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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Absolventenausstellung 2013 der Städelschule “say my name, say my name” im MMK-Zollamt (2)

Von Händen, die sich nicht finden, und vom Polsprung in vielleicht 1000 Jahren

Ungewöhnliches wird auf der vor der MMK-Dependance „Zollamt“ aufgestellten Litfaß-Säule plakatiert: es kann sich nur um Kunst handeln. Am Ende des Treppenaufgangs wird die Vermutung Gewissheit.

Khaled Barakeh – wir lernten ihn bereits mit sehr eindringlich auf uns wirkenden Arbeiten kennen – wuchs in Syrien auf, auf den Golan-Höhen, in einem kleinen Dorf, das heute zur Hälfte unter israelischer Besatzung steht und zur anderen Hälfte weiterhin zu Syrien gehört. 2012 hielt er sich als Artist-in-Residence in Nordirland, in Londonderry (unionistisch-protestantisch)/Derry (nationalistisch-katholisch) auf und studierte die Situation dieser Stadt, die vor noch gar nicht langer Zeit Schauplatz blutiger Ausseinandersetzungen zwischen den – leider auch heute noch teilweise – verfeindeten Lagern war. Besonders setzte er sich dort mit der an einer Brücke stehenden Doppelskulptur von Maurice Harron „Hands Across the Divide“ auseinander: Zwei jugendliche Männer wenden sich jeweils mit ihrer rechten Seite über eine gewisse Distanz einander zu und strecken sich die rechten Arme zum versöhnenden Handschlag entgegen – aber die Hände berühren sich nicht.

Khaled Barakeh: ↑ Litfaß-Säule
↓ THE SHAKE – Materialising the Distance, Keramik, 23 x 17 x 15 cm

Vor diesem Befund vor Ort und dem Hintergrund seiner eigenen leidvollen Erfahrungen in seiner Heimat „übersetzt“ Khaled Barakeh das Erlebte und Beobachtete in seine dreiteilige Arbeit „THE SHAKE – Materialising the Distance“ – bestehend aus der plakatierten Litfaß-Säule, einer Skulptur und einem zweiteiligen Video. Er fotografierte den „negativen Raum zwischen den Händen der Figuren“, der entsprechende 3D-Druck wiederum diente als Vorlage für den Guss der „finalen“ Keramik-Skulptur mit den Fingerabdrücken zweier Hände. „Die Bilder“, so lesen wir im Begleittext, „reflektieren die Tatsache,  dass natürlich jede Art der Versöhnung oder der Heilung Zeit brauchen wird … Indem ich den Prozess, der zu der Herstellung der neuen Skulptur geführt hat, offengelegt habe, ist nun also auch die Zeugenschaft der Stadt in dem Ausstellungsraum zu sehen“.

„Hätten Sie’s gewusst?“ hiess seinerzeit eine höchst beliebte, über mehr als ein Jahrzehnt ausgestrahlte Quiz-Sendung im Ersten Deutschen Fernsehen. Eine wunderbare, bewegende Arbeit beschert uns Khaled Barakeh – aber „Hätten Sie’s gewusst?“, liebe Leserinnnen und Leser, worum es in ihr geht, ganz ohne die – wenn auch in allerknappster Form gegebenen – Erläuterungen?

Wussten Sie, verehrtes Publikum, dass es etwa vor 780.000 Jahren einen Polsprung im Magnetfeld der Erde gab, also eine magnetische Feldumkehr zwischen Nord- und Südpol? Und dass wir Zeitgenossen uns wohl bereits in einer Phase einer „alsbald“ bevorstehenden erneuten Polumkehr befinden, die die Wissenschaft zwischen den Jahren 3000 und 4000 voraussagt? Nein, wussten wir, ehrlich gesagt, auch nicht. Ob nun so ein fundamentaler Magnetfeldwechsel – so unsere ketzerische Frage – nicht doch Einfluss auf die Gehirntätigkeit des menschlichen Wesens haben könnte, auf Hass, Korruption, Kriegführung und manches andere im Grunde dem Vernünftigen nicht Nachvollziehbares derjenigen, die wir – von Torheit wie Gutgläubigkeit geplagte Wahlvolk-Menschenkinder – zu unseren weltlichen oder geistlichen Anführern und Oberen gekürt haben? Na ja, obwohl stets aktuell, ein weites Feld.

Bianca Baldi, „40° 50′ 18“ S 14° 04′ 30“ E: In the Event of the Magnetic Polar Shift 2013″, 2013, Print auf Alu-Dibond, Masse variabel

Bianca Baldi, 1985 in Johannesburg geboren, visualisiert und übersetzt uns in ihrer grossartigen Arbeit die bevorstehende Polumkehr in das laufende Jahr 2013. „Hätten Sie’s gewusst?“, liebe Leserinnen und Leser?

Es sind zu einem grossen Teil Arbeiten der konzeptuellen Kunst, die uns in der Absolventen-Ausstellung der Städelschule begegnen. Jenseits der eingangs dargestellten, noch leicht zu erschliessenden Beispiele treffen wir auf manche anderen insbesondere im Bereich der Installation, die sich selbst einem durchaus intensiveren – und erst recht einem spontanen – Rezeptionsbedürfnis verweigern. Der nicht gründlich wie einschlägig vorgebildete Betrachter benötigt Handreichungen, Erklärungen, sei es der Künstler oder der Kuratoren. Der „bürgerliche“ Begriff von Kunst – man hängt etwas, was einem gefällt, an die Wand oder stellt es auf ein Piedestal – hat sich seit langem erweitert: zur Installation und Intervention; zur Performance, in die der Künstler seine eigene Körperlichkeit einbringt; zur künstlerischen Forschung; zur Auflösung der Distanzen zwischen den altüberlieferten Wesenheiten von Künstler, Kunstwerk und Betrachter.

Wir bitten unsere geneigte Leserschaft wiederholt und erneut, sich diesem Befund gegenüber nicht zu sperren, sondern hinzugehen, sich einzulassen, sich Zeit zu nehmen, sich in Geduld zu üben, genau hinzuschauen, neugierig und aufnahmewillig zu sein und auf Vorurteile (und Vorverurteilungen) zu verzichten. Besuchen Sie durchaus auch Kuratorenführungen! Doch bleibt uns bei allem eine Besorgnis, Künstlererläuterungen hin, Kuratorengespräche her: Der Betrachter sollte letztendlich seine eigene Wahrnehmungsfähigkeit ausbauen und auf sie vertrauen, er sollte sich freimachen von Wegweisungen Dritter. Und erst dann, nach reiflichem Betrachten und Erwägen, sollte er das eine oder andere ruhig als für sich Unerschliessbares und Unbrauchbares verwerfen dürfen.

Rektor Nikolaus Hirsch in der Pressekonferenz

„Von der Akademie ins Museum – dieser Ortswechsel markiert den Wechsel vom Kunststudenten zum Künstler. Von nun an – so legt der Titel der Ausstellung ’say my name, say name‘ nahe – sollen sich die Künstler einen Namen machen. Angesichts der grossartigen Qualität der gezeigten Arbeiten habe ich keine Zweifel, dass dies gelingt“, so der Rektor der Städelschule, Professor Nikolaus Hirsch.

Konzeptuell, ironisch und sehr sinnlich eine Arbeit von Elif Erkan:

Elif Erkan, Concrete Strategies for Scarlett Dieting, 2013, Beton, Teller, (je) 120 x 5 x 115 cm

Und auch das „an die Wand zu Hängende“ verschafft sich Raum wie Respekt: Werke von Seth Pick, dem höchst Berufene eine grosse künstlerische Karriere voraussagen, und von Young-in Son, dessen gross- wie auch kleinformatige Tafelbilder, insbesondere aus der Reihe seiner liebe- und hilfebedürftig erscheinenden, gleichwohl sarkastisch-überzeichneten „Taugenichtse“, bereits in mehreren Galerieausstellungen erhebliches Aufsehen erregt haben.

Seth Pick, Cave, 2013, 100 x 75 cm; Zhuang Zhou, 2013, 120 x 80 cm; Zhuang Zhou II, 2013, 65 x 50 cm; alle Arbeiten Öl auf Baumwolle

Young-in Son, Taugenichts, 2013, Öl auf Leinwand, 200 x 180 cm

Eine faszinierende Arbeit in Gestalt einer zum Teil verspiegelten Vitrine wird – wie viele andere Exponate auch – noch kurzfristig vor der Pressekonferenz hergerichtet: Zuzanna Czebatul freut sich am Ende, dass alles kunstgerecht fertig geworden ist. Ein durchaus auch skulptural zu verstehendes Werk, auch in einem nicht allzu üppig bemessenen Raum kann es, frei stehend, seine Kraft entfalten, es gibt manche Rätsel auf, die unbedingt zu Lebzeiten noch gelöst sein wollen, mit ihnen möchte man auch seine Gäste konfrontieren … ruhig einmal nach dem Kaufpreis fragen, so raten wir, solange die Künstlerin noch als „Absolventin“ gilt!

↑↓ Zuzanna Czebatul, „With Stones and illegible inscriptions, found about great ruins, built purposely awry, so as they seem eternally tipping and falling“, 2013, Beton, Glas, Spiegel, Stahl, 92 x 62 x 165 cm

Am Ende unserer kleinen Auswahl ein Künstler, den wir wiederum schon kennen, René Schohe, der uns mit „Handy-„, nein dieses Denglisch-Unwort gibt es ja gar nicht, der uns also mit seiner „Mobile-Kunst“ überrascht: mit Arbeiten, die er speziell für dieses Medium entwickelt hat. Ja, es sind echte „Samsungs“, die er da an die Wand klebt und bespielt. Sie spielen uns manchen Streich, die Mini-PCs „hängen sich“ gerne mal „auf“, dann muss der Künstler ran oder der Kurator Bernd Reiß, dem eine ausgezeichnete Ausstellung gelungen ist, wenn einer von ihnen gerade da ist, oder die Aufsichtsperson. Eine schöne Arbeit, voll Scharfsinn und Witz.

René Schohe, „yyy nnn“, 2013, Samsung Galaxy Wonder, Ton, Lack

Bereits zum fünften Mal zeigen die Absolventinnen und Absolventen der Staatlichen Hochschule für Bildende Künste – Städelschule – ihre Arbeiten im MMK-Zollamt. „Es freut mich, dass wir dieses Jahr erneut die Abschlussarbeiten der Städelabsolventen im MMK-Zollamt ausstellen. Die Zusammenarbeit mit den jungen Künstlern ist für uns als Museum für Gegenwartskunst sehr wichtig und ich bin froh, dass wir in den vergangenen Jahren eine fruchtbare Kooperation aufbauen konnten“ sagt MMK-Direktorin Susanne Gaensheimer.

Die diesjährigen weiteren Absolventinnen und Absolventen der Städelschule aus den Professoren-Klassen von Douglas Gordon, Judith Hopf, Michael Krebber, Christa Näher, Willem de Rooij und Simon Starling:

Zoe Barcza, Andreas Bülow Cosmus, Elisa Caldana, Clémentine Coupau, Christoph Esser, Genoveva Filipovic, Flaka Haliti, Young Joo Lee, Vytautas Jurevicius, Jenny Kalliokulju, Anne Kaniut, Patrick Keaveney, Johanna Kintner, Martin Kohout, Tonio Kröner, Kristian Laudrup Hansen, Erik Lavesson, Jannis Marwitz, Melanie Matthieu, Laura Schawelka, Sam Siwe, Daniel Stempfer, Franziska von Stenglin, Jol Thomson und Moritz Uebele. Wir werden ihnen gewiss wiederbegegnen.

„say my name, say my name“, Ausstellung der Städel-Absolventen 2013, MMK-Zollamt, bis 20. Oktober 2013

Abgebildete Werke © jeweilige Künstlerinnen / Künstler; Fotos: FeuilletonFrankfurt

→  Absolventenausstellung 2013 der Städelschule “say my name, say my name” im MMK-Zollamt (1)

 

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