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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Tannhäuser“ von Richard Wagner – Wiederaufnahme an der Oper Frankfurt

Niemand ist zu beneiden

Von Renate Feyerbacher
Fotos: Wolfgang Runkel /Oper Frankfurt, Renate Feyerbacher

Lance Ryan (Tannhäuser) und Annette Dasch (Elisabeth), Foto © Wolfgang Runkel

Vor mehr als sechs Jahren, am 28. Januar 2007, hatte die Inszenierung von „Tannhäuser“ in Frankfurt am Main Premiere. Eine Frau führte Regie: Vera Nemirova. Es war ihr Debüt an der Frankfurter Oper. Drei Jahre später begann sie hier mit der Regiearbeit am „Der Ring des Nibelungen“, der frenetisch gefeiert wurde.

Nun wird ihr „Tannhäuser“ mit neuer Besetzung wieder gespielt. Diese Inszenierung hat nichts von ihrer Grossartigkeit verloren.

Starke Bilder begleiten das Vorspiel: Mit Rucksäcken und Schlafsäcken strömen die Pilger herbei, verharren in frommem, manchmal ekstatischem Gebet. Andere schleppen ein grosses Kreuz und richten es auf. Alle gruppieren sich flehend darum. Aber plötzlich ist der Teufel los. Diese Frommen entledigen sich der Kleider und beginnen ihre erotischen Spiele. Aus frommen Pilgern werden sexhungrige Venusberg-Bewohner, die sich um Venus, die Göttin der Liebe, scharen wie zuvor ums Kreuz. Tannhäuser mitten unter ihnen.

Die Sehnsucht nach Erleuchtung als auch das Verlangen nach Lust – beide Verhaltensweisen schlummern in uns.

Die Wartburg, wo der Künstler Tannhäuser am Hofe des Landgrafen Hermann lebte, ist die Bastion der Tugend, der Moral. Der Venusberg ist der Ort der Sünde, der Lust.

Zur Vorgeschichte: Sänger Tannhäuser alias Heinrich leidet am Hofe unter den Reglementierungen, unter den Normen, die seine sinnlichen Erfahrungen als Künstler beschränken. Nur Elisabeth, die Nichte des Landgrafen, versteht den Aussenseiter. Er liebt sie. Ihre eigenen Liebesgefühle zügelt sie jedoch. Nach heftigem Streit mit den Sangesfreunden verlässt er die Wartburg und gerät auf der Suche nach einem Sinn, nach seiner Identität, in den Bannkreis der Göttin Venus.

Aber auch an diesem Ort kommt der Moment, dass er sich durch lustvollen Dauergenuss erschöpft und ausgebrannt fühlt. Er möchte die Natur wieder wahrnehmen und Menschen treffen. Die Freiheit, die er erhoffte, fand er nicht und wird sie nach Verlassen des Venusberges nicht finden. Immer wieder fleht er:

„O Königin! Göttin! Lass mich ziehn!“ und bringt sogar Maria ins Spiel „Mein Heil liegt in Maria!“

Lance Ryan (Tannhäuser; im Hintergrund in der Projektion), Chor der Oper Frankfurt und Mitglieder des Frankfurter Opern- und Museumsorchester (hinter der Harfe stehend) sowie (im Vordergrund v.l.n.r.) Andreas Bauer (Hermann; hinter dem Mikrofon), Chorsolistinnen (Edeldamen; mit Zylindern) und Annette Dasch (Elisabeth; rechts an der Harfe sitzend), Foto © Wolfgang Runkel

An den Hof zurückgekehrt, setzt er seine Hoffnung auf Elisabeth. Als er sich beim Sängerkrieg, der ein Gesinnungskampf ist, in seinem Liebeslied zu Lust und Sinnlichkeit bekennt und auch noch outet, im Venusberg gewesen zu sein, kommt es zum Skandal. Er ist aggressiv, ungeduldig und verpasst so die Chance, das Kategoriedenken aufzubrechen.

Nemoriva nennt es das „Grundproblem der Aufspaltung der Welt in Kategorien … die Aufspaltung der Welt in geistige und sinnliche Sphären. Die Aufspaltung der Frau in Kategorien der Heiligen und Hure …“ An anderer Stelle: „Genauso wenig wie Elisabeth zur Heiligen lässt sich Venus zur Hure reduzieren. Genauso wie Elisabeth auch sinnliche Aspekte hat, hat Venus umfassende Ansprüche und verlangt nach einer Bindung … Das ist sehr menschlich“ (zitiert nach Programmheft).

Tannhäuser wird verbannt. Elisabeth offenbart ihre Liebe zu ihm. Sie gibt ihn nicht verloren, sondern macht den Vorschlag, ihn auf Pilgerreise nach Rom zu schicken, um Busse zu tun und Vergebung zu erlangen. Sie teilt seine Gedanken, ist aber in gesellschaftlichen Zwängen gefangen.

Annette Dasch (Elisabeth; in der Bildmitte mit Wasserflasche in der Hand) und Daniel Schmutzhard (Wolfram von Eschenbach; mit weissem Schal) sowie Chor und Statisterie der Oper Frankfurt, Foto © Wolfgang Runkel

In Rom bekommt er jedoch, obwohl von Reue gepackt, keine Vergebung wie die andern Pilger. Wieso nicht? Derweil wartet Elisabeth auf seine Rückkehr. Vergeblich – die Pilger kehren ohne ihn heim. Die Gottesmutter Maria, die sie anfleht, nimmt sie aus dem Leben. Sie hat sich für Tannhäuser geopfert.

Wolfram von Eschenbach: „Dein Engel fleht für dich an Gottes Thron. Er wird erhört: Heinrich, du bist erlöst!“ Goethes „Faust“ kommt in den Sinn. Der Hirtenknabe führt Tannhäuser weg, aber nicht in den Venusberg, in den er wieder zurückkehren wollte.

Tragisch ist die Rolle seines Konkurrenten Wolfram in Sachen Liebe: Auch er, der feinsinnige, kluge Sänger, liebt Elisabeth. Aber ihm gelingt es, beziehungsweise er zwingt sich dazu, „Erfüllung in der Entsagung zu finden“.

In seinem Lied, das zuvor beim Sängerkrieg die Minne besingen sollte, fand er die Worte „Und nimmer möchte ich diesen Bronnen trüben, berühren nicht den Quell mit frevlem Mut: in Anbetung möchte ich mich opfernd üben, vergiessen froh mein letztes Herzensblut!“ Tannhäuser beschimpfte ihn danach, er habe die Liebe arg entstellt.

Nun im letzten Akt der romantischen Oper ist es Wolfram von Eschenbach, der die sterbende Elisabeth begleitet und Tannhäuser vor dem erneuten Eintauchen in den Venusberg abhält. Mit seinem Abschiedslied an Elisabeth „O du mein holder Abendstern“ huldigt aber auch er der Göttin der Liebe.

(in der Bildmitte von hinten nach vorne:) Lance Ryan (Tannhäuser), Tuija Knihtilä (Venus) und Daniel Schmutzhard (Wolfram von Eschenbach; kniend) und Statisterie der Oper Frankfurt, Foto © Wolfgang Runkel

Für Regisseurin Nemirova ist Wagners Oper „nicht zuletzt ein Künstlerdrama, ein Drama des Künstlers und seiner Rolle in der Gesellschaft: wie er sich definiert, wo er sich sieht, auf wessen Seite er steht, was er vertritt“ (zitiert nach Programmheft).

Die Besetzungsliste ist bemerkenswert: Lance Ryan als Tannhäuser, Annette Dasch als Elisabeth, Daniel Schmutzhard als Wolfram von Eschenbach, Tuija Knihtilä als Venus, Andreas Bauer als Landgraf Hermann.

Seit dieser Spielzeit zählt Andreas Bauer zum Frankfurter Ensemble. Wieder ein Glücksgriff. Einen wohlklingenden Bass hat dieser junge Sänger.

Die finnische Mezzosopranistin Tuija Knihtilä flirtete, umgarnte und tobte überzeugend im Venusberg. Zuletzt, im letzten Akt, war sie allerdings schwächer.

Lance Ryan, einer der begehrtesten Heldentenöre weltweit, der „Siegfried“ an allen grossen Opernhäusern wie auch in Frankfurt, meisterte die schwere Rolle des „Tannhäuser“ bravourös. Wagner selbst nannte sie „überhaupt eine der schwierigsten Aufgaben der dramatischen Darstellung“. Es gab kleine Schnitzer, für die Ryan auch am Ende zwei, drei Buhrufe kassierte. Aber die grosse Linie beeindruckte.

Lance Ryan (Tannhäuser; vorne sitzend) und Daniel Schmutzhard (Wolfram von Eschenbach; hinten kniend), Foto © Wolfgang Runkel

Der österreichische Bariton Daniel Schmutzhard ist seit einem Jahr im Opernensemble. Er ist als Papageno in der „Zauberflöte“ und jetzt als Harlekin in „Ariadne auf Naxos“ so eine Art Liebling des Publikums geworden. Ich war gespannt auf seine Gestaltung des Wolfram. Immerhin hatte Christian Gerhaher ihn bei der Premiere vor sechs Jahren gesungen. Eindrücklich, einfühlsam, leidend, einfach überzeugend setzte Schmutzhard seine Stimme ein und auch sein Spiel bestach.

Last not least: Annette Dasch. Eine Entdeckung für Frankfurt: die gebürtige Berlinerin ist eine der führenden Sopranstimmen in heutiger Zeit. Seit Jahren singt sie in Bayreuth und bei den Münchner Opernfestspielen die Elsa im „Lohengrin“. An den Opernhäusern in Berlin, Dresden, Wien, New York, London, Madrid, Tokio ist sie immer wieder Gast, ebenso in vielen Konzerthäusern als Lied- und Oratoriensängerin. Einen „ECHO“ erhielt sie 2008. Was für eine Elisabeth! Geradezu einmalig!

Nach Frankfurt kam sie der Liebe wegen. 2011 heiratete sie Daniel Schmutzhard und 2012 wurde ihr gemeinsames Kind geboren. Die Familie lebt in Frankfurt.

Lange Jahre war sie in Berlin Gastgeberin von „Annnettes DaschSalon“, der für 3SAT aufgezeichnet wurde. Seit 2012 gibt es den Salon in der Alten Oper in Frankfurt. Annette Dasch lädt befreundete Künstler und Wissenschaftler dazu ein. Beim ersten Mal im Dezember 2012 waren dies unter anderem Sängerin Christiane Karg und Sänger Thomas Quasthoff sowie der Märchenforscher Heinz Rölleke. Im September 2013 war es der Schauspieler Nico Holonics vom hiesigen Schauspielensemble, der als Hagen in „Die Nibelungen“ fasziniert. Immer dabei sind Schwester Katrin Dasch und der Schwager Ulrich Naudé als Pianisten. Im Februar 2014 gibt es den Salon erneut.

Annette Dasch wie auch ihr Mann, Daniel Schmutzhard, sind Familienmenschen. Selbst der Kinderwagen ist stets dabei.

Familie Dasch – Schmutzhard (mit dem kleinen Neffen auf der Schulter) am 4. Dezember 2012 in der Alten Oper, Foto: Renate Feyerbacher

Die Ensemblemitglieder Franz Mayer, Hans-Jürgen Lazar, Magnús Baldvinsson und als Gast JunHo You sind ebenbürtige Mitstreiter beim Sängerkrieg.

Der Chor, einstudiert von Matthias Köhler, eine Wucht, ebenso das Frankfurter Opern- und Museumsorchester, vorzüglich dirigiert vom jungen Constantin Trinks, der sein Debüt gibt.

Ein spannender Opernabend. Die vier Stunden inklusive zwei Pausen vergehen wie im Fluge. Sehr verständlich wird gesungen, die Übertitelung ist dennoch manchmal hilfreich.

Noch dreimal kommt der „Tannhäuser“ zur Aufführung: am 27. Oktober und 9. November, jeweils 18 Uhr, sowie am 3. November 2013 um 15.30 Uhr (für Eltern mit Kinderbetreuung).

 

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