aus einer jüdischen Sammlung geraubt

Hitler plante ein „Führermuseum“ in Linz. Nach dem „Anschluss“ Österreichs ließ Reichsleiter Martin Bormann im Rahmen der sogenannten „Alt-Aktion“ 1938 zahlreiche jüdische Sammlungen in Wien plündern. Allein über 800 Aquarelle und Zeichnungen Rudolf von Alts wurden so zusammengetragen, wie die Kunstexpertin Heike Hopp im Begleitbuch schreibt. Auch Reichsmarschall Hermann Göring war eifriger Kunstsammler. Besonders war er von dem Kitsch-Maler Gerhard Löbenberg angetan.

J25-600

Gerhard Löbenberg „Raufbold (Hirsch)“, 1938, Öl auf Leinwand, 100 x 150 cm; Geschenk des Künstlers an Hermann Göring am 12. 1. 1938; © Bundesrepublik Deutschland

Profiteure und Opfer der Kunstraubzüge waren, wie eine große Kunst-Landkarte belegt, viele große Museen des Reichs. Durch einen sogenannten „Führervorbehalt“ sicherte sich allerdings Hitler für das geplante, aber nicht realisierte „Führermuseum“ die ihm genehmen Werke.

Die höchst sehenswerte Präsentation im Jüdischen Museum Frankfurt wird unter anderem von der Kulturstiftung des Bundes unterstützt. Zur Vertiefung der Ausstellung dient ein ansprechend gestalteter Begleitband, in dem die neueren Forschungsergebnisse von Historikern, Kunsthistorikern und Journalisten dargelegt werden (Preis von 29,90 Euro).

1938. Kunst, Künstler, Politik“, Jüdisches Museum Frankfurt, bis 23. Februar 2014

Bildnachweis (soweit nicht anders bezeichnet): Jüdisches Museum Frankfurt

– Weitere Artikel von Hans-Bernd Heier –

Comments are closed.