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FeuilletonFrankfurt

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PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Nanna – Anselm Feuerbachs Elixier einer Leidenschaft“ im Museum Wiesbaden

Anna Risi: Modell, Muse und Geliebte, Inkarnation seiner Malerei

Von Hans-Bernd Heier

Wäre der Maler Anselm Feuerbach auch heute noch ohne seine Nannas einer breiten Öffentlichkeit bekannt? Oder wäre er genauso wie viele seiner akademisch geschulten Künstlerkollegen längst in Vergessenheit geraten? Eine müssige Frage: Denn Feuerbachs Gemälde zählen laut Museumsdirektor Alexander Klar zu den „Juwelen der jeweiligen Museen“. Das gilt besonders für die Nanna-Darstellungen, die Anselm Feuerbach wie besessen in Serie malte. Dank ihrer Porträts wurde Feuerbach (1829 – 1880) zu einem der bedeutendsten Maler der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Eines der schönsten der edlen Römerin besitzt seit Langem das Wiesbadener Landesmuseum: Nannas Profil nach rechts, aus dem Jahre 1861.

„Nanna“, 1861; © Museum Wiesbaden

Das brachte den Kurator Peter Forster auf die glänzende, aber schwer zu realisierende Idee, alle erreichbaren Nanna-Bildnisse in einer spektakulären Schau zu versammeln. Zwar hat es auch vorher schon Versuche gegeben, einige Nanna-Bilder in einer Ausstellung zu zeigen, aber zum ersten Mal überhaupt sind alle wichtigen Porträts der römischen Muse in einer Präsentation vereint

. Das erwies sich als ausgesprochen mühsam, da die Feuerbach-Gemälde zu den beliebtesten Werken einer jeden Sammlung gehören und deswegen nur ungern ausgeliehen werden. Aber mit viel Ausdauer und Überzeugungskraft gelang das dann doch. Nach dreijähriger Vorbereitungszeit ist dem Kurator eine faszinierende Schau geglückt, die den direkten Vergleich zwischen den einzelnen Originalen ermöglicht.

„Bildnis der Nanna Risi“, 1861; Staatliche Kunsthalle Karlsruhe; Foto: A. Fischer/H. Kohler

Durch die Zusammenführung dieser herausragenden Arbeiten gelingt der Ausstellung, was Feuerbach selbst aufgrund des grossen Verkaufserfolges der Gemälde verwehrt blieb: erstmals die Nanna-Bildnisse vereint studieren zu können. Mit über 80 Werken aus bedeutenden Museen des In- und Auslands würdigt die Schau Künstler und Modell. Die Arbeiten sind noch bis zum 26. Januar 2014 im Museum Wiesbaden zu bewundern.

Ausstellungsansicht – das Gemälde der Nanna aus Wiesbaden und das Pendant aus Karlsruhe sind seit 1861 zum ersten Mal wieder gemeinsam zu sehen; Foto: Hans-Bernd Heier

Doch wer ist Nanna – Feuerbachs Elixier einer Leidenschaft? Sein berühmtestes Modell Anna Risi (1839 – 1900), so ihr bürgerlicher Name, lernte der Maler im Jahre 1860, vielleicht auch schon 1859, in Rom kennen. Es ist, wie Alexander Klar und Hubertus Gaßner, Direktor der Hamburger Kunsthalle, die im nächsten Jahr die Werke zeigt, in dem opulenten Begleitkatalog schreiben, „eine für die Kunstgeschichte glückliche Begegnung“. Denn es beginnt eine unerreicht fruchtbare Beziehung zwischen Maler und Modell: Annas Antlitz und ihre Gestalt sollten in den kommenden Jahren Feuerbachs Werk künstlerisch bestimmen. Die dunkelhaarige Schöne war ihm alles: Anna Risi war fünf Jahre lang sein einziges weibliches Modell, sie war seine Muse und seine Geliebte. Sie dominiert seine Bilder mit ihrem Wesen, ihrer Persönlichkeit und ihrer faszinierenden Erscheinung. „Feuerbach gelingt es, Pathos und malerische Perfektion zu unerhörter Spannung zu verbinden“, so Klar und Gaßner.

Die Quellenlage über die Anna Risi selbst ist äusserst spärlich. Vieles von dem einzigartigen Modell bleibt rätselhaft. Sie wurde am 14. Juni 1839 im italienischen Genzano geboren und stammt aus einfachen Verhältnissen. Sie war mit dem Schuhmacher Ferdinando Maraccini verheiratet und hatte einen Sohn Pietro. Anna Risi stand mehreren Künstlern Modell, so zum Beispiel dem Engländer Sir Frederic Leighton, und war auch nach ihrer Zeit mit Feuerbach ein gefragtes Top-Model. Das Kolorit seiner Werke wird gedämpfter.

Lord Frederic Leighton, „Portrait of a Roman Lady (La Nanna)”, 1859; Philadelphia Museum of Art

Für den in Speyer geborenen Feuerbach beginnt nach ihrem Kennenlernen eine der produktivsten und künstlerisch wertvollsten Phasen seiner Karriere. Er erkennt rasch die Möglichkeiten, die ihm die hochgewachsene Römerin mit den herben, klassischen Gesichtszügen als Künstler bot. Voller Enthusiasmus schreibt er seiner Stiefmutter Henriette Feuerbach: „Ich habe das schönste Weib von Rom als Modell zu meiner alleinigen, unbedingten Verfügung, die mir alles zur Kunst bietet, eine Kombination, die alle hundert Jahre vorkommt“. Die Stiefmutter, die auch als Kunstvermittlerin für Feuerbach tätig war, bemerkte durchaus die Veränderungen in den Arbeiten, die ihr Stiefsohn ihr von Rom nach Deutschland schickte. Auf ihre kritischen Anmerkungen erwiderte der Maler: „Also zu gross sind meine Weiber? Es sind freilich die Römerinnen, keine Grisetten, und wenn ich sie male, so wie ich es fühle, was ist denn da viel zu kritisieren? – Liebe Mutter!“. Fest steht allerdings: Seine Kunst wird nicht mehr dieselbe sein wie zuvor.

Peter Forster vor Feuerbachs Gemälde „Maria mit dem Kinde zwischen musizierenden Engeln“ von 1860, das der Kurator für die beste Madonnendarstellung des 19. Jahrhunderts hält; Foto: Hans-Bernd Heier

Unter Annas Einfluss sieht Feuerbach sich endlich in der Lage, all die künstlerischen Ziele umzusetzen, die ihn nach Rom geführt haben. Bereits in den Bildern von Sir Frederic Leighton ist die Stilisierung der Anna „Nanna“ Risi als königliche Künstler-Muse angelegt. „Ihre hohe majestätische Gestalt ist überliefert“, beschreibt Julius Allgeyer, der Freund und spätere Biograf Anselm Feuerbachs, „ihre Erscheinung von geradezu imponierender Hoheit“.

Als sein Modell verewigt Feuerbach sie in verschiedenen Motiven: mythologisch, religiös, literarisch. Er setzt sie regelrecht in Szene. „Seine gleichermassen grossformatigen wie psychologisch feinfühlig gestalteten Inszenierungen von Mythologie und Geschichte sind“, laut Klar und Gaßner, „der Höhe- und zugleich der Endpunkt einer langen Tradition der Historienmalerei“.

„Lucrezia Borgia“, 1864/65; Städel Museum, Frankfurt am Main; Foto: Städel Museum-ARTOTHEK

Neben einzelnen „Studienköpfen“ von Nanna – wie der Maler diese Einzelstudien nennt – entstehen gleichzeitig erste Rollenspiele: Feuerbach lässt Nanna in die Rolle der Madonna, Iphigenie, Lucrezia Borgia, der Judith oder als antike Muse in Gestalt einer Bacchantin schlüpfen.

„Nanna als Bacchantin“, 1861; Augustinermuseum, Städtische Museen Freiburg, Leihgabe des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Baden

Diese gekonnten Inszenierungen hatten zur Folge, dass Nanna immer nur innerhalb ihrer Rollen interpretiert wurde. Vor allem waren die Nanna-Porträts aber eines: die reinste Inkarnation von Feuerbachs Malerei. In den besten Darstellungen schafft der geniale Künstler eine faszinierende Spannung aus Vertrautheit und Distanz – nah und dennoch seltsam entrückt. Seine Nannas, die er meist im Profil mit wohl geordneter Haartracht malt, verweigern jeglichen Blickkontakt und damit jede unmittelbare Interaktion mit dem Betrachter. Dass er sie niemals unbekleidet zeigt, scheint daher nur konsequent.

Feuerbach malt, was er fühlt, nicht was er sieht“, erläutert Forster. „Sein Realismus basiert auf dem Blick hinter die Oberfläche des Sichtbaren“. Da sich dieser Anspruch nicht in einem Bild verwirklichen liess, benötigte er gleich eine ganze Serie von Bildern, um das Ziel über viele Bilder hinweg zu erreichen.

In Wiesbaden sind neben 45 Gemälden auch gut 40 Zeichnungen von Anselm Feuerbach zu sehen. Seine Zeichnungen, seine schnell hingeworfenen Skizzen ebenso wie seine ausgearbeiteten Entwürfe, spiegeln noch ganz die Tradition des akademischen Denkens des 19. Jahrhunderts wider. Angefangen von ersten Ideenskizzen, die oft noch die Schnelligkeit der Feder oder des Stiftes erahnen. lassen, über Einzelstudien bis hin zu voll ausgearbeiteten Kompositionsentwürfen zeigen sie die Genese seiner grossen Kompositionen. Hier arbeitet er ganz konventionell und nähert sich über verschiedene Stadien eines Entwurfs erst allmählich der eigentlichen Kompositionsidee an. Dies wird besonders in den Entwürfen zur Iphigenie deutlich.

„Iphigenie“, erste Fassung, 1862; Darmstadt, Hessisches Landesmuseum; Foto: Wolfgang Fuhrmanek

Ausser als Arbeits-und Studienmaterial erfüllten die Zeichnungen auch ganz praktische geschäftsmässige Funktionen: Komplette Kompositionsentwürfe wurden potentiellen Käufern – wie z. B. Baron von Schack in München – zugesandt, kommentiert und auf dieser Basis als Auftragsbild ausgeführt. Dennoch klagte Feuerbach, dass seine Kunst niemand verstehe und erst recht nicht kaufe. Was beides nicht stimmt, wie Forster lakonisch feststellt. Feuerbach pflegte vielmehr einen aufwendigen Lebensstil und war deshalb häufig knapp bei Kasse. Wegen seiner umfangreichen finanziellen Forderungen wurde beispielsweise sein Verhältnis zum badischen Grossherzog stark belastet und er wurde nicht an die Akademie in Karlsruhe berufen. Zwei Jahre später, im Jahre 1872, erhielt er aber eine Berufung an die Wiener Akademie.

Anna Risi verlässt Feuerbach1865 wegen eines reichen Engländers. Diese Trennung empfindet der Maler als äusserst schmerzhaft. Er gerät nach dem Weggang seiner grössten Inspirationsquelle in eine schwere Schaffenskrise. Diese sollte erst enden, als ein Jahr später Lucia Brunacchi Annas Nachfolgerin wird. Die damals wohl 17-jährige Lucia hatte starke physiognomische Ähnlichkeit mit ihrer Vorgängerin. Wie Nanna besass sie ebenmässige, klassische Gesichtszüge und volles schwarzes Haar. Um keinen weiteren Verlust eines Modells mehr hinnehmen zu müssen, versorgte Feuerbach sie finanziell. Auch mit ihr ging der Maler eine Liebesbeziehung ein. Für Feuerbachs spätere Iphigenien-Darstellungen sowie für zahlreiche weitere monumentale mythologische und historisierende Szenen stand Lucia Modell.

Mit Aktdarstellungen hatte Feuerbach sich bereits vor seiner Zeit mit Nanna eingehend beschäftigt, doch erst mit Lucia arbeitete er ab 1866 wieder an diesen Sujets. Die Skizzen belegen, dass er ein hervorragender Aktzeichner war, der seinen Stil hin zur klaren Linie entwickelte, wie in „Zwei weibliche Akte in verkürzter Stellung liegend“, 1879/71 (Konstanz, Wessenberg-Galerie) oder in der „Amazonenschlacht“ (Graphische Sammlung, Städel Museum Frankfurt am Main).

Eines der Hauptwerke der Wiesbadener Schau ist das monumentale Gemälde „Das Urteil des Paris“ von 1870 aus der Kunsthalle Hamburg. Für die drei Göttinnen, die Paris vor die schwere Entscheidung zwischen Heldentum, Herrschaft oder Liebe stellen, stand erkennbar jeweils Lucia Modell. So symbolisiert Feuerbach die Ausweglosigkeit der historischen Situation: Die Unmöglichkeit, zwischen gleichwertigen Angeboten zu wählen, führt zur schicksalsträchtigen Entscheidung, die schliesslich im trojanischen Krieg endet.

Anna „Nanna“ Resi kehrte bereits 1868 wieder nach Rom zurück und stand erneut verschiedenen Malern Modell, allerdings nicht mehr für Feuerbach, der sie zurückwies. Vor allem der mit Feuerbach befreundete Ferdinand Keller zeigte sich beeindruckt von ihrer hochgewachsenen Erscheinung und malte sie genauso wie Nathanael Schmitt. Diese Werke sind ebenfalls in Wiesbaden zu sehen und erlauben einen Vergleich mit Feuerbachs Gemälden.

Anselm Feuerbach stirbt mit 50 Jahren am 4. Januar 1880 in Venedig. Er wird eine Woche später unter grosser Anteilnahme auf dem Nürnberger Johannisfriedhof bestattet.

Im Untergeschoss präsentiert das weitläufige Museum bis zum 12. Januar 2014 noch Werke des 1941 in Los Angeles geboren Malers David Novros, der seit den 1960er-Jahren in New York. lebt und arbeitet. Von Beginn an beschäftigte ihn die Auseinandersetzung mit Bildfläche und Wand, die Verschränkungen und Übergängen zwischen beiden Bereichen. Kennzeichnend für seine Arbeiten sind die wandfüllenden Formate, die in dem grossen Ausstellungssaal gut zur Geltung kommen.

Schliesslich ist im Landesmuseum noch bis zum 23. Februar 2014 die grosse Präsentation „Second Life“ von Joos van de Plas zu bewundern.

Nanna – Anselm Feuerbachs Elixier einer Leidenschaft“, Museum Wiesbaden, bis 26. Januar 2014

Bildnachweis (soweit nicht anders bezeichnet): Museum Wiesbaden

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