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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Michelle Concepción: Zellforschung in Schönheit?

„Pearls“ in der Frankfurter Galerie ARTE GIANI

Pearl 46, 2013, Acryl auf Papier, 48 x 34 cm

Zytologie, Zellforschung also, ist angesagt: In diesen Tagen erhielten die Biochemiker, Molekularbiologen und Zellforscher Randy Schekman, James Rothman und Thomas Südhof den „Nobelpreis für Physiologie oder Medizin“ (wie er korrekt heisst): sie haben „das höchst präzise Steuerungssystem für den Transport und die Zustellung von zellulärer Fracht aufgedeckt“.

20, 40, 60 und noch mehr Billionen Zellen hat ein Mensch, jede einzelne ein Mikrokosmos mit hochkomplexen Systemen und Funktionen in ständigem kommunikativen Austausch im Inneren wie zur Nachbarzelle. So eine Zelle hat, wie wir lesen, einen Durchmesser von etwa einem 40-tausendstel Millimeter. Und es herrscht eine lebhafte Betriebsamkeit in ihr, jede Menge an Energie, Materialien und Stoffen muss vom Produzenten und Lieferanten zur richtigen Zeit zum „richtigen“ Empfänger verfrachtet werden, ein Logistiker hätte dabei alle Hände voll zu tun.

Pearl 27, 2013, Acryl auf Papier, 100 x 70 cm

Von der Zytologie ist es nicht weit zur Molekularbiologie, und auf einer weiteren Ebene nähern wir uns in diesem Mikrokosmos der Elementarteilchen- und Nanophysik und natürlich der Quantenmechanik, der allgemeinen Theorie also zur physikalischen Beschreibung eben dieses Mikrokosmos.

Pearl 50, 2013, Acryl auf Papier, 34 x 48 cm

Wer nun aber annehmen möchte, Michelle Concepción wolle mikroskopisch, besser rasterelektronenmikroskopisch erhobene Befunde zum Gegenstand ihrer Malerei nehmen, der läge allerdings um einiges falsch. Es sind vielmehr freie Schöpfungen, zudem in einer neuen malerischen Technik, die wir heute sehen und erleben können, vielleicht musikalischen Inventionen vergleichbar, spielerischen kompositorischen Gebilden.

Zwar befasst sich Michelle Concepción, davon sind wir überzeugt, mit den ins unendlich Grosse wie in das unendlich Kleine gehenden Strukturen und Formen unserer erfahrbaren wie nicht erfahrbaren Welt und allen Lebens. Solche Überlegungen und Forschungen finden jedoch nicht beabsichtigt und gewollt, sondern intuitiv und eher unbewusst einen Weg in das künstlerische Geschehen. In der schöpferischen Aneignung der Welt durch die Künstlerin entsteht erstaunlich konkret Gestaltetes, welches uns erst anschliessend an mikroskopisch-empirisch sichtbar Gemachtes erinnert. Ähnlich – vielleicht sei diese Anknüpfung erlaubt – wie forschende und philosophierende Wissenschaftler bereits vor der Erfindung von Teleskop und Mikroskop erstaunlich zutreffende Vorstellungen von der Welt der kleinsten wie der grössten Dimensionen entwickelten.

↑ Pearl 40, 2013, Acryl auf Papier, 48 x 34 cm
↓ Pearl 42, 2013, Acryl auf Papier, 48 x 34 cm

Seltsame, vielleicht harmlose, vielleicht auch hochgefährliche Mikroorganismen in der Petrischale? Oder expandierende Sternenwolken in der Unendlichkeit von Tausenden, gar Millionen von Lichtjahren? Mikrokosmos wie auch Makrokosmos können in den „Pearls“ gelesen werden – es kommt auf die Subjektivität des Betrachters an. Und es ergibt sich ein interessanter Vergleich zu der – freilich mit gänzlich anderen künstlerischen Konzeptionen und Gestaltungsmitteln arbeitenden – Künstlerin Birgitta Weimer, in deren in Frankfurt am Main zeitgleich ausgestellten Arbeiten wir deutlich eine Auseinandersetzung mit dem makro- wie dem mikrokosmischen Geschehen erkennen.

Pearl 32, 2013, Acryl auf Papier, 70 x 100 cm

„Pearl 32“: Ein Stück weit an einen farbigen Globus erinnernd: unsere Erdkugel, Meere und Kontinente, deformiert, zerbombt, ausgebeutet, vielleicht vom Mond aus betrachtet: Wird der Mensch in seiner Hybris solches anrichten? Oder denken wir an eine neue, andere Welt, einen Exoplaneten mit durchsonnten Landflächen, in freundlichem Hellblau einladenden, unverseuchten Gewässern?

Pearls, Perlen, nennt Michelle Concepción ihre neuesten Arbeiten auf Papier, und es sind wahrhaftig „Perlen“ malerischer Kunst – in einem übertragenen Sinn.

↑ Pearl 51, 2013, Acryl auf Papier, 32 x 22 cm
↓ Pearl 31, 2013, Acryl auf Papier, 100 x 70 cm


Malte die Künstlerin früher primär mit Acrylfarben auf – teilweise grossformatigen – Leinwänden (und gelegentlich auch auf kleinen Holztafeln), so zeigt sie in ihren neuesten Schöpfungen Werke in Acryl auf Papier. Neu ist auch eine besondere malerisch-handwerkliche Technik, deren Einzelheiten sie nicht preisgibt. Nur soviel ist zu erfahren: Die Papiere weisen eine extrem glatte Oberfläche auf, der Farbauftrag ist lasierend wässrig. Die waagerecht liegenden Blätter bearbeitet sie zum Teil mittels Pipetten. Geblieben und für die Künstlerin typisch ist das breite Spektrum ihrer zarten bis kräftigen Farben von geheimnisvoll grosser Leuchtkraft.

Michelle Concepción, 1970 in San Juan, Puerto Rico geboren, studierte am Art Institute of Chicago und an der Universidad de Barcelona, Facultad de Bellas Artes, Kunst mit dem Schwerpunkt Malerei. 1993 folgte ein Aufbaustudium der visuellen Kommunikation an der Hochschule für Gestaltung HfG in Offenbach. Die Künstlerin lebt und arbeitet in Offenbach. Ihre Arbeiten waren über Frankfurt am Main hinaus bisher in Barcelona, Chicago, Cork, Dresden, Hongkong, Long Beach (Ca), Miami, Naples (Fl) und New York ausgestellt.

Die Malerin vor ihren Arbeiten

Michelle Concepción, „Pearls“, Galerie ARTE GIANI, bis 25. Oktober 2013; am 22. Oktober, ab 18.30 Uhr, lädt die Künstlerin zu einer persönlichen Begegnung in der Galerie ein

Abgebildete Werke © VG Bild-Kunst, Bonn; Fotografien: P. W. Voigt

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