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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Sommerliche Reisegrüsse aus der Türkei / 10


Erzählung in Briefen

© von Robert Straßheim

Zehntes Kapitel

12.6.

Lieber Markus,

vor lauter Kälte ist Zila „sick“, kämpft mit heiserer Stimme und hustet ganz böse; auch Zara leidet unter Halsschmerzen. Sie machen den „kalten“ Wind dafür verantwortlich. Auch Zelal will krank werden. Indessen lasse ich mich nicht beirren: Gegen die Einwände und Verbote nehme ich die Kleinen mit ins Wasser, das 22 bis 24 Grad warm sein dürfte. Das Baby schreit, will nicht mehr ins Meer, seit eine Welle ihn erschreckt hat, Zara ist erleichtert, dass ich ihn nicht mehr „krankmache“. Alina ist hin und her gerissen: Soll sie die nasse „Kälte“ scheuen oder sich einfach freuen?

Jedes Mal freut sie sich, dass ihre Mama sie abends hübsch macht: immer ein anderes Kleid als gestern muss es sein; und, von mir wegen des Gestanks beargwöhnt: Nagellack von Zila; dazu flicht ihr Dila immer neue Zopf-Kreationen, und wenn ich sie zu Bett bringe, will ich am liebsten alles mit der Schere abschneiden – aber du würdest mir entgegenhalten, dass der Narzissmus im Kleinkindalter gesund sei, und so geniesse ich den Anblick der kleinen Prinzessin.

Unsere Frauen erfreuen sich des Redens – und neuerdings auch des Badens, angeblich sei es wärmer geworden, ich glaube aber eher, dass es an Alina liegt, deren Spass im Wasser sie teilen wollen.

Dilas Schwester Zila ist auch gestern angereist, so bin ich nun von vier Frauen umgeben, die unentwegt reden – ausser mir liest nur Zila, und zwar ein Englischlehrbuch – aber lange wird sie damit nicht in Ruhe gelassen, sondern ins Gerede verstrickt; ich weiss nicht, worüber sie reden, sie reden miteinander, sie reden mit fremden Frauen, die unaufhörlich zurück reden, und bald findet durchs Reden Afet, eine hübsche Singlefrau, Anschluss an unsere Gruppe. Obwohl Afet Akademikerin ist, liest sie türkische Bild-Zeitungen und kann kaum Englisch, sodass ich es aufgebe, sie kennenzulernen. Nur eins interessiert mich: Über Zara erkundige ich mich, warum sie denn ohne Mann reise? – Afet habe sich vor ein paar Monaten von ihrem Freund getrennt. – Und warum sucht sie hier keine männliche Gesellschaft? So alleinreisend wäre es doch spannend, ein bisschen herumzuflirten? – Das sei eben der Kulturunterschied: Hier suchen Frauen Kontakt zu Frauen, und Männer zu Männern, auch wenn sie single sind.

Da ist es also von Vorteil, dass ich kein Türkisch kann: So störe ich die Frauenkultur nicht.

Nur Zelal, so berichtet mir Zara, trüge mir nach, dass ich kein Türkisch lerne, sodass sie nicht mit mir reden könne. Betreten sage ich nichts dazu.

Dass ich mit den anderen „nie etwas rede“, fällt einer fremden Türkin auf, und sie meldet es als Tatsache, als Vorwurf an meine Frauen, die es wiederum mir mitteilen. Überrascht gucke ich zu meiner heimlichen Beobachterin, die am Nachbartisch thront: Eine dicke, herrisch dreinschauende Frau mittleren Alters. Ich sage nichts. So kann sich meine Beurteilerin einmal mehr bestätigt sehen.

Später kommt mir eine Frage in den Sinn: Was folgert sie denn daraus, dass ich nicht rede?! Will sie ihr Urteil denn nicht vollständig abliefern?

Ich bringe es nicht über mich, diese Fragen zu äussern – was sollte schon dabei herauskommen als noch mehr Gerede, in das ich direkt verstrickt würde?

Ansonsten nichts Neues. Zu fast jeder Mahlzeit wiederholt sich der lästige Kampf um meinen Teller. Schuld sind ja auch viele Gäste, die halbvollgeladene Teller zurückgehen lassen, weil es nichts kostet: Da wird weit mehr aufgeschaufelt als der Hunger reicht; überdies sind die Speisen auch nicht immer wohlgeraten: Besonders Eier und Kartoffeln sind hier Glückssache – dabei sollte man meinen, es sei unkompliziert, z. B. Kartoffeln einfach gar zu kochen. Goldrichtig liege ich mit meinen mitgebrachten Teebeuteln zur Sicherstellung des Teegenusses (aus Erfahrung wird man klug): Hier gibt es sonst nur das „Lipton“-Sortiment und türkischen Noname-Schwarztee zur Wahl – beides will man wirklich nur einmal trinken.

(Fotos: © Robert Straßheim)

→  Sommerliche Reisegrüsse aus der Türkei /11

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→  s. a. “Urlaubsbrief aus der Türkei”

 

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