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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Blickachsen 9“ in Bad Homburg und Rhein-Main (8)

Die Styliten von Jaume Plensa

Da sitzen sie, die Styliten, die „Säulenheiligen“ oder Pfahlsitzer des katalanischen Bildhauers Jaume Plensa, vor dem Zentralgebäude des Campus Westend der Goethe-Universität. Des Nachts sind sie sogar erleuchtet – nun, wir haben sie bei Tageslicht betrachtet und fotografiert. „Poets in Frankfurt“ heissen die drei Herren auf ihrem unbequemen Hochsitz, ihre Untertitel lauten „Heaven-Hell-Poetry“, „Religion“ und „Day-Night“.

Zwar gab es Styliten wohl bereits in der Antike, bekannt wurden sie jedoch erst in frühchristlichen Jahrhunderten. Sie folgten den drei asketischen Maximen „Verweilen an einem Ort“, „Unbehaustsein“ und „Stehen“. Gleichsam Ahnherr und vor allem Vorbild dieser Bewegung war Symeon Stylites der Ältere, er lebte von 389 bis 459 im antiken Syrien, seit etwa dem Jahr 422 auf einer Plattform, die zuletzt auf einer Säule von 17 bis 18 Meter Höhe angebracht gewesen sein soll, hoch angesehen und verehrt, fortwährend umringt von einer grossen Pilgerschar. In unseren Zeiten verkam das seinerzeitige wenn auch exzessive, so doch asketisch-religiöse Tun zu albernen Massenveranstaltungen mit Einträgen in das Guinnes-Buch der Rekorde.

Aber was erkennen wir bei genauerem Hinschauen? Es sind die Gesten der „Drei Affen“, die sich Augen, Ohren und Mund zuhalten, „nichts (Böses) sehen, nichts (Böses) hören, nichts (Böses) sagen“. Nun, einst hatten diese wiederum drei Maximen rein gar nichts mit Affen zu tun, sondern sie gründen auf die buddhistische Lehre: Alles, was nicht dem Gesetz der Schönheit (der Angemessenheit, vielleicht auch Wahrhaftigkeit) entspricht, solle nicht geschaut oder gehört werden bzw. darüber solle nicht gespochen werden.

Heute stehen die drei Affen für Wegschauen, Weghören und Verschweigen in einem negativen Sinn, will sagen für Beschwichtigen, Beschönigen, Feigheit; oder anders formuliert für Passivität, Meinungslosigkeit und Desinteresse.

Ist Jaume Plensas Arbeit nun politisch?

Just heute Vormittag hörten wir eine wiederum aufschlussreiche Sendung der Reihe „Klartext“ im hervorragenden Programm „hr iNFO“ des Hessischen Rundfunks. Zu Wort kamen die Kommunikationswissenschaftlerin, Publizistin und Direktorin am Institut für Medien- und Kommunikationsmanagement der Universität St. Gallen, Professor Miriam Meckel, und der bekannte Journalist, Autor und Politologe Professor Thomas Leif. Passivität, Meinungslosigkeit und Desinteresse des Wahlvolks scheinen auch den diesjährigen Bundestagswahlkampf zu bestimmen. Und auch Resignation derer, denen es gar nicht gut geht, etwa den rund 20 Prozent der zu Dumping- und Niedrigstlöhnen Arbeitenden, nach dem Motto „es ändert sich ja doch nichts“. Dass Kanzlerkandidat Steinbrück nicht „zündet“, sieht man allenthalben. Die Wahlkampfstrategie der Kanzlerin jedoch, so Miriam Meckel, heisse: “ ’nichts zu machen‘, sich nicht zu bewegen, ‚inhaltslos‘ zu kommunizieren“. Sie entspreche damit einer Stimmungslage des grösseren Teils der Deutschen im Wahlherbst 2013, „bloss nichts zu verändern“. Und – das sagen nun neben der kritischen Presse und vielen besorgten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern auch wir – das „dicke Ende“, die grosse europaweite Abrechnung der durch Neoliberalismus und Entfesselung der Finanzindustrie verursachten Krise kommt gewiss.

Jaume Plensa ist in Frankfurt am Main weithin bekannt durch seine Gross-Skulptur „Body of Knowledge“ auf dem Campus Westend. Ferner war er prominent zuletzt bei den „Blickachsen 7“ mit seiner Arbeit „Nosotros“ vertreten.

Abgebildete Werke: © Jaume Plensa; Fotos: FeuilletonFrankfurt

→ “Blickachsen 9″ in Bad Homburg und Rhein-Main (Folge 9)

→ “Blickachsen 9″ in Bad Homburg und Rhein-Main (Folge 1)

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