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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Theaterpreis DER FAUST 2013 in Berlin verliehen

Alle drei Frankfurter Nominierungen ausgezeichnet

Text und Fotos: Renate Feyerbacher

Zum achten Mal wurde am 16. November 2013 der wichtigste deutsche Theaterpreis DER FAUST in Berlin verliehen. Es war das erste Mal in der Hauptstadt – und das im seit 20 Jahren geschlossenen Schillertheater, wo derzeit die Staatsoper, deren Haus renoviert wird, ein Übergangs-Domizil gefunden hat.

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Bundespräsident Joachim Gauck, Daniela Schadt (links im Hintergrund Klaus Zehelein, Präsident des Deutschen Bühnenvereins)

Bundespräsident Joachim Gauck und seine Lebenspartnerin Daniela Schadt sowie Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit waren gekommen.

„Diese ästhetische Vielfalt, die sich in der gesamtdeutschen Theaterlandschaft widerspiegelt, gilt es zu schützen. DER FAUST trägt dazu bei, Kultur als elementaren Bestandteil unserer Gesellschaft zu würdigen“ … Worte aus Wowereits Eröffnungsrede.

Ganz vorne sassen die Nominierten, die Intendanten, auch Bernd Loebe, der Frankfurter Opernintendant, und Oliver Reese, sein Kollege vom Schauspiel: Partner und Freunde.

Das erste Mal in Berlin – das zeigt, dass die Preisverleihung nicht Hauptstadt-orientiert ist. Die Vielfalt der einmaligen deutschen Theaterlandschaft wird so gewürdigt.

Mehrere hundert Vorschläge der Theater müssen geprüft werden, um drei Nominierungen für die acht Kategorien zu finden. Darüber hinaus gibt es noch den Preis für das Lebenswerk und den Preis des Präsidenten des Deutschen Bühnenvereins.

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Bundespräsident Joachim Gauck und Daniela Schadt mit Preisträgerinnen und Preisträgern (links neben dem Bundespräsidenten Constanze Becker)

25 Künstlerinnen und Künstler sowie das Gesamtensemble eines Theaters waren nominiert. Aus 15 Städten kamen sie. Darunter waren Theater aus Augsburg, Bonn, Cottbus, Dortmund, Gelsenkirchen, Hannover, Heidelberg und Oldenburg neben den Theaterhochburgen Berlin, Hamburg, Köln, München, Stuttgart und natürlich Frankfurt am Main.

Die Nominierung ist die eigentliche Ehre, der Preis „das Glück des Tüchtigen“ (Deutscher Bühnenverein).

Die Städtischen Bühnen Frankfurt, das Schauspiel und die Oper, waren dreimal nominiert und erhielten den begehrten Theaterpreis DER FAUST gleich dreimal: in den Sparten Regie Musiktheater, Sängerdarstellerin / Sängerdarsteller Musiktheater und Darstellerin / Darsteller Schauspiel!

Keine andere Stadt war so erfolgreich – das sollte doch zu denken geben. Denn die Kosten, die von den Theaterhäusern eingespart werden müssen, sind hoch. Politiker und Presse griffen die beiden Intendanten, die sich in Interviews über die Frankfurter Haushaltspolitik beklagt hatten, seinerzeit massiv an. Es fiel sogar das dümmliche, üble Wort „Kulturschickeria“!

Es bedarf vieler Arbeit und intendantischem Geschick, das Niveau zu halten. Die Neuinszenierungen der Oper „Rusalka“ und „Ezio“, mit dem weltberühmten Countertenor Max Emanuel Cencic und dem Star-Modeschöpfer Christian Lacroix, wurden vom Publikum begeistert aufgenommen. Soeben realisiert der legendäre Regisseur Hans Neuenfels seine Regieideen in George Enescos „Oedipe“ – die Premiere findet am 8. Dezember 2013 statt.

Die Oper erhielt in diesem Jahr bereits den International Opera Award in London – und nun zweimal den höchsten deutschen Theaterpreis!

Die Auslastung beider Häuser liegt um die 90 Prozent. Am Novemberplan des Schauspiels standen bei fast allen Produktionen „Ausverkauft“.

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Constanze Becker

Constanze Becker, Mitglied des Schauspiel-Ensembles, die in diesem Jahr bereits mit dem Gertrud-Eysoldt-Ring für ihre Darstellung der „Medea“ in dem gleichnamigen Drama von Euripides ausgezeichnet wurde, erhielt nun in der Kategorie Darstellerin/Darsteller Schauspiel den Theaterpreis „Der FAUST“.

Constanze Becker ist bescheiden, zu bescheiden. Fast irritiert, eine Spur unsicher präsentiert sie sich in dem Clip, der sie am Abend der Preisverleihung vorstellt. Aber dann auf der Bühne bedankt sich eine selbstbewusste, redegewandte junge Frau. Die Faszination der fernen Tragödie entsteht in dieser ‚Medea‘ dadurch, dass ihre Nähe wie ihre Fremdheit von Regie, dem starken Ensemble und der überragenden Tragödin Constanze Becker in eine faszinierende Spannung gebracht werden“ (Zitat: Heft des Bühenvereins).

Sie erzählt mir später, dass sie nun in Mutterschutz gehe. Sie erwartet ihr zweites Kind. Noch einmal sah ich sie in Frankfurt als Geierwally, einer Rolle, die ihr entspricht und die sie voll ausschöpft (Inszenierung Johanna Wehner, Kandidatin im neu eingerichteten Regiestudio).

Michael Thalheimer, der Regisseur von „Medea“, war auch nominiert – nicht für „Medea“, sondern für „Geschichten aus dem Wiener Wald“ am Deutschen Theater in Berlin. Er musste die Auszeichnung in der Kategorie Regie Schauspiel dem belgischen Regisseur Luk Perceval für „Jeder stirbt für sich allein“ am Hamburger Thalia Theater überlassen.

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Annette Kurz und Luk Perceval

Auch „Theater heute“ zählt diese Inszenierung zu den besten des Jahres 2013, und das Bühnenbild von Annette Kurz ist bei der Kritikerumfrage das beste in diesem Jahr. Anette Kurz wurde in Berlin in der Sparte Bühne/Kostüm mit dem FAUST geehrt. Ihr „ist wieder eine dieser Gedanken-Bühnen gelungen, aus denen schon viele Perceval-Arbeiten Kraft bezogen haben. Kongenial“! (Heft des Bühnenvereins).

Luk Perceval, preisverwöhnt, sei es gelungen, zusammen mit seiner Ko-Bearbeiterin Christina Bellingen die Geschichte des Widerstands so einfach wie möglich zu erzählen. Es war sicher nicht einfach, ein Theaterstück aus dem 700 Seiten umfassenden Roman von Hans Fallada zu machen. Der Roman, den Fallada 1947 kurz vor seinem Tod beendete, basiert auf der authentischen Geschichte des Arbeiter-Ehepaares Hampel, das 1940 bis 1942 Postkarten-Flugblätter gegen Hitler auslegte und hingerichtet wurde. Roland Freisler, Präsident des Volksgerichtshofes, verurteilte sie wegen Wehrzersetzung zum Tode. Sie wurden hingerichtet.

Perceval bedankte sich bei seinem grossartigen Team, bei seinen lieben Fischen, mit denen er nur habe mitschwimmen müssen.

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Claus Guth

Zur Oper Frankfurt: Der gebürtige Frankfurter Claus Guth ist ein ebenso bedeutender und preisgekrönter Regisseur, der sich auf das Musiktheater spezialisiert hat. Er wurde für die Regie von „Pelléas et Mélisande“ an der Oper Frankfurt mit dem FAUST – Sparte Regie Musiktheater – ausgezeichnet. Schon einmal, im Jahr 2010, erhielt Guth ihn für die einfühlsame Regie der „Daphne“ am selben Haus.

Die Jury spricht von den „psychischen Tiefenschichten, die Guth durch seine enorm facettenreiche Personenführung aufreißt“. Er hatte zwei grossartige Sängerdarsteller zur Verfügung: „Die bezaubernd fragile, dabei aber enorm präsente Christiane Karg und der sehr eigenwillige, ungemein profilierte Christian Gerhaher“. Eine Idealbesetzung.

Christian Gerhaher bekam den FAUST – Sparte Sängerdarstellerin/Sängerdarsteller Musiktheaterfür sein grandioses Spiel und seine bestechende Interpretation, die durch vokalen Nuancenreichtum faszinierte.

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Christian Gerhaher

Der Liedgesang ist sein Hauptanliegen. Immer wieder drängt es ihn aber auch auf die Opernbühne. Das Frankfurter Publikum hörte ihn erstmals 2005 in Monteverdis „L’Orfeo“.

Faszinierend. Er war ein gefeierter Wolfram in „Tannhäuser“, er sang den Eisenstein in „Die Fledermaus“ – an der Oper Frankfurt. Überall in den Musik- und Opernhäusern der Welt ist der „Sänger des Jahres“ und mehrfacher ECHO-Preisträger unterwegs. Gerhaher ist übrigens examinierter Arzt..

Die zierliche Mina Salehpour vom legendären Grips Theater in Berlin erhielt in der Kategorie Regie Kinder- und Jugendtheater den Preis für „Über Jungs“. Vier Jungen und ein Mädchen wollen nicht in den Knast und entscheiden sich für den Kochkurs als Anti-Aggressionstraining. Sie kommen aus unterschiedlichen sozialen Milieus. Ein Stück, das durch Improvisationen entstand. Die 27-jährige Regisseurin wird für ihre „federleichte, spielerisch locker sozial unterfütterte Inszenierung zu einem Mordsspaß mit (Wieder)-Erkennungseffekten“ gelobt. Das +14-Publikum soll im Theater schier aus dem Häuschen sein.

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Bridget Breiner

Bridget Breiner vom Musiktheater im Revier Gelsenkirchen wurde in der Sparte Choreografie für ihr Aschenputtel-Thema „Ruß“ ausgezeichnet. Es ist das erste Handlungsballet der Amerikanerin, die Aschenputtel als Arbeiterkind Clara barfuss tanzen lässt. Rußig war das Revier bis in die 1960er Jahre. Breiner ist eine Menschenbeobachterin. Es gelingt ihr, wie die kurzen Sequenzen des Animationsfilms zeigen, alt und neu, reich und arm durch verschiedene tänzerische Formen auszudrücken: vom klassischen Spitzentanz bis Streetdance reicht der Stilmix. Selten gelingt ein so perfekter Wechsel von der Weltkarriere einer Ballerina zur Choreografin und Balletdirektorin.

In der Kategorie Darstellerin/Darsteller Tanz ging die Auszeichnung an Anna Süheyla Harms. Vielseitig ist das, was die australische Tänzerin in „Future 6“ zeigt. Von den vier Stücken sind drei Uraufführrungen. Sie gehört seit zwei Jahren zu der Tanzcompagnie Gauthier Dance des Theaterhauses Stuttgart.

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Anna Süheyla Harms und Werner Schretzmeier, Intendant des Theaterhauses Stuttgart

Technisch und darstellerisch – sensibel, exzentrisch, dynamisch, komödiantisch – tanzt sie durch den Abend.

Den Preis des Präsidenten des Deutschen Bühnenvereins erhielten „Die Helden unter Deck“ für ihre „produktive Gelassenheit bei der skandalträchtigen Sanierung“. Hinter dieser Schlagzeile verbirgt sich das Gesamtensemble des Staatsschauspiels Stuttgart.

Klaus Zehelein, 15 Jahre Intendant der Stuttgarter Oper, heute Präsident des Deutschen Bühnenvereins und der Bayerischen Theaterakademie, schilderte die Umstände: drei Jahre lang, drei Umzüge in Ersatzspielstätten – selbst nach der Wiederöffnung musste das Haus geräumt werden. Viele Theaterschaffende waren aus Stuttgart gekommen, um der Preisverleihung beizuwohnen.

Was für ein Lebenswerk! In wenigen Tagen wird die Bühnen- und Filmschauspielerin Inge Keller 90 Jahre alt. Warum erhielt sie diesen Preis erst jetzt? Wie alt muss jemand dazu werden?

Sie nahm den FAUST – Preis für das Lebenswerk – nicht selbst entgegen, sie schickte ihre Tochter aus der sechs Jahre dauernden Ehe mit Karl-Eduard von Schnitzler, dem Chefkommentator des DDR-Fernsehens. Theaterkritiker Hans-Dieter Schütt, er veröffentlichte einen Interview-Band mit Inge Keller, war der Laudator.

Elegant, preußisch distanziert, vermittelt Inge Keller heute noch grosse Ausstrahlung in dem filmischen Portrait. Einmalig ist ihre Sprache, das Wort Sprachkultur ist angebracht. Sprache solle dem Dichter dienen und seiner Sprache. „Um heute berühmt zu werden, muss man vor allem nicht sprechen können“, sagt sie sarkastisch. Aber sie lässt sich ein auf moderne Regisseure, wenn sie die Sprache schätzen wie zum Beispiel Michael Thalheimer. 2005 spricht sie in dessen „Faust II“-Inszenierung am Deutschen Theater Philemon, Baucis und den Wanderer. 2007 gastierte das Deutsche Theater mit beiden Teilen von Goethes „Faust“ am Frankfurter Schauspiel.

Geboren ist Inge Keller in Berlin. Nach dem Krieg spielte sie zunächst an Westberliner Theatern. 1950 wechselte sie zum Deutschen Theater in Ostberlin, wo sie bis 2001 Ensemblemitglied war, aber später immer wieder auftrat. Zeitlebens pendelte sie zwischen den Theatern von Ost und West.

Locker gestaltet war der Abend, den Jürgen Flimm, der Intendant der Deutschen Staatsoper – derzeit im Berliner Schillertheater -, arrangiert hatte. Im Bühnenbild von „The Rake’s Progress“ spielte die BigBand der Deutschen Oper Berlin, leider sehr laut; Moderator Peter Jordan führte launig, witzig mit viel Körperkomik durchs Programm, umgeben von jungen Schauspielschülern der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“. Sie unterbrachen den Moderator mit Zitaten aus dem „Faust“.

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Janine Meißner und Annemarie Brüntjen, Studierende der Hochschule „Ernst Busch“ – zukünftige Bühnenstars?

Dann füllte sich die Bühne mit fröhlichen, ausgelassenen, swingenden und singenden Kindern und Jugendlichen aus den Chören der Staatsoper, auf die ein Glitzerregen herab rieselte. Dann wurde ein Flügel auf die Bühne gerollt: die Überraschung, wie es hiess. Daniel Barenboim, der musikalische Hausherr, Generalmusikdirektor, Pianist, kündigte Franz Schuberts Sonate Nummer 1 an. Es war ein Bruch. Die Überraschung hätte vorher kommen müssen, denn der Glitzerregen hatte für einige, die schon mit den Füssen scharrten, das Ende eingeläutet. Denn ein vorzügliches Buffet wartete.

– Weitere Artikel und Fotografien von Renate Feyerbacher –

 

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